IT- und Medienrecht

Keine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten bei Kinderfreizeit („Abenteuer Winterwald“)

Aktenzeichen  31 O 1970/17

Datum:
20.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 46654
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823
ZPO § 141 Abs. 1, § 455 Abs. 2

 

Leitsatz

Der Veranstalter einer Kinderfreizeit („Abenteuer Winterwald“), bei der sich ein Kind während des Schnitzens mit einem Messer verletzt, genügt seiner Verkehrssicherungspflicht, wenn sich die in ausreichender Anzahl eingesetzten Betreuer in erreichbarer Nähe befinden. Es kann von den Verantwortlichen nicht erwartet werden, stets während der gesamten Dauer der Veranstaltung jedes Kind im Auge zu behalten. Erkennbarer Zweck der Veranstaltung war auch, dass die teilnehmenden Kinder selbständig handeln können. Die Verantwortlichen hatten also nicht jegliche Schnitzvorgänge der Kinder im einzelnen zu überwachen, sondern durften sich darauf verlassen, dass die zu Beginn der Veranstaltung gegebene Einführung in den Umgang mit Messern jedenfalls soweit ausreichend sein würde, und dass Kinder, sollten doch Probleme mit den Messern auftauchen, sich an die erreichbaren Betreuer wenden würden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden 31 O 1970/17 – Seite 2 – Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin ist der ihr obliegende Nachweis dafür, dass die Beklagten vertragliche Pflichten oder Verkehrssicherungspflichten verletzt hätten, nicht gelungen. Die vertraglichen Verpflichtungen des Beklagten zu 1) gegenüber der Klägerin und die beide Beklagten treffenden Verkehrssicherungspflichten sind dabei im vorliegenden Fall deckungsgleich. Die Beklagten, die durch die Durchführung bzw. Leitung der Veranstaltung vom 03.03.2014 eine Gefahrenquelle für die Teilnehmer der Veranstaltung, also auch für die Klägerin, geschaffen haben, waren verpflichtet, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Sie mussten also die Vorkehrungen treffen, die erforderlich und für sie zumutbar waren, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern (vgl. Palandt/Sprau, Rd.Nr. 46 zu § 823 BGB m. w. N.). Zugunsten von Kindern ist dabei ein strenger Sicherheitsmaßstab anzulegen (Palandt/Sprau a.a.O.). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine „Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, (…) nicht erreichbar“ ist. Vielmehr ist bei der Bemessung des Umfangs von Verkehrssicherungspflichten stets eine „Risikoverteilung zwischen dem Sicherungspflichtigen und der gefährdeten Person“ vorzunehmen (Palandt/Sprau, Rd.Nr. 51 zu § 823 BGB m.w.N.).
Nach durchgeführter Hauptverhandlung und Beweisaufnahme gelangt das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu der Überzeugung, dass die Beklagten gegenüber der Klägerin ihnen obliegende Verpflichtungen verletzt haben.
Die Klägerin, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, hätte im Verfahren (auf entsprechenden Antrag hin), da sie prozessunfähig ist, nicht als Partei vernommen werden können (§ 455 Abs. 2 ZPO) und damit auch nicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 141 Abs. 1 ZPO angehört werden können. Das Gericht hat die Klägerin daher formell als Zeugin vernommen und ihre Mutter als Partei angehört.
Aufgrund der Angaben der Mutter der Klägerin und des Beklagten zu 2) ist das Gericht davon überzeugt, dass einerseits der Mutter der Klägerin der grundsätzliche Charakter der Veranstaltung „Abenteuer Winterwald“ bekannt war, dass andererseits ein ausdrückliches Gespräch zwischen der Mutter der Klägerin und dem Beklagten zu 2) darüber, dass die Veranstaltungsteilnehmer Messer würden nutzen können, nicht stattfand. Die Klägerin wurde von ihrer Mutter telefonisch für die Veranstaltung angenommen. Der Mutter der Klägerin war die Broschüre der Beklagten über Freizeiten in den Faschingsferien 2014 bekannt. Gegenstand der konkreten Freizeit war dabei, wie die Mutter der Klägerin angegeben hat, auch, dass von Kindern Holz selbst geschnitten werden könnte. Da dies nur mit scharfen Werkzeugen, am naheliegendsten eben mit Messern, erfolgen kann, muss zum Zeitpunkt der Anmeldung der Klägerin eben diese Möglichkeit der Nutzung von Messern durch die an der Veranstaltung teilnehmenden Kindern festgestanden haben. Ebenso musste sich aufgedrängt haben, dass bei einer im März im Freien durchgeführten Veranstaltung nicht jedes Kind durchgängig unter Beobachtung der anwesenden Betreuer würden stehen können. Auch unter Berücksichtigung der in besonderer Weise gegenüber Kindern bestehenden Verkehrssicherungspflichten haben die Beklagten damit zum Zeitpunkt der Anmeldung der Klägerin ihren Obliegenheiten gegenüber der Klägerin bzw. deren Eltern genügt und durften davon ausgehen, über bei teilnehmenden Kindern über vorliegende etwaige Besonderheiten, wie fehlende Übung im Umgang mit Messern, informiert zu werden.