IT- und Medienrecht

Thüringer Verfassungsschutz; Unterlassung einer öffentliche Äußerung des Amtes für Verfassungsschutz, eine Person oder Vereinigung werde als Prüffall behandelt

Aktenzeichen  8 K 1151/19 We

Datum:
11.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Weimar 8. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 21 Abs 1 S 1 GG
§ 1004 Abs 1 S 1 BGB
§ 5 Abs 2 S 6 VerfSchutzG TH 2015
§ 4 Abs 1 S 3 VerfSchutzG TH 2015
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Das Thüringer Verfassungsschutzgesetz enthält keine Rechtsgrundlage für die öffentliche Äußerung des Amtes für Verfassungsschutz, eine Person oder Vereinigung werde als Prüffall bearbeitet.(Rn.17)
(Rn.20)

Tenor

Dem Beklagten wird untersagt, in Bezug auf die Klägerin zu äußern oder zu verbreiten, diese würde als Prüffall des Amtes für Verfassungsschutz bearbeitet.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist der Landesverband Thüringen der Partei Alternative für Deutschland (AfD), die im Thüringer Landtag vertreten ist. Anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2017 am 6. September 2018 äußerte der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz im Rahmen einer längeren Erklärung: “Daher habe ich als Präsident des Amtes für Verfassungsschutz in Thüringen den Landesverband der AfD in Thüringen in der hiesigen Bearbeitung bei uns im Amt mit heutiger Wirkung als Prüffall eingestuft.“ Über diese Äußerung wurde danach in der Presse berichtet.
Mit ihrer am 31. Juli 2019 erhobenen Klage begehrt die Klägerin, dem Beklagten zu untersagen, zu äußern und zu verbreiten, sie werde als Prüffall bearbeitet.
Hierzu trägt die Klägerin unter Darlegung im Einzelnen vor, die Bezeichnung als Prüffall sei ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien. Dies hätten auch die Verwaltungsgerichte in Köln und Düsseldorf bereits entschieden. Regelungen im Thüringer Pressegesetz könnten die entsprechende Festlegung im Thüringer Verfassungsschutzgesetz nicht umgehen.
Die Klägerin beantragt,
dem Beklagten zu untersagen, in Bezug auf die Klägerin zu äußern oder zu verbreiten, diese würde als Prüffall des Amtes für Verfassungsschutz bearbeitet.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Klägerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin habe durch eigene Äußerungen objektiv eine Situation herbeigeführt, auf die der Beklagte habe reagieren müssen. Im Übrigen habe sich die Äußerung zu der Einstufung als Prüffall mittlerweile erledigt, da die Klägerin zurzeit als Verdachtsfall beobachtet werde. Außerdem ergebe sich die Zulässigkeit der Äußerung aus dem Presserecht. Nach der Regelung im Thüringer Verfassungsschutzgesetz bleibe das Thüringer Pressegesetz unberührt. Hier ergäbe sich ein Recht zur Äußerung jedenfalls direkt aus Art. 5 Grundgesetz. Die Äußerung sei gerade anlässlich einer Pressekonferenz erfolgt. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zur Anwendung des Pressegesetzes seien im vorliegenden Verfahren nicht einschlägig. Bei der Äußerung des Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz in der Pressekonferenz sei der sachliche Informationsgehalt der Äußerungen größer gewesen als in dem vom Verwaltungsgericht Düsseldorf entschiedenen Fall. Außerdem habe der Präsident lediglich von einem im Ergebnis offenen Prüfvorgang gesprochen und die Begriffe Prüffall und Verdachtsfall dabei näher erläutert. Jedenfalls habe die Äußerung deshalb ein vermindertes Eingriffsgewicht, das bei der presserechtlichen Abwägung zu berücksichtigen sei. Eine gesteigerte ansehensschädigende Wirkung für die Klägerin läge nicht vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständliche Äußerung des Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Die Klägerin ist als Landesverband einer Partei gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig. Beteiligtenfähig sind Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Dies gilt für Gebietsverbände politischer Parteien in der Rechtsform des nichtrechtsfähigen Vereins, wenn ihnen in Bezug auf den Gegenstand des konkreten Rechtsstreits eine materielle Rechtsposition zustehen kann. Dies hier der Fall, da die Klägerin eine Verletzung ihres Rechts als Partei aus Art. 21 GG geltend macht. Das Recht, als Partei frei von staatlicher Einflussnahme an der politischen Willensbildung mitzuwirken, steht nicht nur der Bundespartei zu, sondern auch dem Landesverband (ebenso VG Düsseldorf, Urteil vom 24.02.2021, 20 K 5100/19, Juris-Rdnr. 31 ff).
