IT- und Medienrecht

Kein Schadensersatz wegen Unauffindbarkeit von Ausrüstungsgegenständen (hier: ABC-Maske)

Aktenzeichen  W 1 K 17.168

Datum:
7.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10663
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 24, § 31
BGB § 619a
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Vor endgültiger Verabschiedung eines Soldaten wird die Vollständigkeit der Unterschriften auf seinem Laufzettel stets geprüft, so dass – wenn sich der Soldat ordnungsgemäß im Geschäftszimmer sowie beim Kompaniefeldwebel und Kompaniechef verabschiedet hat – bei späterer Unauffindbarkeit dieses Laufzettels nur der Schluss gezogen werden kann, dass bei dem Soldaten ein vollständig abgearbeiteter Laufzettel vorgelegen hat. (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn folgt die Anwendung des § 619a BGB auch im Soldatenrecht, so dass der Dienstherr – im Sinne einer Beweislastumkehr – diejenigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen hat, aus denen sich das Verschulden des betreffenden Soldaten in qualifizierter Form ergeben soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Leistungsbescheid des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr vom 04.09.2016 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 03.02.2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch den Kläger im Vorverfahren war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage der Inanspruchnahme des Klägers ist § 24 SG. Hiernach erwächst der Beklagten ein Schadensersatzanspruch dann, wenn ein Soldat vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt und daraus dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, ein Schaden entsteht. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch am Nachweis einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der dem Kläger obliegenden Pflichten.
2. Als Pflichtverletzung kommt hier der Verlust der ABC-Ausrüstung in Betracht. Gemäß der zentralen Dienstvorschrift A-2175/5 „Bearbeitung von Schadensfällen in der Bundeswehr – Schadensbestimmungen“, Nr. 516, ist von einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung auszugehen, wenn Bundeswehrangehörige dem Dienstherrn Sachen nicht zurückgeben könnten, die in ihrer alleinigen Obhut gestanden haben. Allerdings steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Verlust der ABC-Ausrüstung zu einem Zeitpunkt eintrat, als der Kläger diese in seiner alleinigen Obhut hatte.
Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, war die betreffende Maske nicht bei den Gegenständen, die der Kläger am 03.12.2013 bei dem zuständigen SU S. abgegeben hatte. Der die Schadensmeldung vom 13.01.2014 unterzeichnende OFw H. hat als Zeuge ausgeführt, SU S. habe die Bekleidungsgegenstände vom Kläger entgegengenommen und zunächst in einem Keller eingeschlossen. Er selbst habe dann den Schlüssel übernommen, da SU S. versetzt worden sei, und habe die betreffenden Sachen aus dem Keller herausgeholt und in der Auskleidekammer abgegeben. Die ABC-Maske habe sich nicht unter diesen Gegenständen befunden. An der Richtigkeit dieser Aussage von OFw H. ergeben sich keinerlei Zweifel. Damit ist indes nicht dargelegt, dass der Kläger diese Maske am 03.12.2013 nicht ordnungsgemäß abgegeben hat. Wie OFw H. nämlich weiter ausführt war es so, dass das ABC-Material in der MAT-Gruppe abzugeben war. Dies entspricht auch den Angaben des Klägers. Die Beklagte hat keinen Beweis dafür angetreten, dass eine Übergabe dieser ABC-Maske in der MAT-Gruppe nicht stattgefunden hat. OFw H. konnte dazu aus eigener Anschauung nichts beitragen. Er konnte nur darauf hinweisen, dass jede Maske mit einer eigenen Seriennummer versehen gewesen sei, die auch dem speziellen Soldaten zuordenbar war. Aus der Tatsache, dass die Maske nicht in der zentralen Sammelstelle in K. registriert worden sei schließt der Zeuge, dass sie durch den Kläger nicht bei der MAT-Gruppe abgegeben worden sei. Dieser Schluss sind ist indes keineswegs zwingend. Der Kläger hat hierzu angegeben, er habe die Maske dort abgegeben und sie, nachdem sein Laufzettel ordnungsgemäß abgezeichnet worden sei, auf einen entsprechenden Stapel gelegt. Diese Einlassung des Klägers kann nicht widerlegt werden.
