Kosten- und Gebührenrecht

Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss

Aktenzeichen  W 7 M 18.30614

Datum:
18.4.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30294
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 1 S. 1 § 151, § 165

 

Leitsatz

Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte (sog. fiktive Terminsgebühr). (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr. I des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 21. März 2018 werden die außergerichtlichen Aufwendungen des Klägers auf 492,54 EUR festgesetzt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Beklagte des ursprünglichen Verfahrens und Erinnerungsführerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. März 2018 des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Würzburg, soweit in diesem als zu erstattende Aufwendung antragsgemäß eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG festgesetzt wurde.
Im Verfahren W 7 K 16.32239 erging 31. Januar 2018 ein Gerichtsbescheid. Im Tenor dieses Gerichtsbescheids wurde der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 9. November 2016 entsprechend dem klägerischen Antrag aufgehoben. Zudem wurde die Beklagte (Erinnerungsführerin) verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Auf Antrag des Klägerbevollmächtigten vom 7. März 2018 erließ der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichts am 21. März 2018 einen Kostenfestsetzungsbeschluss und setzte die Kosten antragsgemäß (inkl. einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG) fest. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde der Erinnerungsführerin am 26. März 2018 zugestellt.
Gegen diesen Beschluss beantragte die Erinnerungsführerin mit Schriftsatz vom 27. März 2018, am 28. März 2018 bei Gericht eingegangen,
die Entscheidung des Gerichts und die vorläufige Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine „fiktive“ Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG sei nicht angefallen. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG erfasse nur Gerichtsbescheide i.S.d. § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Dies ergebe sich aus dem neuen Wortlaut („und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“) und aus der Gesetzesbegründung. Zudem fehle es vorliegend an der Tatbestandsvoraussetzung, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Ein solcher Antrag sei vorliegend offensichtlich unzulässig, weil der Kläger durch den Gerichtsbescheid vollständig obsiegt habe und daher mangels Beschwer kein Rechtsschutzbedürfnis für einen solchen Antrag bestehe.
Mit Nichtabhilfeentscheidung vom 28. März 2018 legte der Urkundsbeamte dem Gericht die Erinnerung zur Entscheidung vor.
II.
Über den Antrag auf Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. März 2018 entscheidet vorliegend die Einzelrichterin, da diese die der Kostenfestsetzung zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO – Kommentar, 24. Aufl. 2018, § 165 Rn. 3; BayVGH, B.v. 19.1.2017 – 24 C 06.2426 – BayVBl 2018, 417).
Die Erinnerung ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig und begründet. Der Urkundsbeamte hat zu Unrecht die vom Klägerbevollmächtigten beantragte Terminsgebühr festgesetzt.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht die Terminsgebühr, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr). Trotz des Wortlauts der Vorschrift, der sich zunächst auf alle Gerichtsbescheide bezieht und daher auch den vorliegend einschlägigen Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfasst, liegen die Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG gleichwohl nicht vor, weil der Kläger nach Ergehen des Gerichtsbescheids, mit dem er vollständig obsiegte, mangels Beschwer keinen – zulässigen – Antrag auf mündliche Verhandlung stellen konnte (so auch BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – BeckRS 2018, 28752 Rn. 8 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, 19171 Rn. 16; VG Regensburg, B.v. 1.8.2018 – RN 5 M 18.1069 – BeckRS 2018, 19483 Rn. 22 ff.)
Da aus dem Wortlaut alleine nicht deutlich hervorgeht, ob das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr alleine davon abhängig ist, ob theoretisch ein Antrag auf mündliche Verhandlung von irgendeiner Partei gestellt werden könnte oder ob Voraussetzung für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr ist, dass die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3104 VV Rn. 38), ist die Bedeutung der Rechtsnorm durch Auslegung zu ermitteln.
Bereits die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht dafür, dass die theoretische Möglichkeit der Antragstellung nicht genügt. Durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurde in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG der Zusatz eingefügt, dass nicht lediglich eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr genügt, sondern zusätzlich das Erfordernis aufgestellt, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Dieser Zusatz wäre überflüssig, wenn man die bloße Entscheidung durch Gerichtsbescheid genügen ließe, da im Fall des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO stets mündliche Verhandlung beantragt werden kann, sofern die Beteiligten nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Dies wird auch durch die Gesetzesbegründung gestützt, nach der die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle beschränkt werden sollte, in denen der Beteiligte die Möglichkeit hat, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 275).
Auch eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Nr. 3104 VV RVG ergibt, dass es für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nicht alleine darauf ankommen kann, ob gegen einen Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft ist. Die Nr. 3104 VV RVG soll dem Ziel dienen, verfahrensökonomisch mündliche Verhandlungen zu vermeiden, die alleine mit dem Ziel des Erhalts einer Terminsgebühr beantragt werden. Dementsprechend wird zur Vermeidung derartiger Fälle eine fiktive Terminsgebühr gewährt. Folglich ist es auch nur in den Fällen erforderlich, die fiktive Terminsgebühr zu gewähren, in denen es andernfalls dem entsprechenden Beteiligten möglich wäre, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Auch wenn dies im Einzelfall zu einer Ungleichbehandlung führen mag, besteht für diese ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur die (zumindest teilweise) unterlegene Partei über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – BeckRS 2018, Rn. 16).
Der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, dass eine Terminsgebühr nicht deswegen entfiele, weil der Kläger durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert sei, da auch ein (unterliegender) Anwalt in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könne, indem er einen Antrag auf mündliche Verhandlung stelle (vgl. VG Magdeburg, B.v. 15.11.2017 – 5 E 485/17 – BeckRS 2017, 140892; VG Oldenburg, B.v. 27.7.2017, 1 E 5687/17 – BeckRS 2017, 118630), ist nicht zu folgen. Denn ein (zulässiger) Antrag auf mündliche Verhandlung setzt, wie jeder Rechtsbehelf, eine Beschwer voraus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37). Wird gleichwohl trotz fehlender Beschwer ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, kommt eine Ablehnung als unzulässig durch Beschluss in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 – BeckRS 2018, 28752 Rn. 12 mit Verweis auf Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 84 Rn. 21; BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15.01 – juris Rn. 10; a.A.: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 39).
Nach alledem war der Kostenfestsetzungsbeschluss abzuändern, soweit in diesem als zu erstattende Aufwendung eine fiktive Terminsgebühr festgesetzt wurde. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich bereits aus § 83b AsylG. Zudem sieht das Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz) einen Kostentatbestand für eine gerichtliche Entscheidung im vorliegenden Erinnerungsverfahren nicht vor.
Da die Anordnung der einstweiligen Aussetzung der Vollziehung unter der auflösenden Bedingung steht, dass eine Entscheidung über die Erinnerung noch nicht ergangen ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.1984 – 22 C 84 A.454 – BayVBl. 1985, S. 22), war über den diesbezüglichen Antrag nicht mehr zu entscheiden.


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