IT- und Medienrecht

Prüfung Berechtigung der Staatsanwaltschaft – Veröffentlichung einer Pressemitteilung

Aktenzeichen  M 10 K 20.222

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 31768
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 43 Abs. 1
BayPrG Art. 4 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft …  zur Veröffentlichung ihrer den Kläger betreffenden Pressemitteilung … vom … Dezember 2019 nicht berechtigt war.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, zukünftig von dem Beklagten mindestens 24 Stunden vor der Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung über deren Inhalt unterrichtet zu werden (A.). Allerdings war die Staatsanwaltschaft … zur Veröffentlichung ihrer den Kläger betreffenden Pressemitteilung 08 vom 19. Dezember 2018 nicht berechtigt (B.).
Der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht … ist eröffnet. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, deren streitentscheidende Normen (hier insbesondere Art. 4 BayPrG und Art. 6 EMRK) ausschließlich öffentlich-rechtliche Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten. Eine abdrängende Sonderzuweisung begründet sich insbesondere nicht aus § 23 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, da Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft alleine das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigen und deshalb keine Maßnahmen der Strafrechtspflege darstellen (BGH, B.v. 27.7.2017 – 2 ARs 188/15 – juris; BVerwG, 14. 4.1988 – 3 C 65/85 – NJW 1989, 412).
A. In ihrem Hauptantrag ist die Klage schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
I. Die Klage ist zwar als allgemeine Leistungsklage statthaft, da sie auf ein Tun des Beklagten gerichtet ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 62). Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten dahingehend, dass er ihn in Zukunft mindestens 24 Stunden vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung unterrichten muss. Eine solche Unterrichtung stellt auch nicht etwa den Erlass eines Verwaltungsakts, sondern einen Realakt dar.
1. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Kläger klagebefugt ist (zum Erfordernis dieser Voraussetzung bei der allgemeinen Leistungsklage: Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 68). Eine Klagebefugnis läge nur dann vor, wenn es wenigstens möglich erschiene, dass dem Kläger der begehrte Anspruch zustünde. Es dürfte also nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass der Kläger von dem Beklagten verlangen kann, dass diese ihn in Zukunft stets mindestens 24 Stunden vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung informieren muss.
Die Beteiligten sind sich zwar einig darin, dass die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten in einem Strafverfahren vor Veröffentlichung einer solchen Pressemitteilung grundsätzlich zuvor unterrichten muss, damit dieser wirksam auf das behördliche Informationshandeln reagieren kann (vgl. dazu VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 45). Eine solche Unterrichtungspflicht kann aus dem Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten in einem Strafverfahren abgeleitet werden, der sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergibt und auch außerhalb des Strafprozesses im Rahmen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 13, 25; BVerfG, B.v. 26.5.1981 – 2 BvR 215/81 – BVerfGE 57, 250). Auch das erkennende Gericht ist der Ansicht, dass die Staatsanwaltschaft, will sie die Presse kurz nach Zuleitung der Anklageschrift an das Gericht über die Anklageerhebung unterrichten, dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger zuvor die vollständige Anklageschrift übermitteln und ihm zeitlich die Möglichkeit einräumen muss, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können (BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 15, 35; Verwaltungsgericht des Saarlandes, U.v. 23.6.2003 – 1 K 129/02 – NJW 2003, 3431). Wieviel Zeit dem Beschuldigten für eine eigene Reaktion gegenüber der Presse einzuräumen ist, hängt – auch darin sind sich die Beteiligten grundsätzlich einig – jedoch von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Art und Schwere der Tat, der Komplexität des Verfahrens, den Vorkenntnissen der Verteidiger über das Ermittlungsergebnis und des medialen Interesses am Ermittlungsverfahren, ab (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 35).
