IT- und Medienrecht

Werbung unter Verstoß gegen die Health-Claims-Verordnung

Aktenzeichen  2 HK O 43/15

Datum:
9.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2016, 1099
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2
Health-Claims-VO Art. 10, Art. 13, Art. 14, Art. 28 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Vorschrift des Art. 10 Health-Claims-Verordnung stellt eine Marktverhaltensregelung dar.  (red. LS Dirk Büch)
2 Auf die Ausnahmeregelung des Art. 28 Abs. 5 Health-Claims-Verordnung kommt es nicht an, wenn die Werbung nicht mit dem beantragten Claim erfolgt, sondern darüber hinausgeht.  (red. LS Dirk Büch)
2 Die Nahrungsmittelergänzungsverordnung verdrängt nicht die Health-Claims-Verordnung.  (red. LS Dirk Büch)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Produkt „… G. P. V. plus Stevia“ zu werben wie folgt:
a) „Fortigel … der Gelenkknorpelaufbaustoff. Wenn das hier in 143 Gelenken Weg ist, kommt’s wieder … Fortigel ist der Gelenkknorpelaufbaustoff. Und das ist erwiesener Maßen so“,
b) „Sie nehmen Fortigel in G. P. V. Ihre Knorpelzellen in 143 Gelenken werden stimuliert. Das sind die Chondrozyten. Was machen die, wenn die stimuliert werden? Die produzieren Gelenkknorpelkollagen und Proteoglykane. Das führt zur Regeneration. Das führt zu Knorpelwachstum … Bewiesen“.
c) „Ist alles klinisch bestätigt“,
d) „Fortigel … weltweit empfohlen bei Gelenkverschleiß“,
e) „… es fördert die Neubildung von Gelenkknorpel in 143 Gelenken“, jeweils sofern dies geschieht wie in Anlage K 3 wiedergegeben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
I. Zulässsigkeit
Die Klage ist zulässig.
II.
1. Zuständigkeit
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 13, 14 Abs. 1 UWG, §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG zuständig, da die Beklagte im Landgerichtsbezirk Aschaffenburg ihre gewerbliche Niederlassung hat.
2. …
3. Prozessführungsbefugnis
Der Kläger ist prozessführungsbefugt gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG zustehen, soweit ihm eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art vertreiben, soweit er insbesondere nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflichen Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen seiner Mitglieder berührt. Die Prozessführungsbefugnis des Klägers ist vorliegend zwischen den Parteien nicht im Streit.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein (AG Charlottenburg – Nz …), zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wttbewerbs eingehalten werden. Unter anderen gehören zu seinen Mitgliedern der Bundesverband Deutscher Versandapotheken, die Apotherkammer Nordrhein, 116 Unternehmen der Heilmittelbranche, 46 Unternehmen der Branche Heilwesen/Dienstleistungen und 3 Lebensmittelfilialbetriebe, die auch Arzneimittel vertreiben. Der Kläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung auch in der Lage, seine satzungsgemäßen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen.
III. Begründetheit
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch im tenorierten Umfang zu.
Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 10 Health-Claims-VO Der Kläger kann von der Beklagten Unterlassung der beanstandeten Werbeaussagen gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 10 VO EG Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Lebensmittel-Gesundheitsangaben VO = LGVO = Health-Claims-VO) verlangen.
Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG berechtigt, einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG geltend zu machen. Gemäß § 8 Abs. 1 UWG kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt bei Wiederholungsgefahr in Anspruch genommen werden. Nach der Vorschrift des § 3 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Markteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Unlauter handelt gemäß § 4 Nr. 11 UWG insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
