IT- und Medienrecht

Gefahrenvorsorge, Abstrakte Gefahr, Unzumutbare Belästigung, VOC, OSB- und Spanplatten, TVOC-Wert, TSVOC-Wert, R-Wert, TVOC ohne NIK

Aktenzeichen  2 N 19.1938

Datum:
24.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51211
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 1
BayBO Art. 3 S. 1, § 11, § 81a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Bayerischen Technischen Baubestimmungen (BayTB) vom 26. Februar 2021 – Az. 28-4130-3-6 – werden, soweit sie für Span- und OSB-Platten Geltung beanspruchen, hinsichtlich der in ihrem Anhang 8 (ABG) unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen betreffend die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez) und der Konzentrationen der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC), den nach einer Einzelstoffbewertung gebildeten (Summen-)R-Wert und die Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC (TVOC ohne NIK) für unwirksam erklärt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Antragstellerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Antrag ist insbesondere statthaft. Die streitgegenständlichen Technischen Baubestimmungen (BayTB) in Verbindung mit Anhang 8 (ABG) sind zulässiger Gegenstand eines Normenkontrollantrags nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, Art. 5 Satz 1 AGVwGO.
Ein Normenkontrollantrag ist nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft, wenn über die Gültigkeit von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsverordnungen zu entscheiden ist, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Hierzu gehören nach der Zweckrichtung der Normenkontrolle und dem danach gebotenen weiten Begriffsverständnis nicht nur Satzungen und Rechtsverordnungen, sondern auch solche (abstrakt-generellen) Regelungen der Exekutive, die rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und auf diese Weise dessen subjektiv-öffentlichen Rechte unmittelbar berühren (vgl. BVerwG, B.v. 25.11.1993 – 5 N 1.92 – BVerwGE 94, 335; U.v. 26.1.1996 – 8 C 19.94 – BVerwGE 100, 262; U.v. 25.11.2004 – 5 CN 1.03 – BVerwGE 122, 264; VGH BW, B.v. 29.11.1985 – 9 S 658/84 – NVwZ 1986, 855).
So verhält es sich hier. Die hier inmitten stehenden Bestimmungen der BayTB (A.3.2.1) in Verbindung mit Anhang 8 (ABG) sind nach ihrem Inhalt darauf ausgerichtet, im Außenverhältnis in derselben Weise in subjektive Rechte einzugreifen, wie das auch bei sonstigen Rechtsvorschriften im Sinn von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO der Fall ist (vgl. Hofer in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 81a Rn. 8ff; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 81a Rn. 26ff.; so auch VGH BW, U.v. 7.10.2020 – 8 S 2944/18 – NVwZ-RR 2020, 244; SächsOVG, B.v. 11.2.2019 – 1 B 454/18 – juris). Ihnen kommt insoweit unmittelbare Außenwirkung jedenfalls für die am Bau Beteiligten zu. Denn Art. 81a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BayBO, der auf die Technischen Baubestimmungen (BayTB) verweist, konkretisiert nach seinem Wortlaut die aus Art. 3 Satz 1, Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayBO sich ergebenden Anforderungen an Anlagen und sieht insoweit eine Beachtenspflicht vor. Insbesondere setzen die hier angegriffenen Bestimmungen nicht nur Richtwerte für VOC-Emissionen fest, sondern Grenzwerte, an deren Einhaltung die Verkehrsfähigkeit der von den Antragstellerinnen produzierten OSB- und Spanplatten geknüpft ist.
b) Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere sind die Antragstellerinnen gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Danach kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, durch die Rechtsvorschrift oder ihre Anwendung verletzt zu sein.
Die Antragstellerinnen machen im Ergebnis geltend, durch die Anwendung der streitgegenständlichen Bestimmungen in ihrem Recht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Daneben berufen sie sich auf eine Verletzung des Marktbehinderungsverbots nach Art. 8 Abs. 4 BauPVO.
Hier ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Antragstellerinnen in ihrem Recht auf Berufsfreiheit in Gestalt der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG insoweit verletzt sein könnten, als sie die in den BayTB in Verbindung mit den ABG festgelegten Summengrenzwerte zur Aufrechterhaltung der Verkehrsfähigkeit der von ihnen hergestellten Span- und OSB-Platten einhalten müssen (zum möglichen Grundrechtseingriff durch Verwaltungsvorschriften vgl. BVerwG, U.v. 6.11.1986 – 3 C 72.84 – BVerwGE 75, 109). Denn Art. 12 GG gewährt das Recht der freien Berufswahl und -ausübung und ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie – wie hier die Antragstellerinnen – eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht (vgl. BVerfG, U.v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 – BVerfGE 50, 290; B.v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 – BVerfGE 105, 252). Dies gilt auch für die Antragstellerin zu 2 als ausländische juristische Person über Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 4.11.2015 – 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 – NJW 2016, 1436).
Daher kann hier eine darüber hinaus mögliche Verletzung nach Art. 8 Abs. 4 BauPVO dahin gestellt bleiben.
c) Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerinnen ist nicht entfallen. Nach den obigen Ausführungen ist nicht von Bedeutung, ob die Antragstellerinnen, insbesondere die Antragstellerin zu 2, die nach den angegriffenen Bestimmungen für die Verkehrsfähigkeit erforderlichen Gutachten zur Einhaltung der Summenwerte durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) derzeit erhalten haben. Denn sie können durch die streitgegenständlichen Regelungen weiterhin in ihren Rechten verletzt sein, wenn die Anforderungen nicht gestellt werden dürften. Ferner könnten die Antragstellerinnen bei einer Produktumstellung jederzeit neue Nachweise benötigen. Im Übrigen sind noch nicht für alle Produkte der Antragstellerinnen Gutachten durch das DIBt erteilt worden.
d) Ferner liegt keine Teilrücknahme nach § 92 VwGO vor. Die Antragstellerinnen haben bereits in ihrer Antragsbegründung vom 17. September 2021 ihre Anträge entsprechend der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 2021 konkretisiert.
e) Die Änderung des Normenkontrollantrags der Antragstellerinnen dergestalt, dass ihre Anträge die während des anhängigen Normenkontrollverfahrens ergangene, im Wesentlichen inhaltsgleiche Neufassung der Bayerischen Technischen Baubestimmungen vom 26. Februar 2021 zum Gegenstand haben, ist gemäß § 91 VwGO zulässig. Denn der Beklagte hat sich gemäß § 91 Abs. 2 VwGO rügelos auf die geänderte Klage eingelassen. Im Übrigen wäre die Klageänderung auch gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO sachdienlich.
2. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Die BayTB vom 26. Februar 2021 sind hinsichtlich der in ihrem Anhang 8 (ABG) unter 2.2.1.1 enthaltenen Anforderungen an VOC-Emissionen betreffend die Summe der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOCspez), der Konzentration der schwerflüchtigen organischen Verbindungen (TSVOC), den nach einer Einzelstoffbewertung gebildeten (Summen) R-Wert und die Mengenbegrenzung für nicht bewertbare VOC (TVOC ohne NIK) von der angegebenen Rechtsgrundlage des Art. 81a BayBO nicht gedeckt.
