Kosten- und Gebührenrecht

I ZR 77/21

Aktenzeichen  I ZR 77/21

Datum:
27.1.2022
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:270122BIZR77.21.0
Normen:
§ 3 ZPO
Spruchkörper:
1. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Nürnberg, 11. Mai 2021, Az: 3 U 3129/19vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 7. August 2019, Az: 4 HKO 3308/18

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg – 3. Zivilsenat und Kartellsenat – vom 11. Mai 2021 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Streitwert: 20.000 €

Gründe

1
I. Der Kläger vertreibt bundesweit Zeitschriften und Zeitschriftenabonnements, unter anderem an öffentliche Bibliotheken. Die Beklagte betreibt im nordbayerischen Raum einen Lesezirkel.
2
Die Lieferungsbedingungen der D.               , von der die Beklagte bis 1. Februar 2021 Zeitschriften bezog, legten sinngemäß fest, dass die Zeitschriften vom Betreiber eines Lesezirkels fest in gesonderte Lesezirkel-Umschläge einzuheften, gegen Entgelt zu vermieten und danach zurückzuholen sowie zu vernichten sind. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen anderer Verlage enthalten ähnliche Regelungen. Der Kläger behauptet, die Beklagte liefere Zeitschriften, die sie zu vergünstigten Konditionen erworben habe, ohne Lesezirkel-Umschläge an Bibliotheken aus. Zudem hole sie die Zeitschriften nicht zeitnah wieder ab, sondern belasse sie dort, so dass ganze Jahrgänge in den Bibliotheken vorhanden seien.
3
Nach fruchtloser Abmahnung erwirkte der Kläger gegen die Beklagte eine einstweilige Verfügung. Die vom Kläger geforderte Abschlusserklärung gab die Beklagte nicht ab.
4
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
Bibliotheken mit Zeitschriften zu beliefern, die sie zuvor bei den Verlagen zu Lesezirkel-Konditionen erworben hat, ohne die Zeitschriften nach Maßgabe der Lieferungsbedingungen für den Lesezirkel der Verlage, insbesondere nach Maßgabe der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für den Lesezirkel des D. (Anlage K 4) mit Lesezirkel-Umschlägen zu vermieten und wieder abzuholen,
sowie 1.342,44 € nebst Zinsen für die Kosten der Abmahnung und des Abschlussschreibens an den Kläger zu bezahlen.
5
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und den Streitwert – wie vom Kläger angegeben – auf 50.000 € festgesetzt. Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt. Der Kläger hat den Unterlassungsantrag hilfsweise um die vor den Worten “wieder abzuholen” einzusetzenden Worte “diese Zeitschriften jeweils nach ihrem Veröffentlichungsturnus” ergänzt. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte – unter Abweisung der Klage im Übrigen – unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen,
Bibliotheken mit Zeitschriften zu beliefern, die sie zuvor bei den Verlagen zu Lesezirkel-Konditionen erworben hat, die lediglich eine Vermietung als Lesezirkel-Exemplare vorsehen, ohne diese Exemplare nach Erscheinen des Folgehefts wieder abzuholen, es sei denn, diese sind im Einzelfall dort aktuell nicht vorhanden oder ein längeres Belassen in den Bibliotheken wurde der Beklagten von den Verlagen ausdrücklich gestattet,
sowie 536,97 € nebst Zinsen für die Kosten der Abmahnung und des Abschlussschreibens an den Kläger zu bezahlen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass der Kläger 60% und die Beklagte 40% der Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben.
6
Den Streitwert hat das Berufungsgericht auf 50.000 € festgesetzt. Es hat angenommen, die Beanstandungen der Belieferung von Bibliotheken mit Zeitschriften ohne Lesezirkel-Umschläge und der verspäteten Abholung stellten zwei unterschiedliche Streitgegenstände dar. Es entfielen Streitwerte von 20.000 € auf die erste sowie von 30.000 € auf die zweite Beanstandung. Der Kläger sei – zusätzlich zur vollständigen Abweisung der ersten Beanstandung – auch mit der zweiten Beanstandung zu einem Drittel unterlegen, weil die Verlage und Vertriebsunternehmen keine Abholung strikt nach dem Erscheinen der Folgeausgabe forderten.
7
