IT- und Medienrecht

Leserbrief des ersten Bürgermeisters als amtliche Äußerung

Aktenzeichen  4 CE 19.337

Datum:
24.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27487
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Äußerungen von Amtsrägern zu Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit betreffen, sind nicht ohne vorherige Differenzierung automatisch der Amtsführung zuzurechnen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Werden verwaltungsinterne Vorgänge in einem Leserbrief durch einen Amtsträger unter Angabe des Verfassers und dessen Amtsstellung dargestellt , liegt eine Stellungnahme in amtlicher Funktion vor. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Geht es in einem Leserbrief nicht ausschließlich um Tatsachenbehauptungen, sondern werden Schlussfolgerungen in Bezug auf die Korrektheit eines dienstlichen Verhaltens gezogen, handelt es sich um eine Meinungsäußerung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dem bei öffentlichen Äußerungen von Amtsträgern zu beachtenden Sachlichkeitsgebot widerspricht die Erhebnung persönlicher Vorwürfe vor vollständiger Aufklärung des Sachverhalts. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 E 17.2546 2019-01-29 VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1.
Der Rechtsstreit betrifft das Begehren des Antragstellers auf vorläufige Unterlassung von in einem Leserbrief veröffentlichten Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller war bis Oktober 2015 bei der Verwaltungsgemeinschaft B. als Leiter der auch von der Antragsgegnerin mitgenutzten Kläranlage tätig. Zum 8. Oktober 2015 wurde die Leitung an eine externe Firma vergeben; seither ist der Antragsteller im Innendienst der Verwaltungsgemeinschaft tätig.
Auf seinen Antrag hin verpflichtete das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäߧ 123 Abs. 1 VwGO mit Beschluss vom 29. Januar 2019, vorläufig und bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten,
1. auf der Kläranlage der VG B. sei es unter der Ägide des bis zu seiner „Versetzung“ in die Verwaltung amtierenden Antragstellers zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen, die den beteiligten Gemeinden und letztendlich allen Bürgern der drei Gemeinden über die Abwassergebühren viel Geld gekostet hätten, und dass diese erst durch den Wechsel in der Betriebsführung allmählich ans Licht kämen,
2. bei der Versetzung des Antragstellers in den Innendienst habe es sich um eine “Suspendierung“ gehandelt, und zwar „offiziell ab dem 1.10.2015“,
3. der Antragsteller habe einem Unternehmer die Möglichkeit gegeben, “rund um die Uhr ungehindert und unkontrolliert seine eingesammelten Fäkalien, noch dazu in eine (wegen fehlender Fäkalientrennanlage) hierfür nicht geeignete Anlage“, einzubringen, durch welchen sich womöglich Vorteile für die Beteiligten ergeben hätten, und
4. der Antragsteller habe keine ordnungsgemäßen Auftragsvergaben zur Klärschlammentsorgung durchgeführt.
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, der der Antragsteller entgegentritt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
O 1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin, die der Senat nur anhand der dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die einstweilige Anordnung zu Recht erlassen.
a) Die in der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung, wonach der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin den Leserbrief nicht in seiner (ehren-)amtlichen Funktion als Kommunalorgan verfasst habe, teilt der Senat nicht. Ob Äußerungen einer Amtsperson in einem funktionalen Zusammenhang mit seinem Amt stehen, also dienstlich veranlasst sind, oder als rein persönliche Meinungsäußerung seiner Privatsphäre zuzuordnen sind, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2009 – 4 C 09.2144 – juris Rn. 11). Da auch einem Amtsträger – als Privatperson – das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zusteht, sind auch Äußerungen zu Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit betreffen, nicht ohne vorherige Differenzierung automatisch der Amtsführung zuzurechnen (vgl. BayVerfGH, E.v. 19.1.1994 – Vf. 89-111-92 – juris Rn. 107). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, handelt es sich bei dem Leserbrief nicht um eine Äußerung im politischen Meinungskampf, die den bloßen Hinweis auf die Amtsstellung des Verfassers enthält, sondern um eine öffentliche „Kritik“ des Bürgermeisters am Verhalten und der Tätigkeit des Antragstellers in dessen Eigenschaft als ehemaliger Klärwerksleiter. Da es insoweit nicht um eine (partei-)politische Auseinandersetzung innerhalb der Gemeinde, sondern um eine öffentliche Darstellung verwaltungsinterner Vorgänge geht, weist die Angabe des Verfassers des Leserbriefs nicht nur mit dessen Namen, sondern mit dem Zusatz „Bürgermeister“ und der Angabe der Antragsgegnerin darauf hin, dass eine Stellungnahme in amtlicher Funktion vorliegt. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin macht in dieser Äußerung ersichtlich die Interessen der Gemeinde und ihrer Bürger, nicht dagegen nur seine private Meinung als Bürger und Gebührenzahler der Gemeinde oder als Angehöriger einer politischen Gruppierung geltend. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass auch die Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2018 dafür spricht, dass ihr Bürgermeister sich bei dem Leserbrief als Amtsperson für die Gemeinde und im Interesse ihrer Bürger geäußert hat. Schließlich war der Leserbrief als Reaktion darauf zu verstehen, dass der Sohn des Antragstellers in einem vorherigen Leserbrief Amtspersonen auch der Antragsgegnerin für die Verhältnisse bei der Kläranlage verantwortlich gemacht hatte.
