IT- und Medienrecht

Unzulässige Werbung mit geschenkter Fassung zu Brillengläsern

Aktenzeichen  3 HK O 228/18

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WRP – 2018, 1023
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 3a, § 8 Abs. 1
HWG § 7 Abs. 1 S. 1
MPG § 3 Nr. 1b u. Nr. 9 S. 1
ZugabeVO § 1 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Werbung für den Kauf von Korrektionsgläsern mit dem Hinweis „Fassung geschenkt” verstößt gegen das Zuwendungsverbot, § 7 HWG, und damit gegen eine Marktverhaltensregel i.S.d. § 3a UWG dar. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine der Kompensierung einer Sehschwäche dienende Brille stellt ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 b MPG dar; hierbei ist die komplette Brille als funktionale Einheit bestehend aus Brillenfassung und zwei Gläsern mit passenden Korrekturwerten zu sehen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der weit auszulegende Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG erfasst grds. jede aus Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes oder mehrere konkrete Heilmittel gewährt wird. Allerdings geht der Durchschnittsverbraucher erfahrungsgemäß davon aus, dass ein Kaufmann Waren von nicht unerheblichem Wert nicht ohne weiteres verschenkt und dass die Kosten für eine als gratis beworbene Ware in den Preis des sonstigen Angebots mit eingerechnet sind. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Stellt sich eine Werbung für Brillengläser und Fassung für den Verbraucher nach ihrer Gesamtgestaltung nicht als Angebot eines einheitlichen Leistungspakets zu einem Komplettpreis, sondern als Angebot von zu einem bestimmten Preis zu erwerbenden Qualitätskorrektionsgläsern nebst einer zu verschenkenden Fassung dar, sieht er die als Geschenk bezeichnete Brillenfassung als von den Brillengläsern zu trennende Zusatzleistung und nicht als Teil eines rabattierten Gesamtpakets an. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten, zu unterlassen, in Werbebeilagen, Zeitungsanzeigen, im Internet und/oder auf sonstigen Werbeträgern zu Zwecken des Wettbewerbs für den Kauf von Korrektionsgläsern mit dem Hinweis „Fassung geschenkt” zu werben oder werben zu lassen, wenn dies wie folgt geschieht:
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 220 € nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.11.2017 zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 45.000 € vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.
I.
Der Kläger ist gem. § 8 III 2 UWG nach seinem nicht bestrittenen Vortrag klagebefugt. Er führt den Prozess mit dem Ziel der ernsthaften kollektiven Wahrnehmung der Mitgliederinteressen und ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage, seine satzungsgemäßen Aufgaben auch tatsächlich wahrzunehmen.
II.
Der Unterlassungsanspruch resultiert aus §§ 8, 3, 3a UWG i.V.m. § 7 HWG.
1. Das Zuwendungsverbot gem. § 7 Abs. 1 S. 1 HWG ist eine Marktverhaltensregel gem. § 3a UWG (Beschluss des OLG Nürnberg vom 01.09.2015, Az. 3 W 1536/15, BGH GRUR 2015, 504).
2. Die Werbung mit dem Hinweis „…“ bzw. „…“ stellt einen Verstoß gegen das Zuwendungsverbot, § 7 HWG, und damit gegen § 3a UWG dar. Bei der in der angegriffenen Werbung angepriesenen geschenkten Fassung handelt es sich um eine Werbegabe i. S. v. § 7 Abs. 1 S. 1 HWG.
a) Eine der Kompensierung einer Sehschwäche dienende Brille stellt ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 b MPG dar (BGH GRUR 2015, 504, OLG Hamm GRUR-RR 2016, 28); hierbei ist die komplette Brille als funktionale Einheit bestehend aus Brillenfassung und zwei Gläsern mit passenden Korrekturwerten zu sehen (BGH GRUR 2000, 918, OLG Hamm GRUR-RR 2016, 28).
Eine Aufspaltung der Funktionseinheit „Brille“ in die Brillengläser einerseits und das Brillengestell andererseits ist nach der Definition des § 3 Nr. 1b MPG nicht vorzunehmen, da die Fassung der Brillengläser zwingend Teil des Medizinprodukts ist und weder durch die Fassung allein noch durch Einzelgläser die Funktion als Sehhilfe zur Kompensierung von Behinderungen erfüllt werden kann. Das Medizinprodukt besteht aus 2 Gläsern und eine Fassung als miteinander verbunden verwendeten Vorrichtungen. Zubehör i.S.v. § 3 Nr. 9 S. 1 MPG sind Gegenstände, Stoffe sowie Zubereitungen aus Stoffen, die selbst keine Medizinprodukte nach Nummer 1 sind, aber vom Hersteller dazu bestimmt sind, mit einem Medizinprodukt verwendet zu werden, damit dieses entsprechend der von ihm festgelegten Zweckbestimmung des Medizinproduktes angewendet werden kann; zur Herstellung des Medizinprodukts zwingend erforderliche Bestandteile sind damit nicht als Zubehör zu qualifizieren.
