IT- und Medienrecht

Kein Auskunftsanspruch nach Verlust von Unterlagen im Kartellschadensersatzverfahren

Aktenzeichen  37 O 18471/18

Datum:
27.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2020, 431
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 33g
BGB § 242
ZPO § 142
AEUV Art. 101

 

Leitsatz

1. § 33g GWB bezweckt den Ausgleich eines Informationsgefälles, welches wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten innewohnt. Die Norm ist daher einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur diejenigen Informationen und Dokumente herauszugeben sind, die dem Kläger aufgrund eines solchen strukturellen Informationsdefizits nicht selbst zur Verfügung stehen bzw. zur Verfügung gestanden haben. (Rn. 28)
2. Eine Auskunft gem. § 242 BGB wird nur dann geschuldet, wenn sich die Ungewissheit des Klägers über das Bestehen oder den Umfang seines Anspruchs aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ergibt. Der Anspruch scheidet daher aus, wenn die Ungewissheit des Klägers aus einem Verlust eigener Erkenntnisquellen resultiert, die sich ursprünglich in seinem Besitz befanden. (Rn. 31)
3. Eine Anordnung der Vorlage der Verträge gem. § 142 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn die Urkundenvorlegung dem bloßen Zwecke der Informationsgewinnung dient. Die Anordnung scheidet daher aus, wenn der Kläger mit der Vorlage der Verträge ausdrücklich gerade die Erlangung von Auskünften zur Bezifferung seines Schadensersatzanspruchs bezweckt und damit seinen Anspruch erst schlüssig machen will. (Rn. 32)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Die Anträge sind hinreichend bestimmt. Mit ihrem umgestellten Antrag nimmt die Klägerin nunmehr auf konkrete Vertragsdokumente und auf konkrete Konzerngesellschaften der Beklagten Bezug, so dass etwaige Unklarheiten ausgeräumt sind. Es handelt sich bei der Umstellung des Antrags um eine nach§ 269 Abs. 1 ZPO zulässige Teilklagerücknahme und um eine gemäߧ 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige Teilklageänderung, mit welcher die Klägerin den zunächst gestellten umfassenden Antrag auf Auskunft und Herausgabe von Dokumenten für sämtliche LKW-Beschaffungen in einem genannten Zeitraum auf die Herausgabe der Kauf- und Leasingverträge für konkrete identifizierte LKW und auf bestimmte Konzernunternehmen der Beklagten beschränkt hat.
Auch ist der Auskunftsantrag im Rahmen der Stufenklage der Klägerin zulässig. Zwar steht die der Stufenklage eigentümliche Verknüpfung von Auskunftsanspruch und unbestimmtem Leistungsanspruch dem Kläger nicht zur Verfügung, wenn die Auskunft nicht dem Zwecke einer Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs dient, sondern dem Kläger sonstige mit der Bestimmbarkeit als solcher nicht im Zusammenhang stehende Informationen über seine Rechtsverfolgung verschaffen soll (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2012 -XII ZR 101/10 -, Rn. 13, juris; MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl. 2016, ZPO § 254 Rn. 7). Letzteres ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat die streitgegenständlichen LKW-Beschaffungen zusammen mit der Antragsumstellung im Einzelnen dargelegt und für den Erwerb und damit ihre Aktivlegitimation Beweis durch Parteieinvernahme angetreten. Sie strebt mittels Auswertung der Informationen aus den zugehörigen Verträgen, insbesondere der Höhe und Zusammensetzung der Kaufpreise und der konkreten Ausstattungsmerkmale, eine Bezifferung des Leistungsantrags an.
Ob die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs erfüllt sind, insbesondere der Schadensersatzanspruch dem Grunde nach glaubhaft gemacht bzw. eine Sonderrechtsbeziehung dargelegt ist, ist eine Frage der Begründetheit des Anspruchs.
II.
1. Die Klage ist nicht begründet. Die Klagepartei hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskunft. Die Stufenklage war daher insgesamt abzuweisen. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Vorlage der verlangten Dokumente aus § 33g Abs. 1 GWB.
