Aktenzeichen 15 U 2407/16
ZPO § 5
RVG § 33 Abs. 1 Alt.1
KV-GKG Nr. 1210
Leitsatz
1. Im Falle einer Klageänderung sind nach § 39 Abs. 1 GKG die Werte wirtschaftlich nicht identischer Streitgegenstände zur Bestimmung des Gebührenstreitwerts auch dann zusammenzurechnen, wenn sie lediglich nacheinander und nicht gleichzeitig nebeneinander geltend gemacht werden; dem Gebührenstreitwert nach § 39 Abs. 1 GKG kommt eine andere Funktion als dem Zuständigkeitsstreitwert nach § 5 Halbsatz 1 ZPO zu, der deshalb auch nicht zur Auslegung des § 39 Abs. 1 GKG herangezogen werden kann. Dem Gerichtskostensystem in der heute geltenden Fassung ist eine Reduzierung des Gebührenstreitwerts im Verlauf des Verfahrens fremd. (amtlicher Leitsatz)
2. Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung hat für die Gerichtsgebühren nicht zu erfolgen, da die Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG lediglich der Bemessung der Gerichtsgebühren dient. Die Terminsgebühr des Rechtsanwalts kann sich zwar nach einem niedrigeren Wert zum Zeitpunkt des Termins richten; dann liegt jedoch ein Fall des § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG vor (im Anschluss an LAG Baden-Württemberg, AGS 2014, 562). (amtlicher Leitsatz)
Verfahrensgang
6 O 4810/14 2016-04-28 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein
Tenor
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 29.975,57 € festgesetzt.
Ein überschießender Vergleichswert besteht nicht.
Gründe
I. Die Parteien haben im Berufungsverfahren über Schadensersatz und die Herausgabe von Unterlagen aus steuerberatender Tätigkeit gestritten.
Die Beklagten waren als Steuerberater für die Klägerin tätig. Im Jahr 2011 ließ der Managing Director der Klägerin die Beklagte zu 1 unter Fristsetzung auffordern, sämtliche steuerlichen Unterlagen ihn betreffend, die ab dem Jahr 2007 an die Beklagte zu 1 ausgehändigt wurden, an ihn herauszugeben. Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagten hätten es pflichtwidrig unterlassen, Jahresabschlüsse der Klägerin beim Betreiber des Bundesanzeigers fristgerecht einzureichen, weshalb mehrere Ordnungsgelder gegen die Klägerin verhängt worden seien.
Im ersten Rechtszug hat die Klägerin deswegen beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 20.475,57 € nebst Zinsen zu verurteilen, ihre Ersatzpflicht für sämtliche Schäden aus der nicht fristgerechten Einreichung der Jahresabschlüsse festzustellen, und sie zur Herausgabe aller die Klägerin betreffenden Unterlagen zu verurteilen. Das Landgericht Traunstein hat mit Endurteil vom 28.04.2016 (Bl. 105/115 d. A.) die Klage als unbegründet abgewiesen.
Die Klägerin hat das Urteil des Landgerichts mit ihrer Berufung zunächst in vollem Umfang angefochten (Berufungsbegründung vom 18.07.2016, Bl. 130/137 d. A.). Mit Schriftsatz vom 26.09.2016 (Bl. 148/149 d. A.) hat sie die Berufung teilweise zurückgenommen, nämlich hinsichtlich der Anträge auf Zahlung (Antrag zu 1) und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen nicht fristgerechter Einreichung der Jahresabschlüsse (Antrag zu 2), sowie den in der Berufungsbegründung als Antrag zu 3 gestellten Antrag auf Herausgabe von Unterlagen für die Jahre 2008 bis 2013 neu formuliert.
