IT- und Medienrecht

Krankenversicherung

Aktenzeichen  S 21 KR 402/14

Datum:
9.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21890
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 828,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.09.2014 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 890,52 Euro festgesetzt.
IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig (§§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG, 54 Abs. 5 SGG, 57 Abs. 1) und begründet. Die Klägerin hat einen Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten in Höhe von 828,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
1. Verfahrensgegenstand ist die Retaxierung für den Monat Mai 2012. Streitgegenstand ist – nach der teilweisen Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2021 – nur noch die Retaxierung bezüglich der folgenden Verordnungen:
Nr. Patient*in Wirkstoff Arzneimittel Absetzungsbetrag
1) W. I. I.(r) 15,05 EUR
2) W. Be. A.(r) 69,02 EUR
3) W. Be. A.(r) 83,30 EUR
4) B.N. E. H.(r) 125,89 EUR
5) B.N. E. H.(r) 125,89 EUR
6) B.N. E. H.(r) 125,89 EUR
7) S.E. C. R-L.(r) 3,86 EUR
8) S.G. C. Er.(r) 47,18 EUR
9) S.G. C. Er.(r) 47,18 EUR
10) S.G. C. Er.(r) 47,18 EUR
11) K.J. C. Er.(r) 70,79 EUR
12) H.P. D. Ad.(r) 8,75 EUR
13) H.G. Ox. R.(r) 58,52 EUR
828,50 EUR
2. Die Klägerin hat ihr Leistungsbegehren zulässigerweise im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend gemacht, denn vorliegend besteht zwischen den Beteiligten ein Gleichordnungsverhältnis, das eine (einseitig) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten ausschließt (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1990 – 3 RK 11/88 – juris). Eine gesetzliche Ermächtigung der Krankenkassen zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber den freiberuflich tätigen Apothekern besteht ebenso wenig wie ein Über-/Unterordnungsverhältnis; vielmehr sieht das Gesetz gemäß § 129 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern vor (vgl. BSG, Urteil vom 17.01.1996 – 3 RK 26/94 – juris; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 03. Juli 2019 – L 20 KR 177/18 -, Rn. 29, juris)
3. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der noch ausstehenden Vergütung aus unstreitigen Wirkstoffzubereitungen in Höhe von 828,50 EUR. Dieser Vergütungsanspruch der Klägerin bestimmt sich nach § 129 SGB V i. V. m. dem nach § 129 Abs. 2 SGB V abgeschlossenen Rahmenvertrag. Nach § 129 SGB V geben die Apotheker nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge (§ 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V, vergleiche auch § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V) vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ab. Diese Vorschrift begründet in Verbindung mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheker, vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an die Versicherten abzugeben. Die Apotheker erwerben im Gegenzug für die Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht einen durch Normenverträge näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen, der schon in § 129 SGB V vorausgesetzt wird (st. Rspr, BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R, Juris Rn. 9 m.w.Nachw.).
Für die Beteiligten gilt der Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) in der Fassung vom 27.02.2012. Die Klägerin ist Mitglied im Bayerischen Apothekerverband e.V. (BAV). Gemäß § 2 Abs. 2 AV-Bay hat der Vertrag Rechtswirkung für öffentliche Apotheken, deren Inhaber dem BAV angehören. Die Beklagte ist u. a. Vertragspartnerin des AV-Bayern. Somit sind die Beteiligten an den AV-Bay vertraglich gebunden.
Der Zahlungsanspruch aus weiteren nicht näher benannten Arzneimittellieferungen, mit dem die Beklagte aufgerechnet hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Einwendungen wurden in dieser Hinsicht von den Beteiligten nicht erhoben. Im Übrigen sind Anhaltspunkte für eine unzutreffende Leistungsabrechnung auch nicht ersichtlich. Eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens bei Abrechnungen eines Krankenhauses z.B. BSG, 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R).
4. Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus den unstreitigen Versorgungen mit Arzneimitteln ist nicht dadurch erloschen, dass die Beklagte mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Abrechnung vermeidbarer Verwürfe analog § 387 Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Aufrechnung erklärt hat (zur entsprechenden Anwendung von § 387 BGB auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, 23.06.2015, B 1 KR 26/14; BSG, 21.4.2015, B 1 KR 8/15 R).
