IT- und Medienrecht

Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Betrieb eines ehrbeeinträchtigenden Blogs als Nötigungsmittel im Rahmen einer Erpressung; Interesse an alsbaldiger Feststellung der Pflicht zum Ersatz materieller Schäden

Aktenzeichen  VI ZR 10/18

Datum:
29.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:290621UVIZR10.18.0
Normen:
Art 1 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 5 Abs 1 GG
Art 8 Abs 1 MRK
Art 10 MRK
§ 823 Abs 1 BGB
§ 1004 Abs 1 S 2 BGB
§ 253 StGB
§ 256 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Dient der Betrieb eines einer bestimmten Person “gewidmeten”, ehrbeeinträchtigenden Blogs dem Blogger (auch) als Nötigungsmittel im Rahmen einer Erpressung im Sinne von § 253 StGB, so kann sich daraus die Rechtswidrigkeit der mit dem Blogbetrieb verbundenen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben.
2. Für die Annahme des Interesses an alsbaldiger Feststellung der Pflicht zum Ersatz materieller Schäden im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO genügt im Falle, der Kläger stützt den entsprechenden Schadensersatzanspruch auf die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die bloße Möglichkeit solcher Schäden. Einer dahingehenden Wahrscheinlichkeit bedarf es nicht.

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 21. Dezember 2017, Az: 10 U 156/15vorgehend LG Berlin, 8. September 2015, Az: 27 O 14/15

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 21. Dezember 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen (auch) ihn betreffenden, vom Beklagten betriebenen Blog.
2
Der Kläger ist Unternehmensberater und als solcher Mitglied des Aufsichtsrats mehrerer Aktiengesellschaften, so unter anderem der C. AG. Seit dem 1. Juli 2009 ist er außerdem Verwaltungsratspräsident der T. AG mit Sitz in der Schweiz. Der Beklagte erwarb im Jahr 2006 Aktien der – damals noch anders firmierenden – T. AG für 100.000 €. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um einen Börsenmantel ohne operatives Geschäft. Bis Ende 2014 fiel der Kurs der Aktie der T. AG auf unter 0,01 €. Im Dezember 2014 beantragte der Verwaltungsrat der T. AG den Widerruf der Börsenzulassung (sog. Delisting). In Presseberichten wurde das Unternehmen unter anderem als “Deutschlands größter Kapitalvernichter” bezeichnet. Im Jahr 2014 schlugen Vorstand und Aufsichtsrat der C. AG vor, das Delisting auch dieser Gesellschaft zu beantragen.
3
Seit dem Jahr 2010 betreibt der Beklagte die Website www.aktienversenker.de in Form eines Blogs, zuletzt – unter voller Namensnennung des Klägers – mit dem Titel “Alles über die Firmenräuber T[…] W[…] und O[…] K[…] [Kläger]”, wobei der erste Beitrag vom 8. Juni 2010 datiert. Ein erheblicher Teil der zahlreichen Blogbeiträge befasst sich mit dem Kläger und seinen angeblichen Fehlgriffen und Peinlichkeiten. Er wird in den Beiträgen wiederholt als “Firmenräuber”, “Börsenhallodri” oder “Börsenversager” sowie “Zahlenschubser”, “Bilanzverdreher” u. ä. bezeichnet.
4
Unter anderem mit den Behauptungen, der Beklagte habe in den Jahren 2010, 2011 und 2014 mehrfach angeboten, den Betrieb des Blogs gegen Zahlungen zu unterlassen beziehungsweise einzustellen, seine Berichterstattung diene ausschließlich als Nötigungsmittel im Rahmen einer Erpressung, nimmt der Kläger den Beklagten zum einen auf Unterlassung in Anspruch. Dabei wendet er sich mit seinem Hauptantrag gegen den Betrieb des Blogs, soweit er ihn betrifft, als solchen. Die Hilfsanträge wenden sich zum Teil ebenfalls gegen den Betrieb des Blogs als solchen, zum Teil aber auch gegen eine Vielzahl von einzelnen Überschriften und Beiträgen. Zum anderen verlangt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung der Berichterstattung auf www.aktienversenker.de entstanden ist und künftig entstehen wird.
5
Das Landgericht hat der Klage, soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, stattgegeben. Das Kammergericht hat das landgerichtliche Urteil auf die Berufung des Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.


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