IT- und Medienrecht

Nutzung einer ehemaligen Kirche als öffentliche Einrichtung zu Veranstaltungszwecken

Aktenzeichen  M 7 K 15.200

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO BayGO Art. 21

 

Leitsatz

Fehlt es an einem speziellen Widmungsakt für die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, bestimmt sich der Widmungszweck durch die Vergabepraxis. (redaktioneller Leitsatz)
Behauptet die Behörde, einzelne Exponate einer geplanten Ausstellung verstießen gegen straf- oder ordnungsrechtliche Normen, hat sie diese im Einzelnen zu benennen; unterlässt sie dies, braucht das Gericht dem Einwand nicht nachzugehen, weil die Pflicht zur Prüfung von Amts wegen dort endet, wo das Vorbringen keinen tatsächlichen Anlass zur Prüfung gibt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte wird verpflichtet, die vom Kläger geplante kirchenkritische Veranstaltung in der sog. J-kirche mit den Ausstellungsstücken, gespeichert auf der mit Schreiben vom 2. Oktober 2015 eingereichten CD (mit Ausnahme der Ausstellungsstücke „…“ und „…“), zwischen … 2016 zuzulassen, und hierfür den Ausstellungsraum der J-kirche für drei Wochen zur Verfügung zu stellen.
III.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageanträge sind dahingehend auszulegen, dass der Kläger alternativ und nicht kumulativ die Zulassung der beantragten Veranstaltung im Zeitraum zwischen … 2016 oder im Zeitraum zwischen … 2017 begehrt (§ 88 VwGO). Der Kläger hat mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 17. September 2014 beantragt, ihm die J-kirche für eine Ausstellung für die Dauer von drei Wochen im Jahre 2015 oder 2016 im Zeitraum zwischen … 2015 oder 2016 zur Verfügung zu stellen. Wegen Zeitablaufs wurde mit Schreiben vom 17. Juni 2015 höchst vorsorglich ein Antrag für das Jahr 2017 gestellt. Weiter haben die Parteien im Klageverfahren die Ausstellungsobjekte näher bezeichnet. Inhalt der Ausstellung sind die auf der eingereichten CD gespeicherten Ausstellungsstücke mit Ausnahme der zwei, auf die der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verzichtet hat. Soweit sich der Kläger vorbehalten hat, aktuell weitere Exponate auszustellen, wird er diese gesondert bei der Beklagten anzeigen.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet (§ 40 Abs. 1 VwGO). Bei der sog. J-kirche handelt es sich – zwischen den Beteiligten unstreitig – um eine gemeindliche Einrichtung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GO. Öffentliche gemeindliche Einrichtung ist jede Einrichtung, die von der Gemeinde durch Widmungsakt der allgemeinen Benutzung in erster Linie durch ihre Angehörigen und die niedergelassenen Vereinigungen zugänglich gemacht und von ihr im öffentlichen Interesse unterhalten wird (vgl. Bauer/Böhle/Ecker, Bayer. Kommunalgesetze, Art. 21 GO Rn. 4). Die Widmung kann durch Satzung oder durch Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung erfolgen. Es genügt indes auch eine durch eine Vergabepraxis geformte konkludente Widmung (vgl. BayVGH, B.v.10.10.2013 – 4 CE 13.2125 – juris Rn. 10 m.w.Nachw.). Der Streit um die Zulassung zur Benutzung einer derartigen Einrichtung gehört dem öffentlichen Recht an, während über die Modalitäten der Benutzung, wenn sie privatrechtlich ausgestaltet sind, vor den ordentlichen Gerichten gestritten werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 20.3.1987 – 4 CE 87.00861 – BayVBl 1987, 403 m.w.Nachw.).