Gemessen daran scheint es dem Gericht von vornherein ausgeschlossen zu sein, dass im Falle des Klägers eine konkrete Zeitspanne bestimmt werden kann, die stets und unabhängig von den Einzelfallumständen abgewartet werden muss, bevor die Veröffentlichung einer Pressemitteilung durch den Beklagten erfolgen darf. Erst recht ist für das Gericht nicht ersichtlich, wieso eine solche Zeitspanne, wie vom Kläger begehrt, immer mindestens 24 Stunden betragen müsste. Das Gericht kann sich durchaus Fälle vorstellen, in denen einerseits auch eine deutlich geringe, aber andererseits auch eine längere Wartefrist angemessen wäre. Aufgrund dieser Einzelfallabhängigkeit vermag es das Gericht auch nicht, einen vom Klageantrag abweichenden Zeitraum als „stets angemessen“ zu bestimmen. Ohnehin könnte das Gericht aufgrund der Bindung an das Klagebegehren gemäß § 88 VwGO nicht mehr zusprechen, als beantragt wurde. Aber auch die Festlegung auf eine geringere Zeitspanne erscheint dem Gericht aufgrund der Einzelfallabhängigkeit nicht möglich. So sind durchaus Fälle denkbar, bei denen die abzuwartende Zeitspanne aufgrund besonderer Eilbedürftigkeit, einem herausragenden Medieninteresse oder einer nur sehr geringen Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen sehr gering sein dürfte. Ebenfalls nicht zulässig wäre es, selbst wenn dies so beantragt worden wäre, den Beklagten dazu zu verurteilen, stets einen angemessenen Zeitraum abzuwarten. Zum einen handelt es sich dabei um die geltende Rechtslage, die vom Beklagten ohnehin zu beachten ist. Eine Verbesserung seiner Rechtslage ginge damit folglich nicht einher. Zum anderen würde die Verpflichtung des Beklagten stets einen „angemessen“ Zeitraum abzuwarten, die Zuerkennung eines „Aliuds“ darstellen, die jedoch nicht zulässig ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 88 Rn. 6).
Jedenfalls fehlt dem Kläger das Rechtschutzbedürfnis für seine Klage, da er bei dem Beklagten vor Klageerhebung keinen Antrag im Sinne seines Begehrens gestellt hat. Ein solcher Antrag kann dabei auch nicht als „bloße Förmelei“ angesehen werden, sondern soll zum einen dem Beklagten ermöglichen, sich mit dem konkreten Begehren (außergerichtlich) auseinandersetzen zu können und gegebenenfalls eine entsprechende Selbstverpflichtung abzugeben. Zum anderen dient ein solches Antragserfordernis auch der Entlastung der Gerichte, da durchaus die nicht ganz fernliegende Möglichkeit besteht, dass sich die Beteiligten in der Sache, gegebenenfalls nach vorherigen Verhandlungen, einig werden und so von einem Rechtsstreit absehen.
II. Selbst wenn man die Klage als zulässig ansehen würde, wäre sie jedenfalls unbegründet.
Wie bereits dargestellt, besteht zwar grundsätzlich der Anspruch des Klägers darauf, vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung rechtzeitig informiert zu werden, um sich angemessen auf das Verfahren vorbereiten zu können. Um allerdings einen Anspruch auf die Einhaltung einer ganz bestimmten Wartefrist zwischen Unterrichtung des Klägers bzw. seines Verteidigers und der Pressearbeit geltend machen zu können, bedürfte es insofern einer Ermessensreduzierung auf null dergestalt, dass einzig und allein die beanspruchte Wartefrist zulässig wäre. Das heißt umgekehrt, dass alle anderen denkbaren Wartefristen unzulässig sein müssten, weil sie entweder zu kurz oder zu lang wären. Da die abzuwartende Wartefrist, wie dargestellt, allerdings stets von den Umständen des Einzelfalles abhängig ist, dürfte eine derartige Reduzierung auf eine ganz bestimmte Zeitspanne regelmäßig ausscheiden. Es scheint kaum denkbar, dass die Umstände in einem Strafverfahren einmal so gelagert sind, dass unabhängig von den situationsabhängigen Umständen nur eine ganz bestimmte Wartefrist angemessen ist. Jedenfalls im konkreten Fall spricht nichts dafür, dass eine solche „Reduzierung auf null“ hinsichtlich einer bestimmten Zeitspanne eingetreten wäre. Es ist eine Vielzahl an Szenarien denkbar, die je nach ihrer konkreten Ausgestaltung verschiedene Wartefristen zur Folge haben können. Der Kläger kann daher nicht mit Erfolg beanspruchen, dass ihn der Beklagte stets in einer vom Gericht bestimmten Zeitspanne vor der Veröffentlichung einer Pressemitteilung unterrichten muss.
