IT- und Medienrecht

Überlassung von Sitzungsunterlagen an die Presse – Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb

Aktenzeichen  M 10 K 17.118

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPrG BayPrG Art. 4 Abs. 1
GO Art. 46 Abs. 2
GG GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 2
VwGO VwGO § 43 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Der presserechtliche Auskunftsanspruch bezieht sich lediglich auf konkrete, anlassbezogene Fragen in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse. Eine Vorabinformation auch nur über die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung als solche gewährleistet Art. 4 BayPrG nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der vergleichenden Betrachtung einzelner Presseerzeugnisse sind Differenzierungen nach der inhaltlichen Richtung und dem Gewicht der Presseerzeugnisse auf dem Pressemarkt nicht zulässig. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein den Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb begründendes Wettbewerbsverhältnis ist lediglich dann zu verneinen, wenn etwa wegen einer bestimmten Spezialisierung, der zeitlichen Erscheinungsweise oder aufgrund des geringen redaktionellen Umfangs eines Blattes von vornherein keine Aussicht besteht, dass das  überlassene Informationsmaterial auch tatsächlich laufend pressemäßig ausgewertet wird. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Vom Anspruch auf Gleichbehandlung ausgeschlossen sind Presseerzeugnisse, bei denen es gar nicht um die Äußerung und Verbreitung von Meinungen und Informationen geht oder bei denen Meinungen und Informationen außerpublizistischen Geschäftszwecken untergeordnet sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Sitzungsunterlagen, insbesondere Beschlussvorlagen, rechtzeitig vor Beginn der Sitzungen der Stadtratsgremien zur Verfügung zu stellen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Weder die Zusendung von Sitzungsmaterialien noch deren Verweigerung sind als Verwaltungsakte zu qualifizieren, die Gegenstand einer Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO sein könnten. Vielmehr kann das Klagebegehren im Wege der allgemeinen Leistungsklage durchgesetzt werden. Da die Beklagte als angegangene Behörde die Zusendung der vom Kläger geforderten Materialien verweigert hat, konnte der Kläger unmittelbar Klage zum Verwaltungsgericht München erheben. Sein Klagebegehren ist auch hinreichend konkret i.S.d. § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO bestimmt.
2. Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb gemäß dem Klagebegehren gegenüber der Beklagten aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu. Er kann geltend machen, dass ihm Sitzungsunterlagen, insbesondere Beschlussvorlagen, rechtzeitig vor Beginn der Sitzungen der Stadtratsgremien zur Verfügung zu stellen sind, so wie es die Beklagte auch gegenüber Journalisten bzw. Redakteuren praktiziert, die für andere Zeitungen arbeiten.
2.1 Eine einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage ist nicht unmittelbar dem Pressegesetz zu entnehmen. Art. 4 Abs. 1 BayPrG gewährleistet der Presse gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Dies deckt das Begehren des Klägers nach ständiger, unaufgeforderter Übermittlung von Sitzungsunterlagen gerade nicht, weil der presserechtliche Auskunftsanspruch sich lediglich auf konkrete, anlassbezogene Fragen in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse bezieht (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 19.12.1995 – 10 L 5059/93 – juris). Eine Vorabinformation auch nur über die Tagesordnung als solche gewährleistet Art. 4 BayPrG nicht (BayVGH, U.v. 8.5.2006 – 4 BV 05.756 – juris Rn. 36).