Mit Schriftsatz vom 07.10.2016 (Bl. 151/154 d. A.) hat die Klägerin einen Antrag zu 4 auf Feststellung des Verzugs und der Schadensersatzpflicht hinsichtlich der Herausgabe der Unterlagen formuliert. Bei der Klägerin würden sich mittlerweile Schäden dadurch aufbauen, dass sie eine Nachfolger-Steuerkanzlei nicht beauftragen könne, weil sie die Unterlagen nicht habe. Konkrete Schadensersatzansprüche könne die Klägerin noch nicht geltend machen, da die Auswirkungen aufgrund des Vorgehens der Beklagten noch nicht klar seien. Insbesondere seien bei Steuerprüfungen Nachprüfungen durch die Steuerbehörden nicht möglich, da es keine Buchhaltungsunterlagen von der Klägerin mehr gebe.
Im Berufungsverfahren unstreitig besitzen die Beklagten keine Unterlagen der Klägerin mehr. In der Berufungsverhandlung am 30.11.2016 (Prot. Bl. 160/165 d. A.) haben die Parteien den Herausgabeantrag (Antrag zu 3) übereinstimmend für erledigt erklärt. Sie haben unstreitig gestellt, dass die Beklagte zu 1 Vertragspartnerin der Klägerin war. Nach teilweiser Klagerücknahme (Prot. S. 5 f.) hat die Klägerin im Berufungsverfahren zuletzt noch beantragt festzustellen, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, alle Schäden zu tragen, die der Klägerin dadurch entstehen, dass die Beklagte zu 1 die Buchhaltungsunterlagen und Unterlagen zur Abgabe der Steuererklärung (Rechnungen, Lieferscheine, Kontoauszüge, Verträge mit Kunden der Klägerin) für die Kalenderjahre 2011, 2012 und 2013 nicht herausgegeben hat. Der Streitwert für den neuen Antrag sei auf 5.000,00 € zu schätzen.
Ein in der Sitzung vom 30.11.2016 geschlossener Vergleich der Parteien ist nicht widerrufen worden. Darin haben die Beklagten sich verpflichtet, zur endgültigen Abgeltung aller gegenseitigen Forderungen die Journale mit den Einzelbuchungen für die Kalenderjahre 2011, 2012 und 2013 der Klägerin zu übersenden.
II. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 39 Abs. 1, 40, 43 Abs. 1, 47, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
Der Berufungsstreitwert setzt sich gemäß § 39 Abs. 1, § 47 GKG zusammen aus dem Wert der in der Berufungsbegründung gestellten Anträge zu 1 bis 3 (Schadensersatz wegen nicht fristgerechter Einreichung von Jahresabschlüssen, Herausgabe von Unterlagen) und aus dem Wert des klageerweiternd gestellten Antrags zu 4 (Feststellung von Verzug und Schadensersatzpflicht wegen Nichtherausgabe der Unterlagen).
1. Gemäß § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren und Rechtszug die Werte mehrerer (wirtschaftlich nicht identischer) Streitgegenstände grundsätzlich zusammengerechnet. Ob diese Addition nur stattfindet, soweit die Streitgegenstände gleichzeitig nebeneinander geltend gemacht werden, ist in Rechtsprechung und Schrifttum heftig umstritten (offen gelassen in OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Juni 2016 – 4 W 42/16, MDR 2016, 1053).
1.1. Nach einer Auffassung sind die Werte nur zu addieren, soweit verschiedene Streitgegenstände gleichzeitig geltend gemacht worden sind, nicht dagegen, soweit sie nacheinander geltend gemacht wurden (OLG Dresden, Beschluss vom 29. Dezember 2006 – 5 W 1517/06, AGS 2007, 517 mit abl. Anm. N. Schneider; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. März 2009 – 3 W 3/09, NJW-RR 2009, 1078; ausführlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2010 – I-24 W 9/10, AGS 2011, 86 m. w. N., Anm. Fölsch in jurisPR-MietR 21/2010 Anm. 5; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. September 2010 – 8 W 1685/10, FD-RVG 2010, 309851 mit abl. Anm. Hans-Jochem Mayer; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 4 W 74/11, MDR 2012, 314; OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 17 W 1/12, SchlHA 2012, 351; Hartmann, KostG, 43. Aufl., GKG § 39 Rn. 3; N. Schneider/Thiel/Mock/Volpert in Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl., Anh. II Rn. 13; MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., § 263 Rn. 100, 103; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 263 Rn. 32; Fölsch, NZM 2016, 500, 501).