B. Die hilfsweise erhobene Feststellungklage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
I. Der Kläger hat insbesondere ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, § 43 Abs. 1 VwGO.
Dabei genügt jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Für Rechtsverhältnisse, die sich – wie das vorliegend zu prüfende – auf einen vergangenen Zeitpunkt beziehen, kann an die zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten Fallgruppen angeknüpft werden. Danach kommen insbesondere ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, eine Wiederholungsgefahr und eine zu bewirkende Rehabilitierung als Träger des Feststellungsinteresses in Betracht (Möstl in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2020, § 43 Rn. 24). Zwar kann der Kläger ein Rehabilitierungsinteresse wohl nicht mit Erfolg geltend machen, da ein solches eine vorherige Diskriminierung des Klägers voraussetzt. Die Information über die Anklageerhebung war jedoch wahrheitsgemäß und sachgerecht und erfolgte ohne ausdrückliche Nennung des Namens des Klägers. Auch kann deshalb wohl nicht von einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff ausgegangen werden. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen.
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger jedenfalls dargelegt, dass er aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr ein Interesse an der begehrten Feststellung hat. Die angenommene Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind und die konkrete Gefahr besteht, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt bzw. ein gleichartiges behördliches Vorgehen zu erwarten ist (BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 9; vgl. auch Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 112 m.w.N.). Es bedarf dafür einer konkreten Gefahr dergestalt, dass sich die Verwaltungsbehörde aus gleichartigen Erwägungen in naher Zukunft erneut so verhalten wird, wie sie das zuvor bereits getan hat, weil sie eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (vgl. BVerwG, U. v. 25.8.1993 – 6 C 7/93 – NVwZ-RR 1994, 234).
Aufgrund der Umstände des Strafverfahrens gegen den Kläger sowie des bisherigen (Prozess-)Verhaltens des Beklagten geht das erkennende Gericht davon aus, dass eine konkrete Gefahr dafür besteht, dass der Beklagte in Zukunft erneut eine den Kläger betreffende Pressemitteilung herausgeben oder in vergleichbarer Art und Weise Medienarbeit betreiben könnte, ohne ihm zeitlich die Möglichkeit einzuräumen, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können.
Vorliegend gibt es zwar – jedenfalls soweit öffentlich bekannt – kein weiteres (vergleichbares) Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, in dem ebenso mit einer Pressemitteilung betreffend eine erstmalige Anklageerhebung gerechnet werden müsste. Allerdings sei nach eigener Aussage des zuständigen Staatsanwalts, soweit es den Fall des Klägers betrifft, „noch nicht alles auf den Tisch gekommen“. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass es im Laufe des Strafverfahrens noch zu weiteren Ermittlungserfolgen der Staatsanwaltschaft und somit zu den Kläger betreffenden Nachtragsanklagen kommen könnte. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Anklagen inhaltlich gerechtfertigt wären und eine (weitere) Verurteilung tragen könnten, da der so Angeklagte alleine durch die Veröffentlichung einer (weiteren) Anklage bereits belastet wäre. Dass die nicht nur theoretische Möglichkeit der Aufdeckung weiterer Fälle durchaus naheliegt, zeigt sich schon an der Vielzahl der dem Kläger vorgeworfenen Taten, die größtenteils in Tatmehrheit zueinanderstehen und eine Vielzahl unterschiedlicher Personen und Vorfälle betreffen. Es könnte durchaus sein, dass der Kläger selbst oder einer der Mitangeklagten im Strafprozess weitere, von der Staatsanwaltschaft bisher noch unentdeckte Taten eingesteht, sodass diese Gegenstand einer Nachtragsanklage werden könnten. Selbst wenn es in dem Strafverfahren nicht mehr zu weiteren (Nachtrags-)Anklagen kommen sollte, besteht die konkrete Gefahr, dass der Beklagte zu weiteren entscheidenden Ereignissen im Strafverfahren, z.B. des Plädoyers oder der Urteilsverkündung, Stellung in der Öffentlichkeit beziehen wird. Dafür spricht zum einen, dass der Beklagte in der Vergangenheit bereits Pressemitteilungen zu eigenen Plädoyers oder Urteilsverkündungen herausgegeben hat, zum anderen, dass sich der für das Strafverfahren des Klägers zuständige Oberstaatsanwalt bereits wiederholt öffentlichkeitswirksam an Vertreter der Presse gewandt hat und dabei teilweise auch neue Informationen über das Ermittlungs- bzw. Strafverfahren des Klägers preisgab.