Daher kann hier die Frage der formellen Rechtswidrigkeit der angegriffenen Bestimmungen dahin gestellt bleiben.
a) In den auf Grundlage von Art. 81a Abs. 2 BayBO vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr erlassenen, zuletzt am 1. April 2021 in Kraft getretenen Technischen Baubestimmungen (BayTB) können zur Sicherstellung der Anforderungen nach Art. 3 Satz 1, Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayBO im erforderlichen Umfang Regelungen in Bezug auf die Leistung von Bauprodukten in bestimmten baulichen Anlagen oder ihren Teilen getroffen werden. Betreffend den Gesundheitsschutz werden in Abschnitt 3.2.1 der BayTB Anforderungen an bauliche Anlagen aufgestellt, die im Anhang 8 (ABG) im Hinblick auf VOC-Emissionen konkretisiert werden. Die in 2.2.1 der ABG aufgeführten Bauprodukte, die auch Holzwerkstoffe in Form von schlanken ausgerichteten Spänen (OSB) und kunstharzgebundenen Spanplatten erfassen, dürfen unter anderem bestimmte Werte an VOC-Emissionen nicht übersteigen. Dies betrifft vorliegend die Summe der identifizierten und nicht identifizierten flüchtigen organischen Verbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m³ (TVOCspez), die Summe der identifizierten und nicht identifizierten schwerflüchtigen organischen Verbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m³ (TSVOC), den nach Einzelstoffen, für die NIK-Werte gelistet sind, gebildeten (Summen-)R-Wert sowie die Summe der nicht bewertbaren VOC ab einer Konzentration von 5 µ/m³ (TVOC ohne NIK).
aa) Die insoweit angegriffenen Regelungen sind aber von ihrer Rechtsgrundlage des Art. 81a Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Satz 1 BayBO nicht gedeckt.
(1) Nach Art. 3 Satz 1 BayBO sind bei der Anordnung, Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung von Anlagen die Belange der Baukultur, insbesondere die Regeln der Baukunst so zu berücksichtigen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Die Regelung des Art. 3 BayBO stellt die materiell-rechtliche Generalklausel des Bauordnungsrechts dar, dessen wichtigste Aufgabe als Teil des Sicherheitsrechts die Gefahrenabwehr für die in Art. 3 Satz 1 BayBO genannten Schutzgüter bildet (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 3 Rn. 122; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 3 Rn. 28). Damit liegt ihr der klassische Gefahrenbegriff des Sicherheitsrechts zugrunde.
Zur Gefahr im Sinne von Art. 3 BayBO zählt neben der „konkreten“ auch die „abstrakte“ Gefahr. Eine solche „abstrakte“ Gefahr ist anzunehmen, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also mit einem Rechtssatz zu bekämpfen, so dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.1997 – 3 BN 1.97 – BWGZ 1998, 375; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347). Je größer und folgenschwerer ein möglicher Schaden ist, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. Dennoch ist auch für die abstrakte Gefahr Voraussetzung, dass der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist, deren Feststellung eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose verlangt (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1974 – 1 C 31.72 – BVerwGE 45, 51; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347; U.v. 28.6.2004 – 6 C 21.03 – juris). Dabei ist die jeder Prognose immanente Unsicherheit von der Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächliche Grundlage der Gefahrenprognose betrifft. Keine Gefahr, sondern lediglich eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht ist somit gegeben, wenn nicht genügende Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/ oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose vorliegen. Maßgeblich ist dabei der Stand der Wissenschaft und Forschung (vgl. BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 11 B 5.98 – NVwZ 1998, 631). Entfernte Möglichkeiten des Eintritts eines Schadens oder allgemeine Vermutungen genügen aber ebenso wenig wie ein bloßer Schadensverdacht (vgl. Molodovsky in Molodovsky/ Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 3 Rn. 29; Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 3 Rn. 126). Insbesondere wird der Vorsorgegrundsatz im Sinne der Risikobegegnung unterhalb der Gefahrenschwelle von der baurechtlichen Generalklausel nicht umfasst (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 3 Rn. 127; so auch VGH BW, U.v. 7.10.2020 – 8 S 2959/18 – juris für die landesrechtliche Bestimmung § 3 LBO; a.A. wohl SächsOVG, B.v. 11.2.2019 – 1 B 454/18 – juris; NdsOVG, U.v 4.12.2015 – 1 LC 178/14 – DVBl 2016, 586). Denn die Vorschrift kann nur insoweit als Rechtsgrundlage dienen, als mit ihr Gefahren bekämpft werden sollen, die dem genannten Gefahrenbegriff entsprechen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347; U.v. 28.6.2004 – 6 C 21.03 – juris) betrifft die Bekämpfung von Risiken, die jenseits feststellbarer Gefahren verbleiben, nicht dem Rechtsanwendungsvorgang, sondern verlässt vielmehr die durch den sicherheitsrechtlichen Gefahrenbegriff vorgegebene Bewertungs- und Entscheidungskompetenz der Ordnungsbehörden. Eine solche Beurteilung gebieten die aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem (Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1 GG) folgenden Grundsätzen der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen der Exekutive, hier einer Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung, und des Vorbehalts des Gesetzes. Anders als bei der Feststellung einer Gefahr setzt dies eine Risikobewertung voraus, die neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt (vgl. BVerfG, B.v. 28.2. 2002 – 1 BvR 1676/01 – DVBl 2002, 614). Es ist aber ausschließlich Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend begegnet werden soll. Dies geschieht üblicherweise durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der „Gefahrenabwehr“ zur „Vorsorge“ gegen drohende Schäden.
Daher gilt, dass die technischen Standards nicht weiter reichen können, als es die Schutz- und Zielbestimmung des Art. 3 verlangt (vgl. insoweit auch Hofer in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 81a Rn. 25 m.w.N.). Soweit in der Literatur teilweise die Meinung vertreten wird, dass Belange der vorbeugenden Gefahrenabwehr als ausreichend anzusehen seien mit dem Argument, dass es sich hierbei lediglich um den Bereich der regelungsfähigen Unsicherheit des Gefahreneintritts handelt (vgl. Hofer in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 81a Rn. 25; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 81a Rn. 70a), kann dieser Auffassung in Anbetracht der vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrenze der Exekutive beim Erlass von Rechtsverordnungen, hier einer Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung, nicht gefolgt werden.
Soweit der Antragsgegner eine Parallele zu dem „Vorsorgecharakter der Bestimmungen zur Vermeidung eines Gebäudeeinsturzes“ nach der BayBO zu ziehen versucht, vermögen seine Ausführungen nicht zu überzeugen. Denn die Verwendung des Begriffs der Vorsorge vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass den Vorschriften die Begegnung einer abstrakten Gefahr zugrunde liegt (vgl. zum Brandschutz OVG NW, U.v. 28.8.2001 – 10 A 3051/99 – juris). Auch steht die Auffassung, dass Art. 3 Satz 1 BayBO keine Gefahrenvorsorge erfasst, nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Senats vom 18. Mai 2017 (2 B 17.543 – juris). In dem entschiedenen Fall hat der Senat nicht die Frage der Reichweite des Begriffs der Gefahrenabwehr im Sinn von Art. 3 BayBO beurteilt. Denn die dort inmitten stehenden fliegenden Bauten sind abstrakt gefährlich (vgl. U.v. 18.5.2017 a.a.O. Rn. 43), so dass die Gefahrenschwelle zur abstrakten Gefahr überschritten ist. Daher ist auch das Urteil, soweit von „Vorsorgeanforderungen“ die Rede ist, nicht dahingehend zu verstehen, dass Vorsorgemaßnahmen im Sinn einer vorbeugenden Gefahrenabwehr in Abgrenzung zum klassischen Begriff der „abstrakten“ Gefahr von Art. 3 Satz 1 BayBO erfasst werden. Es liegt auf der Hand, dass Bauprodukten, hier in Gestalt von Spanplatten und OSB-Platten, hingegen nicht per se eine solches abstraktes Gefährdungspotenzial im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO zugeschrieben werden kann. Dabei kommt es insbesondere nicht darauf an, ob VOC-Emissionen irgendwelcher Art gesundheitsschädigende Wirkungen – wie vom Antragsgegner angeführte Reizwirkungen auf Schleimhäute von Augen, Nase und Rachen, Wirkungen auf das Nervensystem bis zu chronischen Wirkungen mit Verweis auf Studien (vgl. beispielweise Anlagen Antragsgegner 8 und 9) – haben können. Jedenfalls würde im Ergebnis die Grenze zwischen Risikovorsorge und abstrakter Gefahr aufgehoben, da faktisch mit jedem Produkt Risiken verbunden sein können.