Die Entstehungsgeschichte des § 39 GKG spreche dafür, dass nur etwas gleichzeitig Vorhandenes zusammengerechnet werden könne. Vor dieser Vorschrift ergab sich die Zusammenrechnung aus der Verweisung in § 12 Abs. 1 GKG aF auf § 5 Halbsatz 1 ZPO. Mit der Einstellung in § 39 Abs. 1 GKG (durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz 2004) sollte die Regelung für alle Gerichtsbarkeiten Geltung erlangen (BT-Drucks. 15/1971, S. 154). Inhaltlich sei aber keine Änderung beabsichtigt gewesen; die in § 5 Halbsatz 1 ZPO vorausgesetzte Gleichzeitigkeit (Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., § 5 Rn. 5) müsse also auch im Rahmen des § 39 Abs. 1 GKG gelten. Der Gesetzgeber habe insoweit nicht zwischen Zuständigkeits- und Gebührenstreitwert differenzieren wollen. Eine Streitwertänderung im laufenden Verfahren sei möglich und müsse zu einer zeitlich gestaffelten Streitwertbestimmung führen. Außerdem sei für die Gebührenwertbemessung das sachliche Interesse der Parteien maßgeblich, das bei einer Auswechslung des Streitgegenstands nur auf eine Bescheidung des zuletzt gestellten Antrags gerichtet sei. Das Argument nicht vergüteter Arbeit sei nicht tragfähig, denn § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG sehe eine Werterhöhung durch einen Hilfsantrag auch nur dann vor, wenn über diesen entschieden wurde, obwohl Rechtsanwälte und Richter ihre Tätigkeit nicht auf den Hauptantrag beschränkten.
1.2. Nach der Gegenansicht sind die Werte wirtschaftlich nicht identischer Streitgegenstände zur Bestimmung des Gebührenstreitwerts auch dann zusammenzurechnen, wenn sie lediglich nacheinander und nicht gleichzeitig nebeneinander geltend gemacht werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Dezember 2005 – 5 W 829/05, WuM 2006, 45; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 24 U 7/05, NJOZ 2005, 3149, 3151 unter II.2., juris Rn. 5; vom 25. Januar 2007 – 21 W 50/06, AGS 2007, 516 mit Anm. N. Schneider; KG Berlin, Beschluss vom 27. August 2007 – 8 W 53/07, MDR 2008, 173; OLG Celle, Beschluss vom 20. Mai 2008 – 2 W 108/08, AGS 2008, 466; vom 9. Juni 2015 – 2 W 132/15, AGS 2015, 453 = FD-RVG 2015, 371833; ausführlich LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. November 2014 – 5 Ta 125/14, AGS 2014, 562 = FD-RVG 2014, 363921; LAG Sachsen, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – 4 Ta 168/16, FD-RVG 2016, 383971; FD-RVG jeweils mit zust. Anm. Hans-Jochem Mayer; eingehend Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., Anh. VI Rn. 335 ff; Rohn in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Streitwertkommentierung Abschn. I Rn. 69; Liebheit, JuS 2001, 687, 690 f; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 5 Rn. 3; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 12. Aufl. 2007, Rn. 3118 ff, 5203 ff; vgl. auch N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl., § 22 Rn. 12; N. Schneider, AnwBl 2007, 773, 773).
