IT- und Medienrecht

Zulässige Profil-Sperrung auf sozialem Netzwerk

Aktenzeichen  033 O 3929/19

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 57890
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 138, § 307, § 1004
GG Art. 5
DSGVO Art. 82

 

Leitsatz

1. Die vorübergehende Sperrung eines Nutzerkontos auf einer sozialen Plattform wegen einer als Hassrede zu bewertenden Äußerung ist zulässig, wenn Flüchtlinge aufgrund ihres Flüchtlingsstatutes herabgewürdigt und ihr Ausschluss befürwortet wird.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Um keine zulässige Meinungsäußerung handelt es sich, wenn – wie hier – Hassorganisationen wie die “Identitäre Bewegung” unterstützt oder verherrlicht werden; dies gilt auch dann, wenn die Organisation (noch) nicht verboten ist. (Rn. 27 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Zulässigkeit
Das Gericht ist sachlich und örtlich zuständig, Art. 17, 18 EuGWO.
Eine zulässige Klageerweiterung liegt aufgrund von Sachdienlichkeit (§ 263 ZPO) vor.
Die Zulässigkeit der Feststellungsanträge wird vorliegend unterstellt (vgl. kritisch hierzu m.w.N. OLG München Hinweisbeschluss vom 22.08.2019, 18 U 1310/19), da die erhobenen Ansprüche jedenfalls unbegründet sind.
II. Begründetheit
1. Profil-Sperrung
a. Feststellungsantrag
Die vorgenommene Sperrung des Profils der Klägerin war nicht rechtswidrig.
(1) Wirksame Rechtsgrundlage
Die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards als Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten sind wirksam.
Eine Entscheidung darüber, in welcher konkreten Fassung die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards vorliegend anzuwenden sind und ob die Änderung wirksam war, bedarf es nicht. Die Bedingungen sind in beiden Fassungen und enthalten in beiden Fassungen die entsprechenden Verbote und das Recht der Beklagten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards verstoßen nicht gegen das Transparenzgebot, § 307 I 2 BGB. Dem Nutzer als Vertragspartner werden seine Rechte und Pflichten sowie die Folgen eines Pflichtverstoßes in einfacher und präziser Sprache aufgezeigt. Die einzelnen Verbote der HassredeZbotschaften, der Gewaltverleitung und Gewaltbefürwortung, auch in Bezug auf Personen des öffentlichen Lebens, werden in den Gemeinschaftsstandards erläutert. Zudem wird in den Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards entgegen dem Klägervortrag auch von weiteren Maßnahmen neben dem bloßen Entfernen des Beitrags gesprochen (s. K 21 Nr. 5 Ziff. 2, 5, K 22 S. 5; K 1 Nr. 3 Fließtext nach Ziff. 2.3). Damit ist jedem verständigen Nutzer klar, wo die Grenzen liegen und dass einzelfallbezogen, eine verhältnismäßige Maßnahme bei einem Verstoß drohen kann.
Es liegt auch keine unangemessene Benachteiligung in der Einräumung der Sperr- und Löschrechte für die Beklagte vor, § 307 11 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung verlangt die einseitige Durchsetzung eigener Interessen ohne Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners. Die der Beklagten eingeräumten Rechte dienen vorrangig den Interessen der Nutzer und damit auch der Klägerin selbst und nicht der Beklagten. Die einzelnen Nutzer haben ein Interesse und ein Recht auf freie Meinungsäußerung in einem sicheren Raum, den die Plattform bieten soll. Hassrede ist für den offenen Diskurs schädlich, da sie bei anderen Nutzern Unsicherheit und Unwohlsein verursacht. Dasselbe gilt für die Äußerung von Gewaltabsichten. Dementsprechend setzt eine sichere Plattform voraus, dass Äußerungen, die derartiges beinhalten und keine zulässige Meinungsäußerung mehr sind, entfernt und künftig unterbunden werden, gerade auch weil Facebook nicht alle diese Inhalte sofort erkennen und entfernen kann. Darüber hinaus sind die Sperr- und Löschrechte der Beklagten entgegen der Klägeransicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft. Der gewisse Beurteilungsspielraum, der eingeräumt wird, gewährleistet die von Klägerseite selbst angesprochene zwingende Interessenabwägung und Verhältnismäßigkeit.