Für die vorliegende Beurteilung ist daher allein maßgeblich, ob mit den angegriffenen Summengrenzwerten die Gefahrenschwelle für Gesundheitsgefahren im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO, verursacht durch VOC-Emissionen aus Spanplatten und OSB-Platten, festgesetzt ist. Im Hinblick auf die Bestimmung der Grenzwerte steht dem Antragsgegner entgegen seiner Auffassung auch kein Beurteilungsspielraum zu. Denn wie unter Buchst. a) dargelegt, setzt die auf Grundlage von Art. 81a BayBO eingeräumte Befugnis zum Erlass von Technischen Baubestimmungen das Vorliegen einer Gefahr nach Art. 3 Satz 1 BayBO voraus, so dass keine Maßnahmen unterhalb der Gefahrenschwelle hiervon umfasst sind. Daher spielt hier auch die Frage, ob die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Inhalts der Technischen Bestimmungen auf eine bloße Verhältnismäßigkeitsprüfung beschränkt ist, keine Rolle (vgl. BayVGH, U.v. 18.5.2017 a.a.O.). Anders liegt der Fall im Bereich der gefahrenunabhängigen Risikovorsorge, wie beispielweise im Atomrecht, wo der Gesetzgeber ein Handeln unterhalb der Gefahrenschwelle vorgesehen hat (vgl. BVerwG, U.v. 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300).
(2) Für den Senat ist aber das Vorliegen der für Art. 81a Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Satz 1 BayBO erforderlichen abstrakten Gefahr nicht zu erkennen. Denn es bestehen im Wege der anzustellenden Prognose nach den vom Antragsgegner vorgelegten Erkenntnissen keine hinreichenden wissenschaftlichen Anhaltspunkte, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden bei Überschreiten der in Anhang 8 Nr. 2.2.1.1 festgelegten Summengrenzwerte TVOCspez, TSVOC, R-Wert sowie Mengenbegrenzung TVOC ohne NIK rechtfertigen. So ist nach den vorgelegten Studien und Sachverständigenstellungnahmen nicht die Annahme begründet, dass die hier inmitten stehenden Spanplatten und OSB-Platten ab der durch die Summenwerte festgelegten Konzentrationen zu schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit führen. Dies gilt ungeachtet der Frage, auf welchen Zeitpunkt des Vorliegens der entsprechenden Erkenntnisse für die Beurteilung der Annahme einer Gefahr abzustellen ist (für den Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsvorschrift VGH BW, U.v. 7.10.2020 – 8 S 2944/18 – juris mit Verweis auf EuGH, U.v. 20.12.2003 – C -192/01 – juris).
Nach dem Anhang 8 (ABG) zugrunde liegenden AgBB-Bewertungsschema (Anforderungen an die Innenraumluftqualität in Gebäuden, Gesundheitliche Bewertung der Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VVOC, VOC und SVOC) aus Bauprodukten, Stand 2021) soll neben bestimmten Einzelstoffbewertungen mit Hilfe der in TVOCspez-Wert, TSVOC-Wert, R-Wert sowie TVOC-Wert ohne NIK festgelegten Summenobergrenzen für VOC-Emissionen die Gesamtkonzentration an Stoffemissionen begrenzt werden, denen Bewohner von Gebäuden ausgesetzt sind. Hierzu soll eine einheitliche gesundheitsbezogene Prüfung und Bewertung von Bauprodukten hinsichtlich der Eignung für eine Verwendung im Innenraum ermöglicht werden (vgl. Hofmann/Maraun, Abschlussbericht Emissionsverhalten von Grobspanplatten (OSB) und Spanplatten in Innenräumen vom 17.8/18.8.2020 – Hofmann/Maraun, Abschlussbericht – Anlage Antragsgegner 42). Die gesundheitsbezogene Wirkung von chemischen Substanzen im Innenraum wird hingegen über die Innenraumrichtwerte (festgelegt durch den Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) beim Umweltbundesamt) bestimmt, wobei der Richtwert II als wirkungsbezogener, begründeter Wert beschrieben wird, der sich auf die toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes unter Einführung von Unsicherheitsfaktoren stützt (vgl. Bekanntmachung des Umweltbundesamtes, Beurteilung von Innenraumluftkontaminationen mittels Referenz- und Richtwerten, Handreichung der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden – Bekanntmachung UBA von 2007 -, Bundesgesundheitsbl. 2007, S. 990, 994; Hofmann/Maraun, Abschlussbericht, S. 6). Bei Konzentrationen oberhalb des Richtwertes II seien gesundheitliche Wirkungen bei empfindlichen Raumnutzern nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (vgl. Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 994).
α) Der TVOCspez-Wert beschreibt nach den ABG Nr. 2.2.1.1 die Summe der Konzentrationen der identifizierten und nicht identifizierten flüchtigen organischen Verbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5µg/m³. Dabei darf der TVOC-Summenwert von 10 mg/m³ nach 3 Tagen und 1 mg/m³ nach 28 Tagen in der Prüfkammer nicht überschritten werden.
Mit diesem Beurteilungsschema werden somit Einzelstoffkonzentrationen unabhängig von ihrem jeweiligen Risikopotenzial und ihrer jeweiligen Wirkungsweise aufsummiert. Jedoch ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, wie ein allein aus der Menge der auftretenden VOC-Emissionen gebildeter Summengrenzwert die Gefahrenschwelle zu einer Gesundheitsgefährdung im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO abbilden kann. Denn wie in verschiedensten, insbesondere auch vom Antragsgegner im Verfahren vorgelegten Berichten und Untersuchungen dargelegt wird, kann dem TVOC-Wert keine toxikologische Bedeutung beigemessen werden. So führt die Ad-Hoc-Arbeitsgruppe des Umweltbundesamtes in ihrer Bekanntmachung (Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 996) aus, dass der Umstand des Vorhandenseins von VOC-Emissionen sowie deren Summe noch keinen Schluss über die Gefährdung der menschlichen Gesundheit zulässt. Danach hat der TVOC-Wert aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung des in der Innenraumluft auftretenden Substanzgemisches keine konkrete toxikologische Basis (vgl. Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 996).
