IT- und Medienrecht

Herstellungsbeiträge, Geschossflächenmehrung, Nacherhebung, Verstoß gegen Mitwirkungspflichten, Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährungsfrist

Aktenzeichen  Au 8 K 19.510, Au 8 K 19.511

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9352
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 2a S. 2
BGS-WAS/BGS-EWS § 3 Abs. 2
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Spiegelstrich 1 i.V.m. § 170 AO

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Verfahren Au 8 K 19.510 und Au 8 K 19.511 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Klagen werden abgewiesen.
III. Die Kosten der Verfahren hat der Kläger zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Über die beiden Klageverfahren konnte nach Verbindung der Klagen nach § 93 Satz 1 VwGO entschieden werden.
Die zulässig erhobenen Klagen bleiben erfolglos. Die Bescheide vom 21. März 2018 in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide vom 16. September 2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch die von der Beklagten öffentlich-rechtlich betriebenen Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen.
Die Beklagte hat von der Ermächtigung des Art. 5 Abs. 1 KAG durch den Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) vom 5. Oktober 2001 sowie durch den Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 19. Dezember 2005 Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzungen sind weder vorgetragen noch ersichtlich; auch in materiell-rechtlicher Hinsicht liegen keine Fehler auf der Hand.
Die Beitragsfestsetzung für den Neubau der Elektrowerkstatt mit Büro- und Lagerräumen beruht hinsichtlich der Wasserversorgungseinrichtung auf § 5 Abs. 4 BGS-WAS und hinsichtlich der Entwässerungseinrichtung auf § 5 Abs. 4 BGS-EWS. Danach entsteht die Beitragspflicht im Falle der Geschossflächenvergrößerung für die zusätzlich geschaffenen Geschossflächen, wenn hierfür noch keine Beiträge geleistet wurden.
Beide Bescheide der Beklagten in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide sind sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig. Gegenteiliges hat der Kläger nicht substantiiert aufgezeigt. Insbesondere kann der Kläger auch mit dem Einwand der Verjährung nicht durchdringen.
Die Festsetzungsverjährungsfrist richtet sich vorliegend nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung (AO) und beträgt vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Wird eine Veränderung der Fläche, der Bebauung oder der Nutzung des Grundstücks vorgenommen, die beitragsrechtliche Auswirkungen hat, entsteht die Beitragsschuld nach § 3 Abs. 2 BGS-WAS bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 BGS-EWS mit dem Abschluss der Maßnahme. Die Schlussabnahme des klägerischen Bauvorhabens durch den Prüfsachverständigen für die Standsicherheit erfolgte am 13. März 2012 (vgl. Behördenakte Bl. 65).
Der Anlauf der Festsetzungsverjährungsfrist wurde vorliegend jedoch gehemmt. Wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, beginnt die Festsetzungsverjährungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Berechnung möglich ist (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. § 170 AO). Dies ist der Fall, wenn die Gemeinde keine Kenntnis von der Geschossflächenerweiterung erhält (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 29.4.2015 – W 2 K 15.182 – juris Rn. 25 m.w.N.; Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Stand Februar 2008, Teil III, Frage 8, Ziff. 2.3.1). Maßgeblich hierfür ist die positive Kenntnis des nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des fraglichen Verwaltungsakts berufenen Amtswalters (BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 20 ZB 16.624 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.11.2011 – 20 ZB 11.1339 – juris Rn. 2; B.v. 17.8.2001 – 23 ZB 01.1553 – juris Rn. 4).
