IT- und Medienrecht

Zuwendungsrecht, Rücknahme eines Zuwendungsbescheids, Bayerisches 10.000-Häuser-Programm, Vorzeitiger Maßnahmenbeginn, Fehlende Anhörung, Zugang eines Anhörungsschreibens

Aktenzeichen  M 31 K 21.4977

Datum:
8.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52964
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
BayVwVfG Art. 41 Abs. 2
BayVwVfG Art. 46

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 9. September 2021, Az. 21-…, wird aufgehoben. 
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2021 trotz des Ausbleibens des Beklagten entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Beklagte ist mit Verfügung vom 17. November 2021, abgesandt am gleichen Tag, ihm ausweislich des Empfangsbekenntnisses zugestellt am 24. November 2021, form- und fristgerecht geladen worden; er wurde in der Ladung auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei Ausbleiben eines Beteiligten hingewiesen. Die Regierung von …als Vertreterin des Beklagten hat zudem im Vorfeld des Termins telefonisch und per E-Mail erklärt, dass sie an dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Rücknahmebescheid des Beklagten vom 9. September 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Rechtswidrigkeit ergibt sich dabei bereits aus formellen Gesichtspunkten.
1. Zwar liegt mit der Regelung des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG eine im Grundsatz einschlägige Rechtsgrundlage für den streitbefangenen Bescheid vor. Nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Sofern es sich – wie hier – um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, ist bei der Rücknahme die Vertrauensschutzregelung des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG zu berücksichtigen. Allerdings hätte es vor Erlass des Rücknahmebescheids einer Anhörung des Klägers bedurft, die nicht erfolgt ist. Dieser Verstoß ist weder geheilt noch unbeachtlich.
2. Der Rücknahmebescheid ist bereits formell rechtswidrig, weil die entsprechende Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zu Unrecht unterblieben ist und dieser Rechtsfehler weder nach Art. 45 BayVwVfG geheilt wurde noch gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich ist.
2.1 Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Ein Eingriff in die Rechte des Beteiligten liegt nur vor, wenn der vorhandene Rechtskreis des Beteiligten durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird. Dies ist unter anderem bei der Änderung, dem Widerruf oder der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts der Fall (vgl. statt vieler etwa die Nachweise bei Engel/Pfau, NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 28 Rn. 31). Bei dem Rücknahmebescheid handelt es sich mithin um einen belastenden Verwaltungsakt i.S.d. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG, sodass vorliegend eine Anhörung nach dieser Vorschrift veranlasst war.
Eine Anhörung ist hier jedoch unterblieben, da ein entsprechendes Anhörungsschreiben dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts im konkreten Fall nicht zugegangen ist. In der dem Gericht vorliegenden Behördenakte (Bl. 22 f.) befindet sich der Entwurf eines Anhörungsschreibens, das auf den 28. Oktober 2020 datiert ist. Der Entwurf ist in der Fußzeile in etwa neben der Textstelle „zur Post gegeben am“ mit einem Datumsstempel versehen, der ebenfalls auf den 28. Oktober 2020 lautet. Ferner befindet sich im Adressbereich des Schreibens ein Barcode, der ausgehend vom weiteren Inhalt der Behördenakte offenbar von der Poststelle oder einer vergleichbaren Einrichtung der Regierung von … stammt und wohl auf Posteingängen sowie auf Postausläufern angebracht wird. Dem unterhalb des Barcodes angebrachten Text ist das Datum 29. Oktober 2020 zu entnehmen. Alles in allem ergibt sich mithin aus den Akten, dass das Anhörungsschreiben durch die Regierung von … spätestens am 29. Oktober 2020 ordnungsgemäß als einfacher Brief zur Post gegeben wurde.
Bei Würdigung der Einzelfallumstände gelangt das Gericht jedoch im vorliegenden Einzelfall zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass das abgesandte Anhörungsschreiben den Kläger nicht erreicht hat.