Diese Aussage wird letztlich auch nicht durch die späteren Stellungnahmen des Umweltbundesamtes aufgegeben, auch wenn das Umweltbundesamt an der aus seiner Sicht wichtigen Funktion des TVOC-Werts im Gesamtgefüge des AgBB-Bewertungsschemas festhält. Daher wird in der Stellungnahme vom 20. September 2020 (anlässlich des Normenkontrollverfahrens vor dem VGH Baden-Württemberg – Anlage Antragsgegner 44) die gesundheitliche Relevanz des TVOC-Werts mit Verweis auf diverse Studien, die eine Korrelation zwischen TVOC-Wert und Gesundheitsbeeinträchtigungen belegen würden, betont. Gleichzeitig wird der TVOC-Wert aber als „unspezifisch“ bezeichnet (Stellungnahme vom 20.9.2020, S. 13). Außerdem ist aus dem Gesamtkontext, in dem das Umweltbundesamt die Bedeutung des TVOC-Werts stellt, erkennbar, dass mit ihm keine Gesundheitsgefahr beschrieben werden kann. Nach den Ausführungen des Umweltbundesamtes hätten Untersuchungen Bauprodukte als Hauptquelle von Schadstoffen in Innenräumen identifiziert. Das hierzu erarbeitete AgBB-Bewertungsschema setze gesundheitsbezogene Mindeststandards für alle Bauprodukte, die flüchtige organische Verbindungen emittieren, unabhängig von den verwendeten Werkstoffen (vgl. Stellungnahme vom 20.9.2002, S. 1). Insoweit erschließt sich nicht, wie das pauschale Abstellen auf die Summe von VOC-Emissionen für alle nach Nr. 2.2.1 einschlägigen Bauprodukte, ohne jegliche Differenzierung nach ihrem jeweiligen Risikopotenzial, mit Erreichen des Summengrenzwerts die Gefahrenschwelle im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO konkretisieren soll.
Der in diesem Zusammenhang vom Antragsgegner erfolgte Verweis, dass wissenschaftlich anerkannte Humanstudien und epidemiologische Untersuchungen eine eindeutige konzentrationsabhängige Wirkungsbeziehung für gesundheitliche Effekte durch die Summe an flüchtigen organischen Stoffen festgestellt hätten (so auch im AgBB-Bewertungsschema ausgeführt mit Hinweis auf die Handreichung der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe), steht bereits teilweise im Widerspruch zu Ausführungen in der in Bezug genommenen Handreichung. So hält die Arbeitsgruppe in dem Dokument (S. 996) fest, dass experimentelle Untersuchungen mit festgelegten Lösemittelgemischen sowie praktische Erfahrungen gezeigt hätten, dass mit steigender TVOC-Konzentration die Wahrscheinlichkeit für Beschwerdereaktionen und nachteilige gesundheitliche Auswirkungen zunehmen. Die Frage der Bewertung des gesundheitlichen Risikos (wie auch einer Geruchsbelästigung) habe durch Studien nicht beantwortet werden können, da diese nicht von der Summe der VOC, sondern entscheidend von Art und Anteilen einzelner Verbindungen abhänge. Dies unterstreicht vielmehr, dass über den TVOC-Wert allein gerade kein Nachweis für die gesundheitsschädigende Wirkung von in Verbindung mit OSB- und Spanplatten spezifisch auftretenden VOC-Emissionen sowie für das Erreichen der „abstrakten“ Gefahrenschwelle durch den in den ABG bestimmten Obergrenzwert geführt werden kann. Im Übrigen ist anzumerken, dass zwar die grundsätzliche Annahme, dass mit steigendem TVOC-Wert eine Zunahme der Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Effekte einhergeht, in Anbetracht der großen Bandbreite an VOC-Emissionen und ihrer möglichen Wirkungen nicht von der Hand zu weisen ist, aber tatsächlich nichts über eine eintretende Gesundheitsgefährdung ab einem bestimmten Summenwert in verallgemeinerungsfähiger Weise besagt. Insbesondere liefert es keinen Beleg für eine Gesundheitsgefährdung verursacht durch Spanplatten und OSB-Platten in der durch die ABG festgelegten Höhe.
Ebenso wenig führt die weitere Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 9. September 2020 (Anmerkungen zum Gutachten von Prof. Dr. M2. vom 2. Juni 2020 – Anlage Antragsgegner 56 im Verfahren 2 N 21.2173) zu einer anderen Beurteilung. Darin wird ausgeführt, dass das Vorhandensein von VOC noch keine Aussage über die Gefährdung der menschlichen Gesundheit treffe. Die Bewertung von Gesundheitsgefahren benötige Angaben über toxikologisch relevante Stoffeigenschaften, Dosis-Wirkbeziehungen und das Expositionsausmaß (S. 2). Gerade in Anbetracht dieser wissenschaftlichen Anforderungskriterien ist die pauschale Aufsummierung verschiedenster VOC-Emissionen ohne weitere Berücksichtigung ihres Risikopotenzials als Parameter für die Annahme einer Gesundheitsgefährdung im Sinn des Art. 3 Satz 1 BayBO nicht überzeugend. Dies gilt umso mehr, als bei der Berechnung sogar VOC-Emissionen Eingang finden, die gegebenenfalls über keine toxikologische Wirkung verfügen.
In diesem Sinn wird auch in der DIN EN 16516:2018-01 (S. 34), auf die der Anhang 8 der BayTB (ABG) in Nr. 2.2.1.1 Bezug nimmt, ausgeführt, dass die Emissionswerte für TVOC und TSVOC eine undefinierte Mischung von Substanzen enthielten. Sie seien keine zuverlässigen Indikatoren dafür, welche Wirkungen die Emissionen auf die menschliche Gesundheit hätten.
Dass dem TVOC-Wert keine unmittelbare Aussagekraft über eine Gesundheitsgefährdung immanent sein kann, ergibt sich zudem aus seiner Ableitung. Nach der Handreichung der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe liegt dem TVOC-Wert eine statistische Datenauswertung zugrunde mit der Folge, dass in ihm nur ein Referenzwert zu sehen ist (vgl. Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 990, 992 und 996). Referenzwerte geben nach dem Umweltbundesamt gerade keinen Aufschluss über eine Gesundheitsgefährdung im Gegensatz zu toxikologisch abgeleiteten Richtwerten (vgl. Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 990, 992). Dieser Systematik folgend wird bei der Innenraumluftbewertung lediglich der Richtwert II dergestalt charakterisiert, dass bei seiner Überschreitung mit Gesundheitsgefahren für besonders empfindliche Personen zu rechnen sei (vgl. Bekanntmachung UBA von 2007, a.a.O. S. 995).
Ebenso wird in dem vom Antragsgegner eingereichten Abschlussbericht von Hofmann/Maraun (S. 15) bestätigt, dass Summenwerte wie der TVOC-Wert aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung keine zuverlässigen gesundheitsbezogenen Indikatoren seien. Aber auch die vom Antragsgegner angeführte Studie von Pluschke (Anlage Antragsgegner 9, S. 106) beschreibt den Summenparameter VOC als „eine Kenngröße…, die eine grobe Einschätzung der mit Belastung mit flüchtigen organischen Stoffen erlaubt, im Hinblick auf eine gesundheitliche Bewertung aber nur schwer zu interpretieren ist“. Soweit der Antragsgegner in den Ergebnissen des Abschlussberichts zum Verbundvorhaben „Gesundheitliche Bewertung von Emissionen aus Holz und Holzprodukten in Innenräumen mittels experimenteller toxikologischer Untersuchungen – „GesundHolz“-Studie – Anlage Antragstellerin 43 im Verfahren 2 N 21.2173) eine Bestätigung des TVOC-Konzepts sieht, kann dies nicht nachvollzogen werden. Denn gerade der Summenparameter wird dort in Frage gezogen („GesundHolz“-Studie, S. 228 f). Ungeachtet dessen kommt dem Schlussbericht im Gesamten wenig Erkenntnisgewinn zu, wie auch der Antragsgegner selbst vorträgt (Schriftsatz des Antragsgegners vom 21. Oktober 2021, S. 8, 9). Denn die Studie sieht letztlich weiteren Forschungsbedarf zur gesundheitlichen Einschätzung von holztypischen VOC (Monoterpene, Aldehyde, Carbonsäuren) für den Menschen im Innenraum („GesundHolz“-Studie, S. 282 f.).