Der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG enthalte den Grundsatz der Streitwertaddition innerhalb eines Verfahrens und Rechtszugs. Anders als für Hilfsansprüche und Hilfsaufrechnungen (§ 45 GKG) fehle eine Ausnahmevorschrift für Fälle der Klageänderung. Ein gesetzgeberischer Wille, wonach § 39 Abs. 1 GKG wie § 5 Halbsatz 1 ZPO auszulegen sei, habe im Gesetz keinen Ausdruck gefunden; eher sei der Wortlaut des GKG (in „demselben Verfahren“) weiter als der in der ZPO („in einer Klage geltend gemachte Ansprüche“). Bei der Frage der Zuständigkeit (§ 5 ZPO) sei es sinnvoll, auf die Gleichzeitigkeit abzustellen, weil nicht mehr anhängige Ansprüche keine Verweisung erforderten. Dagegen spreche im Rahmen des Gebührenstreitwerts für eine Wertaddition die in der Regel anfallende Mehrarbeit, die unabhängig davon sei, ob die Ansprüche gleichzeitig oder nacheinander geltend gemacht werden; der gleiche Gedanke gelte nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 19. Oktober 2006 – V ZB 91/06, NJW 2007, 769 Rn. 17) bei der Mehrvertretungsgebühr des Anwalts gemäß Nr. 1008 VV-RVG (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, a. a. O. Anh. VI Rn. 342 f). Wie der Rechtsanwalt (§ 22 Abs. 1 RVG) müsse auch das Gericht nicht unentgeltlich einzelne Streitgegenstände bearbeiten, nur weil deren Verfolgung später wieder aufgegeben wird. Ein Umkehrschluss aus Nr. 1211 KV-GKG zeige, dass eine – auch teilweise – Reduzierung der Klageforderung den nach § 40 GKG mit Anhängigkeit entstandenen Streitwert nicht vermindere. Zudem sei der Streitwert konsequenterweise so zu bemessen, wie es auch Grundlage der Kostenverteilung sei, bei der die Kosten eines zurückgenommenen (oder durch Klageänderung ausgetauschten) Teils den Kläger zu treffen hätten.
1.3. Der Senat schließt sich der zuletzt dargestellten Meinung an, nach der eine Zusammenrechnung gemäß § 39 Abs. 1 GKG nicht voraussetzt, dass die Streitgegenstände gleichzeitig geltend gemacht werden. Die Vorschrift ordnet nach ihrem Wortlaut die Zusammenrechnung der Werte aller Streitgegenstände in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug an. Eine Begrenzung auf gleichzeitig anhängige Ansprüche findet im Wortlaut keine Stütze (insoweit auch OLG Schleswig, SchlHA 2012, 351). Eine Ausnahmevorschrift wie § 45 GKG fehlt hierfür. Die Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 154) zeigt zwar, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Zusammenrechnung für alle Gerichtsbarkeiten verankern wollte, nicht aber, dass er diesen im Einzelnen so verstanden haben wollte, wie es zuvor durch die Anknüpfung an den Zuständigkeitsstreitwert des § 5 ZPO vorgegeben war. Gegenüber dieser Vorschrift ist der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG weiter, und die Einführung einer eigenen Vorschrift für den Gebührenstreitwert, die gegenüber der allgemeinen Verweisung in § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG vorrangig ist, ermöglicht ebenfalls ein von der früheren Auffassung abweichendes Verständnis, auch wenn es in der – naturgemäß knappen – Gesetzbegründung keine Anhaltspunkte für einen positiven Willen des Gesetzgebers dahingehend gibt. Dem Gebührenstreitwert kommt eine andere Funktion zu als dem Zuständigkeitsstreitwert. Für die Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts (§ 5 ZPO) wäre es sinnwidrig, früher anhängige, dann aber nicht mehr geltend gemachte Ansprüche einer Verweisung vom Amtsgericht an das Landgericht zugrunde zu legen.
