IT- und Medienrecht

Irreführende Bewerbung eines Lebensversicherungsproduktes

Aktenzeichen  37 O 12326/17

Datum:
23.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WM – 2018, 1255
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Wird für ein Lebensversicherungsprodukt mit der Angabe „Beteiligung an der Wertentwicklung des EURO STOXX 50®“ oder „Indexpartizipation“ geworben, erweckt dies bei einem Großteil der angesprochenen Verbraucher die – angesichts der konkreten Ausgestaltung unzutreffende – Vorstellung, es erfolge eine zumindest mittelbare Anlage in Finanzprodukte, mit der die im Aktienindex gelisteten Werte abgebildet werden. (Rn. 40 – 41)
2. Jedenfalls werden durch diese Angaben die Fehlvorstellung geweckt, die Renditeerwartung orientiere sich maßgeblich an der Wertentwicklung des EURO STOXX 50 und bei dem sog. Cap handele es sich um den „Preis“ für die Sicherheiten, die das Konzept bietet, während tatsächlich der Cap die maßgebliche Schlüsselzahl für die Renditeerwartung ist. (Rn. 42)
3. Da der Internetauftritt ein fehlerhafte Grund- und Ausgangsverständnis von dem Produkt vermittelt, kann die Berufung auf die notwendige Beratung vor Abschluss des Versicherungsvertrages nur dann Erfolg haben, wenn in den Beratungsunterlagen diese Fehlvorstellung klar und unmissverständlich richtig gestellt wird. (Rn. 45 – 47)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meldung eines vom Gericht für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, zur Bewerbung des Produkts „IndexSelect“ die Formulierung
„Beteiligung an der (Wert-)Entwicklung des EURO STOXX 50®“
und/oder
„Indexpartizipation“
wörtlich oder im Wesentlichen wortgleich zu werden und/oder verwenden zu lassen wie in dem mit diesem Urteil als Anlage festverbundenen Abdruck eines Internetauftritts der Beklagten … Stand 03.03.2017 geschehen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Das Landgericht München I ist gemäß § 13 Abs. 1 UWG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 14 Abs. 1 UWG sowie aus dem bindenden Verweisungsbeschluss gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO.
Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG klagebefugt.
II.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Unterlassung im tenorierten Umfang aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG.
1. Die streitgegenständlichen Angaben „Beteiligung an der (Wert-)Entwicklung des EURO STOXX 50®“ und „Indexpartizipation“ im Internetauftritt der Beklagten zu dem Produkt IndexSelect der … AG sind irreführende Angaben im geschäftlichen Verkehr.
2. Es handelt sich um Angaben mit einem Informationsgehalt, nicht lediglich um anpreisende Werbung. Die Angaben sind geeignet, den Verkehr irrezuführen.
Dabei kommt es nicht auf den objektiven Wortsinn und nicht darauf an, wie der Werbende selbst seine Aussage über die gewerbliche Leistung verstanden haben will. Entscheidend ist die Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet, also hier der verständige und durchschnittlich informierte Verbraucher (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Auflage 2018, § 5 Rz. 1.57 m.w.N.).
Irreführend kann eine Angabe auch dann sein, wenn sie objektiv richtig ist. Das ist der Fall, wenn ein beachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise mit einer objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet.
Zur Überzeugung der Kammer wird durch die an zahlreichen Stellen des Internetauftrittes hervorgehobene Aussage „Beteiligung an der Wertentwicklung des EURO STOXX 50®“ sowie die Verwendung des Begriffs „Indexpartizipation“ bei einem Großteil der angesprochenen Verbraucher der Eindruck erweckt, es erfolge eine zumindest mittelbare Anlage in Finanzprodukte, mit der die im Aktienindex gelisteten Werte abgebildet werden. Nicht zuletzt die von der Beklagten aufgeführten Beispiele (Blatt 7 der Anlage K 1), in welchen einer möglichen Anlage in solche Indexfonds die größere Sicherheit und Bequemlichkeit des beworbenen Produkts gegenüber gestellt werden, verstärken einen solchen Eindruck. Dabei ist das Verständnis beider Parteien zugrunde zu legen, dass Aktienindizes, so auch der hier streitgegenständliche EURO STOXX 50®, beim Verbraucher grundsätzlich positiv konnotiert sind.
Aber auch bei einem denkbaren Teil der adressierten Verbraucher, der bei einer vertieften Beschäftigung mit den Aussagen der Beklagten versteht, dass eine solche – unmittelbare oder auch mittelbare – Beteiligung an den Aktienwerten nicht erfolgt, wird eine unzutreffende Vorstellung von der „Beteiligung an der Wertentwicklung EURO STOXX 50®“ bzw. der „Indexpartizipation“ geweckt. Wie sich aus den Versicherungsbedingungen (Anlage K 2) sowie den Darlegungen der Beklagten ergibt, ist die Bezugnahme auf die Entwicklung des Aktienindexes lediglich ein Parameter der Berechnung für die dem Policenwert am Ende des Geschäftsjahres zuzuschreibende Rendite. Die Rendite wird über den Cap maßgeblich von einer Reihe anderer Faktoren, namentlich der Höhe der jährlichen Überschussanteilsätze, des jährlich zugeteilten Sockelbetrags für die Beteiligung an den Bewertungsreserven sowie insbesondere weiteren Faktoren des Kapitalmarkts wie der Volatilität und der Dividendenrendite (siehe Anlage K 2 Versicherungsbedingungen) und der Anzahl der beteiligten Kunden bestimmt. Insbesondere die Kapitalmarktfaktoren verweisen nicht nur auf die allgemeine Entwicklung des Kapitalmarktes, sondern sind im Einzelnen abhängig von der Auswahl und konkreten Ausgestaltung komplexer, konkret von der Beklagten bzw. der …-AG an keiner Stelle definierten Kapitalmarktprodukte. Unabhängig von den Vorkenntnissen und dem Verständnis des Kunden ist folglich nicht erkennbar, in welcher Weise sich diese Faktoren auf die Festsetzung des Cap auswirken.
