IT- und Medienrecht

Unwirksamkeit einer Abtretungsbeschränkung für Entschädigungsansprüche nach der FluggastrechteVO in AGBs

Aktenzeichen  22 C 9173/16

Datum:
14.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151912
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 307 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 398

 

Leitsatz

1. Eine Abtretungsbeschränkung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Fluggesellschaft bezogen auf Entschädigungsansprüche ist unwirksam. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine Fluggesellschaft besteht kein schützenswertes rechtliches Interesse, das durch ein Abtretungsverbot abgedeckt wird. Die Bearbeitung der Anfragen von Claim-Handling-Companies verursacht nach Überzeugung des Gerichtes keinen höheren Aufwand als der von Naturalparteien.  (Rn. 14 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für den Verbraucher wird durch das Abtretungsverbot ein potentielles (da ggf. abschreckendes) Hindernis auf dem Weg zur Erlangung seiner Entschädigung bereitet. Hat der Verbraucher nicht die Zeit oder Energie, sich mit der Fluggesellschaft auseinanderzusetzen, muss er in seiner Entscheidung frei bleiben dürfen, ein in solchen Angelegenheiten erfahrenes Unternehmen kostenpflichtig zu beauftragen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Welche Abzüge von der Entschädigung der Verbraucher bei Beauftragung einer Claim-Handling-Company in Kauf nimmt, bleibt allein seine freie Entscheidung. Soweit der Verbraucher hierüber in der Werbung bzw. den Geschäftsbedingungen der Fluggastrechteportale nicht ausreichend informiert wird, kann er sich selbst im Wege der AGB-Kontrolle gegenüber den Fluggastportalen zur Wehr setzen. Auch dass die Fluggastportale hieraus im Eigen- und nicht Verbraucherschutzinteresse ein Geschäftsmodell entwickelt haben, muss bei der rechtlichen Bewertung der abzuwiegenden schützenswerten Interessen außen vor bleiben. (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2016 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2016 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2016 zu bezahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2016 zu bezahlen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.200,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
1. Die Aktivlegitimation ist gegeben.
Die Abtretungsbeschränkung ist unwirksam.
Das Gericht nimmt in erster Linie Bezug auf die überzeugenden Ausführungen im der Beklagten bekannten Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 09.06.2017, Az. 18 C 1869/17.
Insbesondere ist zu sehen, dass für die Beklagtenseite kein schützenswertes rechtliches Interesse durch das Abtretungsverbot abgedeckt wird.
Es wird vielmehr vorrangig versucht, einen wirtschaftlichen Vorteil dadurch zu erlangen, dass die diversen Claim-Handling-Companies vom Markt gedrängt werden sollen.
Die Bearbeitung der Anfragen von Claim-Handling-Companies verursacht nach Überzeugung des Gerichtes keinen höheren Aufwand als der von Naturalparteien. Jeweils sind zur Überprüfung der Berechtigung Passagier- und Flugdaten in das System der Fluggesellschaft einzugeben und zu überprüfen. Die Gläubiger wechseln auch nicht mehrfach innerhalb eines Entschädigungsverfahrens. Eine Pflicht zur Vorlage einer englischsprachigen Abtretungserklärung kann es schon aus europarechtlicher Sicht nicht geben. Auch deutschsprachige Entschädigungsanträge und damit auch deutschsprachige Abtretungserklärungen zwischen Familienangehörigen wären zu bearbeiten. Mit den Fluggastrechteportalen könnten sogar Verfahrensweisen und Mindestanforderungen an Entschädigungsantragsschreiben abgestimmt werden. Ein eventueller Mehraufwand für die Beklagte bewegt sich nach Überzeugung des Gerichtes allenfalls in einem zu vernachlässigenden Umfang.
Welche Abzüge von der Entschädigung der Verbraucher bei Beauftragung einer Claim-Handling-Company in Kauf nimmt, bleibt allein seine freie Entscheidung.
Soweit der Verbraucher hierüber in der Werbung bzw. den Geschäftsbedingungen der Fluggastrechteportale nicht ausreichend informiert wird, kann er sich selbst im Wege der AGB-Kontrolle gegenüber den Fluggastportalen zur Wehr setzen.
Auch dass die Fluggastportale hieraus im Eigen- und nicht Verbraucherschutzinteresse ein Geschäftsmodell entwickelt haben, muss bei der rechtlichen Bewertung der abzuwiegenden schützenswerten Interessen außen vor bleiben.
Wird – wie beklagtenseits behauptet – von den Fluggastrechteportalen ein falsches Bild bzgl. der Erstattungsfreudigkeit der Fluggesellschaften gezeichnet, wäre hiergegen nach dem UWG vorzugehen; keinesfalls über AGB-Regelungen, welche in erster Linie die Verbraucher treffen.
Entscheidend ist Folgendes:
Für den Verbraucher wird durch das Abtretungsverbot ein potentielles (da ggf. abschreckendes) Hindernis auf dem Weg zur Erlangung seiner Entschädigung bereitet. Hat der Verbraucher nicht die Zeit, Energie oder schlichtweg den „Nerv“, sich mit der Fluggesellschaft auseinanderzusetzen, muss er in seiner Entscheidung frei bleiben dürfen, ein in solchen Angelegenheiten erfahrenes Unternehmen kostenpflichtig zu beauftragen.
Allein diese Überlegung muss zu einer Verwerfung der AGB-Klausel führen. Denn der Verbraucherschutz ist im Sinne der ständigen EuGH-Rechtsprechung regelmäßig (sehr) weit auszulegen. Dies dürfte auch den Beteiligten zur Genüge bekannt sein und bedarf keiner näheren Darlegung.
2. Ein Leistungsverweigerungsrecht bestand allenfalls bis zur Vorlage der Original-Abtretungsurkunde.
Anlagen K1 und K7 sind inhaltlich aussagekräftig und in keinerlei Hinsicht mit den vom AG Geldern beurteilten Abtretungsunterlagen zu vergleichen. Das Gericht kann auch nicht nur im Ansatz Unklarheiten entdecken, vor welchen der Schuldner nach Sinn und Zweck der §§ 409, 410 BGB geschützt werden müsste.
Den Erfordernissen des § 410 soll nach umstrittener Rechtsprechung des BAG auch eine Fotokopie der Abtretungsurkunde genügen; lediglich bei verständlichen Bedenken gegen die Zuverlässigkeit soll der Schuldner die Vorlage des Originals verlangen können (MüKoBGB/Roth/Kieninger BGB § 410 Rn. 4-10 mwN).
Hier wurden vor dem Termin, welcher dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht (§ 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Abtretungsurkunden im Original eingereicht. Innerhalb der nach § 283 ZPO nachgelassenen Stellungnahmefrist erfolgte keine Stellungnahme seitens der Beklagten hierzu. Die Urkunden Anlage K7 und ihr Aussagegehalte werden offenkundig anerkannt.
3. Die Verzugszinsen finden ihre Grundlage in §§ 286, 288 BGB.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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