Aber auch die Vielzahl der im Übrigen vom Antragsgegner und Umweltbundesamt in ihren Stellungnahmen zitierten Studien und Untersuchungen vermögen nicht zu belegen, dass der definierte Summengrenzwert TVOCspez die Schwelle zur Gesundheitsgefahr durch VOC-Emissionen aus Holzwerkstoffen wie die hier inmitten stehenden Spanplatten und OSB-Platten bezeichnet. Ein Teil der vorgelegten Untersuchungen beschäftigt sich schon nicht mit holzwerkstofftypischen VOC-Emissionen. So zeigen die Publikationen von Schraufnagel D.E. et al. (Anlage Antragsgegner 8), Wolkoff (Anlage Antragsgegner 10) und Arif A. & Shah S.M. (Anlage Antragsgegner 18) keinen unmittelbaren Bezug zu VOC-Emissionen ausgehend von Holzwerkstoffen auf. Ebenso fehlt der Untersuchung von Rumchev K. et al. (Anlage Antragsgegner 21), Chang (Anlage Antragsgegner 22) und Weitekamp C.A. et al. (Anlage Antragsgegner 51) eine direkte Verbindung zu holzwerkstofftypischen VOC-Emissionen. Die Publikation von Xu C. et al. (Anlage Antragsgegner 50) befasst sich zwar mit dem Zusammenhang von gemischten Aldehyden und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, geht aber nicht auf Aldehyde aus Holzwerkstoffen ein. Die fehlende Bezugnahme zu den hier interessierenden VOC-Emissionen räumt im Übrigen auch das Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme vom 9. September 2020 für einige der oben genannten Veröffentlichungen ein (S. 4 ff.). Ein anderer Teil der vorgelegten Studien belegt keine Ursächlichkeit zwischen holzwerkstofftypischen VOC-Emissionen und beobachteten gesundheitlichen Effekten wie beispielweise die Untersuchungen von Herbarth O. et al. und Herberth G. et al. (Anlagen Antragsgegner 23 und 24). Dies betrifft gleichermaßen die Studien von Billionnet C. et al. (Anlage Antragsgegner 17) und Allen J.G. (Anlage Antragsgegner 55 im Verfahren 2 N 21.2173), die Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von VOC-Gemischen und Gesundheitsbeschwerden darstellen, ohne aber eine Zuordnung zu holzwerkstofftypischen Stoffen vorzunehmen. In den Publikationen von Frank U. et al. (Anlage Antragsgegner 25) und Diez U. et al. (Anlage Antragsgegner 26) werden Gesundheitsbeeinträchtigungen im Rahmen von Renovierungsarbeiten dargelegt. Eine Differenzierung nach Emissionsquellen findet nicht statt. Die herangezogenen Studien von Azuma K. et al. (Anlagen Antragsgegner 19 und 20) beruhen lediglich auf statischen Methoden. Die festgestellten gesundheitlichen Effekte werden nicht auf konkrete Ursachenherde zurückgeführt. Die Studie von Cakmak S. et al. (Anlage Antragsgegner 35) beschreibt zwar negative Wirkungen auf die Lungenfunktion durch VOC, ohne aber einen Kausalitätsnachweis zu erbringen, wie das Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme vom 9. September 2020 (Anlage Antragsgegner 56 im Verfahren 2 N 21.2173) selbst zugesteht. Eine weitere Studie (Chang M. et al. – Anlage Antragsgegner 27) sieht zwar eine Beziehung zwischen einer pränatalen Exposition gegenüber TVOC und Entwicklungsstörungen, eine Verknüpfung zu einzelnen VOC-Emissionen wird nicht hergestellt. Die Untersuchung von Suzuki (Anlage Antragsgegner 52) weist keinen Ursachenzusammenhang zu spezifischen Emissionsquellen auf. Manche der genannten Studien zeigen keine belastbaren Relationen zwischen hier interessierenden VOC-Emissionen und gesundheitlichen Effekten wie die Untersuchungen von Hodgson A. T. et al. (Anlage Antragsgegner 32), Shin S.H. and Jo W.K. (Anlage Antragsgegner 33), Harb P. et al (Anlage Antragsgegner 34) und Derbez M. et al. (Anlage Antragsgegner 65 im Verfahren 2 N 21.2173). Keinen Erkenntnisgewinn für die hier inmitten stehende Frage liefern die Untersuchungen über die Emissionsmessergebnisse von Spanplatten (Schriftsatz des Antragsgegners vom 21.10.2021 mit Verweis auf Anlagen Antragsgegner 62 und 63 im Verfahren 2 N 21.2173). Das gilt gleichermaßen für das vom Antragsgegner herangezogene Fallbeispiel (Anlage Antragsgegner 36), das sich lediglich mit der Frage einer notwendigen Anpassung des Prüfkammerverfahrens bei hoher Raumbeladung befasst, sowie die Fallbespiele von Maraun W. (Anlage Antragsgegner 37), die eine verringerte Lüftungseffizienz von den Verbindungen Formaldehyd, Ameisensäure und Essigsäure zum Gegenstand haben. Im Hinblick auf die im Abschlussbericht von Hofmann/Maraun (S. 86) dargestellten Fallbespiele nehmen die Autoren selbst nicht in Anspruch, Rückschlüsse zwischen Raumluftkonzentrationen/Schadstoffen in der Raumluft und gesundheitlichen Symptomen ziehen zu können. Soweit der Antragsgegner mit Verweis auf diverse Studienergebnisse (Anlagen Antragsgegner 57 – 61 im Verfahren 2 N 21.2173) darauf rekurriert, dass Holzwerkstoffe, konkret Spanplatten, neben den bekannten VOC-Emissionen auch weitere gefährliche Stoffe enthalten können, belegt diese keine Gesundheitsgefährdung ab der durch die ABG normierten Grenzwerte. Darüber hinaus ist die Relevanz der herangezogenen Untersuchungen insoweit fraglich, als die zusätzlich nachgewiesenen Verbindungen teilweise unterhalb der normativen Kappungsgrenze liegen und somit auch nach dem Prüfverfahren gemäß dem ABG nicht in die Bewertung eingeflossen wären (so auch Prof. Dr. M3., Gutachterliche Stellungnahme vom 15.11.2021, S. 3 f.).