Die sich aus der Erbringung von Leistungen für nach dem SGB V Versicherte ergebenden Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Apothekern sind öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. BSG, Urteil vom 28.09.2010 – B 1 KR 3/10 R -, Rn. 12, juris m.w.N.; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Oktober 2020 – L 16 KR 458/18 -, Rn. 32, juris). Bei derartigen öffentlich-rechtlich geprägten Rechtsbeziehungen tritt an die Stelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach § 812 BGB der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17 b Nr. 2, Rn. 9, 11 f m. w. N.). Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 264 Nr. 3 RdNr. 15). Dies ist hier aber nicht der Fall. Die streitgegenständlichen im Mai 2012 durch die Beklagte beanstandeten Verwürfe waren nach Auffassung des Gerichts nach der geltenden Hilfstaxe unvermeidbar und daher abrechnungsfähig. Die Beklagte hat die Vergütung dementsprechend nicht ohne rechtlichen Grund erbracht. Sie hat daher keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin.
Die Beklagte hätte einen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin, wenn die streitgegenständlichen Verwürfe nach der Hilfstaxe nicht unvermeidbar (=vermeidbar) gewesen wären, denn nur ein nach der Hilfstaxe unvermeidbarer Verwurf ist abrechnungsfähig. Die Hilfstaxe definiert in Anlage 3 Ziffer 3.6 den unvermeidbaren Verwurf als eine „nicht mehr weiterverarbeitungsfähige Teilmenge“. Nicht mehr weiterverarbeitungsfähig sind „Anbrüche, deren Haltbarkeit überschritten ist oder die aus rechtlichen Gründen nicht in einer anderen Rezeptur verarbeitet werden dürfen“. Nach Ziffer 3.8 sind unvermeidbare Verwürfe nach Ziffer 3.6 abrechnungsfähig nach Nr. 3.8a) für die im Anhang 1 zu Anlage 3 Teil 1 aufgeführten Stoffe gemäß den dort getroffenen Regelungen, nach Nr. 3.8b) für die im Anhang 2 zu Anlage 3 Teil 1 aufgeführten Stoffe gemäß den dort getroffenen Regelungen und für nicht im Anhang 1 oder 2 zu Anlage 3 Teil 1 aufgeführte Stoffe nach Nr. 3.8c), falls nach Anbruch der entsprechenden Packung die Teilmenge nachweislich nicht innerhalb von 24 Stunden in einer weiteren Rezeptur verwendet werden konnte. Weitere Regelungen zur Prüfung eines unvermeidbaren Verwurfs finden sich in Anlage 3 Teil 1 Anhang 3 „Prüfregeln zur Abrechnung eines unvermeidbaren Verwurfs nach Nummer 3.9.“, der unter anderem festlegt, dass unvermeidbare Verwürfe mindestens einen Zeitabstand aufweisen müssen, der die in Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.7 und 3.8 definierte Haltbarkeitszeit überschreitet.
5. Im Streit steht hier ein Erstattungsanspruch bezüglich 13 einzelnen Verordnungen betreffend sieben Versicherte der Beklagten. Diese sind jeweils einzeln zu betrachten und zu prüfen (vgl. dazu unter 6.). Bei dieser Prüfung geht die Kammer von folgenden Prämissen aus:
a) Die Beanstandung der Beklagten war grundsätzlich formell ordnungsgemäß. Grundlage für den vorliegenden Abrechnungsstreit ist zunächst § 9 AV-Bayern, wonach die Krankenkasse das Recht hat die Abrechnung der Klägerin zu prüfen. Dementsprechend beanstandete die Beklagte mit Schreiben vom 10.04.2013 die Abrechnung der Klägerin vom Mai 2012 in Höhe von 1.070,70 EUR und übersandte als Anlage Imageausdrucke zu den Taxberichtigungen. Gegen die Beanstandung kann die Apotheke innerhalb einer Frist von vier Monaten (§ 9 Abs. 4 AV-Bayern) Einspruch einlegen. Die Frist begann mithin am 11.04.2013 und endete gem. § 9 Abs. 4 AV-Bayern am 10.08.2013. Der Einspruch vom 20.07.20213 war daher fristgemäß.
Die Beklagte hat auch fristgemäß über den Einspruch entschieden. Gem. § 9 Abs. 5 AV-Bayern hat die Prüfung des Einspruchs innerhalb einer Frist von 4 Monaten nach Zugang des Einspruchs zu erfolgen. Der Einspruch ist am 20.07.2013 zugegangen, so dass die Frist für die Prüfung des Einspruchs am 21.07.2013 begann und am 20.11.2013 endete. Die Beklagte hat über den Einspruch am 21.10.2013 entschieden, so dass die Frist gewahrt ist.
