IT- und Medienrecht

X ZR 97/20

Aktenzeichen  X ZR 97/20

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:080222UXZR97.20.0
Normen:
§ 638 Abs 3 aF BGB
§ 651d Abs 1 BGB vom 04.05.1979
§ 138 Abs 1 ZPO
§ 138 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Leitsatz

Beruft sich der Reisende zur Begründung eines Reisemangels darauf, dass während seines Aufenthalts nachts teils mehrmals pro Stunde Flugzeuge in niedrigem Abstand über das von ihm gebuchte Hotel geflogen seien, wodurch seine Nachtruhe erheblich beeinträchtigt worden sei, ist sein Vorbringen zwar noch hinreichend vollständig im Sinne von § 138 Abs. 1 ZPO. Unter diesen Umständen genügt aber auch ein einfaches Bestreiten des Reiseveranstalters den Anforderungen des § 138 Abs. 2 ZPO.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 15. Oktober 2020, Az: 11 U 175/19, Urteilvorgehend LG Hannover, 24. Oktober 2019, Az: 8 O 19/19

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 15. Oktober 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung eines über 492,43 Euro hinausgehenden Betrags nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Juli 2018 verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagte als Veranstalterin einer Flugpauschalreise wegen Reisemängeln auf Rückzahlung des Reisepreises in Anspruch.
2
Der Kläger buchte für sich und seine Familie für die Zeit von 30. Mai bis 13. Juni 2018 eine Reise auf die Insel Kos mit Hotelunterbringung. Er hat geltend gemacht, der Reisepreis in Höhe von 5.276 Euro sei wegen verschiedener Mängel um 100 % zu mindern.
3
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger wegen Mängeln an der Ausstattung des Hotelzimmers 492,43 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels auch wegen Beeinträchtigungen durch nächtlichen Fluglärm einen Gesamtminderungsbetrag in Höhe von 1.500 Euro nebst Zinsen als angemessen angesehen.
4
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung, soweit sie auf Beeinträchtigungen durch nächtlichen Fluglärm gestützt ist. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