Insbesondere wird von keiner Studie der in 2.2.1.1 ABG bestimmte Summengrenzwert als Gefahrenschwelle zur Gesundheitsgefährdung hinreichend begründet. Insoweit kann auch die Publikation von Mølhave L. (Anlage Antragsgegner 54 im Verfahren 2 N 21.2173) nicht als entsprechender Beleg gelten, da die dortigen Ergebnisse, unabhängig von der Aussagekraft des TVOC-Werts an sich, keinen Nachweis für eine Obergrenze erbringen, bei dessen Überschreitung mit Gesundheitsgefahren gerechnet werden muss. Im Gegenteil werden danach bei einem TVOC-Wert von 3 mg/m³ Beschwerden und einem Wert bis zu 0,2 mg/m³ keinerlei gesundheitlichen Effekte erwartet. Die Spanne zwischen 0,2 mg/m³ und 3,0 mg/m³ wird als Bereich für Beeinträchtigungen bezeichnet, die möglicherweise auftreten, falls es zu Wechselwirkungen mit anderen Verbindungen kommt. Soweit ab einer Konzentration von 1 mg/m³ gesundheitliche Effekte auftraten, sind diese nicht bestimmten VOC-Emissionen zurechenbar.
Das Argument des Antragsgegners, dass es sich bei dem TVOC-Wert um ein national und international anerkanntes Kriterium zur gesundheitlichen Bewertung der Gesamtkonzentration an flüchtigen organischen Stoffen handle, vermag keinen Aufschluss darüber geben, ob mit seiner Anwendung die durch Art. 3 Satz 1 BayBO erforderliche Gefahrenschwelle erreicht ist oder dieser lediglich im Bereich der Risikovorsorge anzusiedeln ist. Dies gilt umso mehr, als in dem vom Antragsgegner als Nachweis einer dementsprechenden gängigen Praxis genannten Beispiel des ECA-Reports No. 29 (S. 71 – Anlage Antragsgegner 12) der TVOC-Wert als „kein gesundheitsbezogener Indikator“ bezeichnet wird, da ihm eine toxikologische Relevanz fehle.
Nach alledem kann der TVOCspez-Wert nicht als Gefahrenschwelle im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO interpretiert werden.
β) Die oben ausgeführten Überlegungen gelten gleichermaßen für den auf maximal 0,1 mg/m³ nach 28 Tagen begrenzten TSVOC-Wert, der sich aus der Summe der Konzentrationen der identifizierten und nicht identifizierten schwerflüchtigen organischen Verbindungen mit jeweils einer Konzentration ab 5 µg/m³ ergibt. Insbesondere die in diesem Zusammenhang vom Antragsgegner vorgelegte Untersuchung von Pelletier M. et al. (Anlage Antragsgegner 28) ist insoweit nicht weiterführend, weil sie einen Bezug zu holzwerkstofftypischen VOC-Emissionen vermissen lässt.
γ) Aber auch im Hinblick auf den als R-Wert bezeichneten Summenparameter in der nach Nr. 2.2.1.1 festgelegten Obergrenze bestehen keine hinreichend gesicherten wissenschaftlichen Anhaltspunkte, dass dieser zur Abwendung einer Gefahr im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO erforderlich ist. Der R-Wert stellt die Summe aller aus der Einzelstoffbetrachtung ermittelten Ri-Werte dar, die aus dem Verhältnis von Stoffkonzentration in der Prüfkammer und NIK-Wert („niedrigsten interessierenden Konzentration“) für Einzelstoffe resultieren. Bei den NIK-Werten, die vorrangig von den EU-LCIvalues (Lowest Concentration of Interest) abgelöst sind, handelt es sich um Rechenwerte zur Beurteilung von Einzelstoffen oder Stoffgruppen, die von der bei der EU-Kommission angesiedelten EU-LCI-Arbeitsgruppe erstellt werden. Nach der Erklärung des AgBB-Bewertungsschemas (Stand 2021) wird der R-Wert zur Beurteilung kombinatorischer Effekte von Stoffen in einem emittierenden Substanzgemisch eines Bauprodukts verwendet, der auf der Empfehlung des europäischen Expertengremiums im ECA-Bericht No. 18 und 29 basiert. Dabei gilt die Annahme, dass, wenn Ri, d.h. der Quotient der Einzelstoffkonzentration und des jeweiligen NIK-Werts, den Wert 1 unterschreitet, keine Wirkung auftritt. Bei Vorliegen mehrerer Verbindungen ab einer Konzentration von 5 µg/m³ wird eine additive Wirkung der bewerteten Einzelstoffverbindungen zugrunde gelegt, so dass auch die Summe aller Ri den Wert 1 nicht überschreiten darf.
Die Gesamtschau der Einordnung des R-Werts im AgBB-Bewertungsschema legt nahe, dass es sich hierbei nicht um die Gefahrenschwelle im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO handelt. Zwar sind anders als beim TVOCspez-Wert die bewerteten Einzelstoffe mit einem NIK-Wert hinterlegt, so dass zumindest eine toxikologische Wirkung des Einzelstoffes bekannt ist. Bei den NIK-Werten bzw. (soweit vorhanden) EU-LCI-Werten ist aber davon auszugehen, dass es sich nicht um Größen handelt, die einen unmittelbaren Rückschluss auf eine Gesundheitsgefährdung nach dem der Bayerischen Bauordnung zugrunde liegenden Gefahrenbegriff erlauben. Vielmehr sind sie dem Bereich zur Vermeidung von Gesundheitsrisiken zuzuordnen (so auch VGH BW, U.v. 7.10.2020 – 8 S 2959/18 – juris). Dies ergibt sich bereits aus dem AgBB-Bewertungsschema selbst. Darin wird festgehalten, dass „keine Wirkung auftritt, wenn Ri den Wert 1 unterschreitet“ (S. 11). Ebenso wird für die Konzentrationsniveaus der NIK-Werte nach dem AgBB-Bewertungsschema Stand 2018 (S. 4) ausgeführt, dass „unterhalb derer für den Einzelstoff keine nachteiligen Wirkungen zu befürchten sind“. Daraus ist ersichtlich, dass es nicht um die Abwendung von mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gefahren geht. Entsprechend beruht die Ableitung der NIK-Werte auf dem Grundsatz, dass die in der Raumluft resultierenden Immissionen auch unter ungünstigen, aber noch realistischen Bedingungen wie z.B. Beladung, Luftwechsel und Raumklima die Gesundheit empfindlicher Personen bei Daueraufenthalt nicht gefährden (vgl. AgBB-Bewertungsschema Stand 2021, Anhang 6). So werden nach den Erläuterungen des Umweltbundesamtes die NIK- bzw. EU-LCI-Werte mit verschiedenen Sicherheitsfaktoren (Extrapolationsfaktoren) berechnet (vgl. Stellungnahme vom 20.9.2020, S. 4 ff. – Anlage Antragsgegner 44). Dabei ist Ausgangspunkt die Stoffkonzentration (in der jeweiligen Studie), welche die Luftkonzentration aufweist, bei der in dieser Studie keine gesundheitlich beeinträchtigenden und schädigenden Wirkungen beobachtet wurden (No Observed Adverse Effect Level – NOAEL, No Observed Adverse Effect Concentration – NOAEC). Diese experimentell bestimmten Ausgangsdaten werden mit Hilfe mehrerer Extrapolationsfaktoren auf die Allgemeinbevölkerung übertragen. So werden beispielweise die Studienqualität, die Zeitdauer der Studie, die Studienart oder die Streubreite der Bevölkerung berücksichtigt. Es ist offensichtlich, dass die auf diese Weise gefundenen Werte nicht die Gefahrenschwelle kennzeichnen können, da sie mit einigen Unsicherheiten behaftet sind. Dies gilt zwangsläufig gleichermaßen für die Ri-Werte, die auf den NIK- bzw. EU-LCI-Werten fußen, und im Ergebnis auch für den R-Wert. Dass die EU-LCI-Werte auf die Vermeidung von Gesundheitsrisiken bei einer Langzeitexposition abzielen, also im Vorfeld einer Gefahr, entspricht auch exakt der Formulierung des Zwecks der EU-LCIvalues im vom AgBB-Bewertungsschema in Bezug genommenen ECA-Report No. 29 (S. 9 – Anlage Antragsgegner 12). Daher kann auch der inzwischen im AgBB-Bewertungsschema Stand 2021 veränderte Wortlaut – ohne weitere Begründung -, der nun die NIK-Werte als Konzentrationsniveaus bezeichnet, „oberhalb derer für den Einzelstoff nachteilige Wirkungen auf die Gesundheit zu befürchten sind“, nicht überzeugen.