Offen bleibt auch, wo der Laufzettel verblieben ist, den der Kläger zu seiner Ausschleusung abzuarbeiten hatte. Der Zeuge Hauptmann F., der den Schadensbericht vom 29.01.2014 als zuständiger Ausbildungsoffizier abgezeichnet hat, hat glaubhaft angegeben, die letzten Unterschriften auf diesem Laufzettel seien vom Geschäftszimmer und sodann vom Kompaniefeldwebel und vom Kompaniechef zu leisten. Im Falle des Klägers habe er selbst die letzte Unterschrift zu leisten gehabt, da der Kompaniechef damals nicht anwesend gewesen sei. Der Zeuge hat weiter ausgeführt, es werde geprüft, ob alle Punkte abgearbeitet seien und dann werde der Laufzettel abgezeichnet. Mit der Unterschrift auf dem Laufzettel gebe die betreffende Stelle zu erkennen, dass sich im Fall des Soldaten keine offenen Positionen mehr ergäben. Das bedeute, dass eine Abzeichnung nicht erfolge, wenn etwas nicht zurückgegeben worden sei. Fehlende Unterschriften würden spätestens vom Kompaniefeldwebel bemerkt. Dieser würde dann den Soldaten anhalten, den Mangel abzustellen. Der vollständige Laufzettel werde dann zu den Akten genommen. Er könne sich nicht erklären, wo sich der Laufzettel befinde, wenn er sich nicht in den Akten befinde.
Hierzu bleibt festzustellen, dass das Gericht die Beklagte gebeten hat, sämtliche den Kläger betreffenden Akten vorzulegen und sich in diesen Akten der betreffende Laufzettel – wie im übrigen auch die Liste, welche Ausrüstungsgegenstände an den Kläger ausgegeben worden waren – nicht befindet. Da nach der Aussage des Zeugen F. die Vollständigkeit der Unterschriften auf dem Laufzettel vor endgültiger Verabschiedung des Soldaten stets geprüft wird und von der Beklagten nicht vorgetragen wurde, dass sich der Kläger nicht ordnungsgemäß im Geschäftszimmer sowie beim Kompaniefeldwebel und Kompaniechef verabschiedet hat, kann nur der Schluss gezogen werden, dass beim Kläger ein vollständig abgearbeiteter Laufzettel vorgelegen hat. Dass dieser sich nicht bei den Akten befindet, kann indes nicht zulasten des Klägers gewertet werden. Umgekehrt wird damit der Vortrag des Klägers gestützt, dass er seine ABC Maske ordnungsgemäß bei der MAT-Gruppe abgegeben hat. Damit war er aber auch nicht mehr im Besitz der Obhut über diese Maske, wenn diese anschließend abhandengekommen ist, was die Beklagte daraus schließt, dass sie nicht bei der zentralen Stelle in K. registriert wurde.
Auch unter Berücksichtigung der vom Dienstherrn dem Soldaten gegenüber zu beachtenden Fürsorgepflicht (§ 31 SG), die darin besteht, dass sich der Dienstherr bei allen Handlungen und Maßnahmen vom Wohlwollen gegenüber dem Soldaten leiten lässt und stets bemüht ist, ihn vor Nachteilen und Schaden zu bewahren (BVerwG, U.v. 08.08.1973 – VI C 15,71 –juris-Rn. 28) kann der Leistungsbescheid keinen Bestand haben. Aus der Fürsorgepflicht folgt die Anwendung des § 619 a BGB auch im Soldatenrecht (so zu Recht Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 280 Rn. 45). Damit hat der Dienstherr – im Sinne einer Beweislastumkehr – diejenigen Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, aus denen sich das Verschulden des betreffenden Soldaten – hier des Klägers – in qualifizierter Form ergeben können soll. Hiervon ist die Beklagte nicht etwa deshalb entlastet, weil die Fürsorgepflicht in Verwaltungsvorschriften eine allgemeine, den Haftungsumfang des Dienstherrn eingrenzende Regelung erfahren hätte (vgl. BVerwG, B.v. 11.02.1986 – 6 B 117/85 – juris). Der Beklagten ist der somit ihr allein obliegende Nachweis einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers (§ 24 Abs. 1 SG) hier jedoch nicht gelungen. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, also schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Hier fehlt es an Darlegungen und Feststellungen, mit denen der qualifizierte Verschuldensvorwurf der groben Fahrlässigkeit belegt werden könnte. Die Beklagte beschränkt sich darauf, den Verlust der ABC-Ausrüstung festzustellen, ohne darzulegen, dass und warum der Verlust zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, als der Kläger die alleinige Obhut über diese Gegenstände innehatte. Eine Untersuchung der Verhältnisse bei der sog. MAT-Gruppe hat nicht stattgefunden und insbesondere wurde die Frage nicht geklärt, wo der sogenannte Laufzettel verblieben ist, der Aufklärung darüber leisten könnte, ob der Kläger tatsächlich wie von ihm vorgetragen, die Station bei der MAT-Gruppe abgearbeitet hat. Diese mangelnde Aufklärungsarbeit der Beklagten trägt ihrer Beweislast nur unzureichend Rechnung. Dagegen kann dem Kläger lediglich im Sinne einer leichten Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, dass er die entsprechenden Belege für die Rückgabe der Ausrüstungsgegenstände nicht dokumentiert und zu dem Zeitpunkt, als er (2 ½ Jahr nach der Auskleidung) erstmals mit dem Fehlen der ABC-Maske konfrontiert wurde, zur Verfügung hatte. Auch in dieser erheblichen Verzögerung der Schadensbearbeitung ist eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Beklagten zu sehen, da sie damit die Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Vorgänge maßgeblich begünstigt hat.
Nach alldem konnte der angefochtene Leistungsbescheid keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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