An welchen Kriterien der Zugang eines Anhörungsschreibens zu messen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht ganz einheitlich betrachtet. Es entspricht der wohl überwiegenden Auffassung, dass im Fall des Versands eines Anhörungsschreibens die Vorschriften über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Art. 41 BayVwVfG und damit insbesondere die Zugangsfiktion und die Beweislastregelung in Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung finden. Gemäß Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Bei einem Anhörungsschreiben handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sodass eine unmittelbare Anwendung der vorgenannten Vorschrift in der Tat ausscheiden dürfte. Zudem wird die Vorschrift auch nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens angesehen, sodass auch eine entsprechende Anwendung oder ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken überwiegend nicht vertreten wird (vgl. etwa zuletzt OVG Hamburg, B.v. 23.9.2021 – 4 Bs 140/21 – juris Rn. 31; BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 20; B.v. 10.10.2006 – 11 CS 06.607 – juris Rn. 19; Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 1. EL August 2021, VwVfG § 41 Rn. 13; Schwarz, in: HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, § 41 Rn. 4; Couzinet/Fröhlich, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 41 Rn. 26 f. jeweils m.w.N.). Bei unselbständigen Verfahrenshandlungen, wie hier dem Versand des Anhörungsschreibens, würde es danach in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung, die eine Zugangsvermutung statuiert, auf die allgemeine Beweislastregelung über den Zugang von Willenserklärungen und damit entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB uneingeschränkt auf den tatsächlichen Zugang der fraglichen Erklärung an den Adressaten ankommen (OVG Hamburg, B.v. 23.9.2021 – 4 Bs 140/21 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 10.10.2006 – 11 CS 06.607 – juris Rn. 19).
Erwogen wird andererseits, zumindest den Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG zugrunde liegenden Rechtsgedanken heranzuziehen (so zu § 41 Abs. 2 VwVfG NRW OVG NRW, B.v. 4.4.2013 – 8 B 173/13 – juris Rn. 7; für eine entsprechende Anwendung auf eine Mahnung SächsOVG, B.v. 12.1.2016 – 3 B 273/15 – juris Rn. 5; vgl. im Einzelnen und vermittelnd Couzinet/Fröhlich, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 41 Rn. 27). Allerdings ist dann zu berücksichtigen, dass nach Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG die vorgenannte Zugangsfiktion in Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG nicht gilt, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. In diesem Zusammenhang werden wiederum unterschiedliche Meinungen dazu vertreten, ob bereits das bloße, unsubstantiierte Bestreiten des Zugangs durch den Adressaten eines Verwaltungsakts die Beweispflicht der Behörde nach Art. 41 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BayVwVfG auslöst (statt vieler eingehend mit entsprechenden Nachweisen Baer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 1. EL August 2021, VwVfG § 41 Rn. 88 ff.; Couzinet/Fröhlich, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 41 Rn. 92 ff.).
Der Frage muss im vorliegenden Fall nicht vertieft nachgegangen werden. Denn auch bei Heranziehung des Rechtsgedankens des Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG unterliegt die Behauptung eines Beteiligten, ein Zugang sei nicht oder nicht rechtzeitig erfolgt, was zu der Beweislastverteilung nach Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 BayVwVfG führt, der freien Beweiswürdigung des Gerichts (so zutreffend Couzinet/Fröhlich, aaO., Rn 94). Soweit andererseits – wie oben ausgeführt – in Ermangelung einer unmittelbar geltenden gesetzlichen Regelung über eine Zugangsvermutung auf die allgemeinen Beweislastregelungen über den Zugang von Willenserklärungen und mithin auf den tatsächlichen Zugang der fraglichen Erklärung an den Adressaten abgestellt wird, unterliegt auch insoweit der Zugang letztlich der freien Würdigung der Einzelfallumstände durch das Gericht (§ 108 Abs. 1 VwGO, vgl. hierzu die Nachweise bei OVG Hamburg, B.v. 23.9.2021 – 4 Bs 140/21 – juris Rn. 33).
