IT- und Medienrecht

Verbotene Eigenmacht, Unterlassungsanspruch, Verwaltungsgerichte, Streitwertfestsetzung, Besitzstörung, Einstweilige Anordnung, Halterdaten, öffentlicher Straßenverkehr, Prozeßbevollmächtigter, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, Unterlassungsklage, Beschwerdeentscheidung, Einlegung der Beschwerde, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kundenparkplatz, Antragstellers, Vertragsstrafe, Vertretungszwang, Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfällen, Klageerhebung

Aktenzeichen  B 1 E 20.1231

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40860
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
StVG § 39 Abs. 1
BGB § 858 Abs. 1
BGB § 862 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt Auskunft über Halterdaten von Kraftfahrzeugen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks … und … Sie beantragte am 3. November 2020 beim Landratsamt …, dass ihr die Halterdaten eines Fahrzeugs mitgeteilt werden, das am 22. Oktober 2020 in ihrer Einfahrt gewendet habe. Die Halterdaten würden ausschließlich dazu verwendet, um Unterlassungsansprüche geltend zu machen.
Das Landratsamt … vertrat im Verwaltungsverfahren intern die Ansicht, dass ein Anspruch nach § 39 Abs. 1 StVG nur zur Verfolgung von verkehrsbezogenen Ansprüchen bestehe, insbesondere anlässlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen. Der Anspruch bestehe daher nur, wenn der erforderliche Zusammenhang mit dem Straßenverkehr dargelegt sei. Dies sei nur der öffentliche Verkehr, d.h. der auf öffentlichen Wegen und Plätzen stattfindende Verkehr. Die Voraussetzungen lägen bei einer privaten Einfahrt nicht vor. Es lehnte deshalb den Antrag mit Schreiben vom 5. November 2020 ab.
Die Antragstellerin berief sich in einem Schreiben vom 5. November 2020 darauf, dass sich der Gebrauch des Kraftfahrzeugs nicht im öffentlichen Straßenraum abspielen müsse. Es genüge, wenn das Fahrzeug auf einem Privatparkplatz oder in einer privaten Garage abgestellt sei und das Fahrzeug dort einen Schaden verursache oder selbst erleide oder durch den Gebrauch des Fahrzeugs Rechte anderer verletzt würden (z.B. Eigentum oder Besitz am Grundstück). Wenn Fahrzeuge auf ihrem Grundstück herumfahren würden, handele es sich um Besitzstörung nach § 862 BGB oder verbotene Eigenmacht nach § 858 BGB.
In der Akte befindet sich ein Exemplar eines Schreibens, das die Antragstellerin in der Vergangenheit an einen Halter verschickt hatte, nachdem sie vom Antragsgegner eine Halterauskunft bekommen hatte. In diesem Schreiben wird der Halter unter Ankündigung einer Unterlassungsklage beim AG … im Falle des Nichtunterzeichnens aufgefordert, ohne Rechtspflicht, gleichwohl aber rechtsverbindlich, anzuerkennen, das Grundstück der Antragstellerin nicht zu befahren, zu begehen oder darauf zu parken und im Falle der Verletzung des Unterlassungsversprechens sich zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 300 EUR an die Antragstellerin zu verpflichten. Das Schreiben enthält zudem eine Rechnung in Höhe von 30 EUR, da der LKW des Halters am 16. September 2020 zwischen 14.21 und 14.25 Uhr widerrechtlich in der Einfahrt der Antragstellerin gestanden sei.
Mit zwei weiteren Schreiben vom 11. November 2020 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt …, die Halterdaten zweier Fahrzeuge mitzuteilen. Schadenstag sei der 11. November 2020 gewesen. Grund für den Antrag sei „Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht“.