b) Die Antragsgegnerin trägt in der Zulassungsbegründung weiter vor, ihr erster Bürgermeister habe in dem Leserbrief nur Fragen gestellt im Hinblick auf die Betriebsführung, die unzweifelhaft Defizite aufgewiesen habe. Diese Fragestellungen seien Schlussfolgerungen aus den vorher behaupteten Tatsachen und nicht ausschließlich auf die Tätigkeit des Antragstellers bezogen gewesen; sie hätten in die zentrale Aussage des Leserbriefs eingemündet, dass ein erheblicher Aufklärungsbedarf bestehe, den der Leserbriefschreiber allerdings noch nicht erkennen könne. Mit der vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung der „Schlussfolgerungen“ – bestehend aus Fragen – könne insoweit der Meinungscharakter der Äußerungen nur schwerlich begründet werden. Das Verwaltungsgericht hätte sich mit den Fakten bezüglich des Betriebs der Kläranlage auseinandersetzen müssen. Dabei hätte auch das Gutachten aus dem Jahr 2018, das die Äußerungen des Leserbriefschreibers auf der Tatsachenebene geradezu bestätige, Berücksichtigung finden müssen. Insgesamt handele es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um nachprüfbare Tatsachenbehauptungen.
Auch dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
Der streitgegenständliche Leserbrief enthält nicht lediglich Tatsachenbehauptungen. Nach der Rechtsprechung des Senats, die auch das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat, unterscheiden sich Tatsachenbehauptungen von Werturteile dadurch, dass für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94 – BVerfGE 90, 241 = juris Rn. 27 ff.). Für die Einstufung als Tatsachenbehauptung kommt es darauf an, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH, U.v. 16.11.2004 – VI ZR 298.03 – NJW 2005, 279/281 = juris Rn. 23). Die beanstandete Äußerung ist dabei in dem Gesamtkontext, in dem sie gefallen ist, zu beurteilen und darf nicht aus dem Zusammenhang herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, U.v. 3.2.3009 – VI ZR 36.07 – NJW 2009,1872 = juris Rn. 11). Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie als Werturteil in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Das muss auch gelten, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls wenn sich beide nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt (BVerfG, B.v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79 – NJW 1983, 1415; BGH, U.v. 29.1.2002 – VI ZR 20.01 – NJW 2002, 1192). Die Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen kann zwar schwierig sein, weil häufig erst beide gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile ist in diesem Fall aber nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo das nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes droht (vgl. BVerfG, B.v. 13.4.1994 a.a.O. Rn. 29). Auch wenn der Antragsgegnerin und ihren Amtsträgern, soweit sie sich in dieser Eigenschaft äußern, das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zukommt, gilt die genannte Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil auch für amtliche Äußerungen.