Aus denselben Erwägungen liegt auch keine Vereitelung der wesentlichen Rechte und Pflichten des Vertrags, § 307 II Nr. 2 BGB, oder eine Sittenwidrigkeit, § 138 BGB, vor, sondern vielmehr die Grundlage dafür, dass die Rechte der Nutzer gewährleistet werden können.
Demnach hat die Klagepartei nur einen Anspruch auf Nutzung im Rahmen der Vorgaben der Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards. Werden diese Regulatorien überschritten, ist die Beklagte zu Sanktionen berechtigt. All dies ist zwischen den Parteien vertraglich vereinbart (S.O.).
(2) Beitrag 1 (Post 1)
Die zunächst erfolgte Entfernung und spätere Wiederherstellung des Post 1 und die vorübergehende Sperrung des klägerischen Nutzerkontos waren rechtmäßig. Dieses Recht besteht auch in Bezug auf Posts, die aus Sicht eines objektiven und unvoreingenommenen Lesers vertretbar so ausgelegt werden können, dass im Zeitpunkt der Bewertung gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards verstoßen. Insoweit muss dem Betreibereine schnelle Reaktion in Form einer vorläufigen Sperre von Beiträgen ermöglicht und ein gewisses Ermessen bei der Beurteilung eingeräumt werden, ohne dass dies im Fall einer fehlerhaften Ersteinschätzung zugleich weitere Rechtsfolgen nach sich zieht.
Die Beklagte hat daher einen ihr zustehenden Spielraum, wonach sie die Rechte der Nutzer und der Beklagten in Ausgleich zu bringen hat, in nicht zu beanstandende Art und Weise genutzt, indem sie den streitgegenständlichen Post einer erneuten Überprüfung zuführte und den Betrag in Einklang mit Art. 5 Abs. 1 GG wieder freischaltete. Im Interesse sämtlicher Nutzer zum Schutze von deren Rechten geht es nicht an, dass möglicherweise unzulässige Beiträge und insbesondere Hassreden während eines Prüfungsvorgangs weiterhin öffentlich zugänglich sind. Es bestehen daher keine Bedenken, dass derartige Beiträge zunächst gesperrt und von der Öffentlichkeit verborgen werden und diese erst nach einer angemessen Prüfungszeit und Prüfung wieder freigeschaltet werden. Insbesondere aus Sicht eines flüchtigen Durchschnittslesers und nicht auf der Grundlage einer detaillierten und reflektierten Lektüre können daher unmittelbare Maßnahmen zu ergreifen sein.
Im vorliegenden Fall konnte der Post 1 der Klägerin zunächst als Hassrede gewertet werden. Denn insoweit äußert sich die Klägerin über Flüchtlinge negativ und diffamierte dem ersten Anschein nach jegliche positiven Ansichten über Flüchtlinge und machte diese lächerlich, in dem sie angab, die Beklagte würde die Veröffentlichung von positiven Meinungen und Hohesliedern als Hassrede entfernen. Damit schien die Klägerin Flüchtlinge aufgrund ihres Flüchtlingsstatutes herabzuwürdigen und ihren Ausschluss zu befürworten. Der Post durfte von der Beklagten daher als Befürwortung einer Abneigungshaltung gegen Flüchtlinge allein aufgrund ihres Einwanderungsstatuses sowie Versuch der Förderung ihrer Ausgrenzung gewertet werden. Dies ergibt sich insbesondere auch daraus, dass die Klägerin auf eine vorherige Sperrung (Post 2) ihres Kontos Bezug nahm (Jetzt müssen wir echt aufhören, sonst werden wir nochmais gesperrt wegen Hassrede“ und „bleib straff bei deiner Anti-Meinung“) und dieser mithin Gegenstand der Beurteilung war. Dieser Post – dazu sogleich unter (3) – war jedenfalls eine Hassrede und keine zulässige Meinungsäußerung mehr. Durch die Bezugnahme auf diesen war die vorübergehende Entfernung zu einer abschließenden Prüfung jedenfalls vertretbar.
(3) Beitrag 2 (Post 2)
Bei der Äußerung des Post 2 handelt es sich um eine Hassrede und keine zulässige Meinungsäußerung. Denn bei der Identitäre Bewegung (IB) handelt es sich um eine rechtsradikale, nationalistische Bewegung, die fremdenfeindliche Botschaften fördert. Insoweit handelt es sich um eine Hassorganisation, die auch anlässlich der Errichtung eines Ankerzentrums für Flüchtlinge in Mering insoweit eine diesbezügliche Stellung bezog. Diese Einstufung ergibt sich letztlich auch aus deren eigenen (zitierten) Veröffentlichungen. Dass dies der Klägerin bewusst war, ergibt sich allein daraus, dass sie im letzten Teil der Äußerung zu verstehen gibt, dass die IB vom Verfassungsschutz überwacht wird.