Auch die Klagefrist war eingehalten. Gem. § 9 Abs. 6 AV-Bayern muss der Apotheker gegen die Entscheidung über den Einspruch innerhalb von 12 Monaten Klage erheben. Die Klageerhebung erfolgte am 11.09.2014 und war daher fristgemäß.
b) Die Beteiligten sind an die Regelungen in der Hilfstaxe gebunden. Dieser stellt eine Ergänzungsvereinbarung zu dem zwischen dem GKV-S. und dem D.A. geltenden Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitung vom 01.10.2009 dar, unter dessen in § 4 geregelten Geltungsbereich die Beteiligten fallen.
Die Hilfstaxe verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Ein grundsätzlicher Verstoß gegen höherrangiges Recht ist für die Kammer nicht erkennbar und von der Beklagten nicht überzeugend dargelegt worden. Die Hilfstaxe ist daher der Prüfung zugrundezulegen.
c) Bei der Hilfstaxe handelt es sich um reines Preisrecht. Die Hilfstaxe regelt mithin nur die Maßstäbe zur Ermittlung der Höhe der Arzneimittelvergütung und die Einzelheiten der Abrechnung. Dies bestätigt aus Sicht der Kammer die Regelung in § 1 „Gegenstand des Vertrags“, wonach in der Hilfstaxe die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen geregelt ist. Die Vertragspartner der Hilfstaxe haben Vereinbarungen bezüglich der Abrechnung gemacht und damit den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz konkretisiert. Ausweislich der Stellungnahme des GKV-S. vom 17.11.2016 auf Seite 2 6 enthält die Hilfstaxe ausschließlich Abrechnungsregelungen und keine Herstellungsregelungen.
Die Regelungen in der Hilfstaxe zu der Abrechnung von unvermeidbaren Verwürfen wirken nur auf der preisrechtlichen Ebene. Sie billigen der Klägerin einen Vergütungsanspruch zu, wenn ein Verwurf nach den Regelungen in der Hilfstaxe unvermeidbar war. Sie befreien die herstellenden Apotheken jedoch nicht von einer eigenen – hiervon zu unterscheidenden – pharmazeutischen Prüfung der Haltbarkeit eines Arzneimittels. Ist die Klägerin aufgrund ihrer pharmazeutischen Kompetenz überzeugt, dass eine Zubereitung entgegen der Regelung in der Hilfstaxe nicht mehr haltbar ist, so darf sie dieses nicht in den Verkehr bringen und darf diese nicht unter Berufung auf reine Abrechnungsregeln an Patienten ausliefern. Andersherum gilt dies ebenso: Ist die Klägerin aufgrund ihrer pharmazeutischen Kompetenz überzeugt, dass eine Zubereitung über die Zeitspanne in der Hilfstaxe (die unter Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.8c) zum Beispiel pauschal eine Frist von 24h vorsieht) hinaus noch haltbar und verwendbar ist, so darf sie dieses in den Verkehr bringen. Die Hilfstaxe befreit nicht von der pharmazeutischen Prüfung, sondern schafft lediglich Regelungen für die Abrechnung.
d) Nach Auffassung der Kammer ist im Rahmen der Abrechnungsprüfung ausschließlich auf die in der Hilfstaxe in Anlage 3 Teil 1 Ziffer 3.7 und 3.8 definierten Haltbarkeitszeiten und auf die Angaben in den Fachinformationen abzustellen. Andere wissenschaftliche Erkenntnisquellen, wie Stabilitätsdatenblätter, Stabil-Liste(c) etc. sind nach Auffassung der Kammer im Rahmen der Abrechnungsprüfung nicht heranzuziehen, denn es handelt sich dabei nicht um eine materiell-rechtliche pharmazeutische Haltbarkeits-Prüfung.
Im Einzelnen:
aa) Aus der besonderen Stellung der Fachinformation gem. § 11a Arzneimittelgesetz (AMG) ergibt sich, dass deren Vorgaben zur Haltbarkeit auch im Rahmen einer Abrechnungsprüfung nach der Hilfstaxe heranzuziehen sind. Ein unvermeidbarer Verwurf liegt daher (auch) bei Überschreitung der in der Fachinformation angegeben Haltbarkeiten vor. Die Hilfstaxe sieht explizit vor, dass ein Verwurf auch dann unvermeidbar ist, wenn der Anbruch aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden darf. Dies ist nach Auffassung der Kammer bei Überschreitung der in der Fachinformation angegeben Haltbarkeit der Fall. Ist die Haltbarkeitsangabe in der Fachinformation eines konkret verwendeten Arzneimittels überschritten, so kann die angefallene Restmenge als unvermeidbarer Verwurf abgerechnet werden, auch wenn die Hilfstaxe eine andere – abweichende – Angabe zur Haltbarkeit des Wirkstoffs enthält.
