IT- und Medienrecht

Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zur Zwangsvollstreckung einer Forderung

Aktenzeichen  W 6 K 19.1470

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21016
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG Art. 27 Abs. 1
VwZVG Art. 26 Abs. 5
VwZVG Art. 23 Abs. 1 Nr. 1
VwZVG Art. 17

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Beklagten vom 7. Oktober 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Für Rechtsbehelfe, die sich wie im vorliegenden Fall gegen die Vollstreckungsmaßnahmen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts richten, ist gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 26 Abs. 7 Satz 3 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Oktober 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht vor.
1. Gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VwZVG gilt Art. 26 VwZVG für juristische Personen des öffentlichen Rechts entsprechend, soweit sie Verwaltungsakte erlassen können und zur Anbringung der Vollstreckungsklausel befugt sind. Die Beklagte ist eine in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte Selbstverwaltungseinrichtung, § 90 Abs. 1 HwO. Gemäß § 113 Abs. 4 i.Vm. Abs. 3 HwO kann die Handwerkskammer für ihre Amtshandlungen und die Inanspruchnahme besonderer Einrichtungen oder Tätigkeiten Gebühren erheben, für deren Beitreibung landesrechtliche Vorschriften gelten. Gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 26 Abs. 5 VwZVG kann die Beklagte demnach Geldforderungen und andere Vermögensrechte, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, selbst pfänden und einziehen, wenn Schuldner und Drittschuldner ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Bayern haben. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) finden mit Ausnahme der §§ 883 bis 898 ZPO entsprechende Anwendung (Art. 26 Abs. 7 Satz 1 VwZVG). Die Pfändung einer Geldforderung ist nach Art. 26 Abs. 7 Satz 1 VwZVG i.V.m. §§ 829, 835 ZPO mittels eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zulässig.
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ist das Vorliegen der allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 ff. und Art. 23 ff. VwZVG. Bei der Vollstreckung von Verwaltungskaten, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, müssen insbesondere die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gemäß Art. 23 VwZVG gegeben sein.
2. Vorliegend hat die Beklagte die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG nicht gewahrt.
Nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG kann ein Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid) vollstreckt werden, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt ist (Nr. 1), die Forderung fällig ist (Nr. 2) und der Leistungspflichtige von der Anordnungsbehörde oder von der für sie zuständigen Kasse oder Zahlstelle nach Eintritt der Fälligkeit durch verschlossenen Brief, durch Nachnahme oder durch ortsübliche öffentliche Bekanntmachung ergebnislos dazu aufgefordert worden ist, innerhalb einer bestimmten Frist von mindestens einer Woche zu leisten (Mahnung; Nr. 3).
Vorliegend fehlt es an einer förmlichen Zustellung des zu vollstreckenden Leistungsbescheides (Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG). Ungeachtet dessen ist vorliegend fraglich, ob der Kläger den Gebührenbescheid vom 6. September 2016 überhaupt erhalten hat.
2.1. Entgegen Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG wurde der Gebührenbescheid vom 6. September 2016, mit dem der Kläger zur Zahlung der Prüfungsgebühr der Prüfung zum Bestatter i.H.v. 675,00 EUR aufgefordert wurde, nicht nach der in den Zustellungsvorschriften bestimmten Form bekanntgegeben (Art. 2 Abs. 1 VwZVG). Die Übersendung des Gebührenbescheides als einfacher Brief genügte den Anforderungen an ein förmliches Zustellungsverfahren nicht. Der Gebührenbescheid war dem Kläger aufgrund der zwingenden Vorschrift des Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 5 VwZVG zuzustellen, wobei die Arten der Zustellung im Zweiten Abschnitt des VwZVG (Art. 2 bis 6 VwZVG) abschließend geregelt sind. Zwar kann gemäß Art. 17 Abs. 1 VwZVG die Zustellung von schriftlichen Bescheiden, die im Besteuerungsverfahren sowie bei der Heranziehung zu sonstigen öffentlichen Abgaben und Umlagen ergehen, dadurch ersetzt werden, dass der Bescheid dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt wird. Diese Vorschrift findet im vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung, da die von der Beklagten geltend gemachten Prüfungsgebühren nicht dem Begriff der öffentlichen Abgaben unterfallen. Hierunter sind Kosten zu verstehen, die ein Hoheitsträger zur Deckung seines Finanzbedarfs kraft seines Hoheitsrechts verlangt, also vor allem Steuern, Gebühren und Beiträge im Sinne der Abgabenordnung. Dies trifft auf die von der Beklagten geforderten Prüfungsgebühren jedoch nicht zu, da diese nicht unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen. Als öffentliche Abgaben können nur solche Geldforderungen angesehen werden, welche eine Finanzierungsfunktion für hoheitliche Aufgaben erfüllen. Ungeachtet dessen, ob sie mit oder ohne konkrete Zweckbindung erhoben werden, müssen sie dafür bestimmt sein, den Finanzbedarf des Trägers hoheitlicher Verwaltung zu stillen und damit zur vollständigen oder teilweisen Finanzierung seiner Aufgaben dienen.
Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Kostenforderung ist vorliegend § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung der Beklagten vom 18. Januar 2008 (nachfolgend: GebO), welche auf Grundlage von § 113 Abs. 4 HwO erlassene wurde. Nach dieser Vorschrift erhebt die Beklagte für Amtshandlungen und für die Inanspruchnahme besonderer Einrichtungen oder Tätigkeiten nach Maßgabe des zugehörigen Gebührenverzeichnisses. Ausweislich Abschnitt B.V. des Gebührenverzeichnisses der Beklagten vom 16. September 2016 werden für Fortbildungsprüfungen nach der HwO und dem Berufsbildungsgesetz Gebühren von 100,00 bis 800,00 EUR festgesetzt. Das Entstehen der Prüfungsgebühren richtet sich nach der jeweiligen Nachfrage nach den Lehrgängen und ist für die Beklagte weder voraussehbar noch bei der Finanzplanung kalkulierbar. Da sie sich auf den Eingang dieser Kosten nicht verlassen kann, erschließt sie sich mit ihrer Hilfe schon daher keine Einnahmequelle, die es ihr ermöglichen würde, ihre eigenen Aufgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken. Dass Prüfungsgebühren nicht der Deckung des Finanzbedarfs der Beklagten dienen können, ergibt sich auch daraus, dass sie gerade zu diesem Zweck anderweitig zur Erhebung von Beiträgen i.S.d. § 113 Abs. 1 und Abs. 2 HwO ermächtigt wird. Die mit dem Gebührenbescheid vom 6. September 2016 geforderten Prüfungsgebühren sind daher nicht als öffentliche Abgaben zu qualifizieren.
Abgesehen davon, dass der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des Art. 17 VwZVG vorliegend nicht eröffnet ist, sind jedenfalls die Anforderungen des Art. 17 Abs. 4 VwZVG nicht eingehalten worden. Aus den vorgelegten Verfahrensakten der Beklagten lässt sich nicht ersehen, dass der Gebührenbescheid zur Post gegeben oder in sonstiger Weise zugestellt worden wäre. Der in der Akte befindliche Gebührenbescheid trägt entgegen den klaren Vorgaben des Art. 17 Abs. 4 VwZVG keinen Versendevermerk bzw. einen Vermerk über die Aufgabe zur Post. Eine Sammelliste für die Zustellung maschinell erstellter Bescheide lässt sich den Verfahrensakten ebenso wenig entnehmen wie sonstige Nachweise über eine erfolgte Zustellung an den Kläger.
2.2. Ungeachtet dessen lässt sich jedenfalls die behauptete Zustellung des Gebührenbescheids nicht nachweisen, so dass es an der in Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG geforderten Zustellung fehlt. Losgelöst von der Frage der ordnungsgemäßen Zustellung des Gebührenbescheids greift jedenfalls nicht die Zustellungsfiktion des Art. 9 VwZVG ein, da von einem tatsächlichen Zugang des Bescheids beim Kläger nicht ausgegangen werden kann.
Gemäß Art. 9 VwZVG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Der Nachweis des tatsächlichen Zugangs, den nach allgemeinen Grundsätzen die Behörde zu führen hat (Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Anm. IV.2. zu Art. 9 VwZVG; Harrer/Kugele, Verwaltungsrecht in Bayern, Anm. 6 zu Art. 9 VwZVG), kann vorliegend nicht geführt werden. Insbesondere wird er nicht dadurch erbracht, dass sich der Kläger mit E-Mail vom 4. Dezember 2016 an die Beklagte wandte und eine Stundung erbat. Denn der Kläger bezieht sich in seiner E-Mail ausdrücklich auf die Mahnung vom 29. November 2016 mit der aufgrund der Mahngebühr i.H.v. 5,00 EUR bereits erhöhten Gesamtsumme von 680,00 EUR und nennt im Betreff die entsprechende Debitoren-Nummer aus der Mahnung. Damit kann darin kein konkludentes Eingeständnis gesehen werden, dass der Prüfungsgebührenbescheid vom 6. September 2016, der unter einer anderen Rechnungs-Nummer lief, dem Kläger zugegangen wäre. Als Reaktion auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Oktober 2019 äußerte der Kläger gegenüber der Beklagten in seinem Schreiben vom 6. November 2019, dass er nicht verstehe, warum die Beklagte von im Geld verlange, da die Kosten für die Prüfung vom Arbeitsamt übernommen würden; ihm sei keine Gebührenaufstellung vorgelegt worden. Auch in der Klagebegründung ließ sich der Kläger dahingehend ein, dass die Prüfungsgebühr über das Arbeitsamt abgerechnet werden solle und die Beklagte ihm dies bestätigt habe. Insgesamt lässt sich daher aus den Äußerungen und dem Verhalten des Klägers nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass ihm der Gebührenbescheid vom 6. September 2016 jemals zugegangen ist.
Nachdem der Nachweis eines tatsächlichen Bescheidszugangs bei der Beklagten liegt, wurde dieser nicht erbracht.
2.3 Da die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG damit nicht vorlagen, war der angefochtene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 7. Oktober 2019 schon aus diesem Grund aufzuheben.
Folglich kommt es auch nicht mehr darauf an, dass die mit 20,00 EUR angesetzten Mahngebühren zu Unrecht verlangt worden waren. Lediglich der Vollständigkeit halber sei ausgeführt, dass in den Akten eine einzige Mahnung (vom 29.11.2016) belegt ist, für die eine Mahngebühr i.H.v. 5,00 EUR (vgl. Ziffer A.V.3. des Gebührenverzeichnisses der Beklagten) hat angesetzt werden können. Weitere Mahnungen, wie die von der Beklagten im Jahr 2018 unsubstantiiert behauptet, liegen nicht vor. Soweit für zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse ebenfalls je eine Mahngebühr von der Beklagten angesetzt worden ist, war dies ebenfalls rechtswidrig. Denn bei einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss handelt es sich keinesfalls um eine Mahnung, da eine solche stets nur eine Zahlungsaufforderung an den Schuldner selbst sein kann.
3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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