b) Der Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist im Hinblick auf den Zweck der dortigen Regelung, durch eine weitgehende Eindämmung von Werbegeschenken im Heilmittelbereich der abstrakten Gefahr einer hiervon ausgehenden unsachlichen Beeinflussung zu begegnen, weit auszulegen (OLG Nürnberg vom 01.09.2015, Az. 3 W 1536/15; OLG München Magazindienst 2016, 963). Er erfasst grundsätzlich jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes oder mehrere konkrete Heilmittel gewährt wird (BGH GRUR 2015, 504).
Trotz dieser weiten Auslegung des § 7 Abs. 1 HWG ist nach der Rechtsprechung des BGH zu unterstellen, dass der durchschnittlich informierte, verständige und aufmerksame Durchschnittsverbraucher erfahrungsgemäß davon ausgeht, dass ein Kaufmann Waren von nicht unerheblichem Wert nicht ohne weiteres verschenkt, und dass die Kosten für eine als gratis beworbene Ware in den Preis des sonstigen Angebots mit eingerechnet sind (BGH GRUR 2015, 504). Er sieht eine als gratis beworbene Zusatzleistung deshalb nicht immer als ein von der entgeltlich abzugebenden Ware zu trennendes Geschenk an, sondern geht z.B. dann, wenn es sich bei der „gratis“ hinzugegebenen Ware um eine mit dem beworbenen entgeltlichen Produkt identische Ware handelt, davon aus, dass der von ihm zu zahlende Preis die Zusatzleistung im Sinne von „zwei Waren zum Preis von einer“ einschließt (BGH WRP 2014, 689).
Das Verkehrsverständnis wird durch die konkrete Ausgestaltung der Werbung, vor allem durch die Art und Weise beeinflusst, in der die Zusatzleistung der konkreten Werbung präsentiert wird, sodass die besondere Hervorhebung des Gratischarakters einer Zusatzleistung, z.B. bei blickfangmäßiger und bildlicher Hervorhebung der Kostenlosigkeit, beim Verbraucher den Eindruck hervorrufen kann, die zusätzliche Ware werde unentgeltlich abgegeben (BGH GRUR 2015, 504).
Vorliegend wird durch die Werbung der Eindruck einer Werbegabe hervorgerufen: Die Aussage „.“ ist groß und fett gedruckt, die Brillenfassung ist durch eine . als . gekennzeichnet. Auch die Formulierung „.“ ist nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut so zu verstehen, dass die Fassung eine Gratiszugabe zu dem „…“ sein soll. In der Internetwerbung wird der Schenkungscharakter noch durch eine . deutlich gemacht. Durch diese Ausgestaltung der Werbung wird beim Verbraucher – die Kammer gehört zu den angesprochenen Verkehrskreisen – den Eindruck hervorrufen kann, die Brillenfassung werde im Fall des Erwerbs eines „…“ unentgeltlich abgegeben und stelle eine nicht berechnete geldwerte Vergünstigung dar. Die blickfangmäßige Verwendung der Worte „…“ und „…“ im Zusammenhang mit dem optisch auffällige Darstellung der Brillenfassung mit einer . wird auch nicht durch Hinweise auf die Kalkulation als Gesamtpaket und die Preisgestaltung der Einzelbestandteile relativiert.
c) Auch die Einwendung der Beklagten, dass der Kauf einer kompletten Brille als funktionaler Einheit sich als Gesamtpreisangebot darstellt, dass also Gläser und Fassung als einheitliches, mit dem Gesamtpreis zu entgeltendes Angebot präsentiert werden, führt zu keiner anderen Beurteilung.
In Anlehnung an den Zugabebegriff in § 1 Abs. 1 ZugabeVO wird § 7 Abs. 1 HWG auch dann verneint, wenn dem Werbeadressaten mehrere Waren als ein einheitliches, mit einem Gesamtpreis zu entgeltendes Angebot im Sinn eines nicht in Haupt- und Nebenleistungen aufspaltbaren Gesamtangebots zu einem Gesamtpreis präsentiert werden (BGH GRUR 2003, 624,GRUR 2000, 918), oder wenn die gemeinsam mit einem anderen Produkt angebotene, nicht gesondert berechnete Ware sich aus funktionalen Gründen nicht als selbstständige Werbegabe, sondern als Teil eines einheitlichen entgeltlichen Angebot darstellt, weil die beworbenen Produkte notwendigerweise oder üblicherweise zusammen genutzt, in der Praxis daher als Einheit angeboten und dementsprechend vom Verkehr erfahrungsgemäß als Gesamtangebot angesehen werden (BGH GRUR 2015, 504, OLG München Magazindienst 2016, 963, OLG Hamm GRUR-RR 2016, 28).