Die Besonderheit der Fachinformation nach § 11a AMG liegt darin, dass diese als einzige rechtlich verbindliche Regelungen zu dem konkret verwendeten Arzneimittel enthält, die unmittelbar die Zulassung betreffen. Dies bestätigt auch der GKV-S. in seiner Stellungnahme vom 17.11.2016, wonach die Fachinformationen als Bestandteil der Arzneimittelzulassung aus Sicht der Vertragspartner eine rechtsverbindliche Grundlage zur Bewertung der Haltbarkeit darstellten.
Pharmazeutische Unternehmen sind laut § 11a AMG verpflichtet, für in Deutschland oder in Europa zugelassene Arzneimittel eine Fachinformation bzw. eine europaweit gültige Fachinformation (Summary of Product Characteristics, kurz SPC genannt) zur Verfügung zu stellen. Nach § 11a Abs. 1 AMG ist der pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt, anderen Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, für Fertigarzneimittel, die der Zulassungspflicht unterliegen oder von der Zulassung freigestellt sind, Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG und für den Verkehr außerhalb der Apotheken nicht freigegeben sind, auf Anforderung eine Gebrauchsinformation für Fachkreise (Fachinformation) zur Verfügung zu stellen. Diese muss die Überschrift „Fachinformation“ tragen und in Übereinstimmung mit der im Rahmen der Zulassung genehmigten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Angaben zu Dauer der Haltbarkeit und, soweit erforderlich, die Haltbarkeit bei Herstellung einer gebrauchsfertigen Zubereitung des Arzneimittels oder bei erstmaliger Öffnung des Behältnisses (vgl. § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6c AMG) enthalten. Denn pharmakologisch-therapeutische Wirkungsweisen eines Wirkstoffs sind Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassungsprüfung (§ 25 Abs. 2 Nr. 1 bis 5a AMG) und dementsprechend Inhalt der Fachinformation (BSG, Urteil vom 01. März 2011 – B 1 KR 10/10 R -, BSGE 107, 287-315, SozR 4-2500 § 35 Nr. 4, Rn. 43). Die in der Fachinformation enthaltenen Angaben geben in der Regel den im Zeitpunkt der behördlichen Zulassungsentscheidung maßgeblichen Stand der Wissenschaft wieder und können daher indizielle Bedeutung für den Nachweis der hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung erlangen (BGH, Urteil vom 06. Februar 2013 – I ZR 62/11 -, Rn. 35, juris). Denn die Fachinformation ist – wie auch die weiteren, im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren gem. §§ 22 bis 24 AMG einzureichenden Unterlagen – Gegenstand der Prüfung durch die Zulassungsbehörde (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2014 – 3 U 133/12 -, Rn. 37, juris). Gemäß § 22 Abs. 7 AMG ist dem Antrag des pharmazeutischen Herstellers auf Zulassung des Arzneimittels für die Zulassungsunterlagen des Arzneimittels die Zusammenfassung der Produktmerkmale, die Fachinformation einschließt, beizufügen. Folge hiervon ist, dass diese Fachinformation Gegenstand der Zulassung wird und eine Verwendung außerhalb der vom Hersteller angegebenen Haltbarkeit von der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht mehr abgedeckt wäre (vgl. dazu LSG Saarland, L 2 KR 82/15, Urteil vom 22.03.2017).
Zu beachten ist insoweit jedoch, dass nur konkrete Angaben in den Fachinformationen zu der Haltbarkeit von Anbrüchen zugrundezulegen sind. Derartige Informationen finden sich jedoch in den allermeisten Fachinformationen nicht. Die Angaben in den Fachinformationen beziehen sich im Regelfall nur auf die Haltbarkeit der gebrauchsfertigen Zubereitung und nicht auf den Anbruch. Diese können nicht auf die Haltbarkeit des Anbruchs übertragen werden. Nach den Erläuterungen der Beklagten ergibt sich diese Konsequenz daraus, dass sich die chemisch-physikalische Stabilität der gebrauchsfertigen Infusionslösung und diejenige der Stammlösung unterscheiden. Die Angaben zur physikalischen-chemischen Stabilität der gebrauchsfertigen Infusionslösung können daher nicht auf diejenige der Stammlösung wissenschaftlich extrapoliert werden.