Hinsichtlich der Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen sind im Rahmen dieses Verfahrens nur die Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin im Leserbrief maßgeblich, die den Antragsteller betreffen und deren Wiederholung das Verwaltungsgericht untersagt hat. Ob im Leserbrief darüber hinaus Tatsachenbehauptungen und Fragen gestellt wurden, wie in der Zulassungsbegründung dargestellt, ist hier nicht relevant. Die insoweit maßgeblichen Passagen im Leserbrief bestehen im Kern aus Vorwürfen gegen den Antragsteller, der für alle behaupteten Missstände bezüglich der Kläranlage verbunden mit der Andeutung rechtswidrigen und strafbaren Verhaltens verantwortlich gemacht wird, wie sich insbesondere aus dem Einleitungssatz des Leserbriefs ergibt (,,unter der Ägide des… Klärwärters“). Von offenen Fragen, die der Leserbriefschreiber geklärt haben möchte, kann insoweit, also bzgl. des generellen Vorwurfs gegenüber dem Antragsteller, nicht gesprochen werden. Im Leserbrief ist von einer „Suspendierung“ des Antragstellers die Rede, die offensichtlich aufgrund seiner behaupteten Fehler erfolgt sein soll, sowie von erheblichen Unregelmäßigkeiten, die erst durch den Wechsel in der Betriebsführung ans Licht kämen. Damit wird nach dem objektiven Erklärungsgehalt (§§ 133, 157 BGB) die Aussage getroffen, dass der Antragsteller erheblich gegen dienstrechtliche oder gesetzliche Vorgaben verstoßen habe, und zudem angedeutet, dass er dies verschleiert habe. In Form einer Frage wird ferner unterstellt, dass der Antragsteller einen Unternehmer begünstigt habe, indem er ihm erlaubt habe,,,rund um die Uhr ungehindert und unkontrolliert seine eingesammelten Fäkalien einzubringen“. Der Leserbriefschreiber stellt hierbei in den Raum, dass sich dadurch für eine bestimmte Person, bei der es sich nur um den Antragsteller handeln kann, womöglich Vorteile ergeben hätten; er äußert damit den Verdacht einer möglichen Bestechlichkeit des Antragstellers.
Zwar sind einzelne der streitgegenständlichen Äußerungen für sich genommen grundsätzlich dem Beweis zugänglich und würden somit eine Einordnung als Tatsachenbehauptungen rechtfertigen. Eine solche Bewertung würde aber dem objektiven Erklärungsgehalt der Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin nicht gerecht. So geht es bei den maßgeblichen Passagen .c:les Leserbriefs im Kern nicht vorrangig um das Herausstellen bestimmter Tatsachen, sondern um die Schlussfolgerungen aus ihnen, so dass der Meinungscharakter überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 4 ZB 17.1488 – juris Rn. 16). Das gilt vor allem insoweit, als der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin den Antragsteller für alle aufgetretenen Missstände und Fehler im Betrieb der Kläranlage pauschal verantwortlich macht, um so die politischen Entscheidungsträger zu entlasten. Die Ausrichtung am konkreten Kontext führt dazu, dass die immanenten Tatsachenbehauptungen nicht herausgefiltert und selbstständig beurteilt werden dürfen.
Selbst wenn die Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin teilweise als Tatsachenbehauptungen gewertet würden, könnten sie ihm ohne weiteres untersagt werden. Denn er hat in keinem Fall den Wahrheitsbeweis angetreten. Dabei kann offen bleiben, inwieweit es tatsächlich Missstände hinsichtlich der Einleitung von Abwässern durch einen Unternehmer oder hinsichtlich des Grundwassereintritts in den Tropfkörper, wie später gutachterlich festgestellt, gab. Denn weder im staatsanwaltschaftlichen Verfahren noch in den Sachverständigengutachten wird dem Antragsteller dezidiert ein ahndungswürdiges Fehlverhalten angelastet.
c) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2006 – 4 CE 06.1217 – juris) müssen öffentliche Äußerungen von Amtsträgern einer Kommune mit Werturteilen, die Rechte eines Dritten berühren, den gemeindlichen Kompetenzrahmen wahren und dem Sachlichkeitsgebot gerecht werden. Das verlangt, dass die jeweilige Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung einer gemeindlichen Aufgabe steht, Wertungen auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern fußen und weder auf sachfremden Erwägungen beruhen noch den sachlich gebotenen Rahmen überschreiten.