Dabei kann dahinstehen, ob die Anwendbarkeit von § 33 g GWB in zeitlicher Hinsicht auf Schadensersatzansprüche beschränkt ist, die nach dem 26.12.2016 entstanden sind (so OLG Düsseldorf Beschluss v. 03.04.2018 – VI-W (Kart) 2/18), da jedenfalls eine sachliche Anwendbarkeit ausscheidet; denn die Norm des § 33g GWB bezweckt den Ausgleich eines Informationsgefälles, welches wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten innewohnt. Die 9. GWB-Novelle, mit welcher § 33g GWB eingeführt wurde, diente insoweit der Umsetzung der EU-Schadensersatzrichtlinie (RL 2014/104/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union).
Erwägungsgrund 15 dieser Richtlinie ist zu entnehmen, dass ein Offenlegungsanspruch der Kläger geschaffen werden sollte, weil wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten durch eine Informationsasymmetrie gekennzeichnet sind. Der Auskunftsanspruch dient also dem Ausgleich eines wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen inhärenten Informationsdefizits.
Im vorliegenden Fall resultiert die Ungewissheit der Klägerin über den Umfang ihrer Ansprüche jedoch nicht aus einem derartigen wettberwerbsrechtlichen Ansprüchen inhärenten Informationsgefälle, sondern aus einem Verlust von Vertragsunterlagen, die ihr als einer der Vertragsparteien selbst ursprünglich zur Verfügung standen. Eine Informationsasymmetrie bestand insoweit nicht, sondern wurde erst durch Umstände aus der Sphäre der Klagepartei – verschuldet oder unverschuldet – herbeigeführt. Die Klagepartei befindet sich hier in einer Situation, die unabhängig von der Rechtsnatur des Anspruchs und etwaig damit verbundener Informationsasymmetrien, jede Klagepartei eines Zivilrechtsstreits „treffen“ kann. In dieser Situation den Beklagten eine Auskunftspflicht nach§ 33g GWB aufzuerlegen, würde dazu führen, dass die Beklagtenseite bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen für jedweden Verlust von im Besitz der Klagepartei befindlichen Unterlagen gerade zu stehen hätte in dem Sinne, dass sie der Klageseite die verlorenen Informationen wiederbeschaffen müsste. Diesen Fall hatte Artikel 5 der RL 2014/104/EU nicht im Blick und er ginge über den bloßen Ausgleich des typisierten Informationsgefälles zwischen den Parteien hinaus mit der Folge einer einseitigen Belastung der Beklagtenpartei. § 33g GWB ist daher im Hinblick auf den Zweck der Norm einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche Informationen und Dokumente herauszugeben sind, die dem Kläger aufgrund eines dem Anspruch eigenen strukturellen Informationsdefizits nicht selbst zur Verfügung stehen bzw. zur Verfügung gestanden haben. Ein Anspruch der Klägerin aus§ 33g GWB scheidet folglich aus.
2. Mit ihrem Auskunftsbegehren kann die Klägerin sich auch nicht auf§ 242 BGB stützen. Diese Vorschrift gewährt einen Auskunftsanspruch, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (st. Rspr. BGH Urt. v. 28. 10. 1953 – II ZR 149/52 – Rn.23, juris; Urt. v. 09.11.2011 -VII ZR 136/09 – Rn.20, juris; Urt. v. 16.04.2002 – X ZR 127/99 – Rn.24, juris). Eine Auskunft wird also auch hier nur dann geschuldet, wenn sich die Ungewissheit des Anspruchsberechtigten aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses ergibt (Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 260 Rn.12). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Nicht das Wesen der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien bringt die Ungewissheit der Klagepartei über das Bestehen oder den Umfang ihrer Rechte mit sich, sondern diese resultiert aus einem Verlust eigener Erkenntnisquellen der Klägerin, die sich ursprünglich in ihrem Besitz befanden.
3. Eine Anordnung der Vorlage der Verträge gern. § 142 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast (vgl. ST-Drucks. 14/6036, S. 121; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl.§ 142 Rdn. 9). Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2007 – XI ZR 277/05 -, BGHZ 173, 23-32, Rn. 20). Die Klägerin bezweckt mit der Vorlage der Verträge jedoch ausdrücklich gerade die Erlangung von Auskünften zur Bezifferung ihres Schadensersatzanspruchs und will damit ihren Anspruch erst schlüssig machen.
III.
Die beantragte Schriftsatzfrist war nicht zu gewähren, da der Aspekt, zu dem vorgetragen werden sollte, nicht entscheidungserheblich ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus§§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gern.§ 709 ZPO.
Verkündet am 27.03.2020


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