IT- und Medienrecht

Kein Schadensersatzanspruch im sog. Dieselskandal bei Erwerb im Jahr 2017

Aktenzeichen  64 O 760/18

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41893
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 02.02.2017 war die Thematik des sog. “Abgasskandals” bereits seit Monaten Top-Thema in den täglichen Medien in Zeitung, Fernsehen, Radio, Internet, so dass es das Gericht nicht für erwiesen hält, dass der Kläger bei Kauf des Kfz von der Betroffenheit des von ihm erworbenen Fahrzeugs vom sogenannten „Abgasskandal“ nichts gewusst hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine etwaige Fehleinschätzung bezüglich der potentiellen Folgen des Updates stellt einen lediglich unbeachtlichen Motivirrtum dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu.
1. a) Mangels Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien scheiden vertragliche Schadensersatzansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten von vorneherein aus. Auch vorvertragliche Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB sind nicht erkennbar. Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Beklagten an dem Kaufvertragsschluss ist weder vorgetragen noch ersichtlich, zudem auch nicht, dass diese ein über ihr allgemeines Absatzinteresse hinausgehendes wirtschaftliches Interesse gerade an dem Fahrzeugkauf des Klägers besaß.
b) Es muss vorliegend nicht darüber befunden werden, ob die Beklagte eine Täuschungshandlung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m § 263 Abs. 1 StGB oder des § 826 BGB begangen hat. Ihm gelingt insofern der ihm obliegende Beweis der Kausalität etwaiger Schädigungshandlungen der Beklagten für den Schadenseintritt (Kaufvertragsschluss) nicht, da er das streitgegenständliche Fahrzeug erst am 02.02.2017 und damit rund 1,5 Jahre nach Bekanntwerden des sogenannten „Abgasskandals“ kaufte. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses war die Thematik bereits seit Monaten Top-Thema in den täglichen Medien in Zeitung, Fernsehen, Radio, Internet, so dass es das Gericht nicht für erwiesen hält, dass der Kläger bei Kauf des Kfz von der Betroffenheit des von ihm erworbenen Fahrzeugs vom sogenannten „Abgasskandal“ gewusst hat.
Es ist allgemein und auch gerichtsbekannt und sowohl in Printmedien als auch dem world wide web ohne weiteres nachzuvollziehen, dass zwar der Ursprung des so genannten Abgasskandals im September 2015 in Amerika stattfand. Bereits am 25.09.2015 teilte jedoch der damalige Verkehrsminister Dobrindt öffentlich mit, in Deutschland seien von den Abgas-Manipulationen von Volkswagen 2,8 Millionen Fahrzeuge betroffen. Das Kraftfahrtbundesamt habe VW aufgefordert zu erklären, ob die Manipulationen zu beheben seien. Nach aktueller Kenntnis seien dies Fahrzeuge mit 1,6 und 2,0 Liter großen Dieselmotoren. Bevor im Juni 2017 durch den damaligen Verkehrsminister auch die Manipulatonen der Beklagten als feststehend veröffentlicht wurden, war dies jedoch im gesamten Jahr 2016 bereits Thema in sämtlichen Medien. Auf der Internetseite des KBA finden sich unter der Adresse https://www…de/gpsg/jsp/gpsgAuskunftsListe.jsp im Zeitraum seit Bekanntwerden des Dieselskandals bis zum Autokauf durch den Kläger mehrere Rückrufaktionen des KBA, die alle den Fahrzeugtyp … A3 betreffen und in Zusammenhang mit manipulierter Software des Herstellers stehen.
Nachdem der hier streitgegenständliche Autokauf auch nicht zeitnah nach Bekanntwerden der „Dieselthematik“ stattfand, sondern über 1,5 Jahre nach Bekanntwerdendes sogenannten „Dieselskandals“, erscheint es dem Gericht bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung als ausgeschlossen, dass der Kläger bei Kauf des streitgegenständlichen PKW nichts von der Thematik gewusst haben will. Wenn eine Person über ein Jahr nach Bekanntwerden des sogenannten „Abgasskandals“ ein Dieselfahrzeug einer bereits zu diesem Zeitpunkt bekanntermaßen von diesem Skandal betroffenen Marke kaufen möchte, ist bereits aufgrund des natürlichen Interesses des Käufers an einer günstigen Preisgestaltung ohne Weiteres davon auszugehen, dass dieser sich über die wertbildenden Faktoren einschließlich der Betroffenheit vom sog. „Abgasskandal“ zumindest online informiert.
Der Kläger behauptet selbst schriftsätzlich, dass er bei Kauf des Fahrzeugs von der Betroffenheit des Abgasskandals gewusst habe, jedoch darüber geirrt habe, dass das Update am Fahrzeug die behaupteten Mängel vollständig beseitigen würde. Eine etwaige Fehleinschätzung bezüglich der potentiellen Folgen des Updates stellt einen lediglich unbeachtlichen Motivirrtum dar (ähnlich OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981 Rn. 16). Eine Anhörung zu konkreten Vorstellung bei Erwerb des Fahrzeugs konnte indes nicht erfolgen, da der Kläger der mehrfachen Ladung trotz gerichtlichen Hinweises nicht nachkam. Hinsichtlich seiner Behauptung, dass das Verhalten der Beklagten für die von ihm geltend gemachten Schäden kausal war, für die er die Darlegungs- und Beweislast trägt (hierzu OLG Bamberg BeckRS 2019, 21335 Rn. 18), ist er im Ergebnis beweisfällig geblieben.
Es fehlt zudem am Nachweis eines vorsätzlichen wie sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten. Das massenhafte Inverkehrbringen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Fahrzeugen kann grundsätzlich den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung rechtfertigen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorsatzes und der Sittenwidrigkeit ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der Tathandlung. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist hinsichtlich Vorsatz und Sittenwidrigkeit nicht ausreichendes vorgetragen. Dies entspricht auch der vom OLG München in dem Beschluss vom 6.12.2018 (Az. 21 U 2834/18) geäußerten Rechtsauffassung in einem ähnlich gelagerten Fall, wonach ein Vorsatz der Beklagen jedenfalls nicht mehr anzunehmen sei, wenn die Beklagte neben der nationalen und internationalen Presseberichterstattung über ihre Internetwebseite auf die Problematik hingewiesen und die Möglichkeit geschaffen hat, dass sich die Kunden bei ihr über die Betroffenheit ihrer Fahrzeuge informieren können.
c) Im Übrigen kommt es streitentscheidend nach alledem nicht darauf an, ob die Beklagte ein anderes Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB verletzt hat. Denn selbst in diesem Fall wäre ein evtl. eingetretener Schaden nicht kausal auf die Verletzung zurückzuführen, da die Kausalität durch die Kenntnis des Klägers unterbrochen worden wäre. Jedenfalls wäre auch ein ganz überwiegendes Mitverschulden des Klägers im Sinne des § 254 BGB zu beachten, so dass kein Anspruch des Klägers besteht.
2. Mangels Bestehen eines Hauptanspruchs kann der Kläger auch nicht die Feststellung des Annahmeverzugs mit diesem beanspruchen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S.2 ZPO.
III.
Der Streitwert war in Höhe des Leistungsantrags festzusetzen.


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