Mit Schreiben vom 11. November 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 12. November 2020, beantragte die Antragstellerin den „Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Erteilung der Auskunft“ durch das Landratsamt … Ihr Grundstück werde ständig von fremden Fahrzeugen befahren und als Parkplatz genutzt. Hierdurch werde sie in ihrem Eigentumsrecht verletzt und der Firmenablauf der Mieter werde gestört. Um Unterlassungsansprüche geltend zu machen, benötige sie zu den Fahrzeugen die Namen und Anschriften der Halter. In der Vergangenheit sei ihr Auskunft erteilt worden. Am 5. November 2020 sei ihr mitgeteilt worden, dass sie keine Auskunft bekomme. Sie müsse sich gegen die Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht in Form eines Unterlassungsanspruchs wehren können. Die Halterdaten würden kurzfristig benötigt, da der Unterlassungsanspruch innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden müsse.
Das Landratsamt … beantragte mit Schreiben vom 19. November 2020, den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin beantrage in regelmäßiger Häufigkeit Auskunft über Halterdaten nach § 39 StVG. Zur Begründung werde standardmäßig mitgeteilt, dass das angefragte Fahrzeug in der Einfahrt der Antragstellerin gewendet oder geparkt habe oder die Auskunft zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen benötigt werde. Im September und Oktober seien jeweils 9 Halteranfragen gestellt worden. Das Landratsamt habe die Anfragen beantwortet. In der Zwischenzeit seien bei der Polizeiinspektion … und beim Landratsamt zahlreiche Beschwerden der betroffenen Fahrzeughalter eingegangen. Sie hätten Rechnungen in Höhe von 30 EUR von der Antragstellerin erhalten, verbunden mit der Aufforderung zur sofortigen Zahlung. Es stelle sich bereits die Frage, ob der Antrag hinreichend bestimmt sei, da der geltend gemachte Anspruch nicht näher konkretisiert sei. Jedenfalls werde kein konkreter Sachverhalt geschildert, aus welchem sich ein materieller Anspruch ableiten lasse. Zudem stelle sich die Frage, ob überhaupt ein Bezug zum Straßenverkehr bestehe, da (wenn man auf die Anfrage vom 3. November 2020 abstellen wolle) das angebliche Wendemanöver in einer privaten Einfahrt stattgefunden habe. Es sei nicht glaubhaft dargelegt worden, dass die Auskunft zur Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung oder zur Befriedigung oder zur Abwehr von Rechtsansprüchen benötigt werde. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Halterdaten missbraucht würden, um die betroffenen Fahrzeugführer mit unberechtigten Zahlungsaufforderungen zu belästigen. Selbst wenn das Auto in der Einfahrt gewendet hätte, könne dies nicht als so gravierende Beeinträchtigung gesehen werden, dass dies zivilrechtliche Unterlassungsansprüche rechtfertigen würde. Aus der Antragstellung sei auch nicht klar, welches Grundstück überhaupt betroffen sei. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sei ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Es sei nicht erkennbar, dass Nachteile drohen würden, die ein Abwarten in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen würden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
1. Der zulässige Antrag, dem die fehlende Klageerhebung durch die Antragstellerin nicht entgegensteht, da eine einstweilige Anordnung auch vor der Klageerhebung beantragt werden kann (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO), hat in der Sache keinen Erfolg.
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dies jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 123 Rn. 13 f. m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben bleibt der Antrag ohne Erfolg, da die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Die Voraussetzungen für die Übermittlung von Halterdaten an die Antragstellerin nach § 39 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) liegen nicht vor.
a) Gemäß § 39 Abs. 1 StVG sind durch die Registerbehörden die angeführten Daten zu übermitteln, wenn der Empfänger unter Angabe des betreffenden Kennzeichens oder der Fahrzeug-Identifizierungsnummer darlegt, dass er die Daten zur Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung oder zur Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr oder zur Erhebung einer Privatklage wegen im Straßenverkehr begangener Verstöße benötigt.