2.2 Auch dem Kommunalrecht – hier der einschlägigen Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) – lässt sich kein unmittelbarer Anspruch des Klägers auf die begehrten Sitzungsunterlagen entnehmen. Nach Art. 46 Abs. 2 GO bereitet der erste Bürgermeister die Beratungsgegenstände vor und beruft den Gemeinderat unter Angabe der Tagesordnung ein. Insoweit können nur Gemeinderatsmitglieder die Übersendung der Tagesordnung und ggf. vom Bürgermeister vorbereiteter Sitzungsunterlagen verlangen. Darüber hinaus sieht § 24 Abs. 4 Geschäftsordnung für den Stadtrat der Beklagten vor (erlassen aufgrund Art. 45 Abs. 1 GO), dass den örtlichen Medien die Tagesordnung jeder öffentlichen Sitzung rechtzeitig mitgeteilt werden soll; bei einer Weitergabe von ergänzenden Sitzungsunterlagen sind die einschlägigen Vorschriften des Datenschutzes zu beachten. Aus der Soll-Regelung, die nur die Tagesordnung erfasst, kann kein Anspruch auf Herausgabe von Beschlussvorlagen abgeleitet werden, zudem wird die Tagesordnung selbst nach Angaben der Beklagten allgemein im Internet veröffentlicht. Die Regelung zur „Weitergabe von ergänzenden Sitzungsunterlagen“ begründet gerade keinen durchsetzbaren Anspruch, sondern verpflichtet die Gemeindeverwaltung bzw. die Bürgermeisterin nur zur Beachtung des Datenschutzes bei der Entscheidung über die Weitergabe von Unterlagen.
2.3 Ebenso kann der Kläger sich nicht auf § 8 Abs. 2 Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) stützen. Danach sind Amtliche Nachrichten und Mitteilungen gemäß Art. 4 BayPrG auf Verlangen allen Medien unter gleichen Bedingungen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Jedoch findet die Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern nach § 1 AGO für alle Behörden des Freistaates Bayern Anwendung, nicht aber für die Beklagte als Gemeinde. Nach § 36 AGO wird Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur empfohlen, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Eine unmittelbare Geltung für Kommunen besitzt die Allgemeine Geschäftsordnung damit nicht.
2.4 Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich jedenfalls aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind hier unmittelbar anwendbar. Der sich daraus ergebende Anspruch ist das Gegenstück zur Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Herausgebern von Presseerzeugnissen, die untereinander im publizistischen Wettbewerb stehen (BVerfGE 80, 124, 133 f.). Vorliegend wird der Kläger, wie von der Beklagten ausdrücklich zugestanden, anders behandelt als die Vertreter der (anderen) örtlichen Medien … Merkur, … Zeitung (Landkreis) und Kreisbote. Insoweit liegt wertend beim Kläger aber ein gleichgelagerter Sachverhalt vor, der keine gegenüber den anderen Redaktionen unterschiedliche Behandlung zulässt.
2.4.1 Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht liegt zwar, wie vom Beklagtenvertreter richtig festgestellt, nicht schon dann vor, wenn die Behörde bei der Zuweisung von Vorteilen differenzierende Maßstäbe anlegt. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet lediglich, Inhalt der Meinungen oder die Tendenz von Presseerzeugnissen zum Förderungskriterium zu machen und sich auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu verschaffen (BVerfG, B.v. 6.6.1989 – 1 BvR 727/84 – BVerfGE 80, 124, 134), der nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat (vgl. BVerfG, U.v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62 – BVerfGE 20, 162, 174 ff.).
2.4.2 Entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters sind allerdings, wie in der vom Beklagtenvertreter an anderer Stelle zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (U.v. 3.6.1997 – 5 A 6391/95 – NVwZ-RR 1998, 311) ausdrücklich klargestellt, bei der vergleichenden Betrachtung einzelner Presseerzeugnisse Differenzierungen nach der inhaltlichen Richtung und dem Gewicht auf dem Pressemarkt nicht zulässig (vgl. auch OVG NW, U.v. 30.4.1996 – 5 A 4302/93 – DVBl 1996, 1384). Der … Bote ist, wenn auch sicher nicht von gleichem Gewicht auf dem Pressemarkt wie die auf dem Verteiler verbliebenen Pressevertreter, wie auch vom Landratsamt … festgestellt, den örtlichen Medien zuzurechnen und insofern gleichberechtigt zu behandeln.
