Aktenzeichen I ZB 97/08
§ 238 Abs 2 S 1 ZPO
§ 522 Abs 1 S 4 ZPO
§ 574 Abs 1 Nr 1 ZPO
§ 574 Abs 2 ZPO
Verfahrensgang
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 8. Oktober 2008, Az: 5 U 5/08, Beschlussvorgehend LG Hamburg, 12. Oktober 2007, Az: 406 O 64/07
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 8. Oktober 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 60.000 €.
Gründe
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I. Das Landgericht hat die Beklagte aufgrund markenrechtlicher Ansprüche zur Unterlassung und Auskunft verurteilt sowie ihre Verpflichtung zur Schadensersatzleistung festgestellt. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 17. Dezember 2007 ab. Die Berufungsbegründung ging erst am 28. Dezember 2007 beim Berufungsgericht ein; zugleich hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten für jede einzutragende Frist zusätzlich eine Vorfrist von einer Woche notiert werde, zu der die jeweilige Akte dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgelegt werde. Mit Ablauf dieser Vorfrist am 10. Dezember 2007 sei dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt Dr. E. von der Auszubildenden S. Si. indes nicht die Akte zum vorliegenden Verfahren (mit dem internen Aktenzeichen H/E 559-07), sondern diejenige zum parallelen Verfügungsverfahren (mit dem internen Aktenzeichen H/E 1413/06/AH) vorgelegt worden. Rechtsanwalt Dr. E. habe diesen Irrtum bemerkt und die Akte mit der schriftlichen Anweisung an seine Chefsekretärin M. D. zurückgegeben, ihm die Hauptsacheakte vorzulegen. Frau D. sei eine langjährige Mitarbeiterin, die stets sehr sorgfältig arbeite und noch niemals einen Fehler begangen habe. Frau D. habe daraufhin noch am selben Tag die richtige Akte aus der Registratur geholt. Sie habe jedoch festgestellt, dass sich in der Akte ein Schreiben der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts vom 19. November 2007 befunden habe, mit dem der Eingang der Berufung bestätigt worden sei. Auf diesem sei allerdings das falsche interne Aktenzeichen in dem Feld “Ihr Zeichen” eingefügt gewesen, nämlich das Aktenzeichen zum Verfügungsverfahren. Frau D. habe sich daraufhin – in der Hauptsacheakte – das Urteil des Landgerichts vom 12. Oktober 2007 angesehen und dabei bemerkt, dass auch dort das interne Aktenzeichen der für die Beklagte tätigen Prozessbevollmächtigten für das Verfügungsverfahren angegeben gewesen sei. Frau D. habe nun in die Akte des Verfügungsverfahrens gesehen und festgestellt, dass dort längst eine Berufungsbegründung eingereicht gewesen sei. Deshalb habe Frau D. gedacht, dass die notierte Frist mit Ablauf 17. Dezember 2007 längst erledigt sei. Sie habe eigenmächtig diese Frist gestrichen, ohne Rechtsanwalt Dr. E. darauf hinzuweisen. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Akte Rechtsanwalt Dr. E. nicht wieder vorgelegt, dass er am Tage des Fristablaufs hierauf nicht aufmerksam gemacht und dass die Frist nicht mehr überwacht worden sei.
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Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe keinen Ablauf glaubhaft gemacht, nach dem sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Es sei nicht vorstellbar, dass der Mitarbeiterin D. die von der Beklagten vorgetragene Kette höchst gravierender Fehler unterlaufen sei. Selbst wenn man die Schilderung der Beklagten als zutreffend unterstelle, liege jedoch ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten vor. Wenn zu einer wichtigen Frist die falsche Akte vorgelegt werde und der Anwalt sodann anordne, ihm sogleich die richtige Akte vorzulegen, gebiete es anwaltliche Sorgfalt, die ausstehende Vorlage dieser Akte wenigstens für den Zeitraum im Kopf zu behalten, der üblicherweise ausreichend sei, um diese Anweisung auszuführen, und alsbald nachzuhaken, wenn die Akte nicht innerhalb dieses Zeitraums vorgelegt werde.
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Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V. mit § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGH, Urt. v. 22.3.2005 – XI ZB 36/04, NJW-RR 2005, 865 m.w.N.), sind nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletzt nicht die Ansprüche der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und wirkungsvollen Rechtsschutz.
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1. Die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, der von Frau D. geschilderte Ablauf sei nicht plausibel und daher nicht glaubhaft, beruht nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht nicht den Kern des Vorbringens der Beklagten durch die Annahme unrichtig erfasst, Frau D. habe das vorliegende Hauptsacheverfahren und das vorgeschaltete Verfügungsverfahren für ein und dieselbe Sache gehalten.
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Aus dem Gesamtzusammenhang der Beschlussgründe ergibt sich vielmehr deutlich, dass das Berufungsgericht entsprechend dem Vortrag der Beklagten davon ausgegangen ist, Frau D. habe gewusst, dass es Verfügungs- und Hauptsacheverfahren mit identischen Rubren gab. Soweit der Würdigung des Vortrags der Beklagten durch das Berufungsgericht zu entnehmen sein sollte, Frau D. müsse angenommen haben, Verfügungs- und Hauptsacheverfahren seien dieselbe Sache, könnte damit allein gemeint sein, sie habe nicht erkannt, dass das Urteil des Landgerichts vom 12. Oktober 2007 nicht das Verfügungsverfahren betraf und insofern nicht zwischen den verschiedenen Verfahren unterschieden. Diese tatrichterliche Folgerung verletzte schon deshalb kein Verfahrensgrundrecht der Beklagten, weil die irrtümliche Zuordnung des landgerichtlichen Urteils nach dem Vortrag der Beklagten Ursache der fehlerhaften Streichung der Vorfrist war.
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2. Der angefochtene Beschluss beeinträchtigt auch nicht den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Das Berufungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz verstoßen, dass sich die Beklagte keine Fehler der Büroangestellten ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (BGH, Beschl. v. 12.8.1997 – VI ZB 13/97, NJW 1997, 3243). Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe kein mangelndes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, weil der von Frau D. geschilderte Ablauf nicht plausibel sei; die Beklagte habe demnach keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, nach dem sie ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Diese Ausführungen lassen keinen zulassungsrelevanten Rechtsfehler erkennen.
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Nach dem Vortrag der Beklagten zur Kanzleiorganisation ihres Prozessbevollmächtigten hätte weder die Berufungsbegründungsfrist noch die entsprechende Vorfrist gestrichen werden dürfen. Wird die Schilderung von Frau D. für nicht glaubhaft gehalten, fehlt es an einem Vorbringen, das erklärt, wie es zu dem Fristversäumnis kommen konnte. Das Berufungsgericht hat die Beklagte auf diese Einschätzung hingewiesen. Eine andere Erklärung für die Fristversäumung hat die Beklagte nicht gegeben.
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3. Es kann deshalb dahinstehen, ob der vom Berufungsgericht bei Unterstellung des von der Beklagten vorgetragenen Ablaufs hilfsweise angenommene Grund für die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags zutrifft, den Prozessbevollmächtigten treffe an dem Fristversäumnis ein Verschulden, weil er nach den konkreten Umständen Anlass gehabt habe, wegen der ausbleibenden Vorlage der richtigen Akte bei seinem Personal nachzufragen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann Kirchhoff