Der Kläger hat der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts die Fertigstellung der Elektrowerkstatt nicht mitgeteilt und damit gegen seine Mitwirkungspflicht gemäß § 16 BGS-WAS bzw. § 14 BGS-EWS verstoßen. Danach sind die Beitrags- und Gebührenschuldner verpflichtet, der Beklagten für die Höhe der Schuld maßgebliche Veränderungen unverzüglich zu melden und über den Umfang dieser Veränderungen Auskunft zu erteilen. Diese Mitwirkungspflicht wurde mit Wirkung zum 1. April 2014 nunmehr auch in Art. 5 Abs. 2a Satz 2 KAG niedergelegt. Dieser Pflicht ist der Kläger nicht nachgekommen. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers die Vollständigkeit der von der Beklagten vorgelegten Bauakte rügt und sich darauf beruft, ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht des Klägers müsse sich aus dieser Bauakte ergeben, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Allein der Verweis des Klägers auf die – möglicherweise ungewöhnliche – Paginierung der Bauakte lässt aus Sicht der Kammer keinen Schluss auf deren Unvollständigkeit zu. Die Vertreter der Beklagten bestätigten in der mündlichen Verhandlung vielmehr die Vollständigkeit der Akte. Dem Antrag des Klägerbevollmächtigten auf Beiziehung eben dieser Bauakte ist damit nicht zu entsprechen, denn sie liegt dem Gericht bereits vor. Weder der am 6. Juli 2011 beim Stadtbauamt der Beklagten eingegangene Bauantrag des Klägers noch die dort am 29. August 2011 eingegangene Baubeginnsanzeige können als Erfüllung der Mitwirkungspflicht erachtet werden. Schließlich war zu diesem Zeitpunkt der Beitragstatbestand für die Nacherhebung noch nicht verwirklicht. Dies war erst mit der Fertigstellung der Elektrowerkstatt der Fall (vgl. § 3 Abs. 2 BGS-WAS/BGS-EWS). Ebenso wenig stellt die Eintragungsbekanntmachung des zuständigen Amtsgerichts vom 27. September 2011 über ein Regenwasser- und Schmutzwasserkanalrecht eine Mitteilung des Klägers im Sinne der §§ 16 BGS-WAS und 14 BGS-EWS dar.
Ein Verstoß der Beitragsschuldner gegen die Mitwirkungspflicht wirkt sich jedoch nur dann aus, wenn der Beitragsgläubiger nicht auf andere Weise von der Verwirklichung des Beitragstatbestands erfährt oder den Sachverhalt ohne besondere Schwierigkeiten hätte feststellen können (VG Würzburg, U.v. 29.4.2015 – W 2 K 15.182 – juris Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 28.7.1999 – 23 ZB 99.1553 – BayVBl. 2000, 127; VG München, B.v. 14.5.2010 – M 10 S 09.5721 – juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte erst mit der Schlusskontrolle des Bauamts der Beklagten vom 15. Februar 2018 Kenntnis von der Fertigstellung der Elektrowerkstatt erlangt. Eine entsprechende Weiterleitung an das Amt … „Beiträge“ erfolgte laut Vermerk auf der Bauakte (Aktendeckel, Rückseite) am selben Tag. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Fertigstellung trotz der unterlassenen Anzeige des Klägers ohne besondere Schwierigkeiten schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte feststellen können. Der Verweis des Klägerbevollmächtigten auf das vom Geschäftsleiter des Amtes … „Beitragswesen“ abgezeichnete Schreiben der Beklagten vom 29. Juli 2011, in dem der Kläger auf die Vorgaben des Art. 58 BayBO hingewiesen wurde, geht fehl. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Elektrowerkstatt noch nicht fertiggestellt. Auf die bloße Kenntnis des bevorstehenden Bauvorhabens kommt es hingegen nicht an, da § 3 Abs. 2 BGS-WAS/BGS-EWS maßgeblich auf den Abschluss der Maßnahme abstellt. Auch der Antrag des Klägers auf Neuerstellung eines Grundstückanschlusses an die städtische Wasserversorgung vom 7. Juli 2011 sowie dessen tatsächliche Herstellung und Abrechnung durch das Wasserwerk/Bauamt der Beklagten am 23. November 2011 führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn wie bereits dargestellt kommt es für die Kenntniserlangung der maßgeblichen Tatsachen auf den nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass des Bescheides berufenen Beamten an. Für den Erlass der hier streitgegenständlichen Bescheide war aber nicht das Wasserwerk/Bauamt der Beklagten, sondern das Amt … „Beitragswesen“ zuständig. Aus demselben Grund führt auch der Verweis des Klägerbevollmächtigten auf den vom Stadtsteueramt der Beklagten erlassenen Gebührenbescheid vom 16. Februar 2012 nicht weiter. Das Stadtsteueramt der Beklagten war für den Erlass der Beitragsbescheide nicht zuständig.
Nachdem die Beklagte frühestens im Jahr 2018 Kenntnis von der Fertigstellung der Elektrowerkstatt erlangt hat, ist die Festsetzungsverjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2018 angelaufen. Die Beklagte hat daher mit dem Erlass der streitgegenständlichen Bescheide am 21. März 2018 die Festsetzungsverjährungsfrist gewahrt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Teil die Kosten der Verfahren.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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