IT- und Medienrecht

Vertragsärztliche Versorgung – Veröffentlichung von Beschlüssen des Bewertungsausschusses – rückwirkende Budgetierung von Gesprächsleistungen

Aktenzeichen  B 6 KA 8/20 R

Datum:
26.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:260521UB6KA820R0
Normen:
§ 87 Abs 6 S 9 SGB 5 vom 22.12.2011
§ 87 Abs 6 S 10 SGB 5 vom 06.05.2019
§ 106a SGB 5 vom 14.11.2003
Art 2 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
Art 20 Abs 3 GG
Spruchkörper:
6. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Stuttgart, 27. Juni 2018, Az: S 5 KA 3268/16, Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 22. Mai 2019, Az: L 5 KA 2830/18, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal 1/2014 im Hinblick auf die Budgetierung von Gesprächsleistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).
2
Mit Beschluss vom 31.5.2013 (303. Sitzung) zur Weiterentwicklung des EBM-Ä im hausärztlichen Versorgungsbereich in den Jahren 2013 und 2014 (Deutsches Ärzteblatt 2013, A-1509) legte der Bewertungsausschuss (BewA) ua das folgende Vorgehen zum 1.10.2013 fest: “Es erfolgt die teilweise Ausgliederung einer Gesprächsleistung aus der Versichertenpauschale. Die Versichertenpauschalen sind entsprechend zu bereinigen. Es ist eine Begrenzung der Abrechnungshäufigkeit möglichst auf Arztebene sicherzustellen. Hierbei ist zu prüfen, ob Unterschiede in der Struktur der Behandlungsfälle berücksichtigt werden können.”
3
In Umsetzung dieser Vorgaben führte der BewA zum 1.10.2013 mit Beschluss vom 27.6.2013 (309. Sitzung) zur Änderung des EBM-Ä ua eine neue Gebührenordnungsposition (GOP) 03230 (Problemorientiertes ärztliches Gespräch im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung) ein (Beschluss idF des Erratums vom 12.7.2013, DÄ 2013, A-1509 bis A-1524). Zugleich nahm er ebenfalls mWv 1.10.2013 folgende Nr 10 in die Präambel 3.1 (Hausärztlicher Versorgungsbereich) des Abschnitts III (Arztgruppenspezifische GOP) auf:
        
