IT- und Medienrecht

Ladungsfähige Anschrift des Rechtsuchenden als Prozessvoraussetzung

Aktenzeichen  L 9 AL 212/14

Datum:
2.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 125360
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 90, § 92 Abs. 1 S. 1 und 2
ZPO § 253 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht eine ladungsfähige Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird (Anschluss an BSG, Beschluss vom 18.11.2003, Az. B 1 KR 1/025. Dies gilt auch, wenn der Rechtsuchende anwaltlich vertreten ist.

Verfahrensgang

S 35 AL 923/12 2014-09-17 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. September 2014 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München (SG) ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 24.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2012 wegen Unzulässigkeit der Klage abgewiesen.
§ 92 Abs. 1 Satz 1 SGG enthält zwingende Vorschriften zum Inhalt einer Klageschrift.
Danach muss die Klageschrift den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen.
Zur Bezeichnung des Klägers gehört grundsätzlich sowohl dessen Name als auch die Anschrift, unter der er geladen werden kann. So genügt zum Beispiel die Angabe „postlagernd“ oder die Angabe eines Postfaches den gesetzlichen Anforderungen nicht. Nur in Ausnahmefällen kann die Angabe der Anschrift des Klägers entbehrlich sein, wenn besondere, dem Gericht mitzuteilende Gründe dies rechtfertigen, wie z.B. Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Klägers, etwa in Familiensachen (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG 12. Auflage, § 92 Rdnr. 1).
Entsprechendes ergibt sich aus der gemäß § 202 SGG analog heranzuziehenden zivilprozessualen Regelung des § 253 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach die Klageschrift u.a. die Parteien bezeichnen muss.
Hierzu gehört auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der Parteien, sofern kein besonderes schützenswertes Interesse entgegensteht (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 253, Rdnr. 8 m.w.N; sowie Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 75. Auflage, § 253, Rdnr. 23 m.w.N.).
Dies gilt auch bei einer Vertretung des Klägers durch einen Prozessbevollmächtigten. Auch in diesem Fall genügt eine Klageschrift nur dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie die ladungsfähige Anschrift des Klägers enthält. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 37. Auflage, § 253, Rdnr. 7 m.w.N.).
Entsprechendes gilt in sämtlichen Zweigen der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit. So hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 30.06.2015 (Az. X B 28/15) unter dem Leitsatz „Die Bezeichnung des Klägers in der Klage verlangt die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift“ wörtlich ausgeführt:
“Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gehört zur Bezeichnung des Klägers vorbehaltlich besonderer Umstände, die dies unzumutbar erscheinen lassen (etwa drohende Verhaftung), die Angabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger Anschrift, und zwar auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1997 VII R 33/96, BFH/NV 1997, 585; vom 11. Dezember 2001 VI R 19/01, BFH/NV 2002, 651; vom 17. Juni 2010 III R 53/07, BFH/NV 2011, 264; BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 2007 VII S 17/07 (PKH), BFH/NV 2008, 589, und vom 20. Dezember 2012 I B 38/12, BFH/NV 2013, 746).
Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 82 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- (Urteil vom 13. April 1999 1 C 24/97, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1999, 2608, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2000, 382; Beschlüsse vom 1. September 2005 1 B 79/05, 1 B 79/05 (1 PKH 22/05), Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 22, und vom 14. Februar 2012 9 B 79/11, 9 PKH 7/11, 9 VR 1/12, 9 PKH 1/12, NJW 2012, 1527), der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 92 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- (Beschluss vom 18. November 2003 B 1 KR 1/02 S, SozR 4-1500 § 90 Nr. 1) und auch der Rechtsprechung des BGH zu § 253 der Zivilprozessordnung -ZPO- (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1987 IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, MDR 1988, 393, NJW 1988, 2114, sowie das von dem Kläger selbst zitierte Urteil in MDR 2004, 1014).”
In seinem vom BFH zitierten Beschluss vom 18.11.2003 (Az. B 1 KR 1/02 S) hat das Bundessozialgericht (BSG) wörtlich ausgeführt:
„Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, usw.) genannt wird. Dies entspricht überwiegend der in Rechtsprechung und Literatur zu den Parallelvorschriften anderer Prozessordnungen vertretenen Auffassung (in diesem Sinne: BVerfG – Kammer – NJW 1996, 1272; BGHZ 102, 332 und 145, 358, 363 f sämtlich zum Zivilprozessrecht; BVerwG NJW 1999, 2608, 2609 mwN; OVG Münster NVwZ-RR 1997, 390 und NVwZ-RR 1994, 124; VGH Kassel NJW 1990, 138 – sämtlich zu § 82 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung; aus der Literatur zB: Geiger in Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Aufl 2000, § 82 RdNr. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl 2003, § 82 RdNr. 4 mwN; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl 2000, § 82 RdNr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl 2003, § 253 RdNr. 23; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl 2003, § 253 RdNr. 7; Decker, VerwArch 86, 266, 273 ff; Gusy, JuS 1992, 28, 33; aA VGH Baden-Württemberg VBlBW 1996, 373; BayVGH BayVBl 1992, 594; VGH Kassel NJW 1990, 140). Dies wird – soweit in den Kommentierungen angesprochen – auch für den Geltungsbereich des SGG angenommen (so: Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 90 RdNr. 4 und § 92 RdNr. 3; Eschner in: Jansen, SGG, 2003, § 92 RdNr. 8; Bley in: SGB-SozVers-GesKomm, § 92 SGG Anm. 4, Stand August 1992) und steht im Einklang damit, dass eine formlos und ohne Unterschrift erhobene Klage nur dann wirksam erhoben ist, wenn die Person des Klägers feststeht und nichts dafür spricht, dass das Schriftstück ohne seinen Willen an das Gericht gelangt ist (Bley, aaO, § 90 Anm. 4a mwN; vgl auch Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl, § 92 Anm. 2, S II/33). Dem schließt sich der Senat an.“
Das BSG führt in seiner Entscheidung weiter aus, dass auch im allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formenstrenge gekennzeichneten sozialgerichtlichen Verfahren der Rechtsuchende verpflichtet sei, eine ladungsfähige Anschrift zu nennen. Im sozialgerichtlichen Verfahren gelte diese Anforderung bereits deshalb, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 SGG feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen gesetzlichen Richters zu gewährleisten. Da im Sozialgerichtsverfahren die örtliche Zuständigkeit gemäß § 59 SGG nicht disponibel sei, sei das Anschrifterfordernis unumgänglich.
Auch die Möglichkeit, einem uneinsichtigen Rechtsuchenden nach § 192 SGG die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstanden Kosten ganz oder teilweise aufzuerlegen, gebiete es, dem Gericht eine ladungsfähige Anschrift zu nennen, da sich der Betroffene ansonsten durch bloßes Verschweigen seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn treffenden Kostenlast entziehen könnte.
Der Senat schließt sich der dargelegten Rechtsauffassung des BSG ausdrücklich an und stellt fest, dass der Kläger bei Erhebung der Klage beim Sozialgericht München am 13.11.2012 keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat, da er unter der in der Klageschrift angegebenen Adresse nicht erreichbar war.
Vielmehr hatte der Kläger bereits zuvor seine bisherige Wohnung in A-Stadt aufgegeben und sich bei der Meldebehörde der Stadt A. am 22.10.2012 ohne Angabe einer Anschrift nach Griechenland abgemeldet.
Nach Auskunft der E. war der Kläger (in Deutschland) zuletzt am 28.02.2012 versicherungspflichtig beschäftigt.
Auch der Wohnungsgeber F., unter dem der Kläger nach Angabe seines Bevollmächtigten angeblich erreichbar wäre, hat dem Senat unterschriftlich bestätigt, dass der Kläger seit 22.10.2012 „nicht mehr in Deutschland lebt“.
Es lag damit zum Zeitpunkt der Klageerhebung beim SG München am 13.11.2012 weder ein Wohnsitz noch ein Aufenthaltsort noch ein Beschäftigungsverhältnis des Klägers in Deutschland vor (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Ausnahmetatbestände, die ein besonderes Interesse des Klägers an der Verdeckung seiner ladungsfähigen Anschrift begründen würden, sind nicht erkennbar.
Der Kläger hat auch im weiteren sozialgerichtlichen Verfahren keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt. Vielmehr hat er sich offensichtlich während des gesamten sozialgerichtlichen Verfahrens in Griechenland aufgehalten.
Da der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung offenkundig seinen Wohnsitz im Ausland hatte, hätte er gemäß § 57 Abs. 3 SGG beim SG Nürnberg Klage erheben müssen.
Die fehlende örtliche Zuständigkeit des angerufenen SG München führt jedoch nicht zur Begründetheit der Berufung, da insoweit eine Prüfung durch das Landessozialgericht nicht stattfindet (§ 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz – GVG).
Die Berufung des Klägers ist aus den oben genannten Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).


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