Zusammenfassend ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Liegt eine konkrete Angabe zur Haltbarkeit des Anbruchs eines Arzneimittels in der Fachinformation vor und ist die Angabe in der Fachinformation des konkret verwendeten Arzneimittels kürzer als die Vorgabe in der Hilfstaxe zu dem Wirkstoff, so ist der Verwurf bereits bei Überschreiten der Zeitspanne in der Fachinformation unvermeidbar. In diesen Fällen liegt bereits aus rechtlichen Gründen ein abrechnungsfähiger Verwurf vor. Ist die Angabe zur Haltbarkeit in der Fachinformation jedoch länger als die Angabe in der Hilfstaxe, so stellt sich die Frage, ob bereits bei Überschreiten der Haltbarkeitsgrenze für den Wirkstoff, der sich aus der Hilfstaxe ergibt, ein unvermeidbarer Verwurf vorliegt oder erst dann, wenn auch die Haltbarkeitsgrenze der Fachinformation überschritten ist. Dies kann die Kammer jedoch offen lassen, denn diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. In keinem der streitgegenständlichen Abrechnungsfällen sind konkrete Angaben zur Haltbarkeit des Anbruchs in der Fachinformation enthalten (vgl. dazu unten unter 6.).
bb) Andere wissenschaftliche Erkenntnisse über die Haltbarkeit eines Anbruchs wie Stabil-Liste(c), Stabilitätsdatenblätter etc. sind im Rahmen der Abrechnungsprüfung nicht heranzuziehen.
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass es sich bei Hilfstaxe um reines Preisrecht handelt und zum anderen aus Praktikabilitätserwägungen im Rahmen des Massengeschäfts der Abrechnungsprüfung.
Die Hilfstaxe stellt reines Preisrecht dar. Die vertragsschließenden Verbände haben sich als Vertreter ihrer Mitglieder auf die Regelungen in der Hilfstaxe geeinigt und konkrete Daten zu Haltbarkeiten bestimmter Wirkstoffe festgelegt. Dies dient der Praktikabilität und Rechtssicherheit. Es bedarf einer einheitlichen Auslegung hinsichtlich einer wirtschaftlichen Herstellung und Abrechnung parenteraler Zubereitungen, insbesondere bei der Abrechnung von Verwürfen. Um ein höchstmögliches Maß an Abrechnungssicherheit und Transparenz für den herstellenden Apotheker und die Krankenkasse zu gewährleisten sowie etwaige Taxbeanstandungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, haben die Vertragsparteien für die Abrechnung konkrete Angaben zur Haltbarkeit von Wirkstoffen festgelegt. Die Regelungen in der Hilfstaxe (insbesondere die Auffangregelung unter Anlage 3 Teil 1 3.8c) zu den 24 h) stellen jedoch kein Einfallstor für weitere pharmazeutische Prüfungen der Haltbarkeit von Wirkstoffen dar. Diese haben die Vertragspartner der Hilfstaxe quasi vorweggenommen, einvernehmlich für alle Beteiligten geregelt und damit den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz konkretisiert. Liegen die Voraussetzungen für einen unvermeidbaren Verwurf nach der Hilfstaxe vor, so kann der betreffende Apotheker daher diesen Verwurf abrechnen.
Die Regelung in der Hilfstaxe hat jedoch einzig und allein die Rechtsfolge, dass der Verwurf abgerechnet werden kann. Sie beinhaltet keine Aussagen zur tatsächlichen Haltbarkeit, sondern stellt vielmehr den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, den die vertragsschließenden Parteien für die Abrechnung finden konnten. Sollten dem Apotheker/der Apothekerin Erkenntnisse aus eigenen Untersuchungen oder Ergebnisse anderer Untersuchungen zur Haltbarkeit von Ansprüchen vorliegen, die aufgrund vergleichbarer Bedingungen der Lagerung und Herstellung auf seine Apotheke übertragbar sind, ist es ihm/ihr unbenommen nach entsprechender fachlicher Beurteilung unter eigener Verantwortung die Anbrüche auch über die in der Hilfstaxe geregelten Zeitspannen hinaus zur Herstellung der Zubereitungen einzusetzen und nicht als Verwurf abzurechnen (vgl. dazu auch Stellungnahme des GKV-S. vom 17.11.2016 auf S. 4). Diese Möglichkeit stellt aber für die Frage der Abrechnung keine Verpflichtung dar im Sinne eines zwingend vorgegebenen wirtschaftlichen Alternativverhaltens, sondern nur eine Option, die der Apotheker/die Apothekerin nutzen kann oder auch nicht. Noch einmal zusammengefasst: Die Hilfstaxe gibt dem Apotheker lediglich die Möglichkeit einen Verwurf abzurechnen. Ob er diese Abrechnungs-Option nutzt oder einen aus seiner pharmazeutischen Sicht noch ohne weiteres haltbaren und verwendbaren Wirkstoff auch im Sinne des schonenden Umgangs mit Ressourcen sowie aus Gründen der Kostenersparnis verwendet, steht in dem Ermessen des Apothekers/der Apothekerin.
