IT- und Medienrecht

Vollstreckbarerklärungsverfahren: Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers; Beschränkung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel auf Teile des Urteils; französisches Garantieurteil

Aktenzeichen  IX ZB 245/10

Datum:
14.6.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
Art 3 EGV 805/2004
Art 6 EGV 805/2004
Art 8 EGV 805/2004
Art 27 EGV 805/2004
Art L 124-3 VersG FRA
Art 38 EGV 44/2001
Art 38ff EGV 44/2001
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 27. Oktober 2010, Az: 8 W 15/10vorgehend LG Hannover, 21. April 2010, Az: 2 O 104/10

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 27. Oktober 2010 wird auf Kosten der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 161.194 € festgesetzt.

Gründe

1
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) ist unzulässig, weil sie keinen Zulässigkeitsgrund aufdeckt (§ 15 Abs. 1, § 16 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 574 Abs. 2, § 575 Abs. 3 ZPO).
2
1. Richtig ist allerdings, dass für eine Vollstreckbarerklärung nach Art. 38 ff EuGVVO das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn für die Entscheidung bereits eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel vorliegt (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – IX ZB 57/09, WM 2010, 433 Rn. 10). Der Gläubiger hat zwar nach Art. 27 EuVTVO die Wahl, ob er nach dieser Verordnung oder nach Art. 38 ff EuGVVO vorgeht (vgl. Erwägungsgrund 20 zur EuVTVO). Hat er die Vollstreckbarkeit nach einer der beiden Möglichkeiten erwirkt, fehlt für die Erwirkung der Vollstreckbarkeit auch nach der anderen Möglichkeit grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis.
3
Das Beschwerdegericht hat sich mit dieser Frage zwar nicht befasst. Das rechtliche Gehör der Antragsgegnerin ist hierdurch jedoch nicht verletzt worden. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass sie selbst das Beschwerdegericht auf die Rechtsfrage hingewiesen hätte. Ein Übergehen des Vorbringens der Antragstellerin könnte das rechtliche Gehör der Antragsgegnerin ohnehin nicht verletzen. Darauf beruht die Entscheidung jedenfalls nicht. Zudem erfordert die Rechtssache insoweit auch keine Fortbildung des Rechts.
4
Aus dem Sachvortrag der Parteien und den vorgelegten Urkunden ergibt sich zwar, dass das Urteil des Handelsgerichts Grenoble von diesem als Europäischer Vollstreckungstitel anerkannt worden ist. Eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel kann jedoch gemäß Art. 8 EuVTVO auf Teile des Urteils beschränkt werden. Das liegt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden nahe, in denen bei zwei Beklagten die Voraussetzungen der Bestätigung nach Art. 3, 6 EuVTVO nur hinsichtlich eines Beklagten vorliegen. Bei der Antragsgegnerin, die sich gegen die Klage verteidigt hatte, lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Dass das Handelsgericht Grenoble gleichwohl auch gegenüber der Antragsgegnerin die Bestätigung erteilt hätte, hat diese nicht dargelegt, obwohl sie hierfür die Darlegungslast trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – XII ZB 240/05, NJW-RR 2008, 586 Rn. 26; vom 8. März 2012 – IX ZB 144/10, WM 2012, 662 Rn. 17). Die Anerkennungsentscheidung wurde nicht vorgelegt.
5
Die Frage, ob die Bestätigung eines Urteils als Europäischer Vollstreckungstitel immer alle (verurteilten) Beklagten betrifft, ist im Hinblick auf § 8 EuVTVO nicht klärungsbedürftig und zu verneinen. Ob eine solche Bestätigung auch für und gegen etwaige Rechtsnachfolger wirkt, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil von einer Bestätigung hinsichtlich der Antragsgegnerin nicht ausgegangen werden kann.
6
2. Das Garantieurteil gegen die Antragsgegnerin beruht nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts auf Art. L 124-3 code des assurances, wonach dem Geschädigten ein Direktanspruch gegen die Antragsgegnerin als Haftpflichtversicherer der Hauptschuldnerin zuerkannt wurde. Aus der Rechtsnatur als Direktanspruch ergibt sich, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin, nicht etwa gegenüber der Hauptschuldnerin verpflichtet wurde. Da jene ebenfalls verurteilt wurde, kann die Verpflichtung nur neben jener Verurteilung bestehen und eine vorherige Zwangsvollstreckung gegen die Mitverpflichtete nicht erforderlich sein.
7
Auch wenn hier, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend aufzeigt, kein Fall einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage nach Art. 65 Abs. 1, Art. 6, Art. 11 Abs. 1 EuGVVO vorlag, ist doch auch ein französisches Garantieurteil der vorliegenden Art wie ein Zahlungstitel für vollstreckbar zu erklären (vgl. OLG Hamburg, IPRax 1995, 391, 393; OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 478; Mansel, IPRax 1995, 362, 363; Reinmüller, IPRax 1998, 460, 461; Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 38 EUGVVO Rn. 7; MünchKomm-ZPO/Gottwald, ZPO, 3. Aufl., Art. 38 EuGVVO Rn. 9). Rechtsfortbildungsbedarf besteht insoweit nicht.
8
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot. Das ergibt sich hinsichtlich der schon angesprochenen Fragen aus dem Ausgeführten. Hinsichtlich der Person der Beteiligten hat das Beschwerdegericht ohne Willkürverstoß angenommen, dass diese mit den Parteien des Urteils des Handelsgerichts Grenoble identisch sind.
9
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
Kayser                                    Gehrlein                                    Vill
                      Lohmann                                       Fischer


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