Der Gebührenstreitwert dagegen dient der Bemessung der wertabhängigen Gerichtsgebühren, die sich durch Klagerücknahme, übereinstimmende Erledigterklärung oder andere unstreitige Erledigungen zwar vermindern lassen, dies jedoch nicht auf der Ebene des Streitwerts, sondern des Gebührensatzes (vgl. Nr. 1211 KV-GKG). Die Rücknahme einer Klage mit einem Streitwert von beispielsweise 10.000 € senkt den Streitwert nicht auf null, sondern belässt ihn bei 10.000 €. Ebenso bleibt es bei diesem Streitwert, wenn die Klage nur teilweise zurückgenommen wird. Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung hat für die Gerichtsgebühren nicht zu erfolgen (so auch Fölsch, NZM 2016, 500, 501), denn die Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG dient lediglich der Bemessung der Gerichtsgebühren (Hartmann, KostG, 43. Aufl., GKG § 63 Rn. 16; vgl. Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 3 Rn. 8). Die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen (Nr. 1210 KV-GKG) ist aber bereits nach dem Streitwert im Zeitpunkt der Anhängigkeit (§ 40 GKG) angefallen. Die Terminsgebühr des Rechtsanwalts kann sich zwar nach einem niedrigeren Wert zum Zeitpunkt des Termins richten; dann liegt jedoch ein Fall des § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG vor, keine Änderung des Streitwerts für die Gerichtsgebühren (LAG Baden-Württemberg, AGS 2014, 562 unter 2.b.bb.bbb., juris Rn. 27 ff). Ein Verfahren mit einem Streitwert von ursprünglich 10.000 € ist nach teilweiser Klagerücknahme in Höhe von 5.000 € immer noch mit 10.000 € für die Gerichtsgebühren zu bewerten, da sich diese (Nr. 1210 KV-GKG) aus diesem Wert berechnen. Dann ist aber nicht einzusehen, warum eine nach der teilweisen Klagerücknahme angebrachte Klageerweiterung um beispielsweise 12.000 € nicht zu einem Streitwert von 22.000 € führen sollte (10.000 € + 12.000 €), sondern nur zu einem Streitwert von 17.000 € (5.000 € + 12.000 €). Letzteres käme einer streitwertreduzierenden Wirkung der teilweisen Klagerücknahme gleich, die ohne spätere Klageerweiterung nicht einträte. Vor diesem Hintergrund ist auch dem Argument nicht zu folgen, die Parteien begehrten keine Doppelbescheidung, sondern nur eine Bescheidung des zuletzt gestellten Antrags, darin liege das für die Gebührenbemessung maßgebliche sachliche Interesse der Parteien. Für den Gebührenstreitwert kommt es zwar auf das geltend gemachte Interesse an, jedoch nicht in Gestalt des zuletzt gestellten Antrags, sondern des bei Einleitung des Rechtszugs gestellten (§ 40 GKG). Das wären im Beispiel 10.000 € für die ursprüngliche Klage und 12.000 € für die Erweiterung (Dörndorfer in Binz/Dörndorfer, GKG, 3. Aufl., § 40 Rn. 1; Hartmann, KostG, 43. Aufl., GKG § 40 Rn. 2).
Zusammenfassend spricht nach Auffassung des Senats der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG gegen das Erfordernis der gleichzeitigen Geltendmachung. Auch systematische Gründe sprechen dagegen: Die Vorschrift ist vorrangig gegenüber § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, so dass § 5 Halbsatz 1 ZPO gerade keine Anwendung (mehr) findet; eine Vorschrift, welche die Zusammenrechnung wie § 45 GKG von besonderen Voraussetzungen abhängig macht, fehlt. Die historische Auslegung liefert keinen klaren Anhaltspunkt für einen im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers und steht einer Anwendung auf nacheinander anhängige Streitgegenstände nicht entgegen. Die teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift schließlich spricht ebenfalls dafür, § 39 Abs. 1 GKG auch auf nacheinander anhängige Ansprüche anzuwenden, denn anders als bei der Frage der sachlichen Zuständigkeit, die in § 5 ZPO geregelt ist, gibt es bei der Bemessung der Gerichtsgebühren anhand der anhängig gewordenen Streitgegenstände (§§ 40, 47 GKG) keinen Grund, die Zusammenrechnung auf gleichzeitig geltend gemachte Ansprüche zu beschränken. Dem Gerichtskostensystem in der heute geltenden Fassung ist eine Reduzierung des (Gebühren-) Streitwerts im Verlauf des Verfahrens vielmehr fremd. Es kann letztlich dahinstehen, ob dem die Überlegung zugrunde liegt, wie der Anwalt beschäftige sich auch das Gericht mit den einmal anhängig gewordenen Streitgegenständen unabhängig davon, ob diese zur Entscheidung gelangten, so dass – bei Fehlen einer Ausnahmevorschrift wie § 45 GKG – diese Arbeit auch vergütet werden müsse (so Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., Anh. VI Rn. 342 f; OLG Hamm, AGS 2007, 516 m. w. N.; ablehnend zu diesem Argument LAG Baden-Württemberg, AGS 2014, 562 unter 2.b.bb.eee., juris Rn. 39).