Dabei wird nicht verkannt, dass der aus all diesen Faktoren von der …-AG ermittelte Cap dem Kunden vor seiner – jährlich neu zu treffenden – Auswahl über die Art der Verzinsung mitgeteilt wird, so dass er sich – auch ohne Kenntnis der konkreten Berechnungsparameter – jedenfalls hieran orientieren kann. Die Irreführung liegt jedoch in dem Umstand, dass durch die beanstandeten Begriffe die Fehlvorstellung geweckt wird, die Renditeerwartung orientiere sich maßgeblich an der Wertentwicklung des EURO STOXX 50®“ und bei dem Cap handele es sich lediglich um den „Preis“ für die Sicherheiten, die das Konzept bietet (so auf Seite 4 der Anlage K 1 in den Erläuterungen zum Cap), während tatsächlich der Cap die maßgebliche Schlüsselzahl für die Renditeerwartung ist. Eine Korrelation des Renditeversprechens im Produkt IndexSelect mit der Wertentwicklung des Aktienindexes besteht nur sehr eingeschränkt.
Dies ergibt sich anschaulich aus den Berechnungsbeispielen in der Anlage BLD 1 (Tabelle unter der Überschrift „Beispiele für die Funktionsweise des Caps“). Der – exemplarisch gewählte – Cap wurde hier mit 2,8 % eingesetzt. Es zeigt sich in der Tabelle, dass eine Korrelation der Rendite mit der Wertentwicklung des Aktienindexes immer dann nicht gegeben ist, wenn diese eher gut ist und daher über dem Cap liegt. Wie sich aus den Beispielen für einzelne Monate ergibt, kann die Differenz ein Vielfaches der „maßgeblichen Jahresrendite“ ausmachen. Tatsächlich ist es gerade nicht so, dass die Verzinsung der Wertentwicklung des Aktienindexes folgt. Die Verzinsung erfolgt vielmehr in Höhe des Cap. Die Verzinsung ist nach oben begrenzt durch die Wertentwicklung des Aktienindexes, wenn diese niedriger ist als der Cap, im Beispiel also niedriger als 2,8 %. In dem Rechenwerk, aus dem sich die konkrete Verzinsung des Policenwertes beim Produkt IndexSelect ergibt, ist die Wertentwicklung des Aktienindexes folglich lediglich einer von mehreren Parametern, der im Übrigen den Effekt einer Begrenzung der Renditeerwartung nach oben hat, wenn die Wertentwicklung unter dem Cap liegt. Liegt sie oberhalb, im Beispiel höher als 2,8 %, spielt die weitere Wertentwicklung folglich für die Verzinsung überhaupt keine Rolle.
Mit einem solchen eingeschränkten Verständnis der Zusage einer „Beteiligung an der Wertentwicklung“ oder „Indexpartizipation“ muss der Kunde nicht rechnen. In der Gesamtwürdigung der Aussagen in der Anlage K 1 sind die beanstandeten und verwendeten Begriffe folglich irreführend.
3. Die Angaben sind auch wesentlich. Der in der Anlage K 1 verkörperte Internetauftritt hat nicht lediglich den Charakter einer anpreisenden Werbung, sondern enthält bereits maßgebliche Informationen als Grundlage für die Entscheidung zum Geschäftsabschluss. Mit dem hier vermittelten Grund- und Ausgangsverständnis geht der jeweilige Kunde in das Beratungsgespräch. Soweit sich die Beklagte auf das Informationspaket Anlage BLD 1 bezieht, ist dies nicht geeignet, das Verständnis des Kunden richtig zustellen. Vielmehr wird das dargestellte maßgebliche Vorverständnis des verständigen Verbrauchers hier aufgenommen und eher bestärkt. So heißt es beispielsweise in der mit „Vorschalt-PDF“ beschriebene Unterlage: „Beim Vorsorgekonzept IndexSelect partizipieren Sie nach einem festgelegten Verfahren an der Kursentwicklung des Aktienindex EURO STOXX 50®.“
Eine Erläuterung der Indexpartizipation findet sich in dem Informationspaket unter der Überschrift „Indexpartizipation-Funktionsweise“.
Die hier gewählte Formulierung, wonach die Indexpartizipation die jährliche Entwicklung der Versicherung ist, die sich an der Wertentwicklung des EURO STOXX 50® orientiert, könnte zwar geeignet sein, die Vorstellung, es werde eine Beteiligung an Indexwerten erworben, entkräften. Dies gilt jedoch nicht für die Vorstellungen, die zum Cap als bloßer „Preis“ für die Sicherheit erweckt werden. Das letztlich der Cap die maßgebliche Größe für die Renditeerwartung ist und die Wertentwicklung des Aktienindexes eine in erster Linie begrenzende Wirkung hat, wird hier nicht ausreichend klar gestellt.
4. Der Unterlassungsanspruch ist nicht verjährt. Die Verjährung eines Unterlassungsanspruches aufgrund einer Dauerhandlung beginnt nicht, solange der Eingriff noch fortdauert (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 11 UWG, Rn. 1.21 m.w.N.). Jedenfalls bei Klageerhebung am 15.03.2017 verwendete die Beklagte die bereits in der Abmahnung vom 26.05.2016 (Anlage BLD 5) gerügten, hier streitgegenständlichen Formulierungen fort.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 ZPO.
Verkündet am 23.03.2018
Anlage K1


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