“Für die Gebührenordnungsposition 03230 wird ein Punktzahlvolumen für die gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 erbrachten und berechneten Gespräche gebildet. Das Punktzahlvolumen beträgt 45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der Behandlungsfälle gemäß Nr. 11 dieser Präambel. In Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten beträgt das Punktzahlvolumen 45 Punkte für jeden Behandlungsfall gemäß Nr. 11 dieser Präambel, an dem ein Arzt gemäß Nr. 1 dieser Präambel beteiligt ist.”
4
Mit weiterem Beschluss vom 18.12.2013 (319. Sitzung) “zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. Oktober 2013″ änderte der BewA Nr 10 der Präambel 3.1: Satz 1 und Satz 2 blieben unverändert. In Satz 3 heißt es nunmehr ” … für jeden Behandlungsfall gemäß Nr. 11 dieser Präambel, bei dem ein Arzt gemäß Nr. 1 dieser Präambel vertragsärztliche Leistungen durchführt und berechnet”. Zudem wurde ein Satz 4 angefügt: “Über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 werden nicht vergütet.”
5
Der Beschluss wurde am 20.12.2013 auf der Internetseite des Instituts des BewA www.institut-ba.de und am 24.1.2014 im DÄ (A-143 bis A-145) veröffentlicht. Ebenfalls am 24.1.2014 wurde im DÄ (aaO, A-139) eine Mitteilung über diesen Beschluss abgedruckt; zudem enthält das DÄ an gleicher Stelle einen Hinweis, dass die entscheidungserheblichen Gründe zu diesem Beschluss auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses unter www.institut-ba.de veröffentlicht sind.
6
Die Klägerin ist eine aus zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Im Quartal 4/2013 vergütete die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ihr die GOP 03230 noch im vollem Umfang mit 90 Punkten. Für das Quartal 1/2014 setzte sie mit Honorarbescheid vom 15.7.2014 die abgerechneten 1263 Gespräche statt mit 90 lediglich mit 35,3 Punkten fest und vergütete die GOP 03230 dieses Quartals mit einer begrenzten Gesamtpunktzahl von 44 640 Punkten (45 Punkte multipliziert mit 992 Behandlungsfällen) anstelle der von der Klägerin abgerechneten 113 670 Punkte (Vergütungsquote von 39,27 %). Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte unter Hinweis auf das im EBM-Ä geregelte Gesprächsbudget und die hieraus folgende Quotierung der Leistung zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.5.2016).
7
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.6.2018), das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 22.5.2019). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, eine unzulässige rückwirkende Budgetierung für das Quartal 1/2014 liege – anders als die Klägerin meine – nicht vor. Der Beschluss vom 18.12.2013 sei bereits am 20.12.2013 auf der Homepage des BewA veröffentlicht worden. Dies sei ausreichend, um dem Beschluss Wirksamkeit zu verleihen. Bereits aus dem Wortlaut des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V folge, dass sowohl die Veröffentlichung im DÄ als auch im Internet genüge. Soweit die Vorschrift vorsehe, dass bei einer Bekanntmachung im Internet im DÄ ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden müsse, folge hieraus kein Vorrang des Printmediums DÄ. Nach der Gesetzesbegründung sollte dies lediglich der besseren Auffindbarkeit der Rechtsnorm durch den Rechtsanwender dienen. Auch inhaltlich unterliege der Beschluss des BewA keinen rechtlichen Bedenken.
8
Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V geltend. Das Erfordernis, bei einer Bekanntmachung von Beschlüssen des BewA im Internet zwingend einen Hinweis auf die Fundstelle im DÄ zu veröffentlichen, stelle keinen selbstständigen Annex zur Bekanntmachung im Internet dar. Dies spreche vielmehr dafür, dass die Internetveröffentlichung gegenüber der Printveröffentlichung eine untergeordnete Rolle spielen solle. Die Veröffentlichung der Internetfundstelle in der Printausgabe diene auch nicht lediglich der Transparenz und der besseren Auffindbarkeit, auch wenn sich eine ähnliche Argumentation in der Gesetzesbegründung finde. Dazu sei die dortige Formulierung zu wenig konkret. Nach der Rechtsprechung des BSG sei von jedem Arzt zu erwarten, dass er sich über die herkömmlichen Medien informiere. In diesem Zusammenhang habe das BSG festgestellt, dass das DÄ als offizielles Organ der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) fungiere. Dagegen sei nicht davon auszugehen, dass alle Ärzte gleichermaßen Zugriff auf die Online-Veröffentlichungen des BewA hätten. Es könne nicht erwartet werden, dass die digitalen Veröffentlichungen gleichermaßen verfolgt würden wie die analogen. Bei einer kumulativen Veröffentlichung im Internet und im DÄ – wie sie hier erfolgt sei – stelle sich zudem die Frage, welche Fassung gelten solle. Eine Regelung hierzu enthalte das SGB V nicht.
9
Unerheblich sei, dass der BewA bereits in seiner 309. Sitzung Regelungen für ein Gesprächsbudget beschlossen habe, ohne aber die Rechtsfolgen, nämlich die Kürzung des darüber hinausgehenden, abgerechneten Leistungsvolumens zu regeln. Erst mit dem Beschluss des BewA in der 319. Sitzung, dass über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche nicht mehr vergütet würden, habe eine hinreichend bestimmte Regelung für eine Reduktion des Honoraranspruchs des Vertragsarztes vorgelegen. Ohne die Klarstellung wäre offengeblieben, ob die über das Budget hinausgehenden Leistungen nicht oder mit einem geringeren (quotalen) Wert vergütet würden, wie dies beispielsweise bei den sog freien Leistungen auf der Ebene des Honorarverteilungsmaßstabs üblich sei. Eine budgetierte Vergütung sei daher aufgrund der Veröffentlichung des Beschlusses im Laufe des Quartals 1/2014 im DÄ erst ab dem Folgequartal 2/2014 möglich gewesen.
10
Die Klägerin beantragt,die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 22.5.2019 und des SG Stuttgart vom 27.6.2018 aufzuheben sowie den Honorarbescheid der Beklagten vom 15.7.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 12.5.2016 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, über den Honoraranspruch der Klägerin für das Quartal 1/2014 mit der Maßgabe neu zu entscheiden, dass die Leistungen nach GOP 03230 EBM unbudgetiert vergütet werden.
11
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
12
§ 87 Abs 6 Satz 9 SGB V enthalte zwei gleichrangig nebeneinander stehende Veröffentlichungsmöglichkeiten, wonach die Beschlüsse des BewA im DÄ oder im Internet bekannt zu machen seien und, falls die Bekanntmachung im Internet erfolge, im DÄ ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden müsse. Dies folge bereits aus dem Wortlaut (“oder”). Ein anderes Verständnis der Regelung, wie es die Klägerin vertrete, würde dazu führen, dass die Bekanntmachungsalternative “im Internet” praktisch bedeutungslos wäre und ins Leere liefe, da in diesem Fall auch statt des (zusätzlich) geforderten Hinweises im 2. Halbsatz von § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V gleich eine Veröffentlichung im DÄ erfolgen könne. Das habe der Gesetzgeber mit der Ergänzung um die alternative Bekanntmachung “im Internet” nicht gewollt. Er habe hiermit eine echte Alternative schaffen wollen, die auch den technischen Fortschritt und den Medienwandel in der Zeit des Internets abbilde. An keiner Stelle lasse sich dem Gesetz oder der Gesetzesbegründung entnehmen, dass der zu veröffentlichende Hinweis im DÄ eine Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer Veröffentlichung im Internet sein solle. Vielmehr gehe klar und eindeutig aus der Gesetzesbegründung hervor, dass der Gesetzgeber lediglich das Auffinden des Beschlusses habe gewährleisten wollen. Das Internet sei heutzutage ein herkömmliches und allgemein zugängliches Informationsmedium. So werde auch im vertragsärztlichen Bereich verstärkt auf Digitalisierung gesetzt, wie zB die elektronische Einreichung der vertragsärztlichen Abrechnung und die Telematikinfrastruktur zeigten.
13
Im Übrigen sei bereits mit dem Beschluss des BewA in seiner 309. Sitzung am 27.6.2013 auch für die Klägerin klar gewesen, dass ihr für die Abrechnung der GOP 03230 nur ein begrenzt abrechenbares Punktzahlvolumen zur Verfügung stehen werde. Als in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (sach)verständige Ärzte dürfe bei den Mitgliedern der Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihnen die Auswirkungen eines maximal abrechenbaren Punktzahlvolumens bei einer begrenzten Gesamtvergütung bekannt seien. Insoweit sei der Ergänzung von Nr 10 der Präambel Nr 3.1 um einen Satz 4 durch den Beschluss des BewA in der 319. Sitzung lediglich eine klarstellende Funktion zugekommen.


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