Da der Letztverbraucher nicht davon ausgehen würde, dass Brillengläser die Hauptware und die Brillenfassung eine Nebenware seien, wurde eine Brillenfassung konsequenterweise nicht als Zugabe i.S. von § 1 Abs. 1 ZugabeVO qualifiziert (BGH GRUR 2000, 918 – Nulltarif). Auch die Werbung mit der Aussage „…“ stellt keine u.U. nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unzulässige Werbegabe dar (OLG München Magazindienst 2016, 963), weil von einem einheitlichen Angebot auszugehen ist, für das ein Gesamtpreis zu bezahlen und somit keine unentgeltliche Gewährung inkludiert ist.
Vorliegend stellt sich die beanstandete Werbung jedoch für den Verbraucher nach ihrer Gesamtgestaltung nicht als Angebot eines aus zwei Gläsern und einer Fassung bestehenden Leistungspakets zu einem Komplettpreis, sondern als Angebot von zu einem bestimmten Preis zu erwerbenden Qualitätskorrektionsgläsern nebst einer zu verschenkenden Fassung dar. Anders als von der Beklagten dargelegt, sehen die angesprochenen Verkehrskreise trotz der funktionalen Einheit einer aus Fassung und Gläsern bestehenden Brille als einheitliches Medizinprodukt die Brillenfassung nicht als zwingendes Zubehör der Gläser, das nicht getrennt von diesen erworben wird. Zu Zeit der Geltung des § 1 Abs. 1 ZugabeVO und der problemlosen Zahlung der Kosten einer zum Ausgleich einer Sehbehinderung erforderlichen Sehhilfe durch die Krankenkassen war die regelmäßige Anschaffung einer neuen Brille als Gesamtpaket üblich; nachdem die Kosten von den Krankenkassen nicht mehr übernommen werden und die Verbraucher beim Brillenkauf vermehrt Kostenbewusstsein entfalten, werden – was die Kammer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum relevanten Verbraucherkreis selbst beurteilen kann – bei einer Sehkraftverschlechterung oder einer Verkratzung der bisherigen Gläser auch Einzelgläser gekauft und in die vorhandene, u.U. teuer bezahlte Brillenfassung eingepasst und andererseits auch die bisher genutzten Gläser, z.B. Gleitsichtgläser von erheblichem Wert, aus einer beschädigten oder unmodernen Fassung in eine neu angeschaffte, modischere bzw. bequemere Brillenfassung eingebaut, sodass nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass üblicherweise neue Brillengläser nur zusammen mit einem neuen Brillengestell erworben werden. Aufgrund des Erfordernisses, die Kosten selbst zu tragen, ist dem Verbraucher auch bekannt, dass Brillengläser und Fassungen getrennte und stark variierende Preise haben und vom Optiker in der Regel nicht als Komplettpreis angeboten werden, sich vielmehr der Gesamtpreis aus den Einzelpreisen der vom Verbraucher gewählten Brillenkomponenten zusammensetzt (OLG Nürnberg vom 01.09.2015, Az. 3 W 1536/15), sodass beim Kaufentschluss im Fall der Sehkraftveränderung oder der Beschädigung vorhandener Gläser regelmäßig zwischen der Anschaffung des zwingend erforderlichen Korrektionsglases und der unter Umständen verzichtbaren Fassung unterschieden wird.
Bei dieser Sachlage hat der Verbraucher bei der hier beanstandeten Werbung nicht den Eindruck, dass das „Geschenk“ eine Inklusivleistung und damit Teil eines vergünstigten Komplettangebotes ist. Der durchschnittlich informierte, verständige und aufmerksame Durchschnittsverbraucher sieht die als Geschenk bezeichnete Brillenfassung als ein von den Brillengläsern zu trennende Zusatzleistung und nicht als Teil eines rabattierten Gesamtpakets an.
Etwas anderes mag gelten, wenn die Werbeaussage wie in dem vom OLG München entschiedenen Fall durch eine in Einzelpreise aufgeschlüsselte Kalkulation erläutert wird (z.B. „Gilt beim Kauf einer Brille in Sehstärke. Bei M. hat das linke und das rechte Glas immer den gleichen Preis. Sie sparen also 50% des Glaspreises“, OLG München Magazindienst 2016, 963), da in diesem Fall der Verbraucher eindeutig auf die Preiszusammensetzung des Gesamtangebots und die Höhe des Rabatts hingewiesen wird. Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor.
III.
Die Klage ist auch hinsichtlich der geltend gemachten Unkostenpauschale von 220 € nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.11.2017 zu, §§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG, § 287 ZPO, 286, 288 BGB.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 51 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO.


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