Diese Voraussetzungen liegen für die streitgegenständlichen Äußerungen in dem Leserbrief nicht vor. Zwar weist die Antragsgegnerin in der Zulassungsbegründung zu Recht darauf hin, dass allein der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft keine strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Antragsteller erhebt, diesen nicht von jeder Verantwortlichkeit befreit. Jedoch liegt für die Behauptung, der Antragsteller sei für alle im Leserbrief genannten Missstände verantwortlich, keine ausreichende Tatsachengrundlage vor, soweit das Verwaltungsgericht die Wiederholung der Äußerungen untersagt hat. Die Antragsgegnerin trägt auch nicht vor, dass die im Leserbrief ebenfalls angesprochene Schadensregulierung gegenüber dem Antragsteller inzwischen eingeleitet worden sei. Daraus ergibt sich im Übrigen ohne weiteres, dass der erste Bürgermeister mit seinen Vorwürfen gegen den Antragsteller auch gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen hat. Dem Sachlichkeitsgebot entspricht es, zunächst den Sachverhalt möglichst vollständig aufzuklären, wie es später durch Einholung von umfangreichen Gutachten zumindest versucht wurde (vergleiche hierzu die Einstellungsverfügung der Staatsanwalt München II vom 27.9.2018), bevor derartige persönliche Vorwürfe erhoben werden und damit eine öffentliche “Vorverurteilung“ stattfindet.
Im Einzelnen gilt hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen Folgendes:
aa) Der in dem Leserbrief dem Antragsteller gemachte Vorwurf, unter seiner Ägide sei es im Betrieb der Kläranlage zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen, fußt nicht auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern.
Zwar ist, wie das Verwaltungsgericht erkannt hat (BA S. 19), wohl anzunehmen, dass die hohen Kosten für die Entsorgung des Klärschlamms in der Vergangenheit auf hohen Klärschlammmengen durch Grundwassereintrag, wie von der Antragsgegnerin in der Zulassungsbegründung unter Verweis auf den Bericht des Sachverständigen S2. vom 15. Februar 2018 hervorgehoben, und auf hohen TSG-Werten beruhten und dass diese Kosten nach der Übernahme des Betriebs durch eine andere Firma zurückgegangen sind. Jedoch konnte auch im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (vgl. Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München II vom 27.9.2018) nicht nachgewiesen werden, dass diese hohen Werte tatsächlich gegeben waren und gegebenenfalls durch fahrlässiges Verhalten verursacht wurden. Der Sachverhalt sei insoweit nicht mehr nachvollziehbar und aufzuklären. Damit ist offen, ob insoweit überhaupt und ggf. inwieweit ein Fehlverhalten des Antragstellers vorliegt. Allein die Tatsache, dass er „Klärwerksleiter“ gewesen ist, reicht hierfür nicht aus, um ihm die volle Verantwortung aufzuerlegen. Erst Recht kann nicht von erheblichen Unregelmäßigkeiten gesprochen werden. Unter Unregelmäßigkeiten werden im allgemeinen Sprachgebrauch nicht nur bloße Unzulänglichkeiten, sondern Abweichungen von der Regel, insbesondere aber Verstöße, Übertretungen von verbindlichen (hier dienstrechtlichen oder gesetzlichen) Regeln bis hin zum (kleineren) Betrug oder zur Unterschlagung verstanden (vgl. auch www.duden.de). Dafür gibt es auch unter Berücksichtigung des Berichts des Sachverständigen S2. vom 15. Februar 2018 keine ausreichende Tatsachengrundlage im dargestellten Sinn. Schließlich konnten die Ursachen für die Ungereimtheiten bzw. Missstände in der Kläranlage auch nur durch Sachverständigengutachten geklärt werden. Auch die Tatsache, dass einem Entsorgungsunternehmer ein Schlüssel für die Kläranlage ausgehändigt wurde, so dass dieser eigenständig Abwässer in die Kläranlage einbringen konnte, rechtfertigt noch nicht die Verwendung des Begriffs der „erheblichen Unregelmäßigkeiten“ gegenüber dem Antragsteller, weil – abgesehen davon, wer die Entscheidung getroffen hat – schon nicht nachgewiesen ist, dass diese Einleitung unsachgemäß durchgeführt und/oder nicht ordnungsgemäß abgerechnet wurde.