So gibt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (Pressemitteilung vom 11.07.2019) an, dass es sich bei der IB um eine rechtsextreme Organisation handelt, deren Ideologien, Aussagen oder körperliche Handlungen Person aufgrund von Merkmalen wie ethnischer Herkunft, Religionszugehörigkeit und Nationalität angreife und deren Positionen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Die Beklagte ist berechtigt, Beiträge zu entfernen, die eine Hassorganisation unterstützen oder verherrlichen. Dies gilt auch dann, wenn die Organisation (noch) nicht verboten ist.
Dagegen kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass andere Organisationen mit radikalem Hintergrund von der Beklagten (noch) geduldet werden. Eine Gleichheit im Unrecht gibt es nicht.
(4) Beitrag 3 (Post 3)
Bel der Äußerung des Post 3 handelt es sich um eine Hassrede und keine zulässige Meinungsäußerung. Denn mit der Bezugnahme auf Nationalitäten unter Einbindung von Fäkalien wird deren Wert- bzw Geringschätzung zum Ausdruck gebracht.
Insbesondere im Zusammenhang mit den weiteren Posts der Klägerin (s.o.) wird deren Hassbezug deutlich.
Eine Unterbindung dessen ist in Gesamtschau (noch) vertretbar.
b. Antrag auf Wiederherstellung und Berichtigung gespeicherten Daten
Dementsprechend besteht mangels rechtswidriger Löschung auch kein WiederherstellungsanSpruch hinsichtlich des Beitrags und kein Anspruch auf Berichtigung etwaiger deswegen gespeicherter Daten.
c. Antrag auf Unterlassung
Ebenso wenig besteht ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB hinsichtlich des Beitrags mangels Eingriffs in ein schützenswertes Recht, insb. das Recht auf Meinungsfreiheit gern. Art. 5 GG der Klägerin.
2. Antrag auf Auskunft
Die Anträge auf Auskunft sind ebenso abzuweisen.
Ein Auskunftsanspruch bzgl. der Dienstleister besteht nicht. Die von Klägerseite vorgetragene Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 1.12.1999, I ZR 49/97) bejaht einen Auskunftsanspruch zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs für den Fall, dass Rechte rechtswidrig und schuldhaft verletzt wurden. Unabhängig davon, ob die Auskunft vorliegend der Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient, scheitert der Anspruch jedenfalls an der fehlenden Grundrechtsverletzung der Klägerin durch die Beklagte.
Für einen Auskunftsanspruch bzgl. der Einflussnahme durch die Bundesregierung ist keine Anspruchsgrundlage erkennbar. Zudem hat die Beklagte vorliegend lediglich Maßnahmen getroffen, zu denen sie nach ihren Richtlinien und Standards berechtigt war und die rechtlich nicht zu beanstanden waren. Ein Zusammenhang zu dem NetzDG ist nicht erkennbar. Jedenfalls wurde die Auskunft erfüllt, indem die Beklagtenseite eine Einflussnahme verneinte.
3. Schadensersatz
Der Antrag auf Schadensersatz Ist jedenfalls als unbegründet abzuweisen.
Ein Anspruch auf Schadensersatz infolge einer schwerwiegenden, nicht auf andere Weise zu behebenden Grundrechtsverletzung scheitert an der Grundrechtsverletzung.
Ein Anspruch auf eine fiktive Lizenzgebühr für die weitere Nutzung der Daten durch die Beklagte ohne Gegenleistung während der Sperrung ist abzulehnen. Erstens erfolgte die Sperrung rechtmäßig. Zweitens besteht auch während einer Sperrung die Erlaubnis seitens der Beklagten für die Datennutzung fort. Drittens erbrachte die Beklagte durchaus eine Gegenleistung, da die Klägerin ihren Account auch während der Sperrung weiter nutzen konnte, seine Nutzung wurde lediglich eingeschränkt, indem er in den Read-Only-Modus versetzt wurde.
Ein Anspruch auf Schadensersatz aus der DSGVO (Art. 82 II 1 DSGVO) ist ebenfalls abzulehnen. Die Beklagte hat vorliegend nicht gegen die DSGVO verstoßen. Sie hat keine Daten ohne Einwilligung verarbeitet, da auch diese Einwilligung während der Sperrung fortbesteht, zumal die Sperrung rechtmäßig erfolgte.
Auch darüber hinaus besteht kein Schadensersatzanspruch und in der Folge auch kein Zinsanspruch.
4. RA-Kosten
Mangels Erfolges des Hauptantrags besteht auch kein Anspruch auf Rechtsanwaltskosten.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
IV. Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.


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