Aber auch soweit sich der Antragsgegner auf das notwendige Zusammenspiel der Innenraumrichtwerte und des R-Werts stützt, rechtfertigt dies nach Auffassung des Senats nicht den R-Wert zur Abwendung einer erforderlichen Gefahr. Im Abschlussbericht Hofmann/Maraun (S. 10) wird ausgeführt, dass aufgrund der Höhe der NIK-Werte im Vergleich zu den Innenraumrichtwerten allenfalls eine Unterschreitung des Richtwerts II gewährleistet werden könne. Selbst die Annäherung der NIK-Werte und des Richtwertes II für holzwerkstofftypische VOC-Emissionen unterstellt und ungeachtet der Frage, ob der Richtwert II die Gefahrenschwelle nach Art. 3 Satz 1 BayBO markiert, würde dies bei Vorliegen mehrerer VOC-Emissionen aufgrund der angenommenen Additivität im Ergebnis zu einer Verschärfung im Vergleich zu den einzelstoff- oder stoffgruppenbezogenen Innenraumrichtwerten führen. Denn so könnten zwar jeweils Einzelstoffe bzw. Stoffgruppen unterhalb des Richtwerts II liegen, aber durch die undifferenzierte Addition der Ri-Werte den R-Wert nicht einhalten. Dieses Ergebnis kann aber nur Bestand haben, wenn das Additivitätsprinzip zu Recht angewandt wird.
Soweit der Antragsgegner sich dem AgBB-Bewertungsschema entsprechend auf ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip der Additivität von Einzelstoffverbindungen im Sinn eines konservativen Ansatzes stützt, ist diese Annahme aber für den Senat nicht hinreichend wissenschaftlich nachgewiesen, um in einer Aufsummierung der im R-Wert berücksichtigten Einzelstoffkonzentrationen die Gefahrenschwelle im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO zu beschreiben. Nach wissenschaftlichem Kenntnisstand können verschiedene Substanzen kombinatorische Effekte haben. Diese variieren von synergistischen, additiven bis hin zu antagonistischen Effekten (vgl. Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 20.9.2020, S. 11f.). Danach ist das Prinzip der Additivität nur eine Möglichkeit der kombinatorischen Effekte verschiedener Substanzen. Dem Antragsgegner kann nicht gefolgt werden, soweit er die Additivität als Mindestmaß an Wirkungsweise oder als „Durchschnittswirkweise“ für alle VOC-Gemische unterstellt. Vielmehr ist aus dem im AgBB-Bewertungsschema in Bezug genommenen Dokument des ECA-Reports No. 18 (Anlage Antragsgegner 15) zu entnehmen, dass der Ansatz der Additivität auf Praktikabilitätsgesichtspunkten beruht, der vor allem dem Umstand der Ermangelung genauerer Erkenntnisse geschuldet ist (S. 32). Ebenso bestätigt der ECA Report No. 29 (S. 71 – Anlage Antragsgegner 12), dass (der Summenwert TVOC-Wert keinen Gesundheitsindikator darstellt,) weil das Prinzip der Additivität nicht dem toxikologischen Erkenntnisstand entspricht. Soweit der Antragsgegner darauf verweist (Anlagen Antragsgegner 11, 12, 46, 47, 48 und 49), dass wissenschaftliche Komitees den additiven Ansatz empfehlen, kann dies dahin gestellt bleiben. Denn mit einer Empfehlung zugunsten des Additivitätsmodells ist noch keine Aussage über die vorliegend erforderliche Gefahrenschwelle im Sinn von Art. 3 Satz 1 BayBO getroffen. Im Übrigen ist die Annahme einer generellen Additivität schon insoweit in Frage gestellt, als die Summenbildung des R-Werts nicht auf die biologischen Wirkungsendpunkte der einzelnen Verbindungen abstellt (Frau Dr. W. in der mündlichen Verhandlung, vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28.10.2021, S. 4). Dagegen setzt nach Äußerung von Prof. Dr. M2. in der mündlichen Verhandlung (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28.10.2021, S. 3) die Annahme einer Additivität identische Wirkungsendpunkte voraus. In diesem Sinne wird in der „GesundHolz“-Studie (Anlage Antragstellerin 43 im Verfahren 2 N 21.2173, S. 280f.) dargelegt, dass ein additiver Ansatz vermutlich von den jeweiligen Endpunkten abhängig sei. Dass bei Außerachtlassen der Wirkungsendpunkte eine Additivität jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, zeigen auch die Ausführungen im Abschlussbericht von Hofmann/Maraun. Danach ergebe die Summation über alle Quotienten zur Bestimmung des R-Werts einen Gesamt-Gefahrenindex für gesundheitliche Folgen, wenn auch unterschiedlicher Art (irritativ, neurologisch – vgl. Hofmann/Maraun, Abschlussbericht, S. 79).