2.4.3 Ein den Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb begründendes Wettbewerbsverhältnis ist lediglich dann zu verneinen, wenn, wie vom Beklagtenvertreter zitiert, etwa wegen einer bestimmten Spezialisierung, der zeitlichen Erscheinungsweise oder aufgrund des geringen redaktionellen Umfangs eines Blattes von vornherein keine Aussicht besteht, dass das in Betracht kommende Informationsmaterial auch tatsächlich laufend pressemäßig ausgewertet wird. In diesem Falle kann der betreffende Verleger, Herausgeber oder Redakteur auf Einzelanfragen verwiesen werden (OVG NW, U.v. 3.6.1997 – 5 A 6391/95 – NVwZ-RR 1998, 311).
2.4.3.1 In der Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen wurde ein Wettbewerbsverhältnis verneint bei einer Publikation, welche, wie auch der … Bote, nur vierteljährlich erschien. Entgegen der Ansicht des Beklagtenvertreters ist allerdings allein aufgrund der Erscheinungsweise als Quartals-Druckschrift gerade nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das in Betracht kommende Informationsmaterial auch tatsächlich laufend pressemäßig ausgewertet wird. So werden unter der Rubrik „Notizen aus dem Rat“ im … Boten die jeweiligen Sitzungen des Quartals besprochen, zu deren Vorbereitung das streitige Informationsmaterial geeignet und erforderlich ist.
2.4.3.2 Gestützt wurde die Verneinung des Wettbewerbsverhältnisses im Fall vor dem OVG Nordrhein-Westfalen vielmehr auf die Tatsache, dass die dort behandelte Publikation losgelöst von örtlichen Geschehnissen die politische Ideologie des Herausgebers zu verbreiten suchte, so dass die Zusendung städtischer Pressemitteilungen für den Herausgeber keinen objektiv erkennbaren Mehrwert versprach. So urteilte das Gericht, dass die den Pressemitteilungen zu entnehmenden Informationen im streitigen Fall „wegen der beschränkten Behandlung lokaler Themen in der Regel selbst als Hintergrundwissen keine Bedeutung für die journalistische Arbeit des Klägers erlangen.“ (OVG NW, U.v. 3.6.1997 – 5 A 6391/95 a.a.O.). Der … Bote ist in diesem Sinne mit der Publikation aus dem Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen nicht vergleichbar. Vielmehr behandelt er schwerpunktmäßig örtliche Geschehnisse, bzw. Geschehnisse mit Lokalbezug (so insbesondere die Titelgeschichte und die bereits angesprochene Rubrik „Notizen aus dem Rat“, welche einen nicht unerheblichen Umfang in der Publikation einnehmen). Der Mehrwert, den der Kläger hierfür von der Zusendung von Sitzungsmaterialien zur Erleichterung der Vorbereitung auf die Sitzungen oder auch für deren nachträgliche journalistische Aufarbeitung hätte oder jedenfalls haben könnte, ist objektiv erkennbar.
2.5 Dass der … Bote durch Anzeigen oder Mitgliedsbeiträge finanziert wird, ansonsten aber unentgeltlich an die örtlichen Haushalte verteilt wird, was nach Auffassung der Beklagten auf eine Werbeschrift hindeutet, ändert an dieser Einschätzung ebenfalls nichts. Wie vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Juni 1989 (1 BvR 727/84 a.a.O.) festgestellt, kann lediglich zwischen publizistischen und außerpublizistischen Herausgabezwecken unterschieden werden. Ausgeschlossen vom Anspruch auf Gleichbehandlung sind danach Presseerzeugnisse, bei denen es gar nicht um die Äußerung und Verbreitung von Meinungen und Informationen geht oder bei denen Meinungen und Informationen außerpublizistischen Geschäftszwecken untergeordnet sind. Dies ist beim … Boten nicht der Fall. Der … Bote verfolgt publizistische Herausgabezwecke, wie sich aus beispielhaft vorgelegten Einzelheften (Ausgaben März 2014, Juni 2014, März 2015, September 2015 und März 2017) zweifelsfrei ergibt.
Die Beklagte ist damit zur begehrten Versendung von vorbereitenden Informationsmaterialien an den Kläger zu verpflichten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO analog i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.


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