Passivlegitimiert ist im vorliegenden Verfahren der Freistaat Thüringen, vertreten durch den Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz. Es ist hier unstreitig, dass der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz die streitgegenständliche Äußerung in Wahrnehmung seines öffentlichen Amtes abgegeben hat. Wird ein Unterlassungsanspruch bezüglich der Äußerung eines Amtsträgers geltend gemacht, so ist die Körperschaft Klagegegner, der der Amtsträger angehört (BVerwG, Beschluss vom 27.03.1996, 8 B 33/96, Juris-Rdnr. 5; dem folgend st. Rspr. der Kammer, zuletzt Beschluss vom 19.12.2016, 8 E 1052/16). Dies ist im vorliegenden Fall der Freistaat Thüringen. Vertreten wird dieser durch den Leiter der Behörde, der der Amtsträger zugeordnet ist. Dies ist hier das Amt für Verfassungsschutz, das die Stellung einer selbständigen Landesoberbehörde hat (ThürVerfGH, Urteil vom 20.11.2019, VerfGH 28/18, Juris-Rdnr. 48).
Das Gericht hat keine Zweifel an der Zulässigkeit der Klage. Insbesondere fehlt der Klägerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die streitgegenständliche Äußerung wird weiterhin von dem Beklagten aufrechterhalten und die Klägerin macht eine hierin liegende, andauernde Beeinträchtigung ihrer Rechte als Partei geltend. Indem der Beklagte vorträgt, die Klägerin habe objektiv eine Situation herbeigeführt, auf die er habe reagieren müssen, um eigenen Pflichten zu genügen, ist dies erst im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage zu betrachten. Die Zulässigkeit der Klage wird damit nicht in Frage gestellt. Auch eine Erledigung der Sache kann das Gericht nicht erkennen. Es mag sein, dass dem Beklagten mittlerweile Anhaltspunkte vorliegen, „die einen Beobachtungsauftrag der Landesbehörde für Verfassungsschutz Thüringen in Form eines Verdachtsfalls eröffnen“ (so wörtlich in der Presseerklärung des Beklagten vom 12. März 2021 (https://verfassungsschutz.thueringen.de/rechtsextremismus/rechtsextremismus- thueringen/verdachtsfall-afd). Diese Äußerung ist allerdings nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sie ist inhaltlich unterschiedlich und kann sich – wie nachfolgend darzulegen sein wird – auf eine andere Rechtsgrundlage stützen.
2. Die Klage ist auch begründet. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, der in § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB wurzelt und allgemein anerkannt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.03.1996, a.a.O.; dem folgend st. Rspr. der Kammer, a.a.O.). Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen gegeben ist. Anknüpfungspunkt für den hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist die Grundrechtsposition der Klägerin aus Art. 21 GG. Die streitgegenständliche Äußerung greift in dieses Grundrecht ein (nachfolgend 2.1.). Der Eingriff ist rechtswidrig, da es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage im Thüringer Verfassungsschutzgesetz fehlt (nachfolgend 2.2.). Eine Rechtsgrundlage ergibt sich auch nicht aus dem Thüringer Pressegesetz (nachfolgend zu 2.3.).
Die Kammer folgt insoweit der Rechtsauffassung in den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Köln (Beschluss vom 26.02.2019, 13 L 202/19, Juris) und Düsseldorf (Urteil vom 24.02.2021, 20 K 5100/19, Juris). Diese Rechtsprechung hat bereits in weiteren Entscheidungen (z. B. VG Berlin, Beschluss vom 22.02.2021, 1 L 127/21, vgl. Juris-Rdnr. 18) und in der Literatur (z. B. Gärditz, DGSZ 2019, S. 86 ff, Nikkho, ju- risPR-ITR 8/2019, Anm. 6) Zustimmung gefunden
2.1. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dieser verfassungsrechtliche Status gewährleistet insbesondere das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen. Diese Betätigungsfreiheit hat Grundrechtsqualität (Ipsen in Sachs, GG, 7. Auflage 2014, Rdnr. 30 zu Art. 21). Die Gewährleistung gleicher Chancen im Wettbewerb um Wählerstimmen ist ein unabdingbares Element des vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Dieser Prozess setzt in der modernen parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien voraus. Gewährleistet ist nicht nur die freie Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern diese Mitwirkung ist durch Regeln gesichert, die den Parteien gleiche Rechte und gleiche Chancen gewähren (BVerfG, Urteil vom 09.06.2020, 2 BvE 1/19, Juris- Rdnr. 46).