Aber auch die Vielzahl der vom Antragsgegner vorgelegten Publikationen, Berichte und Untersuchungen belegt nicht hinreichend, dass die bei der Bildung des R-Werts unterstellte Additivität für VOC-Gemische aus OSB- und Spanplatten gerechtfertigt ist, so dass der unter Nr. 2.2.1.1 ABG festgelegte Grenzwert die Gefahrenschwelle nach Art. 3 Satz 1 BayBO kennzeichnen würde. Dies gilt selbst, wenn dies für manche Verbindungen wie gemischte Aldehyde nachgewiesen sein sollte, da dies nichts über die Wirkungsweise der weiteren holzwerkstofftypischen VOC-Emissionen besagt. Soweit der Antragsgegner mit den Studien von Zhang (Anlagen Antragsgegner 53 – 56) zu belegen versucht, dass VOC-Gemische aus OSB- und Spanplatten über additive Effekte hinaus sogar synergistische Effekte haben können, ist die Aussagekraft der Studien für die vorliegende Betrachtung nach den Ausführungen des Antragsgegners selbst fraglich. Denn wie der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 (S. 23) anlässlich der Bewertung einer von der Antragstellerin eingereichten Studie von Gminski et al. ins Feld führt, ist die quantitative Übertragung von Untersuchungsergebnissen auf der Grundlage von A549-Zellen (so aber auch Grundlage der Untersuchung von Zhang – Anlage 53) auf in vivo-Dosis-Wirkungsbeziehung nicht zulässig. Darüber hinaus stellt der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf ab, dass das Zielorgan von VOC-Emissionen primär nicht die Lunge, sondern Auge, Nase und Rachen seien (Schriftsatz des Antragsgegners vom 21. Oktober 2021, S. 22). Lungenzellen waren aber auch bei Zhang Forschungsgrundlage. Ferner waren Gegenstand der Studie nicht explizit Holzwerkstoffe, sondern ein Gemisch aus Formaldehydemissionen und Acrolein mit Bezug zu Tabakrauch. Im Übrigen lassen die Ergebnisse auch keinen Schluss über die grundsätzliche Annahme einer mindestens additiven Wirkung zu. Darüber hinaus bezieht sich der Antragsgegner auf die „GesundHolz“-Studie (Anlage Antragstellerin 43 im Verfahren 2 N 21.2173) als Beleg für das Additivitätsprinzip. Hierzu ist anzumerken, dass, soweit teilweise eine additive Wirkung bei bestimmten VOC-Emissionen festgestellt wurde, diese Beobachtungen auf in vitro- und in vivo-Experimenten beruhen, deren Humanrelevanz und Mechanismen nicht ausreichend geklärt werden konnten (vgl. „GesundHolz“-Studie, S. 163 – Anlage Antragstellerin 43 im Verfahren „N 21.2173). Insoweit ist der Bericht nicht weiterführend. Diesbezüglich wird auch auf die obigen Ausführungen verwiesen. Manche vom Antragsgegner vorgelegten Dokumente und Studien weisen wiederum keine (ausdrückliche) Verbindung zu holzwerkstofftypischen VOC-Gemischen auf (so zum Beispiel Martin O. et al. – Anlage Antragsgegner 40 im Verfahren 2 N 21.2173, Abraham – Anlage Antragsgegner 13 – und Nielsen et al. – Anlage Antragsgegner 52 im Verfahren 2 N 21.2173). Im Übrigen wird auf die vorstehenden Überlegungen zu den vorgelegten Untersuchungen verwiesen, soweit sich der Antragsgegner hierauf zur Begründung des R-Werts gemäß den BayTB Anhang 8 (ABG) Nr. 2.2.1.1 bezieht.
δ) Die obigen Ausführungen gelten daher erst recht für die im Anhang 8 getroffene Mengenbegrenzung (TVOC ohne NIK), nachdem dieser Summenwert für Einzelverbindungen gilt, für deren Wirkung keine NIK- bzw. EU-LCI-Werte hinterlegt sind.
bb) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind die streitgegenständlichen Regelungen auch nicht von Art. 81a Abs. 2, Art. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 11 BayBO gedeckt, weil jedenfalls das Erreichen der Unzumutbarkeitsschwelle eventueller Belästigungen in Gestalt von VOC-Emissionen aus Span- und OSB-Platten nach Art. 11 BayBO vorliegend nicht nachgewiesen ist.
Nach Art. 11 BayBO sind bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass durch Wasser, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Davon erfasst sind auch Einflüsse, die von baulichen Anlagen ausgehen (vgl. Nolte in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand September 2021, Art. 11 Rn. 2). Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 11 BayBO genügt somit die „Belästigung“. Eine solche liegt bei Störungen durch Geräusche, Gerüche, Wärme, optische Reize, Schmutz oder Ungeziefer sowie sonstige Einwirkungen auf den Menschen, die das körperliche oder seelische Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit oder Lebensfreude beeinträchtigen, ohne schon gesundheitsgefährdend zu sein, vor (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1968 – I C 29.67 – BVerwGE 31, 15; Famers in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 11 Rn. 32; Voigt in BeckO, Bauordnungsrecht Bayern, Stand November 2021, Art. 11 Rn. 1).
Es stellt sich insoweit schon die Frage, ob Art. 11 BayBO über die Generalklausel des Art. 3 Satz 1 BayBO als Rechtsgrundlage zum Erlass von Technischen Baubestimmungen gemäß Art. 81a Abs. 2 BayBO herangezogen werden kann. Dies könnte nur gelten, wenn die Aufzählung in Art. 81a Abs. 2 BayBO, der ausdrücklich auf Art. 3 Satz 1, Art. 15 Abs. 1 und 16 Abs. 2 Satz 1 BayBO verweist, nicht abschließend sein sollte. Dies kann hier aber ebenso wie die Frage, ob es sich bei VOC-Emissionen generell um Belästigungen im Sinn von Art. 11 BayBO handelt, dahin gestellt bleiben. Denn vorliegend wird jedenfalls die Schwelle der „Unzumutbarkeit“ nicht nachweisbar erreicht.
Unzumutbar ist eine Belästigung, wenn sie nach den herrschenden Anschauungen nicht hinzunehmen ist (vgl. Voigt in BeckO, Bauordnungsrecht Bayern, Stand November 2021, Art. 11 Rn. 13; Famers in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Oktober 2021, Art. 11 Rn. 32). Wie bereits unter Buchst. aa) (2) α) und β) dargelegt, kommt den pauschal gebildeten Summenwerten TVOCspez und TSVOC weder eine toxikologische Bedeutung zu noch kann ein belastbarer Zusammenhang zwischen den im Anhang 8 festgelegten Summengrenzwerten von TVOCspez sowie TSVOC und Einwirkungen, die das körperliche Wohlbefinden beeinträchtigen, in Bezug auf Spanplatten und OSB-Platten wissenschaftlich hinreichend hergestellt werden. Denn auch soweit der Antragsgegner Studien vorgelegt hat, die in Bezug auf Holzwerkstoffe Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. Einschränkungen des Wohlbefindens beschreiben, legen diese keine wissenschaftlich hinreichend gesicherte Relation zwischen den beobachteten körperlichen Effekten – unabhängig von einer Gesundheitsgefährdung -, Holzwerkstoffen als Ursache und den TVOCspez- bzw. TSVOC-Werten dar. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Buchst. aa) (2) α) und β) verwiesen. Daher ist eine Überschreitung der Summengrenzwerte auch ohne Relevanz im Hinblick auf denkbare Belästigungen im Sinn von Art. 11 BayBO. Gleichermaßen kann dem R-Wert bzw. TVOC ohne NIK keine Bedeutung für eine nach herrschenden Anschauungen nicht hinzunehmende Belästigungsschwelle zukommen. Denn anders als bei Einzelstoff- bzw. Stoffgruppenbetrachtungen kann bei Überschreiten des Summengrenzwerts R nicht grundsätzlich eine unzumutbare Belästigung nach Art. 11 BayBO angenommen werden. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der zu ihrer Berechnung unterstellten Additivität der Einzelstoffverbindungen. Insoweit wird auf die Überlegungen unter Buchst. aa) (2) γ) und δ) Bezug genommen. Soweit der Antragsgegner sich auf Geruchsbelästigungen beruft, ist schon nicht erkennbar, wie die hier streitgegenständlichen Summenparameter die Schwelle zur unzumutbaren Belästigung durch Gerüche markieren können.
Über die in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 2021 seitens der Antragstellerinnen hilfsweise gestellten Beweisanträge (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2021, S. 7) war infolge der obigen Darlegungen nicht mehr zu entscheiden.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen kommt es auf den Angriff der Antragstellerinnen auf die Übertragbarkeit der Messergebnisse im Prüfkammerverfahren auf den Realraum nicht mehr an.
b) Keiner Entscheidung bedarf es mehr, ob darüber hinaus ein Verstoß gegen das in Art. 8 Abs. 4 BauPVO normierte Marktbehinderungsverbot vorliegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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