Aktenzeichen 91 O 4021/18
Leitsatz
1. Ein Autohersteller handelt durch den Einbau einer unzulässigen „Abschalteinrichtung“ dann sittenwidrig, wenn er nicht nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der „Abschalteinrichtung“ ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen hat. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Der Schaden entfällt nicht durch eine – nach Vertragsschluss durchgeführte – Installation eines Software-Updates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 14.035,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.12.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs VW Passat Variant Comfortline mit der FIN -.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus dem Kaufpreis i.H.v. 27.150,00 Euro seit dem 04.04.2014 bis einschließlich zum 06.12.2018 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW Passat Variant Comfortline mit der FIN – im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandene vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 526,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.12.2018 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 14.035,74 € gem. §§ 826, 31 BGB.
Die Beklagte hat durch den Einbau der „Abschalteinrichtung“ sittenwidrig gehandelt. Ihr Verhalten widersprach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden. Sie hat nicht einfach gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der „Abschalteinrichtung“ ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen.
Die Beklagte handelte vorsätzlich. Es genügt dabei bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen. Vorliegend ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein verfassungsmäßig bestellter Vertreter umfassende Kenntnis von dem Einsatz der streitgegenständlichen Software hatte und in der Vorstellung die Erstellung und das Inverkehrbringen der mangelhaften Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis an Kunden weiterveräußert werden würden. Denn es hätte der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, näher dazu vorzutragen, inwieweit ein nicht als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB tätiger Mitarbeiter für die Installation der Software verantwortlich sein soll. Der Kläger hat bezüglich interner Vorgänge bei der Beklagten keine Kenntnis und keine Möglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung. Es wäre deshalb Sache der Beklagten gewesen, durch konkreten Tatsachenvortrag Umstände darzulegen, aufgrund derer eine Kenntnis des Vorstands oder sonstigen Repräsentanten ausscheidet. Dem ist sie jedoch nicht nachgekommen.
Beim Kläger ist ein Schaden eingetreten. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Der Schaden entfällt nicht durch die – nach Vertragsschluss durchgeführte – Installation des von der Beklagten entwickelten Software-Updates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten.
§ 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an.
Die schädigende Handlung war auch kausal für die Willensentschließung der Klägerin, den streitgegenständlichen Kaufvertrag abzuschließen. Die steht zur Überzeugung des Gerichts fest auf Grund der glaubwürdigen Angaben des Klägers in seiner Anhörung. Der Kläger ist selbst KfzMechaniker. Er hätte kein Auto erworben, mit dem er sich nach dem erforderlich gewordenen Update nicht mehr traut, in Urlaub zu fahren.
Nutzungsentschädigung ist in Höhe von 13.114,26 € anzurechnen. Das Gericht schätzt die Laufleistung des Fahrzeugs auf 250 000 km. Der Kläger hat das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 19 7000 gekauft. Für die verbleibenden 230 700 km hat er 27 150,- € bezahlt, dies ergibt 0,1176853 €/km. Der Kläger ist 111 435 km gefahren, so dass der Wert der Nutzung 13.114,26 € beträgt und sich der Zahlungsanpruch auf 14.035,74 € beläuft.
Der Kaufpreis ist gem. § 949 BGB zu verzinsen, gerade weil der Kläger sich seinerseits Nutzungsentschädigung anrechnen lassen muss.
Vorgerichtliche Anwaltskosten wurden nur aus einem Gegenstandswert von 14.035,74 € zugesprochen.
Der Feststellungsantrag ist unzulässig. Es fehlt das Feststellungsinteresse. Etwa bisher eingetretene Schäden hätten beziffert werden können. Nach der Rückabwicklung noch drohende Schäden sind nicht substanziiert vorgetragen.
Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 92 und 709 ZPO.