Zudem gibt das Prozessverhalten des Beklagten keinerlei Anlass dafür, dass das geltende Recht bei der Veröffentlichung einer den Kläger betreffenden Pressemitteilung in Zukunft beachtet wird. Insbesondere weist der Beklagte selbst darauf hin, dass die gerichtliche Entscheidung für ihn notwendig ist, um in Zukunft entsprechend rechtmäßig handeln zu können. Auch das nach insofern übereinstimmender Ansicht der Beteiligten überragend hohe Medieninteresse, inklusive der internationalen Berichterstattung, an dem Strafverfahren zeigt deutlich, dass weiterhin mit – inhaltlich zulässiger – Pressearbeit des Beklagten, die das mindestens bis Dezember andauernde Strafverfahren betreffen, zu rechnen ist. Die begehrte Feststellung ist aufgrund der Wiederholungsgefahr daher geeignet, die Rechtsstellung des Klägers sowohl im Hinblick auf das laufende Strafverfahren als auch im Hinblick auf etwaige zukünftige Verfahren zu verbessern.
II. Die Feststellungsklage ist begründet, da die konkrete Veröffentlichung in ihrer zeitlichen Ausgestaltung rechtswidrig gewesen ist.
Indem der Beklagte die Pressemitteilung nicht einmal zwei Stunden nach Übermittelung der Anklageschrift an die Verteidiger des Klägers herausgab, hat sie das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt, auch wenn die Pressearbeit inhaltlich nicht zu beanstanden war. Der Beklagte hat dem Strafverteidiger mithin nicht die Möglichkeit gewährt, eine angemessene Reaktion auf das behördliche Informationshandeln zu erarbeiten.
Nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG ist die Staatsanwaltschaft als Behörde nicht nur dazu verpflichtet, der Presse Auskünfte zu erteilen, wenn diese angefordert werden, sondern grundsätzlich auch dazu berechtigt, in eigener Initiative an die Öffentlichkeit zu treten, um Informationen, die für die Allgemeinheit von erheblichem Interesse sind, mitzuteilen. Dies gilt jedenfalls, sofern über einen längeren Zeitraum kontinuierlich Anfragen eingegangen sind, die ein allgemeines Presseinteresse an dem zu berichtenden Sachverhalt zum Ausdruck gebracht haben (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 37). Das Gericht geht prinzipiell von der Zulässigkeit der Veröffentlichung der Anklageerhebung aus, da diese weitreichende Dopingpraktiken im internationalen Spitzensport offenbarte, an denen ein herausragendes Öffentlichkeitsinteresse besteht. Demgegenüber tritt das Persönlichkeitsrecht des Klägers zurück. Dabei ist jedoch gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Allgemeinheit einerseits und dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG andererseits gerecht aufzulösen (BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 13).