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten durch die Art der Durchführung der Veranstaltung vom 03.03.2014 Pflichten gegenüber den Teilnehmer verletzt hätten, sind nicht ersichtlich. Unstreitig haben die Beklagten die für derartige Veranstaltungen bestehenden Vorgaben eingehalten. Ebenso unstreitig war durch den Beklagten zu 1) eine hinreichende, nach Angaben des Beklagten zu 1) sogar überobligatorische Anzahl von Betreuern eingesetzt.
Hinsichtlich der Einweisung der Teilnehmer an der Veranstaltung über den Umgang mit Messern weichen die Angaben der Klägerin einerseits und des Beklagten zu 2) und der Zeugin B., die als Sozialpädagogin bei der Veranstaltung tätig war, voneinander ab. Während die Klägerin berichtete, eine Einweisung „zum Thema Feuer und Messer“ hätte nicht stattgefunden, gaben der Beklagte zu 2) und die Zeugin B. übereinstimmend an, bei Beginn der Veranstaltung sei in einer Runde mit den Teilnehmern die Handhabung von Messern erklärt worden und dabei sei auch darauf hingewiesen worden, dass vom Körper weg zu schnitzen sei. Bei der später folgenden Ausgabe an diejenigen Kinder, die kein eigenes Messer bei sich hatten, seien keine allgemeinen Erläuterungen gegenüber der Gruppe der Kinder mehr abgegeben werden. Die Zeugin B. gab an, bei diesem Zeitpunkt habe sie erneut darauf hingewiesen, dass bei der Nutzung von Messern „die Kinder aufpassen müssen“. Diese Vorgehensweise sei bei zahlreichen vergleichbaren Veranstaltungen stets die Gleiche. Das Gericht ist dabei überzeugt, dass jedenfalls bei Beginn der Veranstaltung der Umgang mit Messern erläutert wurde und dass Bestandteil dieser Erläuterung nicht lediglich die Art des Auf- und Zuklappens der Messer, sondern auch die Durchführung von Schnitzarbeiten war. Sowohl der Beklagte zu 2) als auch die Zeugin B. sagten ruhig und sachlich aus und stellten den Ablauf der Veranstaltung vom 03.03.2014, soweit er ihnen in Erinnerung war und sein konnte, plausibel und nachvollziehbar dar. Auch die Klägerin, die einen aufgeweckten Eindruck machte, machte zur Überzeugung des Gerichts subjektiv wahrheitsgemäße Angaben. Das Gericht vermag jedoch nicht auszuschließen, dass die zum Zeitpunkt der Veranstaltung acht Jahre alte Klägerin die Einzelheiten der Erörterungen der bei der Veranstaltung vom 03.03.2014 eingesetzten Betreuer nach dem Ablauf von nunmehr über vier Jahren nicht mehr im Einzelnen in Erinnerung hat und haben kann.
Schließlich ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Unfall so, wie er von der Klägerin geschildert wurde, zugetragen hat. Die Klägerin ist beim Abschälen der Rinde eines Baumes mit dem Messer abgerutscht und hat sich das Messer in das Auge gestoßen. Dabei stand die Klägerin nicht unter unmittelbarer Beaufsichtigung eines der vom Beklagten zu 1) bei der Veranstaltung eingesetzten Betreuer. Diese befanden sich allerdings für die an der Freizeit teilnehmenden Kinder in erreichbarer Nähe. In diesem Verhalten der Beklagten liegt keine Verletzung der den Beklagten gegenüber der Klägerin bestehenden Verpflichtungen. Es kann von den Beklagten nicht erwartet werden, stets während der gesamten Dauer der Veranstaltung jedes Kind im Auge zu behalten. Erkennbarer Zweck der Veranstaltung ist auch, dass die teilnehmenden Kinder selbständig handeln können. Die Beklagten hatten also nicht jegliche Schnitzvorgänge der Kinder im einzelnen zu überwachen, sondern durften sich darauf verlassen, dass die zu Beginn der Veranstaltung gegebene Einführung in den Umgang mit Messern jedenfalls soweit ausreichend sein würde, dass Kinder, sollten doch Probleme mit den Messern auftauchen, sich an die erreichbaren Betreuer wenden würden. Auch gegenüber Kindern kann von den Beklagten nicht erwartet werden, jegliche Risiken, die mit der durchgeführten Veranstaltung verbunden sind, auszuschließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen

Gültigkeit von Gutscheinen

Sie erweisen sich immer wieder als beliebtes Geschenk oder werden oft bei Rückgabe von Waren statt Geld ausgezahlt: Gutscheine. Doch wie lange sind Gutscheine eigentlich gültig, ist eine Einlösbarkeit von einem Monat überhaupt rechtmäßig und was passiert, wenn der Gutschein doch einmal verfällt?
Mehr lesen