Diese Interpretation der Hilfstaxe stellt aus Sicht des Gerichts den einzig praktikablen Weg für die Abrechnungsprüfung im Rahmen eines Massengeschäfts dar. Stellte man für die Abrechnung auch auf andere Erkenntnisquellen als die Fachinformationen und die Hilfstaxe ab, so hätte dies eine nicht hinzunehmende Rechtsunsicherheit bei den herstellenden Apotheken zur Folge. Abrechnungsregeln müssen klar, präzise und einfach handhabbar sein, um eine ordnungsgemäße Umsetzung in der Praxis zu gewährleisten. Die Angaben zur Haltbarkeit in der Hilfstaxe, in den Fachinformationen, in den Stabilitätsdatenblättern und den wissenschaftlichen Erkenntnisquellen (Stabil-Liste(c) etc.) weichen zum Teil erheblich voneinander ab. Wollte man diese Quellen parallel im Rahmen der Abrechnungsprüfung heranziehen, so stellte sich als erstes die Frage, auf welche Erkenntnisquelle außerhalb von Hilfstaxe und Fachinformation vorrangig abzustellen ist. Es ist für den Abrechnungsalltag nach Auffassung der Kammer zwingend erforderlich, dass diese Frage verbindlich geklärt ist, denn es erscheint praktisch unmöglich für jede einzelne Verordnung einen pharmazeutischen-wissenschaftlichen Diskurs zu führen, welche Angabe zur Haltbarkeit „richtig“ ist. Dies ist nicht praktikabel und widerspricht in erheblichem Maß den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.
Eine derartige Interpretation der Hilfstaxe widerspricht auch der Intention der vertragsschließenden Parteien, denn diese hatten gerade zum Ziel einheitliche, rechtsverbindliche Abrechnungsregelungen zu schaffen. Dies entnimmt das Gericht den Äußerungen des GKV-S. und des DAV, die betonen, dass nur die Fachinformationen Berücksichtigung bei der Erstellung der Hilfstaxe gefunden haben und eine wissenschaftliche Diskussion im Rahmen der Abrechnungspraxis vermieden werden soll. Im Übrigen hätte es den Vertragspartnern freigestanden, sich auf eine wissenschaftliche Erkenntnisquelle zu einigen und die Haltbarkeit der Arzneimittel allein auf Basis dieser Grundlage zu prüfen. Von dieser Möglichkeit haben die Vertragspartner aber keinen Gebrauch gemacht.
cc) Die Regelungen in der Hilfstaxe implizieren und konkretisieren die Wirtschaftlichkeit. Die Beklagte kann daher mit ihren Einwendungen zur Wirtschaftlichkeit (zum Beispiel durch Hinweis auf andere länger haltbare Arzneimittel) nicht durchdringen. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung dahingehend, ob die Versorgung mit einem anderen Arzneimittel kostengünstiger ist, ist nicht durchzuführen.
Die Hilfstaxe ist ein zwischen den beiden Spitzenverbänden ausgehandelter Vertrag, der konkrete Vorgaben für die Abrechnung macht. Der Vertrag will gerade durch Festlegung verbindlicher Abrechnungsnormen weiteren Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Einzelfall vorbeugen, um für einen Massenmarkt praktikable Lösungen aufzuzeigen. So stellt der GKV-S. in seiner Stellungnahme vom 17.11.2016 auf S. 2 oben klar, dass es einer einheitlichen Auslegung hinsichtlich einer wirtschaftlichen Herstellung und Abrechnung parenteraler Zubereitungen, insbesondere bei der Abrechnung von Verwürfen, bedürfe, um ein höchstmögliches Maß an Abrechnungssicherheit und Transparenz für den herstellenden Apotheker/Apothekerin und die Krankenkasse zu gewährleisten sowie etwaige Taxbeanstandungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Aus diesem Grund seien in der Anlage 3 der Hilfstaxe unter anderem auch die Zeitspannen festgelegt, in denen für die dort genannten Wirkstoffe ein unvermeidbarer Verwurf höchstens einmal abgerechnet werden darf. An diesen wirkstofforientierten Vorgaben muss sich die Prüfung orientieren, ein Verweis auf ein anderes Arzneimittel mit demselben Wirkstoff ist nicht zulässig.