Die Klage ist auch begründet. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 25. August 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den Ausstellungsraum der sog. J-kirche für die geplante kirchenkritische Ausstellung drei Wochen in dem Zeitraum … 2016 zur Verfügung zu stellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO sind alle Gemeindeangehörigen nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Der grundsätzlich gegebene Zulassungsanspruch zu einer öffentlichen Einrichtung besteht allerdings nicht unbeschränkt. Er wird zum einen begrenzt durch den Zweck der öffentlichen Einrichtung, der durch die Widmung festgelegt wird. Zum anderen besteht ein Anspruch auf Zulassung nur im Rahmen der vorhandenen Kapazität (vgl. BayVGH, U.v. 14.5.1997 – 4 B 96.1451 – juris Rn. 19, 21). Weiter kann die Benutzung der öffentlichen Einrichtung verweigert werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es im Rahmen der Benutzung geplant und gezielt zu Rechtsbrüchen in Form der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten kommt, die dem Organisator zuzurechnen sind. Ein Träger öffentlicher Gewalt kann nicht verpflichtet werden, durch die Bereitstellung einer öffentlichen Einrichtung zur Verletzung der Rechtsordnung beizutragen (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.1993 – 4 CE 93.1966 – juris Rn. 14 m.w.Nachw.). Nicht ausreichend als Ablehnungsgrund ist hingegen, dass die Gemeinde ihren Ruf schützen will, sie eine missliebige Meinungsäußerung befürchtet (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.1988 – 4 CE 87.03883 – BayVBl 1988, 497/498; VGH BW, B.v. 14.4.1989 – 1 S 952/89 – juris Rn. 4).
Nach diesen Maßgaben hat der Kläger einen Zulassungsanspruch aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GO als Gemeindeangehöriger und örtlicher Gewerbetreibender. Die Ausstellung ist mit dem Zweck der gemeindlichen Einrichtung vereinbar, ein Termin in dem beantragten Zeitraum 2016 ist möglich und es liegen keine Versagungsgründe vor.
Eine gemeindliche Einrichtung wird grundsätzlich durch einen speziellen Widmungsakt der öffentlichen Benutzung zur Verfügung gestellt. Liegt – wie hier – keine förmliche Widmung vor, so wird der Widmungszweck durch die Vergabepraxis bestimmt. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass in der J-kirche überwiegend kunst- und kunsthandwerkliche Ausstellungen stattfinden. Die Stadt nutze die J-kirche auch für verschiedene eigene Veranstaltungen wie z. B. Festakte bei Jubiläen. Aus den im Internet einsehbaren Veranstaltungen ergibt sich, dass in den Jahren 2014 bis 2016 neben Kunstausstellungen auch Büchersammelaktionen, eine Weinmesse mit Verkostung und eine Gartenmöbelausstellung stattgefunden haben. Weiter hat einmal ein Faschingsball stattgefunden und der Kläger hat den Ausstellungsraum bereits 2013 für seine kirchenkritische Ausstellung genutzt. Auch diese Veranstaltungen sind im Rahmen des Nutzungszwecks zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2011 – 4 CE 11.287 – juris Rn. 18). Bei diesem bis zuletzt weiten Spektrum von zugelassenen Ausstellungen und Veranstaltungen ist eine einschränkende Festlegung auf sakrale Veranstaltungen bzw. Veranstaltungen, die besonders berücksichtigen, dass es sich hier um einen ehemaligen Kirchenraum handelt, nicht erkennbar. Der Widmungszweck lässt sich auch nicht auf Kunstausstellungen eingrenzen, so dass dahinstehen kann, ob die Ausstellung des Klägers eine Kunstausstellung ist oder der Kläger mit seinen Exponaten von seinem Recht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Gebrauch macht. Der Ausstellungsraum der J-kirche steht auch 2016 in dem gewünschten Zeitraum zur Verfügung. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 8. Oktober 2015 erklärt, dass die J-kirche zur möglichen Durchführung einer Ausstellung des Klägers für den Zeitraum vom … 2016 vorsorglich geblockt werde. Da sich aus dem Internet ergibt, dass vom 29. – 31. Juli 2016 eine Studiums-Abschlussausstellung vorgesehen ist, hat das Gericht den Zeitraum für eine dreiwöchige Ausstellung (einschließlich Auf- und Abbauarbeiten) auf … 2016 festgelegt.