Der Kläger hat den Zugang des Anhörungsschreibens hier mehrfach im gerichtlichen Verfahren sowie bereits nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides gegenüber dem Beklagten (vgl. Bl. 29 ff. der Behördenakte) bestritten. Soweit der Beklagte zuletzt schriftsätzlich vorträgt, schlichtes Bestreiten des Zugangs des Anhörungsschreibens genüge nicht, führt dies nicht weiter. Soweit man nicht bereits grundsätzlich im ausgeführten Sinne davon ausgeht, dass im Falle eines Bestreitens jeglichen Zugangs eine weitere Substantiierung dieses Vortrags nicht geboten ist (in diesem Sinne etwa OVG Hamburg, B.v. 23.9.2021 – 4 Bs 140/21 – juris Rn. 30; Couzinet/Fröhlich aaO., Rn 92 ff.), ist für den vorliegenden Fall zu bemerken, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung sein Bestreiten zumindest ansatzweise substantiiert hat. Er führt aus, dass es an seiner Adresse bzw. in der betreffenden Straße des Öfteren Schwierigkeiten bei der Postzustellung gebe, die offenbar durch einen starken Wechsel bei den Zustellbediensteten begründet sei. Er habe auch bereits Briefe, die nicht an ihn adressiert seien, in der Nachbarschaft richtig einwerfen müssen (Sitzungsprotokoll S. 3).
Unabhängig davon, ob nach dem Vorstehenden zumindest der Rechtsgedanke des Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG herangezogen werden kann und mithin ggf. die Behörde den Zugang nach Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 BayVwVfG nachzuweisen hat, oder entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ohnehin der tatsächliche Zugang der fraglichen Erklärung an den Adressaten entscheidend ist, ist das Anhörungsschreiben im konkreten Fall nach Überzeugung des Gerichts dem Kläger nicht zugegangen. Die entsprechende Einlassung des Klägers ist nach den Umständen des Einzelfalls glaubwürdig. Dies ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass der Kläger durchgängig sowohl im behördlichen als auch im gerichtlichen Verfahren auf Zuschriften stets unmittelbar und in einer Weise reagiert hat, die auf ein starkes Interesse am Ausgang des behördlichen Verfahrens und auf ein intensives Betreiben desselben schließen lassen. So veranlasste der Erlass des streitgegenständlichen Rücknahmebescheids den Kläger nach Aktenlage zu mehrfachen Nachfragen sowohl auf telefonischem Wege als auch per E-Mail (vgl. den umfangreichen Schriftverkehr ab Bl. 29 der Behördenakte). Auch im gerichtlichen Verfahren führte alleine die Übermittlung einer Stellungnahme des Beklagten zu einer unmittelbaren Rückfrage und zur Vorlage weiterer Unterlagen durch den Kläger. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht höchst unwahrscheinlich, dass der Kläger auf ein Anhörungsschreiben, wie es der Beklagte am 28. oder 29. Oktober 2020 zur Post gegeben hat, überhaupt nicht reagiert hätte, wäre es ihm zugegangen. Zwar mag es grundsätzlich so sein, dass das Bestreiten des Zugangs lediglich einzelner Schreiben bei einer Mehrzahl ansonsten unbestritten zugegangener Schreiben eher in Richtung einer Schutzbehauptung weist (so etwa die Konstellation bei OVG Hamburg, B.v. 23.9.2021 – 4 Bs 140/21 – juris Rn. 33; vgl. auch Couzinet/Fröhlich aaO., Rn. 94). Da jedoch hier der Kläger konsequent ab dem Zugang des streitgegenständlichen Rücknahmebescheids darauf verwiesen hat, dass er das Anhörungsschreiben niemals erhalten habe und er überdies jeweils auch weitere Aspekte in der Sache vorträgt, die er nach dem Gesamtbild seiner Reaktionen mit Sicherheit auch im Rahmen einer Anhörung vorgebracht hätte, ist von einer bloßen Schutzbehauptung im konkreten Fall nicht auszugehen.
