IT- und Medienrecht

Keine Haftung von Amazon für auf dem Marketplace eingestellte Produktbeschreibungen

Aktenzeichen  33 O 19169/17

Datum:
22.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 49260
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3a
LMIV Art. 14 Abs. 1 Buchst. a, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b u. c

 

Leitsatz

1. Der Betreiber eines Online-Marktplatzes (hier: Amazon) haftet nicht für rechtswidrige Inhalte, die von Dritten zur Präsentation von Waren auf dem von ihm betriebenen Online-Marktplatz eingestellt wurden.  (Rn. 24 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Betreiber einer Internetverkaufsplattform ist nicht zuzumuten, über den Einsatz einer Filtersoftware hinaus manuelle Kontrollen durchzuführen, um rechtsverletzende Angebote Dritter aufzuspüren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Betreiber einer Internetverkaufsplattform ist nicht Adressat der lebensmittelrechtlichen Informationspflichten und verletzt keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht, wenn ein Verstoß unmittelbar nach Bekanntwerden entfernt wird. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der zu vollstreckenden Kosten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Zwar verstößt das streitgegenständliche Angebot auf dem von der Beklagten betriebenen M… – was auch die Beklagte nicht in Abrede stellt – gegen § 3a UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. a), 9 Abs. 1 lit. b) und c) i.V.m. Anhang II Nr. 1 LMIV. Allerdings ist die Beklagte für dieses unstreitig von einem Drittanbieter eingestellte Angebot unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verantwortlich und ist diese daher nicht passivlegitimiert. Ansprüche des an sich zur Verfolgung von derlei Verstößen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKIaG aktivlegitimierten Klägers gegen die Beklagte auf Unterlassung nach § 8 Abs. 1 UWG bzw. § 2 Abs. 1 S. 1 UKIaG und Kostenerstattung gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 UWG bestehen daher nicht.
Im Einzelnen:
I. Die Beklagte haftet nicht als Täterin für den streitgegenständlichen Verstoß.
1. Täter (Verletzer) ist, wer den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung im Sinne des § 3 UWG oder des § 7 UWG adäquat kausal verwirklicht oder zu verwirklichen droht. Innerhalb des Täterbegriffs sind mehrere Formen der Tatbestandsverwirklichung zu unterscheiden. Täter ist nach § 25 Abs. 1 StGB, wer die Zuwiderhandlung selbst oder durch einen anderen begeht (mittelbare Täterschaft). Mittelbarer Täter ist derjenige, der die Zuwiderhandlung im eigenen Interesse veranlasst und die Kontrolle über das Handeln des anderen hat. Täter ist auch, wer Neben- oder Mittäter ist. Nebentäter ist, wer den Tatbestand unabhängig vom täterschaftlichen Handeln eines Dritten verwirklicht; Mittäterschaft hingegen setzt eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken voraus (vgl. dazu grundlegend Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 37. Auflage, § 8 Rdnr. 2.4 m.w.N.). Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die ernsthafte Gefahr begründet, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, ist auf Grund einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht im Sinne der sog. unternehmerischen Sorgfalt des § 3 Abs. 2 UWG dazu verpflichtet, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Wer in dieser Weise gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, ist selbst Täter einer unlauteren Wettbewerbshandlung (st. Rspr., vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 37. Auflage, § 8 Rdnr. 2.6 ff. m.w.N. insbesondere auf BGH GRUR 2007, 890 – Jugendgefährdende Medien bei Ebay).