Bei Art. 10 Health-Claims-VO handelt es sich um eine gesetzliche Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 30. Auflage 2012, § 4 Rz. 11.132 und Rz. 11.137 a). Dies ergibt sich auch aus Art. 1 Health-Claims-VO, wonach mit der VO die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben harmonisiert werden sollen, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten.
Nach Art. 10 Abs. 1 Health-Claims-VO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, soweit sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II der Health-Claims-VO und den speziellen Anforderungen in Kapitel IV Health-Claims-VO entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 Health-Claims-VO aufgenommen sind.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass für den Wirkstoff Fortigel des Produktes „… G. P. V. plus Stevia“ kein solcher Claim in der Liste nach Art. 13 und Art. 14 Health-Claims-VO existiert, so dass die beanstandete Werbung bereits deshalb verboten ist.
Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob wegen der Beantragung eines Claims für Fortigel mit dem Inhalt „maintenance of joint health“ („Aufrechterhaltung der Gelenkgesundheit“) gemäß Art. 28 Abs. 5 Health-Claims-VO übergangsweise gesundheitsbezogene Angaben zulässig sind, sofern die Angaben der Health-Claims-VO und den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften entsprechen, kommt es hierauf nicht an, denn die Beklagte wirbt gerade nicht mit dem beantragten Claim „Aufrechterhaltung der Gelenkgesundheit“, sondern mit einer darüber hinausgehenden, nämlich heilenden Wirkung:
– „Fortigel … der Gelenkknorpelaufbaustoff. Wenn das hier in 143 Gelenken Weg ist, kommt’s wieder … Fortigel ist der Gelenkknorpelaufbaustoff. Und das ist erwiesenermaßen so“
– „Sie nehmen Fortigel in G. P. V. Ihre Knorpelzellen in 143 Gelenken werden stimuliert. Das sind die Chondrozyten. Was machen die, wenn die stimuliert werden? Die produzieren Gelenkknorpelkollagen und Prteoglykane. Das führt zur Regeneration. Das führt zu Knorpelwachstum … Bewiesen.“
– „Ist alles klinisch bestätigt.“
– „Fortigel … weltweit empfohlen bei Gelenkverschleiß“
– „es fördert die Neubildung von Gelenkknorpel in 143 Gelenken“.
(Vermerk: Hervorhebungen durch die Kammer).
Darüber hinaus ist aus dem EFSA Register im Internet (http: …registerofquestions.efsa.europa.eu) ersichtlich und damit gerichtsbekannt, dass die Anträge für die Zulassung des Claims für Fortigel mittlerweile zurückgezogen wurden.
Die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 Health-Claims-VO liegt auch nicht deshalb vor, weil es sich bei dem beworbenen Produkt der Beklagten um ein Botanical handelt. Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass es sich vorliegend um kein Botanical handelt.
Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite verdrängt die Nahrungsergänzungsmittelverordnung auch nicht die Health-Claims-VO. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach Art. 1 Health-Claims-VO durch die Vorschriften eine Harmonisierung erreicht werden soll. Dies ist aber nur bei einer umfassenden Geltung der Health-Claims-VO der Fall, so dass diese bei allen Lebensmitteln inklusive der Nahrungsmittelergänzungsmittel Anwendung findet.
Bei einem Wettbewerbsverstoß wird die Wiederholungsgefahr tatsächlich vermutet (Köhler/Bornkamm/Köhler, a.a.O., § 8 UWG Rz. 1.34). Diese Wiederholungsgefahr kann durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden, die die Beklagte vorliegend jedoch nicht abgab.
IV. Prozessuale Nebenentscheidungen
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 Satz 1 ZP. Die zu bestimmende Sicherheitsleistung gemäß § 709 Satz 1 ZPO bestimmt sich nach dem Nachteil, der der Beklagte bei einer evtl. Abänderung des für vorläufig vollstreckbaren Urteils gemäß § 717 Abs. 2 ZPO entstehen könnte. Das Gericht hat diesen Nachteil auf 15.000 € geschätzt.
V. Streitwert
Der Gebührenstreitwert wird gemäß §§ 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, §§ 2, 3 ZPO auf 25.000 € festgesetzt. Dabei ist das Gericht davon ausgegangen, dass die in der Klageschrift enthaltene Wertangabe dem objektiven Interesse des Klägers an der Unterlassung zukünftiger Verstöße zutreffend widerspiegelt.


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