Je nach vertretener Ansicht fehlt es damit an einem tatsächlichen Zugang entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB oder die Behörde hätte entsprechend Art. 41 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 BayVwVfG den Zugang des Schreibens nachzuweisen, was ihr nach Aktenlage nicht möglich ist. Mangels Zugangs des Anhörungsschreibens ist daher die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung unterblieben.
2.2 Etwas anderes oder eine Relativierung dieses Befunds ergibt sich vorliegend nicht, wie zuletzt durch den Beklagten in einer kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangenen E-Mail vom 7. Dezember 2021 vorgetragen, unter zuwendungsrechtlichen Gesichtspunkten. Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, dass aufgrund des – wie hier im Fall des 10.000-Häuser-Programms – freiwilligen Charakters einer Förderung und des weiten Ermessens des Förderungsgebers (vgl. hierzu grundsätzlich etwa BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 23) auch die Gestaltung des der Förderung vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens im wesentlichen Sache des Zuwendungsgebers ist. Gerade in Massenverfahren, deren Bewältigung ein gewisses Maß an Standardisierung auf behördlicher Seite erfordert, kann es daher gemessen am insoweit alleine einschlägigen Willkürverbot etwa möglich sein, nur eine stark formalisierte und auf bestimmte Kommunikationswege beschränkte Bearbeitungspraxis vorzusehen (vgl. zum Ganzen etwa VG München U.v. 20.9.2021 – M 31 K 21.2632, BeckRS 2021, 29655, Rn. 27 m.w.N.). Daher mag es für das Verfahren zur Gewährung einer Förderung denkbar sein, von einer mehrfachen Nachfrage bei Antragstellern grundsätzlich im Rahmen einer ständigen Zuwendungspraxis abzusehen, wie es der Beklagte vorträgt.
Allerdings steht vorliegend nicht die Gewährung einer Förderung im Rahmen des bayerischen 10.000-Häuser-Programms inmitten, für die die vorgenannten, unter Umständen auch verfahrensrechtlichen Spielräume der Zuwendungsbehörde bestehen und für die im Übrigen auch die Anhörungspflicht nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG mangels eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, tatbestandlich nicht einschlägig ist. Streitgegenständlich ist vielmehr die Rücknahme eines solchen Zuwendungsbescheids, die nicht (mehr) im engeren Sinne dem Förderverfahren zuzurechnen ist. Für diese Konstellation besteht – wie eingangs ausgeführt – eine gesetzliche Anhörungspflicht nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG, die keiner Relativierung durch eine ständige Zuwendungspraxis zugänglich ist.
2.3 Die unterbliebene Anhörung führt hier auch zur Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts, da weder gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG eine Heilung eingetreten ist noch die Voraussetzungen des Art. 46 BayVwVfG vorliegen.
Gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrensvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Zwar ist eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich. Angesichts dessen, dass im Grundsatz eine mindestens aus zwei eigenständigen Schritten bestehende behördliche Verfahrenshandlung nachzuholen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur allerdings wohl überwiegend angenommen, dass jedenfalls eine gleichsam automatische Heilung durch den Austausch von Argumenten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens für eine Nachholung nicht ausreichend ist (vgl. nur etwa Emmenegger, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 45 Rn. 113 m.w.N.). Soweit der Anzuhörende im gerichtlichen Verfahren von sich aus umfangreich vorträgt, kann gegebenenfalls auf ein gesondertes Anhörungsschreiben verzichtet werden. In jedem Fall muss die Behörde indes ihre Entscheidungsoffenheit klar und eindeutig zum Ausdruck bringen; keinesfalls darf sie sich auf die bloße Verteidigung ihres Verwaltungsakts beschränken. Entscheidend ist insoweit die materielle Gleichwertigkeit mit einer Anhörung im gesonderten Verfahren (Emmenegger, in: NK-VwVfG, a.a.O.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 87; vgl. auch VG München, U.v. 23.3.2021 – M 31 K 20.6004 – juris Rn. 16). Da der Beklagte im vorliegenden Fall nach seinem schriftsätzlichen Vortrag im gerichtlichen Verfahren sogar dezidiert das Vorbringen des Klägers nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids bzw. nach Klageerhebung nicht berücksichtigt, kann von einer Heilung vorliegend nicht ausgegangen werden.