Aus dem materiellen Gehalt der Gewährleistung des Gebots der Waffengleichheit müssen sich gleichrangige Einflussmöglichkeiten der Beteiligten auch auf die Pressearbeit ergeben, die von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls abhängen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 45, 48; BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 15). Die Behörde wäre daher dazu verpflichtet gewesen, dem Kläger eine sinnvolle Vorbereitung auf zu erwartende Presseanfragen zu ermöglichen, da es andernfalls aufgrund des wichtigen „ersten Eindrucks“ in der Öffentlichkeit zu einer Vorverurteilung des Beschuldigten kommen könnte, die mit der rechtsstaatlich garantierten Unschuldsvermutung unvereinbare Beeinträchtigungen des Beschuldigten, insbesondere im sozialen Bereich, mit sich bringt (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 44). Eine spätere Kommentierung des Geschehens kann aufgrund der kurzen Wahrnehmungsspanne der Öffentlichkeit oftmals nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit erlangen und die Meinung der Öffentlichkeit nicht mehr im gleichen Maße wie die erste Publikation beeinflussen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 49). Aus diesem Grund spielt es für die Frage der Angemessenheit des zuzuwartenden Zeitraums auch keine gewichtige Rolle, dass die Staatsanwaltschaft für den Folgetag zu einem erläuternden Pressegespräch in ihren Räumen eingeladen hat.
Wie lange nach Unterrichtung des Beschuldigten abgewartet werden muss, hängt regelmäßig von der Komplexität des Verfahrens und dem Inhalt und Umfang der Anklageschrift vor dem Hintergrund des bisherigen Kenntnisstands des Beschuldigten und seiner Verteidiger ab (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 20.8.2020 – 7 ZB 19.1999 – juris Rn. 35).
Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Strafverfahren gegen den Kläger um ein sehr komplexes Verfahren handelt, das zudem durch seine lange Dauer heraussticht. Alleine die Anklageschrift, die dem Verteidiger des Klägers – richtigerweise – vollständig übermittelt wurde, besteht aus über 154 Seiten. Da der Kläger Hauptangeklagter in dem Verfahren ist und die meisten Tatvorwürfe (auch) ihn betreffen, trägt auch der Einwand der Beklagten nicht, dass die Anklageschrift den Kläger nicht alleine beträfe. Es ist nicht ausreichend, dass dem Kläger bzw. dessen Verteidiger alleine die Möglichkeit eingeräumt wird, in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, von der Anklageschrift Kenntnis zu nehmen. Vielmehr muss auch Zeit für die Erarbeitung einer sinnvollen Reaktion gewährt werden. Dem Rechtsanwalt ist die Erarbeitung einer „fundierten“ und „substantiierten“ Antwort auf Presseanfragen bzw. der Vorbereitung eigener Medienerklärungen zu ermöglichen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 45; HessVGH, B.v. 15.10.2001 – 10 TZ 1734/01 – NJW 2001, 3802 Rn. 3). Angesichts der Länge und Komplexität der Anklageschrift geht das Gericht davon aus, dass alleine die bloße Durchsicht der Anklageschrift mindestens zwei Stunden veranschlagen dürfte. Die Vorbereitung einer eigenen Medienarbeit erscheint schon deshalb innerhalb von nur zwei Stunden nicht möglich zu sein.
Darüber hinaus ist fraglich, ob von einem Strafverteidiger erwartet werden muss, seine Kanzleiabläufe so zu organisieren, dass er ohne jede zeitliche Verzögerung umgehend von sämtlichen Posteingängen Kenntnis nehmen kann, zumal wenn diese in der Mittagszeit einlaufen. Jedenfalls kann von ihm aber nicht erwartet werden, dass er, sobald er von einer geplanten Veröffentlichung einer Pressemitteilung erfährt, gewissermaßen alles andere stehen und liegen lässt. So ist es ja durchaus nicht ganz fernliegend, dass der Strafverteidiger gerade in einer anderen Sache ein Mandatengespräch führt oder einen Gerichtstermin wahrnimmt. Es kann beispielsweise nicht verlangt werden, dass er einen Gerichtstermin unterbricht oder ein Mandantengespräch beendet, um sich umgehend mit der Pressemitteilung zu beschäftigen. Allein für diese Eventualitäten ist daher eine angemessen Vorlaufzeit einzuberechnen.