Voraussetzung für die einfache Registerauskunft ist damit zunächst, dass es um verkehrsbezogene Ansprüche geht, insbesondere Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfällen, bei denen aufgrund der Vielzahl der täglichen Unfälle, Schäden und Verstöße schnelle und zuverlässige Auskünfte an die geschädigten und verletzten Anspruchsteller erteilt werden sollen. Ein derartiger Zusammenhang mit dem (öffentlichen) Straßenverkehr besteht auch bei der unberechtigten Benutzung von (privaten) Kundenparkplätzen, wenn diese allgemein zugänglich sind. Ausreichend ist die Darlegung der Gründe; eine Glaubhaftmachung ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erforderlich, da dies zu unverhältnismäßigem Aufwand bei den betroffenen Behörden führen würde (Garloff in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., Stand: 17.8.2016, § 39 StVG Rn. 10).
b) Diese Anspruchsvoraussetzungen wurden von der Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Sie hat nicht geschildert, dass sie ihr Grundstück der Allgemeinheit für den öffentlichen Straßenverkehr in der Form von Kundenparkplätzen oder Ähnlichem zur Verfügung gestellt hat. In der Rechtsprechung wurde für den Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr bislang immer darauf abgestellt, dass das Grundstück des Antragstellers zumindest in irgendeiner Form dem öffentlichen Straßenverkehr zugänglich ist. So führt das VG Gießen im Urteil vom 3. März 1999 (6 E 81/98 (1) – juris Rn. 22) Folgendes aus:
„Straßenverkehr im Sinne des StVG und der auf seiner Grundlage ergangenen Verordnungen ist nur der öffentliche Verkehr, d.h. der auf öffentlichen Wegen und Plätzen stattfindende Verkehr (vgl. § 1 StVG, § 1 StVO). Dem öffentlichen Straßenverkehr dienen alle Flächen, die der Allgemeinheit zu Verkehrszwecken offenstehen (vgl. Jagusch/Hentschel, 33. Aufl., § 1 StVO Rdnr. 13 m.w.N.). Voraussetzung ist die ausdrückliche oder stillschweigende Freigabe durch den Berechtigten zur allgemeinen Verkehrsbenutzung, wobei maßgeblich ist, daß tatsächliche Zugänglichkeit für die Allgemeinheit (faktische Öffentlichkeit) besteht.“
c) Hinzu kommt, dass nicht zu erkennen ist, dass die Antragstellerin die Daten zur Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung oder zur Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen benötigt.
Die Antragstellerin trägt vor, dass die Daten zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen benötigt würden. Gemäß § 862 Abs. 1 Satz 1 BGB kann im Fall der Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) die Beseitigung der Störung verlangt werden. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann auf Unterlassung geklagt werden (§ 862 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Für den Antrag vom 3. November 2020 wurden die Voraussetzungen einer verbotenen Eigenmacht nicht hinreichend substantiiert. Zwar ist das unberechtigte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem Kundenparkplatz als verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB zu werten (BGH, U.v. 4.7.2014 – V ZR 229/13 – juris Rn. 13). Das bloße Wenden auf dem Grundstück kann aber nicht ohne weiteres als Besitzstörung angesehen werden. Für die Entscheidung, ob eine Besitzstörung vorliegt, bedarf es wegen der Fülle der Lebenserscheinungen einer gewissen Begrenzung; als Störung sind daher nur erhebliche Beeinträchtigungen, insbesondere im Sinne des § 906 BGB, anzusehen. Die Rechtsprechung stellt auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange ab (Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 858 Rn. 5). Da zum Sachverhalt nähere Angaben fehlen, kann nicht beurteilt werden, warum es sich hier um eine erhebliche Beeinträchtigung handeln soll.
Für den Antrag, der am 11. November 2020 gestellt wurde, fehlen jegliche Sachverhaltsausführungen, um eine Prüfung zu ermöglichen, ob eine verbotene Eigenmacht oder die Voraussetzungen für eine Unterlassungsklage vorliegen.
3. Als unterlegene Beteiligte hat die Antragstellerin gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).


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