Gemäß Art. 46 BayVwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil unter Verletzung von Vorschriften unter anderem über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Auch davon kann hier nicht ausgegangen werden, da nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler – hier die fehlende Anhörung – nicht anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2018 – 2 C 14/17 – juris Rn. 32; im Zusammenhang der Rückforderung einer Zuwendung etwa VG München, U.v. 23.3.2021 – M 31 K 20.6004 – juris Rn. 18 f; zum Ganzen statt vieler Emmenegger, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 46 Rn. 65).
Nach dem schriftsätzlichen Vortrag des Beklagten bleibt insbesondere unklar, inwieweit er im konkreten Fall in Kenntnis der nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids durch den Kläger mitgeteilten Umstände und vorgelegten Unterlagen (weiterhin) von einer Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Zuwendungsbescheids vom 28. Mai 2020 ausgehen würde. Mit Blick auf Nr. 6.1 der einschlägigen Förderrichtlinie (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie über die Förderrichtlinien zur Durchführung des bayerischen 10.000-Häuser-Programms vom 24. Juli 2019, BayMBl. Nr. 301) stellt der Beklagte nachvollziehbar darauf ab, dass mit der Durchführung der zu fördernden Maßnahmen nicht vor dem bestätigten Eingang des elektronischen Förderantrags begonnen werden darf. Als Maßnahmenbeginn gilt die Erteilung eines der Ausführung zuzurechnenden Lieferungoder Leistungsauftrags. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei grundsätzlich die bindende Willenserklärung des Antragstellers zum Vertragsschluss (vgl. zu Fragen des vorzeitigen Maßnahmenbeginns im Zusammenhang des 10.000-Häuser-Programms eingehend etwa BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 27 ff.; VG München, U.v. 16.2.2021 – M 31 K 20.5502 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 27.1.2020 – M 31 K 19.4697 – juris Rn. 28 ff.). Dem schriftsätzlichen Vortrag des Beklagten – zur mündlichen Verhandlung ist kein Beklagtenvertreter erschienen, der hierzu ggf. hätte Aufschluss geben und damit seiner materiellen Beweislast insoweit genügen können – ist indes nicht (mit Sicherheit) zu entnehmen, ob er in seiner ständigen Zuwendungspraxis hierbei allein auf die Angaben des jeweiligen Antragstellers in den Verwendungsnachweisunterlagen abstellt, oder ob auch weitere Unterlagen, wie etwa ein Dokument über die konkrete Auftragserteilung, berücksichtigt werden. Da die Auftragserteilung als solche dem Verwendungsnachweis nicht beigefügt werden muss (vgl. Nr. 9.2 der Förderrichtlinie), bleibt unklar, inwieweit solche Unterlagen durch den Beklagten – etwa nach Vorlage im Rahmen einer Anhörung – in ständiger Zuwendungspraxis berücksichtigt werden.
Sollte dies der Fall sein, könnte sich im konkreten Einzelfall aus den durch den Kläger vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Auftrag zur Errichtung einer Photovoltaikanlage (u.a. vorhanden als Bl. 48 f. der Behördenakte) durchaus ergeben, dass die gemäß Nr. 6.1 Satz 6 der Förderrichtlinie maßgebliche bindende Willenserklärung des Antragstellers tatsächlich erst nach dem bestätigten Eingang des elektronischen Förderantrags erfolgte und die Angabe im Verwendungsnachweisformular wie durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen lediglich ein Versehen darstellt. Wie ausgeführt, dürfte dies von der ständigen Zuwendungspraxis des Beklagten in diesem Zusammenhang abhängig sein. Für den vorliegenden Zusammenhang ist indes festzustellen, dass jedenfalls nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden kann, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler der fehlenden Anhörung nicht anders ausgefallen wäre. Ein Ausschluss des Aufhebungsanspruchs nach Art. 46 BayVwVfG kommt mithin nicht in Betracht.
Der Klage war nach alledem stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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