IT- und Medienrecht

Zeitraum für Berechnung krankheitsfallbezogener Leistungsposition

Aktenzeichen  S 38 KA 201/18

Datum:
15.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21250
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 87 Abs. 1 S. 1, § 106a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4
SGB X § 41 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Für die Auslegung von Gebührenordnungspositionen im Vertrags-(zahn)arztrecht kommt ist in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegende maßgeblich. Eine systematische Interpretation bzw. eine teleologische Reduktion kommen nur bei unklarer Leistungslegende ergänzend zur Anwendung (vgl. BSG, SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 5).
2. Aus Gründen des Vertrauensschutzes kann die Vornahme einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung ausgeschlossen sein. Dies setzt voraus, dass die Klägerin aufgrund des Verhaltens der Kassen-(zahn)ärztlichen Vereinigung davon ausgehen konnte, diese werde keine Streichungen der strittigen Gebührenordnungspositionen vornehmen.
3. Vertrauensschutz besteht nur gegenüber der Kassen-(zahn)ärztlichen Vereinigung, soweit deren originäre Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106a Abs. 1 und 2 SGB V eröffnet ist, nicht jedoch, soweit die Befugnis den Krankenkassen gem. § 106a Abs. 3 und 4 SGB V erteilt ist und diese ihrerseits keinen Vertrauenstatbestand gesetzt haben.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis sowohl formell, als auch materiell rechtmäßig.
Was die formelle Rechtmäßigkeit betrifft, kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das Gebot auf rechtliches Gehör zunächst vorlag. Denn nach § 41 Abs. 1 Ziff. 3 SGB X i.V.m. § 41 Abs. 2 SGB X können solche Mängel bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
Die angefochtenen Bescheide sind auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die sachlich-rechnerische Richtigstellung ist § 106a SGB V (a.F.).
Im EBM sind die strittigen Gebührenordnungsziffern wie folgt beschrieben:
– EBM 01793:
pränatale zytogenetische Untersuchung (EBM) im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge, je Fötus, einmal im Krankheitsfall; Abrechnungsausschlüsseim Behandlungsfall – Leistungen 01600, 01601, 08576 im Krankheitsfall 11501, 11502, 11503, 11506, 11508, 11511, 11512, 11513, 11514, 11516, 11517
– EBM 11320:
Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten oder krankheitsauslösenden genomischen Mutation mittels Hybridisierung mit einer mutationssequenzspezifischen Sonde … Die Gebührenordnungsposition 11320 ist im Krankheitsfall nicht neben den Gebührenordnungspositionen 01791, 01793, 01836 und 11231 berechnungsfähig (Fassung nach Änderung des EBM aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V in seiner 309. Sitzung am 27. Juni 2013)
– EBM 11322:
Nachweis oder Ausschluss einer krankheitsrelevanten oder krankheitsauslösenden genomischen Mutation mittels Sequenzierung menschlicher DNA nach Kettenabbruchmethode nach Sanger… Die Gebührenordnungsposition 11322 ist im Krankheitsfall nicht neben den Gebührenordnungspositionen 01791, 01793, 01836 und 11231 berechnungsfähig (Fassung nach Änderung des EBM aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V in seiner 309. Sitzung am 27. Juni 2013)
Somit ist der einheitliche Bewertungsmaßstab zutreffend von der Beklagten umgesetzt worden, was auch zwischen den Beteiligten unstrittig ist.
In § 21 Abs. 1 S. 9 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) wird festgelegt, dass ein „Krankheitsfall“ das aktuelle sowie die nachfolgenden drei Kalendervierteljahre, die der Berechnung der krankheitsfallbezogenen Leistungsposition folgen, umfasst. Im Gegensatz dazu bezieht sich der „Behandlungsfall“ lediglich auf ein Kalendervierteljahr. Nach Auffassung des Gerichts handelt sich hierbei jedoch nicht um eine exakte Definition des „Krankheitsfalls“, sondern nur um eine zeitliche Bestimmung.
Nach der langjährigen Rechtsprechung der Sozialgerichte zur Auslegung von Gebührenordnungspositionen im Vertrags-(zahn) arztrecht kommt es in erster Linie auf den Wortlaut der Leistungslegenden an. Eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen kann nur bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ergänzend herangezogen werden (BSG, SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1 S. 5). Bei eindeutigem Wortlaut der Leistungslegende ist auch eine teleologische Reduktion nicht angezeigt.