Der Betreiber einer Internetplattform, der eine neutrale Vermittlerrolle im Sinne der Art. 12 ff. der RL 2000/31/EG zwischen seinen Kunden und den Nutzern einnimmt, ist nach § 7 Abs. 2 TMG nicht verpflichtet, die von ihm übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Daher dürfen ihm auch keine Anforderungen auferlegt werden, die sein von der Rechtsordnung gebilligtes Geschäftsmodell gefährden oder seine Tätigkeit unverhältnismäßig erschweren. Ihm ist daher beispielsweise zwar zuzumuten, seine Angebotsmaske so zu gestalten, dass Anbieter ihrer Impressumspflicht nachkommen können. Dagegen ist ihm aber beispielsweise nicht zuzumuten, über den Einsatz einer Filtersoftware hinaus noch manuelle Kontrollen durchzuführen, um rechtsverletzende Angebote Dritter aufzuspüren. Eine Verkehrspflicht entsteht für ihn vielmehr erst dann, wenn er auf klare und eindeutige Rechtsverletzungen hingewiesen worden ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 37. Auflage, § 8 Rdnr. 2.13a m.w.N. insbesondere auf BGH GRUR 2008, 702 – Internet-Versteigerung III und BGH GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet I).
2. Adressat der Informationspflichten des Art. 14 Abs. 1 LMIV ist, wer vorverpackte Lebensmittel durch den Einsatz von Fernkommunikationstechniken „zum Verkauf anbietet“, wobei der Begriff des „Anbietens zum Verkauf“ im Rahmen der Anwendung der LMIV autonom auszulegen ist (vgl. Zipfel/Rathke/Meisterernst, LebensmittelR, 171. EL Juli 2018, Art. 14 LMIV Rdnr. 9 und 11). Wird ein Unternehmer – wie im Streitfall die Beklagte – lediglich als Vermittler tätig, indem er – etwa auf einer Internetseite – Waren präsentiert, die ein anderer Unternehmer verkauft, so hat letzterer als Verkäufer die Informationspflichten zu erfüllen; das vermittelnde Unternehmen treffen keine Informationspflichten (vgl. Voit/Grube/Voit, LMIV, 2. Auflage, Art. 14 Rdnr. 12 mit Verweis insbesondere auf die mittlerweile entschiedene EuGH-Vorlage C 149/15 zur RL 1999/44/EG = EuGH NJW 2017, 874 – Wathelet/Garage Bietheres & Fils). Die Beklagte hat im hier zu entscheidenden Fall – anders als etwa in der der Vorlageentscheidung des EuGH in Sachen Wathelet/Garage Bietheres & Fils zugrundeliegenden Konstellation – ihre für den angesprochenen Verkehr, nämlich den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern, zu denen sich auch die Mitglieder der erkennenden Kammer zählen, nachvollziehbar und transparent dargestellte Rolle (siehe Screenshot, Anlage K 1 [6/6]: „Verkauf durch: friandiz“) einer neutralen Vermittlerin nicht verlassen, zumal vorliegend offenbar vom Drittanbieter noch nicht einmal die Variante „Versand durch A…“ gewählt worden war. Nach dem insoweit unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten handelt es sich bei der Erfassung und Listung der Angebote der Drittanbieter um einen automatisierten Vorgang, und es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte die Produktbeschreibungen für die jeweiligen Drittanbieter erstellt (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 03.03.2016, Az. I ZR 140/14 – Angebotsmanipulation bei Amazon, Tz. 25), bzw. sie auf diese inhaltlich Einfluss nimmt oder sie sich deren Produktbeschreibungen sonstwie „zu Eigen“ macht. Die Beklagte hat daher im Streitfall den objektiven Tatbestand einer lauterkeitsrechtlichen Zuwiderhandlung weder selbst noch durch einen oder gemeinschaftlich mit einem Dritten adäquat kausal verwirklicht. Sie hat insbesondere auch keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt, weil sie nämlich durch die unbestritten gebliebene Ausgestaltung ihrer Teilnahmebedingungen für den M… dafür Sorge getragen hat, dass die in Rede stehenden Informations- und Kennzeichnungspflichten durch die am M… teilnehmenden Drittanbieter eingehalten werden, und sie ausweislich der als Anlage K 4 vorgelegten Email auf den vorliegenden – für sie nicht vorhersehbaren – Verstoß durch umgehende Entfernung des entsprechenden Angebots von der Webseite und Verwarnung des Drittanbieters adäquat reagiert hat (vgl. zur insoweit gleichgelagerten Problematik im Kennzeichenrecht auch BGH GRUR 2015, 485 – Kinderhochstühle im Internet III).
II. Eine Haftung der Beklagten als Teilnehmerin kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die Beklagte nach dem oben Gesagten nicht vorsätzlich an der Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Zuwiderhandlung durch den Drittanbieter mitgewirkt hat (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 37. Auflage, § 8 Rdnr. 2.15).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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