Den Ablehnungsbescheid hat die Beklagte vor allem mit einer Rufschädigung für die Stadt begründet. So hätten nicht nur im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausstellung 2013, sondern auch im Vorgriff auf die geplante erneute Ausstellung Unterschriftaktionen stattgefunden, mit denen die Stadt aufgefordert werde, die J-kirche nicht noch einmal für eine Ausstellung zu vermieten, die Religion, christlichen Glauben und Kirche bösartig beschimpfe. Wie bereits ausgeführt, rechtfertigt der Schutz des Rufes der Stadt nicht die Aberkennung eines Zulassungsanspruchs. Es dürfte zum einen schon schwer festzustellen sein, inwieweit hier ein messbarer Schaden entsteht (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.1988, BayVBl 1988, 497/498). So hat es nicht nur negative, sondern auch positive Reaktionen auf die Ausstellung gegeben. Zum anderen ist es Aufgabe der Behörde, rechtmäßige Entscheidungen nach außen zu vertreten. Soweit auf den Unterschriftslisten angekündigt wird, dass eine weitere Veranstaltung nicht mehr ohne öffentlichen Protest hingenommen werde, obliegt es den Sicherheitsbehörden für einen ungestörten Ablauf der Veranstaltung des Klägers zu sorgen. Die mit der stark polarisierenden Veranstaltung verbundenen Risiken liegen im Bereich dessen, womit in einer auf Demokratie und Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsordnung bei einer öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung gerechnet werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.1993 – 4 CE 93.1966 – juris Rn. 10).
Die Beklagte hat im Klageverfahren geltend gemacht, dass die Ausstellung nicht zugelassen werden könne, da sie gegen die Strafgesetze bzw. das Ordnungswidrigkeitenrecht verstoße. Sie hat dabei die vom Gericht eingeräumte Frist nicht genutzt, um zu begründen, dass einzelne Exponate unter straf- oder ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beanstanden sind, sondern die Auffassung vertreten, dass der Gesamtzusammenhang aller Ausstellungsstücke maßgeblich sei. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist das Gericht nur verpflichtet, hinreichend konkret dargelegten Einwänden eines Beteiligten nachzugehen. Die Pflicht zur Prüfung von Amts wegen endet dort, wo das Vorbringen keinen tatsächlichen Anlass zur Prüfung gibt (vgl. BVerwG, B.v. 18.2.2015 – 1 B 2/15 – juris Rn. 4; BGH, U.v. 23.4.2015 – III ZR 195/14 – juris Rn. 23). Das Gericht ist daher nicht verpflichtet, die einzelnen auf der CD gespeicherten Ausstellungsstücke dahingehend zu überprüfen, ob der Kläger mit einzelnen Ausstellungsstücken möglicherweise „zu weit“ gegangen ist und gegen eine straf- oder ordnungsrechtliche Norm verstoßen hat. Die zwei in der mündlichen Verhandlung genannten Ausstellungsstücke „…“ und „…“ sind dem Gericht bei der Durchsicht aufgefallen, da hier das Recht am eigenen Bild berührt ist (§§ 22, 23, 33 KunstUrhG). Ein näheres Eingehen auf die gesetzlichen Normen war nicht mehr veranlasst, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung sofort auf das Ausstellen verzichtet hat. Er hat dabei auch erkennen lassen, dass ein weiterer Verzicht von einzelnen Exponaten in Betracht komme, wenn hiergegen berechtigte Bedenken vorgetragen werden. Als einzelnes Ausstellungsstück hat die Beklagte mit Schreiben vom 20. Januar 2015 nur ein Plakat mit der Aufschrift „…“ genannt. Eine Abbildung mit diesem Zitat (vgl. B. 49 der Behördenakte), Überschrift einer Schriftensammlung von Jacques-René Hébert, einem Publizisten und Kirchengegner in der Französischen Revolution, ist aber auf der CD nicht gespeichert. Eine Präsentation im Rahmen der jetzigen Ausstellung ist daher nicht vorgesehen.
Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt die 2013 stattfindende Ausstellung des Klägers von Amts wegen einer eingehenden Prüfung unterzogen. Von der laufenden Ausstellung wurden detaillierte Fotos gefertigt (vgl. die Bilder 1-202 in der Ermittlungsakte, Az. 30 Js 12450/13). Das Ermittlungsverfahren wurde am 13. August 2013 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In den Einstellungsgründen wird u. a. folgendes ausgeführt:
„Ein strafbares Verhalten liegt nicht vor. Hinsichtlich §§ 185 bis 187 StGB fehlt es bereits am gemäß § 194 StGB erforderlichen Strafantrag. Darüber hinaus sind die Äußerungen des Beschuldigten vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG gedeckt. Art. 5 Abs. 1 GG führt aus, …
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist festzustellen, dass die Äußerungen des Beschuldigten vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt sind. Der Beschuldigte setzt sich in seiner „Galerie der Kirchenkritik“ und seinen sonstigen Aktionen, aktuell in der Ausstellung „Galerie der Kirchenkritik“, kritisch mit der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche in Deutschland auseinander. Wesentliche Kritikpunkte sind herbei die in den letzten Jahren aufgedeckten Fälle des sexuellen Missbrauchs im Bereich der Kirche, die seiner Meinung nach falsche und verhängnisvolle Sexuallehre der Kirchen, seine Einstellung, dass der christliche Glauben überflüssig und für die Menschen von großem Nachteil ist, sowie das Verhalten der Kirchen allgemein. Der Beschuldigte hat das Recht, diese Meinungen zu vertreten, er hat auch das Recht – z. B. zu den aufgedeckten Fällen des sexuellen Missbrauchs – Kritik, auch in deutlichen und drastischen Worten, zu äußern. Er hat das Recht, die Sexuallehre der Kirche als falsch und für die Menschen von großem Nachteil darzustellen sowie das Verhalten der Kirchen zu kritisieren. Hierbei kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie oben dargestellt, nicht darauf an, ob die Meinung des Beschuldigten richtig oder falsch ist und ob sie als wertvoll oder wertlos einzustufen ist. Auch falsche und wertlose Meinungen dürfen im Rahmen des Art. 5 GG geäußert werden. Der Beschuldigte hat nach Art. 5 GG das Recht, jede Meinung, die er zu diesen Fragen vertritt, frei zu äußern und zwar auch dann, wenn dies gläubige Christen in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche zu Fragen des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens öffentliche Stellung nehmen und hierbei eindeutige Position beziehen. Insbesondere die katholische Kirche bezieht, auch öffentlich, eindeutige Positionen zum Bereich Sexualität. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich daher beide Kirchen scharfe Reaktionen durch ihre Gegner gefallen lassen und es sich grundsätzlich gefallen lassen, dass ihre Gegner abwertende Urteile über die Kirchen und ihre Vertreter abgeben. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, ist es den Gegnern nicht verboten, starke Worte zu gebrauchen, die den kritisierten Institutionen und Personen unangenehm im Ohr klingen. Es ist auch Kritik hinzunehmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird. Es sind selbst scharfe und drastische Formulierungen hinzunehmen.
Strafbar wären die Äußerungen des Beschuldigten nur dann, wenn es sich um reine Schmähkritik ohne jeglichen Sachbezug handeln würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Beschuldigten geht es in der Hauptsache um eine Kritik an den beiden Kirchen, insbesondere in Bezug auf Sexualität. Er wählt hierbei drastische und scharfe Formulierungen. Dies ist ihm jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erlaubt. Die Auseinandersetzungen mit den Kirchen und deren Lehren steht für den Beschuldigten im Vordergrund. Zumindest handelt es sich nicht um reine Schmähkritik ohne jeglichen sachlichen Bezug.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Äußerungen des Beschuldigten vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt sind und somit keine Straftatbestände verletzen.
Es ist nachvollziehbar, dass sich Gläubige hierdurch in ihren religiösen Gefühlen verletzt und verunglimpft fühlen und eine gewisse Verunsicherung empfinden. Dies ist jedoch von Bürgern einer freiheitlich demokratischen Staatsordnung, in der das Grundrecht der freien Meinungsäußerung schlechthin konstituierend ist und somit einen sehr hohen Stellenwert hat, hinzunehmen. Dass die beiden christlichen Kirchen in Deutschland Kritik, auch in scharfer Form, akzeptieren müssen, steht rechtlich außer Frage.