Allerdings ist nicht jedes staatliche Informationshandeln und nicht jede Teilhabe des Staates am Prozess öffentlicher Meinungsbildung als Grundrechtseingriff zu bewerten. Das Parteiengrundrecht aus Art. 21 Abs. 1 GG schließt es nicht aus, dass eine Partei, die nicht verboten ist, in staatlichen Äußerungen als verfassungsfeindlich bezeichnet oder mit anderen negativen Werturteilen versehen wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.06.2020, OVG 1 S 55/20, Juris-Rdnr. 19). Wann ein Eingriff vorliegt, hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Erwähnung einer Partei in einem Verfassungsschutzbericht geklärt. Für die Erwähnung einer Partei in einem Verfassungsschutzbericht ist anerkannt, dass sie über die bloße Teilhabe staatlicher Funktionsträger an öffentlichen Auseinandersetzungen oder an der Schaffung einer hinreichenden Informationsgrundlage für eine eigenständige Entscheidungsbildung der Bürger hinausgeht und eine mittelbar belastende negative Sanktion mit Eingriffscharakter darstellt. Sie erfordert demgemäß eine gesetzliche Grundlage, welche die Voraussetzungen eines solchen Eingriffs regelt und dafür Sorge trägt, dass das Interesse der Partei, an der politischen Willensbildung ungehindert teilzunehmen, und das Interesse der Öffentlichkeit an einer frühzeitigen Aufklärung über verfassungsfeindliche Tendenzen zu einem verfassungskonformen Ausgleich gebracht werden (BVerfG, Beschluss vom 24.05.2005,1 BvR 1072/01, Juris; ebenso BVerwG, Urteil vom 26.06.2013, 6 C 4/12, Juris-Rdnr. 26).
Dieser Vorbehalt des Gesetzes gilt aber nicht nur für Veröffentlichungen in einem Verfassungsschutzbericht, sondern auch für sonstige öffentliche Mitteilungen der Verfassungsschutzbehörden, die in subjektives Verfassungsrecht eingreifen (ebenso VG Köln, a.a.O., Juris-Rdnr. 59, VG Düsseldorf, a.a.O., Juris-Rdnr. 57). Das bedeutet, dass ein staatliches Informationshandeln, das einen Grundrechtseingriff darstellt, einer gesetzlichen Grundlage bedarf.
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Bezeichnung der Klägerin als Prüffall durch den Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz eine für die Klägerin ansehensschädigende Wirkung hat und deshalb einen Eingriff darstellt (VG Köln, a.a.O., Juris-Rdnr. 57). Diese Äußerung nimmt teil an der spezifischen Autorität des Amtes des Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz und gewinnt so ein besonderes Gewicht. Der Beklagte bringt mit der Äußerung und dem weiteren Kontext, in dem die Äußerung in der Erklärung des Präsidenten anlässlich der Pressekonferenz am 6. September 2018 steht, zum Ausdruck, dass es Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin gibt. Dies kann die Mitwirkung der Klägerin an der politischen Willensbildung des Volkes und ihre Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien negativ beeinflussen. Die Wirkmächtigkeit der Äußerung wird auch nicht dadurch verringert, dass durch die Formulierung „Prüffall“ diese damit bekanntgegebene Prüftätigkeit als ergebnisoffen dargestellt wird. Abzustellen ist auf den objektiven Erklärungswert der Äußerung für ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2012, 1 BvR 901/11, Juris-Rdnr. 20). Dieses wird aus der Äußerung die Schlussfolgerung ziehen, dass die Klägerin von dem Beklagten als “Prüffall” behandelt wird, weil es in ihr rechtsradikale Tendenzen gibt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Dieser Eindruck wird durch die ausführliche Darlegung der Gründe in der Erklärung des Präsidenten nicht wie der Beklagte meint verringert, sondern vielmehr verstärkt. Es sei angemerkt, dass es an dieser Stelle keine Rolle spielt, ob die dargelegten Gründe zutreffend sind oder nicht.
