IT- und Medienrecht

Nichtannahmebeschluss: Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen § 4 Abs 3, Abs 4 PaßG (sog “biometrischer Reisepass”) mangels hinreichender Substantiierung unzulässig – unzureichende Erörterung des Nutzungsregimes bzgl der biometrischen Daten (§§ 4 Abs 3, 16, 16a PaßG)

Aktenzeichen  1 BvR 502/09

Datum:
30.12.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20121230.1bvr050209
Normen:
Art 1 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG
§ 92 BVerfGG
§ 4 Abs 3 S 2 PaßG 1986 vom 20.07.2007
§ 4 Abs 3 S 3 PaßG 1986 vom 20.07.2007
§ 4 Abs 4 PaßG 1986 vom 20.07.2007
§ 16a PaßG 1986 vom 20.07.2007
§ 16 Abs 2 PaßG 1986 vom 20.07.2007
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer

Gründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich unmittelbar gegen § 4 Abs. 3 und § 4 Abs. 4 des Passgesetzes (PaßG) vom 19. April 1986
(BGBl I S. 537) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften vom 20. Juli 2007 (BGBl
I S. 1566). Als Grundlage des sogenannten biometrischen Reisepasses schreiben die angegriffenen Vorschriften im Wesentlichen
vor, dass Reisepässe mit einem elektronischen Speichermedium zu versehen sind, auf dem Lichtbild und Fingerabdrücke des Passinhabers
zu speichern sind.

2
Die Beschwerdeführer bereisen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Schriftstellerin und als Rechtsanwalt Länder innerhalb
und außerhalb der Europä- ischen Union. Sie sind Inhaber von Reisepässen, die noch ohne biometrische Merkmale ausgestellt
wurden, und beabsichtigen nach deren Ablauf neue Reisepässe zu beantragen.

3
Die Beschwerdeführer rügen unverhältnismäßige Eingriffe in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und in ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Sie befürchten den Missbrauch der auf dem
elektronischen Speichermedium zu speichernden Daten und die künftige Speicherung der biometrischen Daten in einer Fahndungsdatenbank.
Die Speicherung von biometrischen Daten in Reisepässen ist nach ihrer Ansicht zur Erleichterung des Reiseverkehrs weder geeignet
noch erforderlich.

II.
4
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
nicht vorliegen. Zwar können sich hinsichtlich der angegriffenen Vorschriften in der Sache schwierige Fragen stellen, ob und
wie weit sie mit grundrechtlichen Gewährleistungen – sei es auf europäischer Ebene, sei es nach Maßgabe des Grundgesetzes
– vereinbar oder sonst im Hinblick auf ihre unionsrechtlichen Grundlagen Bedenken ausgesetzt sind (vgl. hierzu VG Gelsenkirchen,
Beschluss vom 15. Mai 2012 – 17 K 3382/07 -, NVwZ 2012, S. 982 ). Insbesondere stellt sich – da Datenschutz den Charakter
eines vorgelagerten Gefährdungsschutzes hat – die Frage, ob im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch der Daten durch andere
Staaten die Entscheidung zwischen einem Pass mit oder ohne Fingerabdruck nach dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dem Betreffenden überlassen bleiben muss. Hierüber kann in vorliegendem
Verfahren jedoch nicht entschieden werden. Denn die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den Anforderungen von § 23 Abs.
1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig und damit aus formellen Gründen nicht anzunehmen.

5
1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG ist zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht
zu bezeichnen und der seine Verletzung enthaltende Vorgang substantiiert darzulegen (BVerfGE 9, 109 ; 81, 208 ;
99, 84 ). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen
Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 89, 155 ; 101, 331 ; BVerfGK 12, 126
). Der Beschwerdeführer muss darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert;
er muss das Grundrecht in Bezug zu dem Lebenssachverhalt setzen und die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung deutlich machen
(BVerfGE 79, 203 ; 108, 370 ; 120, 274 ). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits
verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch
die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 99, 84 ; 101, 331 ; 102, 147 ; BVerfGK 1, 227 ;
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2009 -1 BvR 1997/08 -, juris, Rn. 5).

6
2. Der Vortrag der Beschwerdeführer erweist sich gemessen an diesen formellen Zulässigkeitsmaßstäben als unzureichend.

7
Die Beschwerdeführer sehen in den angegriffenen Vorschriften unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung. Die Verhältnismäßigkeit eines solchen Eingriffs bestimmt sich danach, ob die Verwendung der fraglichen Daten
in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht ihrer Erhebung und Speicherung steht. Nach der Rechtsprechung des Gerichts
müssen die Voraussetzungen für die Datenverwendung und deren Umfang umso enger begrenzt werden, je schwerer der Eingriff wiegt
(vgl. BVerfGE 125, 260 m.w.N.).

8
Entscheidend für die Verhältnismäßigkeit ist damit das Nutzungsregime der gemäß § 4 Abs. 3 und 4 PaßG zu speichernden biometrischen
Daten. Es besteht im deutschen Recht aus Regelungen zur Datensicherheit (§ 4 Abs. 3 Satz 2 PaßG), der Vorgabe, dass keine
bundesweite Datenbank der biometrischen Daten errichtet wird (§ 4 Abs. 3 Satz 3 PaßG), Regelungen zur Speicherung und Löschung
der biometrischen Daten bei Passbehörden und Passherstellern (§ 16 Abs. 2 PaßG) sowie einer Festlegung der Zwecke, zu dem
die im Chip des Passes gespeicherten biometrischen Daten verwendet werden dürfen (§ 16a PaßG). Obwohl die Verfassungsmäßigkeit
der angegriffenen Regelungen maßgeblich von diesem Nutzungsregime abhängt, gehen die Beschwerdeführer nicht sachhaltig auf
diese Vorschriften ein und greifen auch die damit zusammenhängende Frage, ob die verschiedenen, das Nutzungsregime der biometrischen
Daten bestimmenden Vorschriften einzeln oder in ihrem Zusammenspiel geeignet sind, die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen
Vorschriften sicherzustellen, nicht auf. Damit werden sie den an die Substantiierung der Verfassungsbeschwerde zu stellenden
Anforderungen – unabhängig von der Frage, wie die angegriffenen Vorschriften materiell verfassungsrechtlich zu würdigen sind
– nicht gerecht. Auch gehen die Beschwerdeführer nur kursorisch auf eine etwaige Nutzung der gespeicherten Daten durch ausländische
Staaten ein.

9
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

10
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben