IT- und Medienrecht

Sekundäre Darlegungslast beim Filesharing – Fragebogen für WG-Mitbewohner

Aktenzeichen  224 C 11869/16

Datum:
4.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2016, 20253
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UrhG UrhG § 97
TMG TMG § 8

 

Leitsatz

1. Rügt der Rechteinhaber nicht, dass im prozessuale Auskünfte über die Nutzung des DSL-Anschlusses nicht genügen, sondern verweist den Anschlussinhaber alleinig auf dessen primäre Verantwortlichkeit, muss sich der Rechtsinhaber dieses Verhalten im Rahmen des späteren Prozesses vorhalten lassen. (amtlicher Leitsatz)
2 Befragt der Anschlussinhaber die Mitbewohner seiner Wohngemeinschaft nach Erhalt einer Abmahnung wegen Filesharings mittels eines Fragebogens zu den von diesen benutzten Computern, Betriebssystemen, der ggf. verwandten Bittorent-Software und zur Anwesenheit in der Wohnung zum Tatzeitpunkt, kann von ihm mit Blick auf die ihn treffende sekundäre Darlegungslast nicht mehr verlangt werden. Ihm stehen keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung, das Verhalten einzelner – mit ihm nicht familiär verbundener – Mitbewohner zu überprüfen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.106,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klägerin hat den Beweis der Täterschaft des Beklagten für die unerlaubtem Urheberrechtsverletzung nicht erbracht.
1. Für den Nachweis der Täterschaft in Filesharing-Fällen gelten folgende Grundsätze (OLG München, Urteil vom 14.01.2016 – Aktenzeichen 29 U 2593/15, BeckRS 2016, 01186, Hervorhebungen hinzugefügt):
a) Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen eines geltend gemachten Schadensersatzanspruchs erfüllt sind, trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Anspruchsteller; danach ist es grundsätzlich seine Sache nachzuweisen, dass der in Anspruch Genommene für die von ihm behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist. Wenn allerdings ein urheberrechtlich geschütztes Werk […] der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers (vgl. BGH GRUR 2013, 511 – Morpheus Tz. 33; GRUR 2010, 633 – Sommer unseres Lebens Tz. 12). […]
Eine tatsächliche Vermutung begründet einen Anscheinsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; NJW 2010, 363 Tz. 15; NJW 1993, 3259; jeweils m. w. N.), zu dessen Erschütterung nicht allein der Hinweis auf die Möglichkeit eines anderen Verlaufs genügt; es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, aus denen sich die ernste Möglichkeit eines anderen als des vermuteten Verlaufs ergeben soll, die gegebenenfalls vom Beweisgegner zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden müssen (vgl. BGH NJW 2012, 2435 Tz. 36; Beschl. v. 6. Juli 2010 – XI ZR 224/09, juris, Tz. 10; NJW 1993, 3259; NJW 1991, 230 [231]; Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, vor § 284 Rz. 29; Bacher in: Vorwerk/Wolf, Beckscher OnlineKommentar, ZPO, Stand 1. September 2015, § 284 Rz. 98; Foerste in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 286 Rz. 23; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 286 Rz. 13; Rinken in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2015, § 286 Rz. 60; Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 286 Rz. 65).
b) Voraussetzung für das Eingreifen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ist allerdings nicht nur das Vorliegen einer Verletzungshandlung, die von diesem Internetanschluss ausging, sondern – im Falle der hinreichenden Sicherung des Anschlusses – auch, dass der Anschluss nicht bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (vgl. BGH, Urt. v. 11. Juni 2015 – I ZR 75/14, juris, – Tauschbörse III Tz. 37; ähnlich BGH GRUR 2014, 657 – BearShare Tz. 15; unklar BGH, a. a. O., – Morpheus Tz. 34, wo ausgeführt wird, dass die tatsächliche Vermutung in jenem Fall „entkräftet“ und „erschüttert“ sei, weil die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass allein ein Dritter und nicht auch der Anschlussinhaber den Internetzugang für die behauptete Rechtsverletzung genutzt habe).
Will sich der Anspruchsteller auf die tatsächliche Vermutung stützen, so obliegt es grundsätzlich ihm, deren Voraussetzungen darzulegen und nötigenfalls zu beweisen. Jedoch trifft in diesen Fällen den Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast, der er nur genügt, wenn er vorträgt, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen; in diesem Umfang ist er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Anschlussinhabers lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss nicht gerecht (vgl. BGH, a. a. O., – Tauschbörse III Tz. 37 und 42).
Entspricht der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache des Anspruchstellers, die für eine Haftung des Anschlussinhabers als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (vgl. BGH, a. a. O., – Tauschbörse III Tz. 37 a. E.); dazu muss er entweder beweisen, dass entgegen dem substantiierten Vorbringen des Anschlussinhabers doch kein Dritter Zugriff auf den Anschluss hatte, und sich anschließend auf die dann geltende tatsächliche Vermutung berufen, oder er muss unmittelbar – ohne Inanspruchnahme der tatsächlichen Vermutung – die Täterschaft des Anschlussinhabers beweisen. Entspricht der Anschlussinhaber dagegen seiner sekundären Darlegungslast nicht, so ist zugunsten des Anspruchstellers dessen Vorbringen zugrunde zu legen (vgl. BGH NJW 2010, 2506 Tz. 26 m. w. N.), das die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers begründet. Dann muss zu deren Widerlegung der Anschlussinhaber den Beweis führen, dass auch andere als Täter in Betracht kommen.
2. Vorliegend hat der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast genügt.
a) Die Informationen in den Fragebögen sind alles, was bei verständiger Würdigung der Lage zu erwarten ist. Mittels des Fragebogens zeigte der Beklagte auf, dass er die Mitbewohner befragt hatte. Er erfragte dabei auch die verwendeten Computer, deren Betriebssysteme sowie die ggf. verwendeten Bittorrent-Software-Programme. Ebenso erfragte der Beklagte, ob die betreffenden Personen zum Tatzeitpunkt zu Hause waren. Die Frage der Anwesenheit ist zwar kein zwingendes Ausschlusskriterium, hat aber dennoch indikative Bedeutung, da zahlreiche Computermodelle bei Nichtbenutzung in den Stand-By-Modus wechseln.
b) Weiteres Tätigwerden kann vom Beklagten nicht verlangt werden. Denn gerade, weil der Beklagte mit seinen Mitbewohnern nicht familiär verbunden ist, sondern nur im Rahmen einer typischerweise auf Zweckmäßigkeit ausgelegten Wohngemeinschaft lebt, stehen ihm keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung, das Verhalten einzelner Mitbewohner zu überprüfen. Insofern unterscheidet sich seine Situation nicht wesentlich von der der Klägerin, da beide Parteien vorliegend keinen konkreten Täter ermitteln können.
c) Selbst wenn, wie die Klägerin vorträgt, dass die Erstellung des Fragebogens zu spät geschah und bei rechtzeitiger Erstellung im Jahr 2013 man hätte bessere Erkenntnisse gewinnen können (so der Klägerschriftsatz vom 28.10.2016, S. 5, Bl. 100 d. A.), so kann die Klägerin in diesem konkreten Fall mit ihrem Einwand nicht gehört werden. Auch die Abmahnung begründet zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis, im Zuge dessen die Parteien in gewissem Umfang verpflichtet sind, auf die jeweiligen Interessen nach Treu und Glauben Rücksicht zu nehmen, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Ein solches Verhältnis besteht insbesondere im konkreten Fall deswegen, weil die Klägerin schon damals sich ihrer Rechtsanwälte bediente, die in diesem Fällen ein erheblich vertieftes Wissen haben, und daher leicht Auskunft über die konkreten Anforderungen von Ermittlungen hätten Auskunft geben können.
Denn bereits im Zuge der Abgabe der modifizierten Unterlassungserklärung gab der Beklagte der Klägerin an, dass er alle Mitbewohner mehrmals befragt hatte und alle verneint hätten, das Filmwerk hochgeladen zu haben. Auf diese Information reagierte die Klägerin nicht angemessen, denn es wäre ihr möglich gewesen, schon damals zu rügen, dass die Angaben ihr nicht hinreichend substantiiert seien. Dies hat die Klägerin jedoch in ihrem Antwortschreiben vom 07.05.2013 mit keinem Wort gemacht, sondern im Gegenteil den Eindruck erweckt, dass der Beklagte so oder so hafte. Denn die Klägerin schrieb, dass der Anschlussinhaber „grundsätzlich persönlich“ hafte und die Verfolgung von Rechtsverletzungen „ausschließlich gegenüber dem Anschlussinhaber“ erfolgen könne.
Es ist bei verständiger Würdigung dieser Erklärung und auch unter der Berücksichtigung, dass man Prozessvertretern grundsätzlich eine einseitige Darstellung der Rechtslage zubilligen darf, anzunehmen, dass im konkreten Fall geeignet waren, den Beklagte von weiteren Ermittlungen abzuhalten.
3. Mangels hinreichenden Tatnachweises war vorliegend nicht weiter zu entscheiden, ob § 8 TMG in der neuen Fassung auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.
Eine Rückwirkung dieser Norm hält das Gericht zwar für ausgeschlossen, jedoch wäre zu überlegen, ob nicht die gesetzgeberischen Wertungen, die zweifelsohne durch die neue Regelung deutlich zum Ausdruck kommen, nicht auch schon davor zur Auslegung des damals bestehenden Rechts herangezogen werden können. Denn insbesondere erscheint dem Gericht das gesetzgeberische Ziel, die Teilung des Internets zu erleichtern, schon davor ein erstrebenswertes Ziel gewesen zu sein. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, da noch immer DSL-Anschlüsse in Deutschland knapp sind und gerade für die Versorgung von einzelnen Zimmern in den Wohngemeinschaften sowohl die Ports auf Seiten des Netzbetreibers als auch die Telefonleitungen innerhalb der Häuser oft fehlen würden.
Daher erscheint es volkswirtschaftlich erstrebenswert und ressourcenschonend zu sein, wenn sich mehrere Bewohner einer Wohnung den DSL-Anschluss teilen. Typischerweise nutzen dafür Bürger die von den DSL-Anbietern zur Verfügung gestellten einfachen, unkontrollierten und nur mittels einem WLAN-Passwort versehenden Router-Modelle.
II.
Die Kosten ergeben sich aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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