Hinzu kommt, dass seitens des Beklagten keine überzeugenden Gründe dafür vorgelegt wurden, warum mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung nicht noch etwas länger hätte zugewartet werden können. Nach Ansicht des Beklagten sei das unverzügliche Informieren der Öffentlichkeit deshalb erforderlich gewesen, weil sich das Ermittlungsverfahren bereits seit einem Jahr hingezogen hatte und der Mediendruck seit September 2019 außerordentlich hoch gewesen sei. Gerade in Anbetracht der langen Dauer des Ermittlungsverfahrens kann das Gericht jedoch nicht nachvollziehen, warum dann nicht noch ein Tag länger zugewartet werden konnte. Auch der Einwand des Beklagten, dass der Name des Klägers nicht (vollständig) genannt worden sei, greift nicht durch. Durch die vorherige Berichterstattung rund um die Operation Aderlass war der Name des Klägers jedenfalls in Fachkreisen bereits bekannt bzw. konnte von diesen zumindest ohne größeren Aufwand zutreffend und schnell recherchiert werden, wie die Berichterstattung der Sportschau eindrücklich unter Beweis stellte. Der Beklagte muss es sich jedenfalls mittelbar zurechnen lassen, dass eine Identifizierung des Klägers ohne Probleme möglich war.
Ebenfalls nicht durchgreifend ist das Argument des Beklagten, dass die anstehende Anklageerhebung dem Kläger und seinem Verteidiger bereits bekannt gewesen sei und insbesondere dem Verteidiger des Klägers während des Ermittlungsverfahrens bereits Akteneinsicht gewährt worden war. Dem Verteidiger muss auch genügend Zeit dafür eingeräumt werden, jedenfalls flüchtig zu prüfen, auf welche Tatsachen und Beweismittel die Staatsanwaltschaft ihre Anklage letztlich gestützt hat (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 – RO 4 K 17.1570 – juris Rn. 54; Verwaltungsgericht des Saarlandes, U.v. 23.6.2003 – 1 K 129/02 – NJW 2003, 3431). In Anbetracht des enormen Umfangs der Ermittlungsakten, insgesamt 54 Bände, die größtenteils auch den Kläger als Hauptbeschuldigten betreffen dürften, konnte vom Verteidiger auch nicht verlangt werden, die konkrete Anklage zuverlässig zu antizipieren. Soweit der Beklagte geltend macht, dass die Berichterstattung wahrheitsgemäß und sachgerecht erfolgt sei, mag dies zwar sein, kann aber nicht als Argument dafür herhalten, dem Verteidiger eine kürzere Zeitspanne für die Vorbereitung einzuräumen. Denn dass die Berichterstattung wahrheitsgemäß und sachgerecht erfolgen muss, setzt bereits das Gesetz voraus und sollte in einem funktionierenden Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein, die nicht eigens betont werden muss.
Soweit der Beklagte geltend macht, dass der Kläger jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, an die Öffentlichkeit zu treten, schlägt dieses Argument ebenfalls nicht durch, da das besondere Informationsinteresse erst durch die Anklageerhebung entsteht. Zudem kann von einem Beschuldigten nicht erwartet werden, dass er sich selbst an die Öffentlichkeit wendet und damit womöglich erst die Aufmerksamkeit auf sich und die ihm vorgeworfenen Taten lenkt.
Ebenfalls nicht unberücksichtigt werden darf, dass der Kläger im Zeitpunkt der Mitteilung in Untersuchungshaft war, sodass eine Kommunikation zwischen ihm und seinem Verteidiger zusätzlich erschwert war.
Die Erarbeitung einer fundierten und substantiierten Reaktion wurde dem Verteidiger des Klägers in Anbetracht der geschilderten Umstände und der Kürze der zugewarteten Zeit daher nicht ermöglicht. In Anbetracht der Einzelfallumstände war die zugewartete Zeitspanne von etwa zwei Stunden zu kurz und die Veröffentlichung der Pressemitteilung in ihrer konkreten zeitlichen Ausgestaltung rechtswidrig.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.


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