Der Straftatbestand des § 166 StGB ist ebenfalls nicht gegeben. Rechtsgut des § 166 StGB ist der öffentliche Friede, § 166 StGB stellt nicht „Gotteslästerung“ i. S. einer Beleidigung Gottes unter Strafe. Auch das Gefühl Gläubiger ist nicht Schutzgut des § 166 StGB. Der säkulare Rechtsstaat hat nicht die Berechtigung, Strafen nach Maßgabe subjektiver Glaubensinhalte und individueller Empörung zu verhängen (Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 166 StGB, Rand-Nr. 2). Nicht tatbestandsmäßig sind Ablehnung oder Verneinung religiöser Inhalte, auch scharfe Kritik fällt nicht unter § 166 StGB (Fischer, § 166 StGB Rand-Nr. 12). Es liegt auch keine Störung des öffentlichen Friedens i. S. d. § 166 StGB vor. Eine Störung des öffentlichen Friedens ist nur dann gegeben, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, mindestens aber einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl, eintritt. Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Äußerungen und Aktionen des Beschuldigten werden im Wesentlichen im örtlichen Bereich wahrgenommen. Sie führen nicht zu einer Beunruhigung der allgemeinen Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Sie führen „lediglich“ zu einer Verärgerung bei gläubigen Christen, insbesondere im örtlichen Bereich. Eine Störung des öffentlichen Friedens i. S. d. § 166 StGB liegt insoweit jedoch nicht vor.
Insgesamt ist somit festzustellen, dass die Äußerungen und Aktionen des Beschuldigten keine Straftatbestände verletzen, das Ermittlungsverfahren somit gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen war.“
Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Ausstellung des Klägers geeignet sei, den öffentlichen Frieden im Sinne von § 166 StGB zu stören, wird zunächst auf die Ausführungen in der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung Bezug genommen. Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 166 StGB ist die Eignung der Beschimpfung von Bekenntnissen und Religionsgesellschaften, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Eignungsklausel soll eine eingrenzende Konkretisierung des abstrakten Gefährdungsdelikts ermöglichen (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 166 Rn. 14a). Nicht tragfähig für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen zielt. Der Schutz des öffentlichen Friedens richtet sich auf die Aufrechterhaltung des friedlichen Miteinanders. Eine Meinungsäußerung ist nur dann geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt ist, d. h. den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markiert, etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (vgl. BVerfG, B.v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – juris Rn. 77, 78 zu § 130 Abs. 4 StGB; BayVGH, U.v. 8.3.2010 – 10 B 09.1102 u. a. – juris Rn. 41). An derartigen „auf rechtsgutgefährdende Handlungen“ hin angelegten Meinungsäußerungen des Klägers fehlt es jedoch. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass es aufgrund der Ausstellung des Klägers zu Ausschreitungen oder Gewalttätigkeiten kommt oder Gläubige befürchten, ihrem Glauben nicht mehr frei nachkommen zu können. Wie sich aus den Zuschriften an die Stadt ergibt, fühlen sich die Bürger v.a. als Christen beleidigt, in ihrem Glauben verletzt, sie äußern ihren Unmut in Worten und halten den öffentlichen Frieden für gefährdet. Eine Beunruhigung der Bürger, die allein aus dem Inhalt der Ideen und deren gedanklichen Konsequenzen folgt, und eine Beeinträchtigung des „allgemeinen Friedensgefühls“ genügen jedoch nicht für die Annahme einer Störung des öffentlichen Friedens.
Ein Zulassungsanspruch ist auch nicht verwirkt. Die Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben, der für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat. Sie bildet einen Anwendungsfall des venire contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2004 – 3 B 101/03 – juris Rn. 3). Eine verspätete Geltendmachung eines Rechts liegt aber hier nicht vor. Soweit die Beklagte mit „Verwirkung des Anspruchs“ offensichtlich meint, dass der Kläger dem Ansehen der Stadt schadet, ergibt sich hieraus kein Ablehnungsgrund (vgl. oben).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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