Darüber hinaus ist die Frage der Haltbarkeit eines Arzneimittels kein geeigneter Anhaltspunkt für die Bestimmung der Wirtschaftlichkeit. Die Beklagte kann daher nicht fordern, dass die Apotheke sich an der Haltbarkeit des jeweils konkret verwendeten Arzneimittels orientieren muss und im Rahmen jeder einzelnen Verordnung prüfen muss, ob es andere Präparate gibt, die längere Haltbarkeiten vorsehen. So trägt die Beklagte selbst vor, dass es zum Teil bis zu 60 andere Präparate mit demselben Wirkstoff gibt. Diese müssten alle verglichen werden und nach Auffassung der Beklagten anhand der Stabil-Liste(c) und anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse geprüft werden, welches Präparat die längste Haltbarkeit aufweist. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch andere Parameter (wie beispielsweise Packungsgrößen, Verfügbarkeit am Markt etc.) Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben. Alle diese Parameter müssten herangezogen und gegeneinander abgewogen werden. Dies erscheint der Kammer praktisch unmöglich.
Die Beklagte würde darüber hinaus mit dieser Forderung erheblich in den originären Verantwortungsbereich der Apotheke eingreifen. Denn die Wahl des konkret verwendeten Arzneimittels obliegt dem Apotheker/der Apothekerin und kann nicht allein durch Haltbarkeit bestimmt werden.
6. Auf den konkreten Fall übertragen, hat die Beklagte unter Zugrundelegung dieser Grundsätze keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin, mit dem sie hat aufrechnen können. Zu den einzelnen streitigen Verordnungen:
a) Die Verordnung Nr. 1) betrifft den Patienten H.W.. Dieser erhielt den Wirkstoff I., bzw. das Arzneimittel I.(r). Die Hilfstaxe sieht hier in Anlage 3 Teil 1 3a) Anhang 2 eine Frist von 48 h vor. Die Zubereitung von I. erfolgte am 29.05.2021, die nächste Zubereitung am 06.06.2012. Dieser Zeitraum ist länger als die in der Hilfstaxe festgelegten 48 h. Es bestehen keine Anhaltspunkte dahingehend, dass die Klägerin den Anbruch innerhalb der von der Hilfstaxe angegebenen Zeitspannen hätte weiterverwenden können. Insoweit trägt auch die Beklagte nichts vor. Mit ihrem Verweis auf ein anderes Arzneimittel (hier R.(r) mit einer Haltbarkeit des Anbruchs von 28 Tagen laut Stabilitätsdatenblatt), kann die Beklagte nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d cc).
Die Beklagte durfte nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 15,05 EUR aufrechnen.
b) Auch die Verordnungen 2) und 3) betreffen die Herstellung der Zytostatika für Herrn H.W., hier den Wirkstoff Be. bzw. das Arzneimittel A.(r). Be. fällt unter die 24h-Rgelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte jeweils unstreitig erst nach 24 h. Für Be. (Arzneimittel A.(r)) ist in der Fachinformation eine chemische und physikalische Stabilität nur für die gebrauchsfertige Zubereitung belegt. Diese ist nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d aa). Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass nach den Angaben in der Stabil-Liste(c) für A.(r) eine Haltbarkeit von 28 Tagen nachgewiesen sei. Mit diesem Einwand kann die Beklagte jedoch nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d bb).
Die Beklagte durfte daher nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 69,02 EUR und 83,30 EUR aufrechnen.
c) Die Verordnungen Nr. 4) – 6) betreffen den Wirkstoff E. bzw. das Arzneimittel H.(r) für Frau N.B.. E. fällt unter die 24h-Rgelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte jeweils unstreitig erst nach 24 h. Für E. (Arzneimittel H.(r)) ist in der Fachinformation keine Angabe zur Haltbarkeit des Anbruchs zu finden, sondern nur für die gebrauchsfertige Zubereitung. Diese ist nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d aa). Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass nach den Angaben in der Stabil-Liste(c) für H.(r) eine Haltbarkeit von 28 Tagen nachgewiesen sei. Mit diesem Einwand kann die Beklagte jedoch nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d bb).
Die Beklagte durfte nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 377,67 EUR aufrechnen.
d) Die Verordnung Nr. 7) betrifft den Wirkstoff C. bzw. das Arzneimittel R.L(r) für Frau E.S.. C. fällt unter die 24h-Regelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte unstreitig erst nach 24 h. Für das Arzneimittel R.L(r) ist in der Fachinformation keine Angabe zur Haltbarkeit des Anbruchs zu finden, sondern nur für die gebrauchsfertige Zubereitung. Diese ist nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d aa). Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass nach den Angaben in der Stabil-Liste(c) für R.L(r) eine Haltbarkeit von 28 Tagen nachgewiesen sei. Mit diesem Einwand kann die Beklagte jedoch nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d bb).