In seiner Entscheidung ebenfalls am 15.05.2019 (SG München, Az. S 38 KA 205/18) hat das Sozialgericht München zu den Gebührenordnungspositionen 11512, 11513, 11513Y sowie der GOP 01793 die Auffassung vertreten, dass eine erneute Schwangerschaft nach Abbruch der ersten Schwangerschaft einen neuen „Krankheitsfall“ begründe und sich Abrechnungsausschlüsse bei einer früheren Schwangerschaft bzw. einem früheren „Krankheitsfall“ nicht auf den neuen „Krankheitsfall“ erstreckten. Zwar wurden in den vorausgehenden Quartalen 3/14 und 4/14 im Zusammenhang mit der ersten Schwangerschaft die Leistungen der GOP´s 11320, 11322 und 01793 abgerechnet. Aber auch im Quartal 1/15 fand eine Nebeneinanderabrechnung der GOP`s 01793 und 11322 statt. Somit kommt es nicht darauf an, ob mehrere „Krankheitsfälle“ vorliegen und ob Leistungen aus Vorquartalen im Zusammenhang mit Abrechnungsausschlüssen zu beachten sind. Die Nebeneinanderabrechnung der GOP`s 01793 und 11322 im Quartal 1/15 führt nach dem Wortlaut der Leistungslegenden dazu, dass die GOP 01793 abgesetzt werden kann.
Allerdings stellt sich die Frage, ob aus Gründen des Vertrauensschutzes die Beklagte daran gehindert ist, im Quartal 1/2015 eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Klägerin aufgrund des Verhaltens der Beklagten davon ausgehen konnte, diese werde keine Streichungen der strittigen Gebührenordnungspositionen vornehmen.
Die Beklagte hat in der Vergangenheit (bis zum Quartal 1/2015) trotz der eindeutigen Abrechnungsausschlüsse im EBM eine Nebeneinanderabrechnung dieser Gebührenordnungspositionen im Krankheitsfall nicht nur nicht beanstandet. Sie hat sich vielmehr auch schriftlich gegenüber der Klägerin zu der Problematik geäußert. So wurde mit Schreiben vom 30.01.2009 u.a. folgendes mitgeteilt:
„Hinsichtlich der Abrechnungsausschlüsse der Gebührenordnungspositionen 11320-11322 kann ich Ihnen mitteilen, dass wir weiterhin bei der Abrechnung dieser Gebührenordnungspositionen nebeneinander keine Streichung vornehmen.“
Diese Mitteilung enthielt auch keinerlei Vorbehalte in dem Sinne, gleichwohl könnten Korrekturanträge der Krankenkassen nicht ausgeschlossen werden, wie dies später im Jahr 2016 durch die Beklagte in ihren E-mails gehandhabt wurde. Bis zum streitgegenständlichen Quartal 1/2015 erfolgte auch keine Revision oder Einschränkung dieser Aussage.
Das Gericht vertritt daher die Auffassung, dass durch das Schreiben der Beklagten vom 30.01.2009 ein Vertrauenstatbestand begründet wurde, wonach die Klägerin davon ausgehen konnte, dass ein Nebeneinander von Gebührenordnungspositionen trotz der Abrechnungsausschlüsse im EBM von der Beklagten akzeptiert werde; dies umso mehr, als das Schreiben der Beklagten sogar vom damaligen Vorstand der Beklagten unterzeichnet wurde.
Allerdings kann ein Tun bzw. Unterlassen einer Behörde, der zu einem Vertrauenstatbestand führt, nur diese binden, nicht aber Dritte, es sei denn, diese haben am Tun oder Unterlassen mitgewirkt.
Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung war vor dem Jahr 2003 ausschließlich der den Kassenärztlichen Vereinigungen, hier der Beklagten vorbehalten. Zum 14.11.2003 wurde schließlich § 106a SGB V eingefügt, mit dem die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung auch auf die Krankenkassen, zumindest teilweise, ausgeweitet wurde. Die Vorschrift des § 106a SGB V wurde dann durch Gesetz vom 16.07.2015 durch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift des § 106d SGB V abgelöst.
Nach § 106a Abs. 3 SGB V (a.F.) prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte insbesondere hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht. § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V (a.F.) sieht vor, dass, sofern Veranlassung dazu besteht, die Krankenkassen gezielte Prüfungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung beantragen können. Einen solchen Antrag auf gezielte Prüfung nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V (a.F.) hat hier die beigeladene Krankenkasse gestellt. Würde man den Vertrauensschutz, den die Beklagte unzweifelhaft durch ihr Verhalten, insbesondere durch das Schreiben ihres Vorstands ausgelöst hat, auch auf die beigeladene Krankenkasse ausdehnen, hätte dies zur Folge, dass deren Antragsrecht nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V (a.F.) verloren ginge. Damit würden der Krankenkasse ihre Befugnisse im Zusammenhang mit der Abrechnungsprüfung genommen, was jedoch mit der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar wäre. Deshalb besteht der Vertrauensschutz nur gegenüber der Beklagten, soweit deren originäre Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106a Abs. 1 und Abs. 2 SGB V (a.F.) eröffnet ist, nicht jedoch, soweit die Befugnis den Krankenkassen gem. § 106a Abs. 3 und 4 SGB V erteilt ist und diese ihrerseits keinen Vertrauenstatbestand gesetzt haben.
Ein darüber hinaus gehender Vertrauensschutz, der durch Tun oder Unterlassen der beigeladenen Krankenkasse entstanden sein könnte, ist nicht ersichtlich. Allein dadurch, dass in den Vorquartalen (3/14 und 4/14) die beigeladene Krankenkasse keinen Antrag nach § 106a Abs. 4 S. 1 SGB V stellte, wird ein Vertrauen, auf das sich die Klägerin berufen könnte, nicht begründet.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO. Der beigeladenen Krankenkasse sind keine Kosten zu erstatten (§ 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).


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