2.2. Das Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) enthält keine Rechtsgrundlage für die Bezeichnung der Klägerin als Prüffall.
2.2.1. Das Informationshandeln des Beklagten ist in § 5 Abs. 2 ThürVerfSchG abschließend geregelt. Diese Vorschrift enthält zwei Rechtsgrundlagen für ein Informationshandeln.
Einerseits eröffnet § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG die Befugnis, die Öffentlichkeit in zusammenfassenden Berichten sowie in Einzelanalysen über Bestrebungen und Tätigkeiten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, zu unterrichten, also zu informieren. Diese Vorschrift steht im Zusammenhang mit der Beobachtungsaufgabe des Beklagten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfSchG. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG kann der Beklagte über die Ergebnisse dieser Beobachtungstätigkeit unterrichten. Diese Unterrichtung erfolgt insbesondere in den schriftlichen Verfassungsschutzberichten, kann aber auch durch mündliche Erklärungen in der Öffentlichkeit, insbesondere gegenüber der Presse, erfolgen. Aus dem Zusammenhang zu § 4 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfSchG ergibt sich, dass § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG die Fälle erfasst, in denen der Beklagte sichere Erkenntnisse über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen und Tätigkeiten hat. Diese Fälle bezeichnet das Gesetz selbst nicht ausdrücklich; es hat sich aber der Begriff Beobachtungsfall bzw. Beobachtungsobjekt als gebräuchlich ergeben.
Andererseits gibt § 5 Abs. 2 Satz 6 ThürVerfSchG die Befugnis, über solche Vereinigungen oder Einzelpersonen zu informieren, bei denen lediglich der Verdacht von Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfSchG vorliegt. Diese Fälle bezeichnet das Gesetz selbst als „Verdachtsfälle“. Ersichtlich ist bei einem solchen Verdachtsfall die Erkenntnissicherheit geringer als bei den Beobachtungsfällen, über die gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG informiert werden darf.
Der hier streitgegenständliche Begriff des „Prüffalls“ unterscheidet sich wiederum vom Beobachtungs- und Verdachtsfall aufgrund einer gegenüber dem Verdachtsfall noch geringeren Erkenntnissicherheit. Es geht um Fälle, in denen die bloße Möglichkeit von Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ThürVerfSchG gegeben ist, die sich jedoch gerade noch nicht aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu einem Verdacht verdichtet hat. Der Grad an Indizien, die für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, sind hier geringer als beim Verdachtsfall (VG Düsseldorf, a.a.O., Juris-Rdnr. 76). Vielmehr dient die Beobachtungstätigkeit des Beklagten hier dazu, die tatsächlichen Anhaltspunkte zu ermitteln, die dann in einem ersten Schritt zu einem Verdacht führen, um sich gegebenenfalls dann in einem weiteren Schritt zu der sicheren Erkenntnis zu verdichten, die den Beobachtungsfall auszeichnet. Für ein Informationshandeln auf dieser Stufe des „Prüffalls“ enthält das Thüringer Verfassungsschutzgesetz keine Regelung.
2.2.2. Unstreitig ist im vorliegenden Verfahren, dass die Beobachtungs- und Ermittlungstätigkeit selbst, die in einem Sammeln von Informationen, Auskünften, Nachrichten und Unterlagen besteht (§ 4 Abs. 1 Satz 3 ThürVerfSchG) in allen drei genannten Fällen zulässig ist. Die einzelnen Befugnisse des Beklagten (§§ 7 ff ThürVerfSchG) greifen nicht nur dann, wenn bereits die Erkenntnissicherheit eines Beobachtungsfalles besteht, sondern ermöglichen auch die Ermittlung dieser Erkenntnissicherheit.
Diese Beobachtungs- und Ermittlungstätigkeit hat aber grundsätzlich außerhalb der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu erfolgen. Die Öffentlichkeit erreicht diese Tätigkeit erst durch das Informationshandeln des Beklagten. Allein dieses Informationshandeln ist im vorliegenden Verfahren streitig, nicht die Beobachtungs- und Ermittlungstätigkeit selbst. Für ein solches Informationshandeln aber hält das Thüringer Verfassungsschutzgesetz eine Rechtsgrundlage erst ab der Stufe des Verdachtsfalls bereit.