Der Antragsteller ist gelernter Schlosser und wurde 1981 als Arbeiter für den Klärwerksdienst bei der Gemeinde B. eingestellt. Zwar war er für die Überwachung des technischen Betriebs und der Funktion des gesamten Klärwerks zuständig, hat hierfür auch mehrere Fortbildungen absolviert; ihm oblag jedoch nicht die betriebswirtschaftliche und kaufmännische Leitung. Das Klärwerk der Gemeinde B. wird als Regiebetrieb und nicht als Eigenbetrieb geführt; der Antragsteller hatte also nicht die Werkleitung inne, sondern war in die Hierarchie der Gemeindeverwaltung eingebunden und hatte Weisungen des ersten Bürgermeisters bzw. Gemeinschaftsvorsitzenden und der Geschäftsleitung der Gemeinde bzw. der Verwaltungsgemeinschaft zu beachten. Er hatte selbst keine „leitende“ Funktion inne, da es mangels weiterer Mitarbeiter niemanden gab, den er hätte anweisen können. Auch unter diesem Aspekt ist es nicht gerechtfertigt, den Antragsteller für etwaige Missstände (allein) verantwortlich zu machen, weil das unter seiner „Ägide“ geschehen sei. Soweit Ungereimtheiten hinsichtlich der zu entsorgenden Klärschlammmenge zutage getreten sind, war es zumindest nicht allein Sache des Antragstellers, den Ursachen nachzugehen und diese gegebenenfalls durch Einschaltung der zuständigen Fachbehörden oder externer Sachverständiger klären zu lassen.
bb) Die Behauptung einer Suspendierung des Antragstellers fußt auch unter Berücksichtigung dessen, dass dem Antragsteller die Betriebsführung der Kläranlage entzogen und diese einer Privatfirma übertragen wurde, nicht auf einem ausreichenden Tatsachenkern, widerspricht jedenfalls dem für Amtsträger geltenden Sachlichkeitsgebot.
Unter Suspendierung wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine „Amtsenthebung“ verstanden (vgl. auch www.duden.de), die aufgrund eines nicht mehr länger hinnehmbaren Fehlverhaltens in der Regel zwar nur vorläufig, aber auch mit sofortiger Wirkung erfolgt. Sie wird im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses als erhebliche disziplinarische Maßnahme verstanden und ist im Allgemeinen mit einer Freisetzung und in der Regel mit der Absicht einer Beendigung des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses verbunden. Die bloße Betrauung mit einer anderen Aufgabe innerhalb der Gemeinde, insbesondere wenn damit keine „Degradierung“ verbunden ist, ist keine Suspendierung in diesem dienstrechtlichen Sinne. Die Gemeinde B. hat ausschließlich „betriebswirtschaftliche Gründe“ für den Wechsel in der Betriebsführung genannt und den Antragsteller weder abgemahnt noch disziplinarische Maßnahmen gegen ihn ergriffen. Selbst wenn hier die Übertragung einer anderen Aufgabe deshalb erfolgt wäre, weil der Antragsteller mit der bisher übertragenen Aufgabe in fachlicher Hinsicht überfordert gewesen wäre, wäre die Bezeichnung „Suspendierung“ nicht richtig; sie stellt jedenfalls bei einer solchen öffentlichen Äußerung eines Amtsträgers einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot dar.
cc) Auch die Behauptung, der Antragsteller habe einem Unternehmer die Möglichkeit gegeben, rund um die Uhr ungehindert und unkontrolliert seine eingesammelten Fäkalien noch dazu in eine hierfür nicht geeignete Anlage einzubringen, fußt auf keinem ausreichenden Tatsachenkern. Es ist – auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Presseberichterstattung – nach wie vor unklar, wessen Entscheidung es letztendlich gewesen ist, dass der betreffende Unternehmer einen Schlüssel für die Kläranlage erhalten hat. Der Antragsteller hat hierzu – von der Antragsgegnerin unwidersprochen – vorgetragen, dass diese Entscheidung sowohl vom Kämmerer als auch vom Gemeinschaftsvorsitzenden der Verwaltungsgemeinschaft (zumindest) mitgetragen worden sei. Warum der Antragsteller hier sein „Veto“ hätte einlegen müssen, wie in der Zulassungsbegründung vorgetragen, wird nicht weiter erläutert. Dass die Andeutung, der Antragsteller habe geldwerte Vorteile hierfür enthalten, schon auf keinem ausreichenden Tatsachenkern fußt, bedarf angesichts jedweder fehlender Anhaltspunkte hierfür keiner weiteren Erläuterung.