Die Beklagte durfte nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 3,86 EUR aufrechnen.
e) Die Verordnungen Nr. 8) – 11) betreffen den Wirkstoff C. bzw. das Arzneimittel Er.(r) für Herrn G.S. und Herrn J.K.. C. fällt unter die 24h-Rgelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte unstreitig erst nach 24 h. Die Fachinformationen enthalten keine Regelungen zur Stabilität des Anbruchs. Für C. (Arzneimittel Er.(r)) ist lediglich eine chemische und physikalische Stabilität der angebR.nen Er.(r) 5 mg/ml Infusionslösung über 48 Stunden belegt. Diese ist nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d aa). Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass nach den Angaben in der Stabil-Liste(c) für Er.(r) eine Haltbarkeit von 28 Tagen nachgewiesen sei. Mit diesem Einwand kann die Beklagte jedoch nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d bb).
Die Beklagte durfte nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 212,33 EUR aufrechnen.
f) Die Verordnung Nr. 12) betrifft den Wirkstoff D. bzw. das Arzneimittel Ad.(r) für Herrn P.H.. D. fällt unter die 24h-Rgelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte unstreitig erst nach 24 h. Die Fachinformation enthält keine Regelungen zur Stabilität des Anbruchs. Für Ad.(r) ist nach der Fachinformation lediglich die chemische und physikalische Inuse-Stabilität der gebrauchsfertigen Infusionslösung bei 2-8°C oder Raumtemperatur (20°C bis 25°C) für bis zu 7 Tage nachgewiesen. Diese ist nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d aa). Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass nach den Angaben in der Stabil-Liste(c) für Ad.(r) eine Haltbarkeit von 28 Tagen nachgewiesen sei. Mit diesem Einwand kann die Beklagte jedoch nicht durchdringen (vgl. oben unter 5 d bb).
Die Beklagte durfte nicht mit unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin in Höhe von 8,75 EUR aufrechnen.
g) Die Verordnung Nr. 13) betrifft den Wirkstoff Ox. bzw. das Arzneimittel R.(r) für Herrn G.H.. Ox. fällt unter die 24h-Regelung in der Hilfstaxe laut Anlage 3 Teil 1 Nr. 3.8c). Die nächste Herstellung erfolgte unstreitig erst nach 24 h. Für das Arzneimittel R.(r) finden sich keine Angaben zur Haltbarkeit des Anbruchs in der Fachinformation. Die Beklagte beruft sich darauf, dass nach den Angaben in den Stabilitätsdatenblättern eine Haltbarkeit von 28 Tagen bestehe. Zwar wäre der Verwurf vermeidbar gewesen, legte man eine Haltbarkeit von 28 Tagen zugrunde. Nach Auffassung der Kammer sind jedoch andere wissenschaftliche Erkenntnisse als die Fachinformationen bei der Prüfung der Abrechnung nicht heranzuziehen (vgl. oben unter 5 d bb).
Bei der Herstellung des Zytostatikum Ox. für G.H. ist ein unvermeidbarer Verwurf angefallen, der mit 58,52 EUR zu vergüten ist.
Die Retaxierungen der Beklagten erfolgten daher alle zu Unrecht. Der Klage war stattzugeben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung weiterer 828,50 EUR gegenüber der Beklagten.
7. Schließlich kann die Klägerin in entsprechender Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Prozesszinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, vgl. hierzu grundlegend: BSG, Urteil vom 02.11.2010 – B 1 KR 11/10 R; Urteil vom 25.11.2010 – B 3 KR 6/10 R) ab Rechtshängigkeit (hier: § 94 SGG) beanspruchen.
8. Die Sprungrevision gem. § 161 SGG war zuzulassen, da die Klägerin dem zugestimmt hat und die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat, höchstgerichtlich noch nicht geklärt ist und ihre Beantwortung sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsfähig, also entscheidungserheblich sein (vgl. dazu etwa BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 26 S. 43 f; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 7). Dies ist nach Auffassung der Kammer der Fall.
9. Die Kostenentscheidung resultiert aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und § 155 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nach § 154 VwGO hat der Unterliegende die Kosten zu tragen sowie nach § 155 Abs. 2 VwGO derjenige, der einen Rechtsbehelf zurücknimmt. Wenn die Klage nicht in vollem Umfang abgewiesen wird, werden die Kosten nach § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO verhältnismäßig verteilt. Davon abweichend können einem Beteiligten die Kosten gemäß § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag aus der mündlichen Verhandlung vollumfänglich obsiegt. Dass die Klägerin zum Teil die Klage zurückgenommen hat, betrifft nur einen geringen Teil der Forderung, so dass die Kammer von einer Kostenteilung absieht.
10. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben