IT- und Medienrecht

Untersagung des Gewerbes „Grafikdesign“

Aktenzeichen  22 B 17.2245

Datum:
2.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2018, 17215
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 5 Abs. 3 S. 1, Art. 12 Abs. 1
GewO § 35 Abs. 1, Abs. 4, § 146, § 148
BayVwVfG Art. 9, Art. 35 Abs. 1 S. 1, Art. 37 Abs. 1, Art. 46

 

Leitsatz

1 Die Ausübung des Gewerbes „Grafikdesign“ kann untersagt werden, wenn die erstellten Werbegrafiken nicht als Kunst einzustufen sind, weil die kommerzielle Botschaft im Vordergrund steht. (Rn. 41 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
2 Soweit Gebrauchs- oder Werbegrafiken nichtgewerblichen sondern künstlerischen Charakter aufwiesen, sind sie von dieser Gewerbeuntersagung trotz der hiermit verbundenen Schwierigkeiten der Abgrenzung im Einzelfall nicht erfasst. (Rn. 51 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Untersagung der “Ausübung jeglicher selbstständiger Tätigkeit” ist rechtswidrig, da die Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung (§ 35 Abs. 1 S. 2 GewO) nur die Untersagung jeglicher “gewerblicher” Tätigkeit erlaubt. (Rn. 57 – 61) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist rechtswidrig, wenn die Industrie- und Handelskammer hierzu nicht angehört wurde. (Rn. 62 – 65) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 16 K 16.1626 2017-03-20 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. März 2017 wird abgeändert.
II. Aus dem Bescheid der Beklagten vom 7. März 2016 werden aufgehoben
1. die Nummer 2;
2. die Nummer 6 insofern, als in deren Satz 1 eine den Betrag von 400,- Euro übersteigende Gebühr festgesetzt wurde.
III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen fallen zu drei Vierteln der Klägerin, zu einem Viertel der Beklagten zur Last.
V. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung bleibt insoweit ohne Erfolg, als sich die Klägerin gegen den auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützten Ausspruch in der Nummer 1 des Bescheids vom 7. März 2016 wendet (1.). Die unter der Nummer 2 des Tenors des gleichen Bescheids getroffene Regelung kann demgegenüber keinen Bestand haben (2.). Als Folge hiervon war auch der im Satz 1 der Nummer 6 des Bescheidstenors vorgenommene Kostenansatz insofern aufzuheben, als dort eine 400 € übersteigende Gebühr festgesetzt wurde (3.).
1. Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht die weitere Ausübung des Gewerbes „Grafikdesignerin“ untersagt, da sie bei Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens eine derartige gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hat (1.1), sie im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Untersagungsbescheids gewerberechtlich unzuverlässig war (1.2), und die Tatsache, dass eine Betätigung auf dem Gebiet des Grafikdesigns fallweise als „Kunst“ anzusehen sein kann und sie unter dieser Voraussetzung nicht gemäß § 35 Abs. 1 GewO verboten werden darf, der Rechtmäßigkeit der Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids nicht entgegensteht (1.3).
1.1 Die Tätigkeit, die die Klägerin für die l* … GmbH ausgeübt hat, stellte sich als Ausübung eines Gewerbes dar. Von den Tatbestandsmerkmalen des Gewerbebegriffs bedürfen im gegebenen Fall nur das Erfordernis einer „selbständigen“ Tätigkeit (1.1.1) sowie das Nichtvorliegen einer „höheren“ – hier: künstlerischen – Betätigung (1.1.2) näherer Erörterung.
1.1.1 Dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die l* … GmbH als Selbständige anzusehen war, folgt nicht bereits daraus, dass sie in dem am 10./11. Februar 2014 geschlossenen Vertrag als „freie Mitarbeiterin“ bzw. „Auftragnehmerin“ bezeichnet wurde und in dieser Vereinbarung von einer freiberuflichen Tätigkeit unter ausdrücklichem Ausschluss eines Arbeitsverhältnisses die Rede ist. Da die an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpfende Geltung der Schutzvorschriften des Arbeitsrechts nicht durch Parteivereinbarung abbedungen werden kann (BAG, U.v. 9.6.1993 – 5 AZR 123/92 – juris Rn. 12), würde die bloße Deklarierung einer Beschäftigung als selbständige Tätigkeit, die in Widerspruch zu den tatsächlichen Umständen der Leistungserbringung (vgl. zu deren Maßgeblichkeit z.B. BAG, U.v. 19.11.1997 – 5 AZR 653/96 – BAGE 87, 129/136; U.v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218/222) stünde, nicht ausreichen, um eine Anstellung in persönlicher Abhängigkeit – und damit das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses – zu verneinen. Die gebotene Betrachtung des Gesamtbilds der Tätigkeit (vgl. Eisenmenger in Landmann/Rohmer, GewO, Stand März 2018, § 1 Rn. 9) bzw. die erforderliche Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände (BAG, U.v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218/223; B.v. 26.9.2002 – 5 AZB 19/01 – juris Rn. 70) führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Klägerin gegenüber der l* … GmbH als selbständige Werkunternehmerin oder Auftragnehmerin tätig wurde, ohne dort in abhängiger Stellung beschäftigt gewesen zu sein.
Hierbei wird nicht verkannt, dass der Vertrag vom 10./11. Februar 2014 Elemente aufweist, die für einen Arbeitsvertrag typisch sind. Das gilt namentlich für das vereinbarte feste Stundenhonorar und die Regelung, dass pro Monat höchstens 80 Stunden in Ansatz gebracht werden dürfen; beide Klauseln weisen in ihrer Zusammenschau Parallelen zu einer Beschäftigung im Umfang der Hälfte der weithin üblichen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf. Nicht von vornherein außer Betracht bleiben darf ferner, dass es in der Nummer 1 Buchst. a des Vertrages heißt, die Klägerin übernehme die Tätigkeit Grafik „im Bereich/in der Abteilung CRM/Grafik“ der l* … GmbH.
Die letztgenannte Regelung würde jedoch nur dann den Schluss auf die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin rechtfertigen, wenn sie in die betriebliche Arbeitsorganisation der l* … GmbH eingebunden gewesen wäre (vgl. zur Bedeutung dieses Merkmals für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses z.B. BAG, U.v. 9.6.1993 – 5 AZR 123/92 – juris Rn. 13; U.v. 19.11.1997 – 5 AZR 21/97 – juris Rn. 24; U.v. 19.11.1997 – 5 AZR 653/96 – BAGE 87, 129/135; U.v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218/222; B.v. 26.9.2002 – 5 AZB 19/01 – juris Rn. 70). Einer solchen Annahme steht vor allem entgegen, dass sie nach der Nummer 2 des Vertrages vom 10./11. Februar 2014 hinsichtlich der Durchführung ihrer Tätigkeit, insbesondere hinsichtlich der Zeit und des Orts ihrer Leistungserbringung, keinen Weisungen dieses Unternehmens unterlag. Wer aber im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, gilt nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB als selbständig; diese Vorschrift enthält eine über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinausgehende gesetzliche Wertung (BAG, U.v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218/223).
Der Bejahung einer selbständigen Tätigkeit stünde es nicht entgegen, wenn die Klägerin – wovon nach Sachlage auszugehen ist – verpflichtet gewesen sein sollte, Vorgaben der l* … GmbH hinsichtlich des Inhalts der grafisch umzusetzenden Werbebotschaften sowie des Zeitpunkts der Ablieferung ihrer Produkte zu beachten. Denn derartigen Weisungen können nach § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB auch Werkunternehmer und gemäß § 665 Satz 1 BGB auch selbständige Auftragnehmer unterliegen. Dass die Klägerin hinsichtlich der fachlichen Umsetzung der ihr erteilten Aufträge frei war, hat sie im letzten Absatz des Schreibens ihrer Bevollmächtigten vom 31. August 2017 im Übrigen ausdrücklich vorgetragen.
Bestätigt wird der selbständige Charakter der von ihr ausgeübten Tätigkeit durch den Umstand, dass der Klägerin nach der Nummer 1 Buchst. b Satz 1 des Vertrages vom 10./11. Februar 2014 kein Anspruch auf die Erteilung von Aufträgen durch die l* … GmbH zustand; eine solche Regelung wäre mit der Pflicht von Arbeitgebern, einen Arbeitnehmer entsprechend der vereinbarten Tätigkeit zu beschäftigen (BAG – GS – B.v. 27.2.1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122/130 – 142), nicht vereinbar. Gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses spricht ferner, dass die Klägerin nach der Nummer 1 Buchst. b Satz 2 des Vertrages ihrerseits berechtigt war, Aufträge der l* … GmbH abzulehnen, und dass sie die vertraglich geschuldeten Leistungen – wenn auch unter dem Vorbehalt der Zustimmung dieses Unternehmens – durch eigene Mitarbeiter oder Dritte erbringen lassen konnte (vgl. zu letzterem die Nummer 6 des Vertrages). Da nach § 613 Satz 1 BGB ein zu Dienstleistungen Verpflichteter im Zweifel in eigener Person tätig zu werden hat, stellt die Befugnis, die geschuldete Leistung auf Dritte zu delegieren, im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung ebenfalls ein Indiz dar, das gegen die Arbeitnehmereigenschaft spricht (BAG, U.v. 19.11.1997 – 5 AZR 653/96 – BAGE 87, 129/137 f.). Die Regelung in der Nummer 1 Buchst. a des Vertrages kann vor dem Hintergrund all dieser Gegebenheiten nur als Ausdruck der Tatsache verstanden werden, dass die Klägerin Aufgaben wahrgenommen hat, die aus der Abteilung „Grafik“ der l* … GmbH ausgegliedert und auf Selbständige übertragen wurden.
Wenn die Klägerin in den der l* … GmbH ausgestellten Rechnungen die auf ihre Entgeltforderung entfallende Mehrwertsteuer jeweils gesondert ausgewiesen und die l* … GmbH diese Beträge, die zu dem in der Nummer 4 Buchst. a Satz 1 des Vertrages genannten Honorar hinzutraten, an sie überwiesen hat, so zeigt das, dass der Vertrag vom 10./11. Februar 2014 auch tatsächlich in Übereinstimmung mit seinem Wortlaut (vgl. die umsatzsteuerrechtliche Regelung in der dortigen Nummer 4 Buchst. b) vollzogen wurde.
1.1.2 Der Einordnung der von der Klägerin für die l* … GmbH erbrachten Leistungen als gewerblich steht es nicht entgegen, dass Tätigkeiten „höherer Art“, zu denen u. a. die Schaffung von Kunstwerken gehört, nicht dem Gewerbebegriff unterfallen. Denn den von ihr für dieses Unternehmen erstellten Werbegrafiken kommt nicht der Charakter von Kunst zu.
Die Unmöglichkeit, den Begriff der Kunst abschließend zu definieren, entbindet den Rechtsanwender nicht von der Pflicht, im Einzelfall darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegen, da der aus diesem Grundrecht folgende Schutzauftrag andernfalls leerlaufen könnte (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/225). Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass die von der Klägerin für die l* … GmbH erstellten Erzeugnisse keinem der Erfordernisse genügen, die in der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft entwickelt wurden, um den Begriff der „Kunst“ so weit zu konturieren, dass er in der Praxis handhabbar wird. Ein dergestalt topischer Ansatz trägt zugleich dem Umstand Rechnung, dass keiner der im juristischen Diskurs unternommenen Versuche, den Bedeutungsgehalt des Kunstbegriffs zu bestimmen, frei von Schwächen und Einseitigkeiten ist und nur ein kumulativer Rekurs auf die in Erwägung zu ziehenden Kriterien dem Facettenreichtum künstlerischen Tuns in Vergangenheit und Gegenwart gerecht wird.
1.1.2.1 In der Mehrzahl seiner zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergangenen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht das Wesen der künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung erblickt, in der Eindrücke, Erfahrungen oder Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (BVerfG, B.v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173/188 f.; B.v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/226; B.v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85 – BVerfGE 75, 369/377; B.v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130/138; B.v. 13.6.2007 – 1 BvR 1783/05 – BVerfGE 119, 1/20 f.). Das Vorliegen eines Kunstwerks setzt danach eine Schöpfung voraus, die „primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers“ ist (BVerfG, B.v. 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173/189; B.v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/226).
Die Werbegrafiken, die die Klägerin auf den Blättern 1 bis 5 der Anlage 1c zum Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 27. Juni 2017 vorgelegt hat, genügen diesem „materialen Kunstbegriff“ offensichtlich nicht. Denn sie beschränken sich auf die Übermittlung der Information, Waren von welcher Art innerhalb welcher Preisgruppen bzw. mit welcher (maximalen) Preisermäßigung bei der l* … GmbH erworben werden konnten; teilweise wurde auch nur ein prozentualer Ermäßigungssatz oder ein Ermäßigungsbetrag, ggf. verbunden mit der Erwähnung der „Anknüpfungstatsache“ für die Reduzierung, genannt. Eine – wie auch immer geartete – Konnotation mit einer spezifischen Vorstellungs- oder Erlebniswelt der Klägerin, in der ihre höchstpersönliche, unverwechselbare „Handschrift“ sichtbar wird, lässt sich in keiner der von ihr zur Verfügung gestellten Arbeiten erkennen. Dieser Befund liegt derart klar zutage, dass das Gericht die vorbezeichnete Feststellung ohne sachverständige Unterstützung treffen kann. Nur in „Grenz- und Übergangsfällen“ setzt die Bejahung bzw. Verneinung der Einstufung eines Erzeugnisses als Kunst die Einholung eines Gutachtens voraus (BFH, U.v. 14.12.1976 – VIII R 76/75 – juris Rn. 24 f.; B.v. 1.6.2006 – IV B 200/04 – juris Rn. 21), sofern das Gericht nicht ausnahmsweise auch insofern über die für die Beurteilung derartiger Konstellationen erforderliche Sachkunde verfügt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung FG München, U.v. 10.7.2014 – 15 K 2275/11 – juris Rn. 28),
1.1.2.2 Im Beschluss vom 17. Juli 1984 (1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/226 f.) hat das Bundesverfassungsgericht die vorgenannten Kriterien um den Hinweis darauf ergänzt, dass die Einstufung eines Objekts als Kunstwerk auch dann geboten sein kann, wenn „bei formaler, typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt sind“. Auch wenn Werbegrafiken fallweise die Grenze zur Kunst überschreiten können, so kann doch keine Rede davon sein, in Kunstfragen kompetente Personen (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. Wendt in v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 92) sähen derartige bildliche Darstellungen als eine typische, tradierte Erscheinungsform künstlerischen Schaffens an. Der „formale Kunstbegriff“ (BVerfG, B.v. 17.7.1984 – 1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/227) versagt hier in ähnlicher Weise wie bei Fotografien oder bei Bauwerken: Auch insoweit lässt sich über die Kunsteigenschaft eines Objekts nicht bereits aus seiner Zugehörigkeit zu einer Gattung, sondern erst unter Hinzunahme weiterer Kriterien befinden (vgl. von Arnauld in Bonner Kommentar zum GG, Stand Mai 2017, Art. 5 Abs. 3 Rn. 52).
1.1.2.3 Im Beschluss vom 17. Juli 1984 (1 BvR 816/82 – BVerfGE 67, 213/227) hat sich das Bundesverfassungsgericht im Übrigen ebenfalls nicht mit der Zugehörigkeit der seinerzeit zu beurteilenden Bühnenaufführung zur Gattung „Theater“ begnügt, sondern zusätzlich danach gefragt, ob dem zu beurteilenden Werk „im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen“ sind, „so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung“ ergebe. Auch auf der Grundlage dieses „kommunikativen Kunstbegriffs“ (von Arnauld in Bonner Kommentar zum GG, Stand Mai 2017, Art. 5 Abs. 3 Rn. 54 – 59) lässt sich ein künstlerischer Charakter der von der Klägerin geschaffenen Werbegrafiken nicht bejahen. Denn sie sind zweifelsfrei weder geeignet noch auch nur darauf angelegt, in der Person des Betrachters Prozesse auszulösen, die auf eine über die Rezeption der offen zutage liegenden kommerziellen Botschaft hinausgehende Entschlüsselung der bildlichen Darstellung abzielen; dass ihnen eine oder mehrere den vordergründigen Informationsgehalt transzendierende Bedeutungsebenen innewohnen, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
1.1.3 Wie im Umkehrschluss aus § 35 Abs. 1 Satz 3 GewO folgt, setzt ein auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützter Ausspruch voraus, dass das untersagte Gewerbe im Zeitpunkt der Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens tatsächlich ausgeübt wurde (BVerwG, U.v. 16.3.1982 – 1 C 124.80 – juris Rn. 14; B.v. 19.2.1993 – 1 B 20.93 – GewArch 1995, 117; U.v. 14.7.2003 – 6 C 10.03 – DVBl 2004, 129/130). „Eingeleitet“ ist ein Gewerbeuntersagungsverfahren dann, wenn die Behörde eine nach außen wirkende Tätigkeit im Sinn von Art. 9 BayVwVfG entfaltet hat, die auf die Prüfung der Voraussetzungen eines auf § 35 Abs. 1 Satz 1 oder auf § 35 Abs. 7a GewO gestützten Verwaltungsakts gerichtet ist. Das dem Bescheid vom 7. März 2016 vorausgehende Verwaltungsverfahren wurde danach am 25. August 2015 in Gang gesetzt, da die Beklagte damals Auskunftsersuchen an die Staatsanwaltschaft München sowie zwei Abteilungen des Amtsgerichts München richtete, um Informationen über Umstände zu erlangen, die für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit der Klägerin von Bedeutung sein konnten. Derartige Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung stellen auch dann eine „nach außen wirkende Tätigkeit“ im Sinn von Art. 9 BayVwVfG dar, wenn sie sich an Stellen innerhalb der öffentlichen Gewalt richten, sofern diese sich hinreichend deutlich von derjenigen verwaltungsorganisatorischen Einheit unterscheiden, die für den Erlass der Untersagungsverfügung zuständig ist (vgl. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 9 Rn. 117 f.; im Ergebnis ähnlich Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand März 2018, § 35 Rn. 97). Da der Vertrag zwischen der Klägerin und der l* … GmbH bereits im Februar 2014 geschlossen wurde und sie diesem Unternehmen jedenfalls bis Ende April 2016 Rechnungen über erbrachte Leistungen ausgestellt hat, ist nicht zweifelhaft, dass sie Ende August 2015 das Gewerbe „Grafikdesign“ tatsächlich ausgeübt hat.
1.2 Die Klägerin war im insoweit maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (nämlich beim Erlass bzw. bei der am 9.3.2016 erfolgten Bekanntgabe des Bescheids vom 7.3.2016; vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – BVerwGE 65, 1/2 f.) unzuverlässig, da sie zuvor über eine beträchtliche Zeit hinweg ihrer Steuerentrichtungspflicht nicht nachgekommen war und sie zudem, wie aus den erfolglos gebliebenen Vollstreckungsversuchen und der sie betreffenden Eintragung im Vollstreckungsportal folgt, wirtschaftlich nicht leistungsfähig war. Hinzu kam, dass sie hinsichtlich des Jahrs 2013 ihre Steuererklärungspflicht nicht erfüllt hat, und dass es ihr an der erforderlichen Rechtstreue fehlte. Letzteres folgt daraus, dass sie entgegen der sich aus § 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO oder § 284 Abs. 1 Satz 1 AO ergebenden Verpflichtung der Aufforderung des Gerichtsvollziehers oder der Vollstreckungsbehörde, eine Vermögensauskunft abzugeben, jedenfalls zunächst nicht nachgekommen ist, so dass zu diesem Zweck die Anordnung der Erzwingungshaft (§ 802g ZPO bzw. § 284 Abs. 8 AO) erforderlich wurde.
Die Zahlungen, die sie bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt an das Finanzamt und die Beklagte erbracht hat, vermögen an diesem Befund nichts zu ändern, da sie angesichts der nur begrenzten Höhe dieser Leistungen und der unsystematischen Art der Versuche, die insoweit bestehenden Schulden zu verringern, nicht die Prognose rechtfertigten, die Klägerin werde ihren Pflichten als Gewerbetreibende künftig ordnungsgemäß nachkommen. Letzteres wäre nur der Fall, wenn die Zahlungen den Schluss erlaubt hätten, es werde ihr gelingen, jedenfalls den größten Teil der bestehenden Verbindlichkeiten innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wegzufertigen. Hiervon kann angesichts der Höhe der im Zeitpunkt der Zustellung des Untersagungsbescheids weiterhin bestehenden Steuerrückstände keine Rede sein. Da nach dem 9. März 2016 liegende Verhaltensweisen der Klägerin bei der Beurteilung ihrer gewerberechtlichen Zuverlässigkeit außer Betracht bleiben müssen (BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – BVerwGE 65, 1/2 f.), ist lediglich nachrichtlich anzumerken, dass die von ihr nach Bescheidserlass abgegebenen Steuererklärungen und die seither geleisteten Zahlungen ebenfalls zu keiner effektiven Reduzierung der Gesamtheit der gegen sie gerichteten Steuerforderungen geführt haben. Nach glaubhafter Darstellung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat die Klägerin nunmehr zwar die Forderungen des Stadtsteueramtes vollständig getilgt; dem steht jedoch ein Anstieg der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt auf 53.028,55 € gegenüber.
Dahinstehen kann, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, ein Teil ihrer Steuerschulden beruhe darauf, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann veranlagt worden sei. Sollte diese Einlassung zutreffen, käme ihr hinsichtlich dieser Forderungen gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 AO die Rechtsstellung einer Gesamtschuldnerin zusammen mit ihrem Ehemann zu. Dies hätte nach § 44 Abs. 1 Satz 2 AO zur Folge, dass in der Person ihres Ehegatten entstandene steuerliche Verbindlichkeiten eigenen Steuerschulden der Klägerin gleichstehen.
1.3 Wie vor allem die Rechtsprechung der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit zur Abgrenzung zwischen gewerbesteuerpflichtigen und – wegen des künstlerischen Charakters der erstellten Werke – nicht gewerbesteuerpflichtigen Betätigungen von Gebrauchs- oder Werbegrafikern zeigt (vgl. z.B. BFH, B.v. 1.6.2006 – IV B 200/04 – juris; FG Düsseldorf, U.v. 5.11.2004 – 1 K 3118/02 G – juris; FG Köln, U.v. 15.2.2006 – 14 K 7867/98 – juris; FG RhPf, U.v. 24.10.2013 – 6 K 1301/10 – juris; FG München, U.v. 10.7.2014 – 15 K 2275/11 – juris), kann auch eine Tätigkeit als Grafikdesigner je nach Lage des einzelnen Falles nichtgewerblichen Charakter aufweisen. Dieser Umstand lässt die Rechtmäßigkeit der Nummer 1 des Tenors des Bescheids vom 7. März 2016 jedoch unberührt.
Dass es der Klägerin hierdurch selbst dann nicht verboten wird, als „Kunst“ einzustufende Objekte wirtschaftlich zu verwerten, wenn diese dem Gattungsbegriff des „Grafikdesigns“ zuzuordnen sind, folgt daraus, dass die Nummer 1 des Bescheidstenors ausdrücklich nur die Untersagung des „Gewerbes“ einer Grafikdesignerin „als selbständiger Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe“ zum Gegenstand hat. Damit sind Betätigungen, die wegen ihres künstlerischen Charakters nicht dem Gewerbebegriff unterfallen, zweifelsfrei aus dem Geltungsbereich des der Klägerin durch diesen Teil des streitgegenständlichen Bescheids erteilten Rechtsbefehls ausgenommen.
Der Verwaltungsgerichtshof verkennt hierbei nicht, dass diese – formal gesehen eindeutige – Regelung wegen der hochgradigen Unbestimmtheit des Kunstbegriffs dann Schwierigkeiten aufwerfen kann, wenn entweder die Klägerin selbst oder die Beklagte oder aber ein Gericht darüber zu befinden haben, ob eine Betätigung von der in der Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Regelung erfasst wird. Gesteigertes Gewicht erlangt diese Unsicherheit durch die Tatsache, dass bereits ein einmaliger Verstoß gegen eine vollziehbare Gewerbeuntersagung (diese Voraussetzung erfüllt der Bescheid vom 7.3.2016 gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO seit dem 29.8.2017) nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GewO eine Ordnungswidrigkeit darstellt, und dass § 148 Nr. 1 GewO die beharrliche Begehung derartiger Taten mit Kriminalstrafe bedroht.
Möglichkeiten, dem gesetzlichen Bestimmtheitserfordernis (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) in noch größerem Maß Rechnung zu tragen, als dies durch die mehrfach zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Nummer 1 des Bescheidstenors auf gewerbliche Betätigungen (und die damit implizit erfolgte Ausklammerung künstlerischer Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich dieser Regelung) bereits erfolgt ist, sind indes nicht ersichtlich. Namentlich hätte die Aufnahme einer Aussage in den Bescheidstenor oder die Bescheidsgründe, der zufolge die wirtschaftliche Verwertung eigener Erzeugnisse der Klägerin, die als „Kunst“ einzustufen sind, auch dann nicht von dem auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützten Ausspruch erfasst wird, wenn solche Werke mit den Mitteln des Grafikdesigns geschaffen wurden (vgl. die im Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 31.7.1990 – Bf VI 71/90 – juris Rn. 18 referierte Vorgehensweise der dortigen Gewerbebehörde in einer vergleichbaren Fallgestaltung), die Rechtsanwendungssicherheit im Ergebnis in keiner Weise erhöht. Denn durch einen solchen klarstellenden Vermerk würde z.B. die zutreffende Beantwortung der Frage, ob die Klägerin weiterhin zum Zweck der Einnahmeerzielung Bucheinbände in der Weise gestalten darf, wie sie dies ausweislich des letzten Blatts der Anlage 1c zum Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 27. Juni 2017 in der Vergangenheit getan hat, nicht einmal ansatzweise erleichtert: Anders als das bei den von ihr erstellten Werbegrafiken der Fall ist, lässt es sich nach Auffassung des erkennenden Senats nicht eindeutig beantworten, ob diese Erzeugnisse der Klägerin, die sich grafischer Mittel (Bild, Farbe, Zeichnung und Text) bedienen und deshalb wohl als „Grafikdesign“ verstanden werden müssen, künstlerischen Charakter aufweisen oder nicht.
Die bestehende Unsicherheit im „künstlerischen Grenzbereich“ bedeutet jedoch nicht, dass deshalb die von der Beklagten ausgesprochene Untersagung des von der Klägerin konkret ausgeübten Gewerbes hätte unterbleiben müssen. Will die Klägerin bei der Einstufung als Kunst oder Nicht-Kunst kein Risiko eingehen, steht es ihr frei, sich in nicht eindeutigen Fallgestaltungen um eine Klärung vor der kommerziellen Verwertung der betreffenden Werke zu bemühen. Der Senat verweist insoweit auf die vom Freistaat Bayern eingerichteten Gutachterausschüsse (vgl. die Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 25.2.2016 – S 2246.1.1-1/6 St32, die über den Internetauftritt dieser Behörde allgemein zugänglich ist); zwei dieser Gremien wurden eigens für Begutachtungen auf dem Gebiet der Gebrauchsgrafik (und des Fotodesigns) gebildet.
Nicht entgegensetzen könnte die Klägerin den Schutz der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 108 der Verfassung des Freistaates Bayern) dem Geltungsanspruch der ihr gegenüber erlassenen Gewerbeuntersagung allerdings dann, wenn die wirtschaftliche Verwertung von als „Kunst“ einzustufenden Werken in untrennbarem Zusammenhang mit der Ausübung einer vom streitgegenständlichen Bescheid erfassten gewerblichen Betätigung durch sie stünde. Denn der durch § 35 Abs. 1 GewO bezweckte Schutz der Allgemeinheit und von künftigen potenziellen Vertragspartnern vor den Nachteilen, die aus der Teilnahme einer gewerberechtlich unzuverlässigen Person am Wirtschaftsverkehr erwachsen können, gebietet es, dem Betroffenen bei einer nicht auflösbaren Gemengelage zwischen gewerblicher und künstlerischer Tätigkeit eine Berufung auf den Wirkbereich der Kunstfreiheit zu versagen (OVG Hamburg, U.v. 31.7.1990 – Bf VI 71/90 – NJW 1991, 1500/1501 f.; SächsOVG, B.v. 23.8.2011 – 3 B 247/10 – juris Rn. 9).
2. Keinen Bestand kann demgegenüber der auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gestützte Ausspruch in der Nummer 2 des Bescheidstenors haben.
2.1 Die Beklagte ging allerdings zu Recht davon aus, dass im gegebenen Fall die Voraussetzungen einer erweiterten Gewerbeuntersagung vorlagen. Denn die von der Klägerin verwirklichten Unzuverlässigkeitstatbestände beschränken sich nicht auf das Gewerbe „Grafikdesignerin“, sondern sind für alle Arten gewerblicher Betätigungen einschlägig. Ebenfalls erfüllt ist die weitere Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen dürfen, die die künftige Ausübung eines anderen Gewerbes durch die Klägerin oder ihr Wechseln in eine Vertreter- bzw. Betriebsleiterposition als ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17.79 – BVerwGE 65, 9/11). Die Wahrscheinlichkeit einer anderweitigen Gewerbeausübung durch sie folgt vielmehr bereits daraus, dass sie trotz eingetretener Unzuverlässigkeit an der Ausübung ihres Gewerbes festgehalten hat (vgl. auch dazu BVerwG, U.v. 2.2.1982 a.a.O. S. 11); ihrem eigenen Bekunden in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof zufolge endete die Tätigkeit für die l* … GmbH erst dadurch, dass sie seitens dieses Unternehmens keine Aufträge mehr erhalten hat.
2.2 Die in der Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Regelung, der Klägerin „die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit“ zu untersagen, ist jedoch deshalb nicht rechtens, weil sie sich nicht auf gewerbliche Betätigungen beschränkt. Die insoweit fehlende Begrenzung dieses Ausspruchs im Bescheidstenor wäre allerdings dann unschädlich, wenn sich aus den Bescheidsgründen zweifelsfrei ergäbe, dass der Klägerin nur die Ausübung anderer Gewerbe untersagt werden sollte; denn der Regelungsgehalt eines Bescheids ist auf der Grundlage einer Zusammenschau des Tenors und der Gründe zu bestimmen. Auf den Seiten 6 und 7 des Bescheidsumdrucks (die dortigen Ausführungen dienen der Begründung der Nummer 2 des Tenors) finden sich zwar zahlreiche Wendungen, in denen von einer beabsichtigten Verhinderung der künftigen Ausübung „anderer Gewerbe“ durch die Klägerin die Rede ist; der zweite Absatz auf Seite 6 spricht ausdrücklich von einer Erstreckung der Untersagungsverfügung „auf die Ausübung jeglichen Gewerbes als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe“. Die Aussagekraft dieser Formulierungen wird jedoch dadurch entscheidend relativiert, dass die Bescheidsgründe im vorletzten Absatz auf Seite 7 die Ausdehnung der Untersagung auf „die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit“ als zwingend geboten bezeichnen. Die Bescheidsgründe wiederholen damit an hervorgehobener Position (der vorletzte Absatz auf Seite 7 resümiert gleichsam die vorangehenden Erwägungen, ehe die angestellten Ermessenserwägungen dargelegt werden) die „zu weit geratene“ Formulierung, die sich bereits an noch bedeutsamerer Stelle – nämlich in der Nummer 2 des Bescheidstenors – findet.
Es kann dahinstehen, ob ein solcher Umstand in anders gelagerten Fällen die Aufhebung eines auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gestützten Ausspruchs rechtfertigen würde. Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass die Klägerin bereits in der Vergangenheit neben dem nunmehr untersagten Gewerbe künstlerische – und damit nicht dem Gewerbebegriff unterfallende – Tätigkeiten ausgeübt hat (ihre in den Anlagen 1d bis 1f zum Schreiben ihrer Bevollmächtigten abgebildeten Werke genügen jedenfalls dem vorstehend dargestellten „formalen Kunstbegriff“); angesichts ihrer Vorbildung muss konkret damit gerechnet werden, dass sie Interesse daran besitzt, derartigen Betätigungen auch künftig nachgehen zu dürfen. Vor dem Hintergrund der straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen, die die Rechtsordnung auch an die Missachtung einer auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gestützten Regelung knüpft, ist es geboten, jedenfalls in derartigen Sachverhaltsgestaltungen auf einer eindeutigen Fassung des von der Behörde erlassenen Rechtsbefehls zu bestehen.
Dies gilt umso mehr, als sich dies durch eine minimale sprachliche Veränderung der Nummer 2 des Bescheidstenors („Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit“ statt „Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit“) hätte erreichen lassen. Gerade weil die behördliche Praxis nach der Kenntnis des Verwaltungsgerichtshofs nahezu durchgängig auf derartige oder vergleichbare Formulierungen zurückgreift und auch § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausdrücklich nur zur Untersagung anderer oder aller „Gewerbe“ ermächtigt, konnte sich für die Klägerin angesichts der ebenfalls nicht eindeutigen Fassung der Bescheidsgründe die Frage stellen, ob die Beklagte ihr Betätigungen auch im nichtgewerblichen Bereich verbieten wollte.
2.3 Unabhängig von alledem war die Nummer 2 des Bescheidstenors (auch insoweit, als der Klägerin darin Tätigkeiten als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden und als Leiterin eines Gewerbebetriebs untersagt wurden) deshalb aufzuheben, weil entgegen § 35 Abs. 4 Satz 1 und 2 GewO die Industrie- und Handelskammer zu diesem Ausspruch nicht angehört wurde. Die Beklagte hat dieser Körperschaft zwar einen Abdruck des an die Klägerin gerichteten Anhörungsschreibens vom 29. September 2015 zur Kenntnis gebracht; darin war jedoch ausschließlich von der beabsichtigten Untersagung des konkret ausgeübten Gewerbes „Grafikdesign“ die Rede. Die ihr übersandte Unterlage gab der Industrie- und Handelskammer deshalb keinen Anlass, sich zu der Frage zu äußern, ob nach ihrer Auffassung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO vorlagen, und welche Gesichtspunkte aus ihrer Sicht im Rahmen der Ausübung des durch diese Vorschrift eröffneten Ermessens ggf. von Bedeutung sind. Keine Kenntnis erlangt hat die Industrie- und Handelskammer durch eine derartige Zuleitung vor allem von der doppelten Problematik, die zum einen darin besteht, dass eine Betätigung auf dem Gebiet des Grafikdesigns sowohl gewerblicher als auch künstlerischer Natur sein kann, und die zum anderen daraus resultiert, dass vor allem bei einem auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO gestützten Ausspruch in Rechnung gestellt werden musste, dass die Klägerin bereits in der Vergangenheit Werke erstellt hatte, die jedenfalls dem formalen Kunstbegriff unterfallen, ohne dass sie (wie z.B. bei den in den Anlagen zum Schreiben der Klagebevollmächtigen vom 27.6.2017 abgebildeten „Lichtobjekten“ der Fall) dem Gattungsbegriff „Grafikdesign“ zugeordnet werden können. Da das Ergebnis der Ermittlungen, die die Beklagte nach dem Erhalt der Mitteilung des Finanzamtes vom 26. Mai 2015 über die Art der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit angestellt hatte, im Anhörungsschreiben vom 29. September 2015 keinen Niederschlag fand, hätte sich eine ausreichende Information der Industrie- und Handelskammer zu diesen Aspekten des Rechtsfalles nur durch die – in § 35 Abs. 4 Satz 2 GewO im Übrigen ausdrücklich vorgesehene – Übersendung der insofern einschlägigen Aktenstücke erreichen lassen.
2.3.1 Bei § 35 Abs. 4 Satz 1 GewO handelt es sich zwar um eine Sollvorschrift. Wie alle Sollbestimmungen stellt jedoch auch diese Norm ihren Vollzug nicht in das freie Ermessen der Behörde. Vielmehr hat im Regelfall eine Anhörung stattzufinden; um hiervon in rechtmäßiger Weise absehen zu können, bedarf es eines sachlich tragfähigen Grundes (so zu Recht Heß in Friauf, GewO, Stand April 2016, § 35 Rn. 287; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand März 2018, § 35 Rn. 168 mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). Eine Fallgestaltung, die das Unterbleiben einer Anhörung zu rechtfertigen vermag, gibt das Gesetz in § 35 Abs. 4 Satz 3 GewO selbst vor. Dass vorliegend Gefahr im Verzug gewesen sei, behauptet indes auch die Beklagte nicht. Ermessensfehlerfrei kann die Anhörung der in § 35 Abs. 4 GewO erwähnten Stellen ferner dann unterbleiben, wenn sie offensichtlich nicht sachdienlich sein kann (BVerwG, U.v. 4.11.1965 – I C 6.63 – BVerwGE 22, 286/296). Letzteres setzt allerdings voraus, dass sich bereits auf der Grundlage einer ex-ante-Betrachtung mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lässt, die grundsätzlich zu beteiligende Stelle werde zur Vorbereitung einer sachgerechten Entscheidung der Untersagungsbehörde (vgl. zu dieser Funktion der Anhörung BVerwG, U.v. 4.11.1965 a.a.O. S. 296) nichts beitragen können. Dies kann in hochgradig atypisch gelagerten Konstellationen wie der vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. November 1965 (a.a.O.) entschiedenen Sachverhaltsgestaltung (sie betraf die Untersagung einer Betätigung als Astrologe, deren Einordnung in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG und deren Beurteilung als gewerblich ausweislich der Ausführungen des Bundesverwaltungsgericht ebenso komplexe rechtliche Erwägungen erforderten wie die Bewertung der Zuverlässigkeit des Betroffenen) u. U. zwar der Fall sein. Vorliegend steht demgegenüber ein Lebenssachverhalt inmitten, der sich hinsichtlich der Umstände, aus denen die Unzuverlässigkeit des Betroffenen resultiert, nicht von der großen Menge der Gewerbeuntersagungsverfahren unterscheidet. Wollte man unterstellen, die Industrie- und Handelskammer könne in einer solchen Konstellation zu der Frage, ob eine erweiterte Gewerbeuntersagung von Rechts wegen ergehen darf und ob (bzw. in welchem Umfang) sie ermessensgerecht ist, nichts beitragen, liefe § 35 Abs. 4 GewO im Widerspruch zur Absicht des Gesetzgebers zu wesentlichen Teilen leer. Eine Besonderheit folgt im gegebenen Fall demgegenüber daraus, dass sich die Klägerin im Grenzbereich zwischen Gewerbe- und Kunstausübung betätigte. Dass die Industrie- und Handelskammer zu der Frage, in welcher Weise dieser Problematik beim Vollzug des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO Rechnung zu tragen ist, nichts Sachdienliches vorzubringen vermag, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil es nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich ähnlich gelagerte Fragestellungen bei der Beurteilung der Pflichtmitgliedschaft von Grafikdesignern in den Industrie- und Handelskammern sowie im Rahmen des Umfangs ihrer Beitragspflicht zu diesen Körperschaften ergeben können.
2.3.2 Der mithin zu bejahende Anhörungsmangel wurde weder gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 BayVwVfG geheilt, noch kann er als unbeachtlich im Sinn von Art. 46 BayVwVfG angesehen werden. Der Annahme, es sei im Sinn der letztgenannten Bestimmung „offensichtlich“, dass die Beklagte die Nummer 2 des Bescheids vom 7. März 2016 auch dann in der geschehenen Weise ausgestaltet hätte, wenn sie die Industrie- und Handelskammer auf ihre Absicht hingewiesen hätte, gegenüber der Klägerin eine Ermessensentscheidung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO zu treffen, steht bereits entgegen, dass mit der Möglichkeit gerechnet werden muss, die Industrie- und Handelskammer könnte in diesem Fall auf die Notwendigkeit hingewiesen haben, einen solchen Ausspruch eindeutig auf gewerbliche Betätigungen zu erstrecken, sonstige (z.B. künstlerische) Tätigkeiten jedoch hiervon auszunehmen.
2.4 Vor diesem Hintergrund kann auf sich beruhen, ob der Verfahrensmangel, der in der ebenfalls unterbliebenen Anhörung der Klägerin zur erweiterten Gewerbeuntersagung liegt, dadurch gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt wurde, dass sie im Laufe des Berufungsverfahrens Gelegenheit besessen hat, sich zu diesem Gesichtspunkt zu äußern, und dass die Beklagte in Reaktion auf das diesbezügliche Vorbringen zu erkennen gegeben hat, an der getroffenen Entscheidung festhalten zu wollen.
3. Kann nach alledem die Nummer 2 des Bescheidstenors aber keinen Bestand haben, so ist auch die im Satz 1 der Nummer 6 des streitgegenständlichen Bescheids angesetzte Gebühr insoweit aufzuheben, als sie auf die erweiterte Gewerbeuntersagung entfällt. Nach der Tarif-Nr. 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz darf für eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO eine zwischen 50 € und 2.000 € liegende Rahmengebühr erhoben werden. Angesichts des Ermessensspielraums, den Art. 6 Abs. 2 Satz 1 KG der öffentlichen Verwaltung bei der Bemessung der konkreten Gebührenhöhe innerhalb des normativ vorgegebenen Rahmens einräumt, wäre grundsätzlich nichts dagegen zu erinnern, wenn eine Behörde anlässlich eines Bescheids, durch den gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO lediglich das konkret ausgeübte Gewerbe untersagt wird, eine Gebühr von 450 € ansetzen würde, sofern dieser Betrag den beiden in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 KG vorgegebenen Bemessungskriterien Rechnung trägt. Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass die Beklagte ausweislich ihres Vorbringens in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof bei einer „einfachen“ Gewerbeuntersagung in ständiger, gleichförmiger Verwaltungsübung eine Gebühr in Höhe von 400 € ansetzt. Da es im Fall der Klägerin bei dem auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO gestützten Ausspruch sein Bewenden hat, kann sie gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV verlangen, in Übereinstimmung mit dieser Praxis der Beklagten behandelt zu werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO nicht ersichtlich sind.


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