dd) Der Vorwurf, der Antragsteller habe keine ordnungsgemäßen Auftragsvergaben zur Klärschlammentsorgung durchgeführt, ist in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Zum einen trägt der Antragsteller unwidersprochen vor, dass für die Ausschreibung der Klärschlammentsorgung grundsätzlich die Kämmerei der Verwaltungsgemeinschaft zuständig gewesen sei und er nach dem Aufgabenbeschrieb allenfalls für kleinere Vergaben, nicht jedoch für Vergaben der Klärschlammentsorgung zuständig gewesen sei. Im Übrigen ist die Behauptung des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin im Leserbrief, die Ausschreibungen seien nicht ordnungsgemäß gewesen, in keiner Weise substantiiert dargelegt. Die Staatsanwaltschaft München II hat in der Einstellungsentscheidung vom 27. September 2018 ausgeführt, es seien überhaupt keine Ausschreibungen durchgeführt worden. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht das günstigste Angebot angenommen worden sei.
d) Der Senat teilt daher die Auffassung des Verwaltungsgerichts (BA S. 21) dass die den Antragsteller betreffenden streitgegenständlichen Äußerungen nicht als auf einem vertretbar gewürdigten Tatsachenkern fußend anzusehen sind. Auch sind die Äußerungen in ihrer Schärfe gegen den Antragsteller auch unter Berücksichtigung des vorangegangenen Leserbriefs des Sohnes des Antragstellers unangemessen. Die Presseberichterstattung kann den ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin insoweit nicht entlasten. Unzutreffende oder unbelegte Tatsachenbehauptungen in Presseberichten stellen keine Rechtfertigung dafür dar, sie in amtlichen Äußerungen zu wiederholen. Es kann daher offen bleiben, ob die Journalisten, die berichtet haben, nicht ohnehin nur Aussagen von Altbürgermeistern und Bürgermeistern oder anderen Verantwortungsträger der beteiligten Gemeinden aufgegriffen und sich diese zu eigen gemacht haben. Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht fest (BA S. 22), dass der Antragsteller den Vorgang nicht in die Öffentlichkeit getragen habe und es daher auch keinen Anlass für einen „Gegenschlag“ gegen ihn gegeben habe. Die streitgegenständlichen Äußerungen des ersten Bürgermeisters der Antragsgegnerin im Leserbrief vom 20. Mai 2017 verletzen den Antragsteller somit in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).
e) Auch eine Wiederholungsgefahr hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zu Recht bejaht.
Bei Vorliegen eines rechtswidrigen Eingriffs in die Schutzsphäre des Persönlichkeitsrechts wird die Gefahr einer erneuten Rechtsverletzung grundsätzlich vermutet; sie wird in der Regel durch Abgabe einer entsprechenden Unterlassungserklärung ausgeräumt (BGH, U.v. 30.6.2009 – VI ZR 210/08 – NJW-RR 2009, 1413 Rn. 29; BVerfG, B v. 23.2.2000 – 1 BvR 456/95 – NJW-RR 2000, 1209/1211 Rn. 36). Für die Wiederholungsgefahr spricht einerseits der Umstand, dass es die Antragsgegnerin abgelehnt hat, eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben. Zum anderen belegen die Ausführungen im vorliegenden Verfahren, dass die Antragsgegnerin nach wie vor davon ausgeht, dass die betroffenen Äußerungen in rechtmäßiger Weise erfolgt sind. Gerade weil die Antragsgegnerin die Äußerungen auch im Hinblick auf die Verantwortlichkeit des Antragstellers nach wie vor als Tatsachenbehauptungen ansieht und sie noch in der Zulassungsbegründung in vollem Umfang aufrechterhält, ist eine Wiederholungsgefahr gegeben.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus§ 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar(§ 152 Abs. 1 VwGO).


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