2.2.3. Dem § 5 Abs. 2 Satz 6 ThürVerfSchG als Rechtsgrundlage für die Information über Verdachtsfälle kann auch im Weg der Auslegung keine Befugnis zur Information über Prüffälle entnommen werden (vgl. VG Köln, a.a.O., Juris-Rdnr. 68 ff). § 5 Abs. 2 Satz 6 ThürVerfSchG wurde ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen, um der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die eine Rechtsgrundlage für das Informationshandeln des Verfassungsschutzes fordert, Rechnung zu tragen (LT-Drs. 5/7452, S. 38 f). Der Gesetzgeber wollte hier nur die Fälle erfassen, „bei denen zwar tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, solche Bestrebungen aber noch nicht sicher festgestellt werden können“ (LT-Drs. 5/7452, S. 38 unten). Sonstige Fälle, also solche, in denen die tatsächlichen Anhaltspunkte noch nicht vorliegen, sondern nur vermutet werden und deshalb erst ermittelt werden müssen, werden von § 5 Abs. 2 Satz 6 ThürVerfSchG gerade nicht erfasst.
2.2.4. Die Klägerin verhält sich auch nicht widersprüchlich, wenn sie zwar die öffentliche Äußerung, sie werde als “Prüffall” behandelt, gerichtlich angreift, nicht aber den Umstand, dass sie überhaupt von dem Beklagten als “Prüffall” behandelt wird (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., Juris-Rdnr. 95).
Die ansehensschädigende Wirkung in der Öffentlichkeit geht erst von dem Informationshandeln gegenüber der Öffentlichkeit aus. Das Gewicht des Eingriffs in die freie Betätigung einer Partei ist ein anderes, je nachdem, ob über die Partei nur behördenintern Informationen gesammelt werden sollen (s. oben Ziffer 2.2.2.) oder ob bereits vor dem abschließenden Ergebnis dieser Tätigkeit die Öffentlichkeit über eventuelle Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterrichtet werden soll, die von der Partei ausgehen (BVerwG, Urteil vom 21.07.2010, 6 C 22/09, Juris-Rdnr. 31).
2.3. Der Beklagte kann sich für das streitgegenständliche Informationshandeln auch nicht auf das Thüringer Pressegesetz (TPG) stützen.
2.3.1. In § 5 Abs. 2 Satz 5 ThürVerfSchG wird ausdrücklich geregelt, dass die Regelungen des Thüringer Pressegesetzes vom Thüringer Verfassungsschutzgesetz unberührt bleiben. Diese Regelung bedeutet, dass Auskunftsansprüche der Presse, insbesondere nach § 4 TPG, selbständig neben § 5 ThürVerfSchG treten und nicht etwa verdrängt werden. § 4 Abs. 1 TPG regelt einen Informationsanspruch der Presse, der in Art. 5 Abs. 1 GG wurzelt (OVG Weimar, Beschluss vom 23.03.2020, 4 EO 113/20, Juris-Rdnr. 56). Dieser Anspruch ist als Pflicht der Behörde zur Auskunftserteilung ausgestaltet. Die zuständige Behörde reagiert hier auf ein Informationsverlangen der Presse, die dabei selbst frei entscheidet, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält (OVG Weimar, a.a.O., Juris-Rdnr. 57). Eine Pflicht der Behörde, ohne ein ausdrückliches Informationsverlangen der Presse Informationen zu veröffentlichen, ist hier nicht vorgesehen (Fechner, Medienrecht, 16. Auflage 2015, Kap. 8 Rdnr. 95). Insofern besteht ein Unterschied zu § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG. Während diese Vorschrift ein selbständiges, proaktives Tätigwerden der Verfassungsschutzbehörde ermöglichen will und gerade nicht ein entsprechendes Presseinteresse voraussetzt, enthält § 4 Abs. 1 TPG lediglich die Pflicht zur Reaktion auf ein Presseinteresse und setzt dieses Presseinteresse voraus. Dieses Interesse muss allerdings nicht in einer konkreten ausdrücklichen Fragestellung zum Ausdruck kommen, sondern die Behörde darf – etwa im Rahmen einer Pressekonferenz – eine sich aufdrängende Frage der Presse antizipieren und mit einer entsprechenden Mitteilung reagieren (vgl. Gärditz, a.a.O., 88).
2.3.2. Allerdings ist der Auskunftsanspruch der Presse begrenzt. Diese Begrenzung ergibt sich bereits aus Art. 5 Abs. 2 GG. § 4 Abs. 2 TPG ermöglicht in Satz 1 der Behörde, in den dort genannten Fällen Auskünfte in Weg einer Ermessensentscheidung zu verweigern. Satz 2 regelt eine Pflicht der Behörde, Auskünfte zu verweigern, soweit Vorschriften über die Geheimhaltung und den Datenschutz entgegenstehen.
Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 TPG in entsprechender Anwendung hatte der Beklagte im vorliegenden Fall die antizipierende Informationserteilung während der Pressekonferenz am 6. September 2018 zu unterlassen und er hätte auf entsprechende konkrete Fragen der Presse die Auskunft verweigern müssen. Denn der presserechtliche Auskunftsanspruch reicht nicht weiter als das verfassungsschutzrechtliche Informationsrecht (ebenso VG Düsseldorf zu der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Juris-Rdnr. 109). Dies entspricht dem allgemeinen presserechtlichen Grundsatz, dass das Pressegesetz keine Auskunftspflicht begründet, wenn die Auskunft anderweitig untersagt ist (Löffler, Presserecht, Rdnr. 109 zu § 4 LPG). Verfassungsschutzrechtlich darf das Amt für Verfassungsschutz nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage Informationen im Sinn des § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG preisgeben. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung verpflichtet das Amt verfassungsschutzrechtlich zum Stillschweigen, um den entgegen stehenden Interessen der Personen und Vereinigungen, über die berichtet werden soll, Rechnung zu tragen. Indem der Gesetzgeber verfassungsschutzrechtlich auf eine Rechtsgrundlage für ein Informationshandeln verzichtet, will er eine Regelung zur Geheimhaltung im Sinn des § 4 Abs. 2 Satz 2 TPG treffen. In Bezug auf § 5 Abs. 2 ThürVerfSchG ergibt sich dieser gesetzgeberische Wille aus der Begründung des Gesetzes. Wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt (LT-Drs. 5/7452, S. 38 f), wollte der Landesgesetzgeber einerseits das in § 5 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG geregelte Informationsrecht für Beobachtungsfälle schaffen bzw. beibehalten und andererseits die Regelung für Verdachtsfälle in § 5 Abs. 2 Satz 6 ThürVerf- SchG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht neu einfügen. Ersichtlich wollte der Landesgesetzgeber es bei diesen abschließenden Regelungen belassen und weitere Informationsbefugnisse nicht regeln.
2.3.3. Nichts anderes ergibt sich bei einer unmittelbar verfassungsrechtlichen Anknüpfung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs. Das Bundesverwaltungsgericht gewährt diesen Rückgriff dann, wenn eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage fehlt und der Gesetzgeber untätig geblieben ist (Urteil vom 20.02.2013, 6 A 2/12, Juris-Rdnr. 29). Dies ist hier angesichts der Regelung in § 4 TPG nicht der Fall. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Vorschrift im Licht der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten inhaltlichen Anforderungen (a.a.O., Juris-Rdnr. 27) defizitär sein könnte. Damit ist für einen über § 4 TPG hinausgehenden Anspruch kein Raum (ebenso VG Düsseldorf, a.a.O., Juris Rdnr. 112).
2.3.4. Ergänzend sei angemerkt, dass die streitgegenständliche Äußerung nicht auf das allgemeine Recht zu staatlichem Informationshandeln gestützt werden kann (ebenso VG Köln, a.a.O., Juris-Rdnr. 83 ff; VG Düsseldorf, a.a.O., Juris-Rdnr. 114 ff). Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die einer Landesregierung obliegende Aufgabe der Staatsleitung als integralen Bestandteil die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit einschließt, und zwar unabhängig von einer gesonderten gesetzlichen Ermächtigung. Diese Befugnis umfasst die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffenden Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit und dabei auch das Aussprechen von Empfehlungen und Warnungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.02.2018, 2 BvE 1/16, Juris-Rdnr. 56). Eine solche allgemeine, außergesetzliche Informationsbefugnis besteht aber nicht, soweit zu einzelnen Bereichen der Gesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen hat, um – wie hier – einem verfassungsrechtlich notwendigen Gesetzesvorbehalt Rechnung zu tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Angemerkt sei, dass die Berufung nicht zugelassen wird, weil die Voraussetzungen der §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen. Insbesondere hat die Sache vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden Rechtsprechung keine grundsätzliche Bedeutung.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).


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