2. Die Anträge zu 1 bis 4 sind wirtschaftlich nicht (teil-) identisch, so dass eine Zusammenrechnung auch nicht unter diesem Gesichtspunkt (Hartmann, KostG, 43. Aufl., GKG § 39 Rn. 3) ausgeschlossen ist.
Der Antrag zu 1 betrifft einen bereits bezifferten Schaden, der Antrag zu 2 den darüber hinausgehenden, schon entstandenen und zukünftigen Schaden aus einer nicht fristgerechten Einreichung von Jahresabschlüssen. Auch der Antrag zu 3 auf Herausgabe von Unterlagen und der Antrag zu 4 auf Feststellung des Verzugs und einer sich daraus ergebenden Schadensersatzpflicht betreffen wirtschaftlich nicht das gleiche Interesse: Das Interesse an der Herausgabe liegt darin, das Eigentum an den Unterlagen auszuüben und mit ihnen arbeiten zu können, während die Schadensersatzpflicht die Folgen abdecken soll, die sich ergeben, wenn die Unterlagen nicht zur Verfügung stehen. Beide Interessen können sich zwar unter Umständen teilweise decken; dies ist aber vorliegend mangels näherer Anhaltspunkte nicht eingrenzbar, so dass von wirtschaftlicher Teilidentität nicht ausgegangen werden kann.
3. Der Senat bewertet die Berufungsanträge im Rahmen der gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO vorzunehmenden Schätzung wie folgt:
Der Antrag zu 1 ist als bezifferter Zahlungsantrag mit 20.475,57 € zu bewerten. Der Wert des Antrags zu 2 wird auf 3.500,00 € geschätzt, der Wert des Antrags zu 3 auf 1.000,00 €. Dies entspricht weitestgehend der von beiden Parteien nicht in Zweifel gezogenen Streitwertfestsetzung des Landgerichts (Beschluss vom 28.04.2016, Bl. 103/104 d. A.), das für die Anträge zu 1 bis 3 insgesamt einen Wert von 25.000,00 € geschätzt hat. Den Wert des Antrags zu 4 schätzt der Senat auf 5.000,00 €, wobei er der unwidersprochenen Schätzung des Klägervertreters aus der Sitzung vom 30.11.2016 (Prot. Bl. 160/165 d. A., S. 6) folgt, die auch dem Senat plausibel erscheint. Die Bewertung der Feststellungsanträge (Anträge zu 2 und 4) steht in angemessenem Verhältnis zu dem im Termin erörterten ungefähren Umsatz und Gewinn der Klägerin, von dem ein etwaiger Schaden abhängig wäre.
In der Summe ergibt sich damit ein Berufungsstreitwert von 29.975,57 €.
4. Ein überschießender Vergleichswert (Nr. 1900 KV-GKG) besteht nicht. Maßgeblich dafür sind nur streitige, bisher nicht anhängige Ansprüche (Hartmann, KostG, 43. Aufl., KV Nr. 1900 Rn. 10 f; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 12. Aufl. 2007, Rn. 5717 f). Die von den Beklagten im Vergleich übernommene Verpflichtung, der Klägerin Journale mit Einzelbuchungen zu übersenden, war vor dem Vergleichsschluss nicht streitig. Es handelt sich unzweifelhaft um Arbeitsergebnisse der Beklagten, nicht um die von der Klägerin überlassenen und später zurückgeforderten Unterlagen.