5
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache.
6
I. Das Berufungsgericht (OLG Celle, RRa 2021, 62 = MDR 2021, 23) hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:
7
Auf den im Februar 2018 geschlossenen Reisevertrag finde das Reisevertragsrecht in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung Anwendung. Dem Kläger stehe gemäß §§ 651d Abs. 1 BGB, 638 Abs. 3 BGB ein Minderungsanspruch auch wegen Beeinträchtigung der Reise durch nächtlichen Fluglärm zu. Sein Vorbringen hierzu sei hinreichend substantiiert. Die Beklagte habe dieses Vorbringen nicht substantiiert bestritten, insbesondere nicht konkret dargelegt, in welchen Intervallen Flugzeuge nachts über das vom Kläger gebuchte Hotel geflogen seien und welche Lärmeinwirkungen sich daraus für die Reisenden ergeben hätten. Die Beklagte sei gehalten gewesen, sich hierüber durch Befragen ihrer Leistungserbringer vor Ort zu informieren. Dem Kläger sei der nächtliche Fluglärm bei Vertragsschluss nicht bekannt gewesen. Die Reiseunterlagen hätten keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthalten, dass mit Fluglärm gerechnet werden müsse. Aus den Angaben im Prospekt, wonach die Transferzeit 30 Minuten und die Entfernung vom Hotel zum Flughafen neun Kilometer betrage, habe der Kläger weder den Schluss ziehen müssen, dass im Hotel Fluglärm zu vernehmen sei, noch habe er diese Angaben zum Anlass nehmen müssen, durch Nachfrage beim Veranstalter oder auf sonstige Weise in Erfahrung zu bringen, ob mit Fluglärm gerechnet werden müsse. § 651d Abs. 2 BGB stehe dem Minderungsanspruch des Klägers nicht entgegen, weil der Beklagten eine Abhilfe nicht möglich gewesen sei.
8
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
9
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers dazu, dass der Hotelaufenthalt durch nächtlichen Fluglärm erheblich beeinträchtigt worden sei, als hinreichend substantiiert angesehen.
10
a) Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Der Vortrag muss konkret genug sein, um die Erheblichkeit der Tatsachen beurteilen zu können und eine Stellungnahme des Gegners zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 25. September 2018 – VI ZR 234/17, NJW 2019, 607 Rn. 8). Ob und in welchem Ausmaß die Angabe näherer Einzelheiten erforderlich ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben der darlegungsbelasteten Partei zumutbar und möglich sind (BGH, Versäumnisurteil vom 4. Februar 2021 – III ZR 7/20, NJW 2021, 1759 Rn. 18).
11
b) Nach dieser Maßgabe ist das Vorbringen des Klägers hinreichend substantiiert.
12
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das in der Nähe des Flughafens liegende Hotel auch nachts von Flugzeugen überflogen wurde. Zwischen den Parteien ist lediglich streitig, in welchem Umfang dies während des Urlaubsaufenthalts des Klägers geschah und in welcher Intensität sich hieraus Lärmbelästigungen ergaben.
13
Nach dem vom Berufungsgericht wiedergegebenen Vortrag des Klägers hat dieser hierzu geltend gemacht, während seines Aufenthalts seien auch nachts teils mehrmals pro Stunde Flugzeuge in niedrigem Abstand über die Hotelanlage geflogen. Die Nachtruhe des Klägers sei durch massiven Fluglärm erheblich beeinträchtigt worden.
14
Entgegen der Auffassung der Revision ist der Vortrag des Klägers nicht deshalb als unzureichend anzusehen, weil er detaillierte Angaben dazu vermissen lässt, wie viele Flugzeuge an welchen Tagen in welcher Höhe über die Hotelanlage geflogen seien und welche Lärmimmissionen im Freien bzw. im Hotelzimmer bei geschlossenem Fenster hierdurch hervorgerufen worden seien.
15
Solche Angaben waren dem Kläger nicht zumutbar. Der Kläger war nicht gehalten, Buch über die Zahl der Flüge oder die genauen Uhrzeiten zu führen. Zudem erforderten genauere Angaben zur Flughöhe und zur Intensität der Lärmeinwirkung den Einsatz von Messgeräten und besondere Sachkunde, über die der Kläger nicht verfügte. Angesichts dessen waren die Angaben des Klägers zur Häufigkeit nächtlicher Überflüge und zur Lärmeinwirkung noch hinreichend.
16
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe das Vorbringen des Klägers nicht in erheblicher Weise bestritten.
17
a) Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich eine Partei über die von ihrem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
18
Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier der Kläger – vorgetragen hat. Angesichts des nicht näher konkretisierten Vorbringens des Klägers war die Beklagte nicht gehalten, näher darzulegen, in welchen Intervallen Flugzeuge während des Urlaubsaufenthalts des Klägers nachts über das Hotel flogen und wie intensiv der hieraus resultierende Lärm in dem von ihm bewohnten Zimmer wahrzunehmen war.
19
b) Die Beklagte war auch nicht gehalten, weitere Informationen einzuholen.
20
Eine Obliegenheit der Partei, auf Behauptungen des Prozessgegners substantiiert, d.h. mit näheren positiven Angaben zu erwidern, soll ihr Bestreiten beachtlich sein, kann in Betracht kommen, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 12. Juni 2007 – X ZR 87/06, RRa 2007, 215, Juris-Rn. 46). Dabei kann ihn die Obliegenheit treffen, Nachforschungen zu unternehmen und Informationen von Personen einzuholen, die unter seiner Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind, wenn und soweit ihm dies zumutbar ist (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 – II ZR 266/97, BGHZ 140, 156, 158, Juris-Rn. 11; Urteil vom 22. April 2016 – V ZR 256/14, NJW-RR 2016, 1251 Juris-Rn. 20; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Juris-Rn. 36 f.).
21
Auch bei Berücksichtigung dieser Grundsätze war das einfache Bestreiten der Beklagten ausreichend.
22
Die Beklagte hat keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände. Hinsichtlich der Intensität des nächtlichen Verkehrs auf dem Flughafen Kos während der Reisezeit des Klägers unterscheidet sich ihr Informationsstand nicht von demjenigen des Klägers. Angaben über die Häufigkeit nächtlicher Flugbewegungen mögen vom Betreiber des Flughafens auf Kos zu erlangen sein, doch rechnet dieser nicht zum Verantwortungsbereich der Beklagten.
23
Die Auswirkungen, die sich aus nächtlichen Flugbewegungen auf das Hotel ergeben, in dem sich der Kläger aufgehalten hat, sind im Übrigen nicht stetig, wie dies etwa bei Mängeln betreffend den baulichen Zustand einer Hotelanlage der Fall sein kann, sondern hängen in erheblichem Umfang von wechselnden Umständen, insbesondere dem saisonalen Einflüssen unterliegenden Flugplan, der Windrichtung sowie den sonstigen Wetterverhältnissen ab. Unter diesen Umständen war im Streitfall seitens der Beklagten eine Nachfrage, etwa beim Hotelbetreiber oder der örtlichen Reiseleitung, nicht geboten.
24
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
25
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass § 651d Abs. 2 BGB einem Anspruch des Klägers auf Minderung nicht entgegensteht, weil der Beklagten eine Abhilfe nicht möglich war. Hiergegen erinnert die Revision nichts.
26
2. Die Angaben in dem der Buchung zugrundeliegenden Reisekatalog, wonach die Entfernung vom Hotel zum Flughafen neun Kilometer und die Transferzeit 30 Minuten betragen, dürften sich insbesondere im Hinblick darauf, dass das vom Kläger gebuchte Hotel in der Einflugschneise des Flughafens liegt, als unzureichend erweisen, wenn das Vorbringen des Klägers bewiesen würde.
27
Entgegen der Auffassung der Revision sind Angaben des Reiseveranstalters über mögliche Beeinträchtigungen durch Fluglärm nicht deshalb entbehrlich, weil der Reisewillige die Möglichkeit hat, sich Informationen über die Lage eines von ihm für eine Reise ins Auge gefassten Hotels und dessen nähere Umgebung zu beschaffen.
28
IV. Eine Entscheidung in der Sache scheidet aus, weil noch tatsächliche Feststellungen erforderlich sind. Das Berufungsurteil ist daher im angegriffenen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Grabinski     
      
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