Eine von der Beklagten hiergegen eingelegte “Streitwertbeschwerde” hat nicht zu einer Änderung des Streitwerts geführt. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine Beschwerde sei bereits wegen § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG ausgeschlossen. Darüber hinaus könne der Antrag als förmlicher Rechtsbehelf deswegen keinen Erfolg haben, weil die Beklagte als Partei durch einen zu niedrigen Streitwert nicht beschwert wäre. Auch die ungeachtet dessen mögliche Anregung, den Streitwert nach § 63 Abs. 3 GKG von Amts wegen zu ändern, führe nicht zu dessen Heraufsetzung. Der Aspekt der Lesezirkel-Umschläge sei mit 20.000 € ausreichend bewertet, weil diese Vorgabe für das vom Kläger beanstandete Vermietungsgeschäft der Beklagten kein erhebliches Hindernis entfalte, das seine eigene Absatztätigkeit vereitele.
8
Mit der beabsichtigten Revision, deren Zulassung sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt, will die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen. Sie meint, sie sei durch das Berufungsurteil mit mehr als 20.000 € beschwert.
9
II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Wert der von der Beklagten mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
10
1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer, über den das Revisionsgericht ohne Bindung an eine – möglicherweise fehlerhafte – Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht selbst zu befinden hat, bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Berufungsentscheidung. Wendet sich – wie hier – die beklagte Partei mit der Revision gegen die in der Vorinstanz zu ihren Lasten titulierte Unterlassungspflicht, so richtet sich der Wert der Beschwer nach ihrem gemäß § 3 ZPO grundsätzlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bemessenden Interesse an der Beseitigung dieser Verpflichtung. Der so zu bemessende Wert der Beschwer entspricht zwar nicht zwangsläufig, aber doch regelmäßig dem nach dem Interesse der klagenden Partei an dieser Verurteilung zu bemessenden Streitwert. Denn das Interesse des Klägers an einer Unterlassung ist pauschalierend und unter Berücksichtigung von Bedeutung, Größe und Umsatz des Verletzers, Art, Umfang und Richtung der Verletzungshandlung sowie subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers, wie etwa dem Verschuldensgrad, zu bewerten. Auf einen höheren Streitwert und eine damit einhergehende höhere Beschwer im Fall der Verurteilung hat die beklagte Partei daher bereits in den Vorinstanzen hinzuweisen. Für die Bewertung sind der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz und die bis dahin vom Kläger vorgebrachten Anknüpfungstatsachen maßgeblich. Einer beklagten Partei, die weder die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die bereits dort vorgebracht worden sind, nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, ist es regelmäßig versagt, sich erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert zu berufen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 – I ZR 205/19, juris Rn. 7; Beschluss vom 15. April 2021 – I ZR 23/20, MMR 2021, 812 Rn. 5 mwN). Parteivortrag, der noch nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und erstmals nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegenüber den Tatgerichten zur Höhe von Streitwert und Beschwer mit dem Ziel gehalten wird, die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu überschreiten, ist ebenso zu behandeln wie (erstmaliger) Vortrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2020 – I ZR 205/19, juris Rn. 12; BGH, MMR 2021, 812 Rn. 7 mwN).
11
2. Nach diesen Grundsätzen beträgt die von der Beklagten mit der Revision geltend zu machende Beschwer – entsprechend der Berechnung des Berufungsgerichts – lediglich 20.000 €.
12
a) Die Beschwerde macht geltend, es müsse – wie bereits in der Streitwertbeschwerde der Beklagten geltend gemacht – berücksichtigt werden, dass es hoch umstritten und über den Streitfall hinaus von Bedeutung sei, unter welchen Voraussetzungen gerade bei Bibliotheken von einer Vermietung auszugehen sei, wenn dort einzelne Zeitschriftenexemplare länger belassen würden. Nach dem Verständnis sämtlicher Verlage und relevanter Lesezirkel-Unternehmen dürften Zeitschriften längerfristig vermietet werden und bestehe keine Abholverpflichtung des Vorgängerhefts mit Erscheinen des Folgehefts. Darüber hinaus sei das teilweise Unterliegen des Klägers bei diesem Aspekt mit einem Drittel zu hoch angesetzt. Die vom Berufungsgericht ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung enthalte keine nennenswerten Einschränkungen, die der Beklagten zu Gute kämen. Auch wenn die D.               ein längeres Belassen von Zeitschriften in Bibliotheken im begründeten Einzelfall nicht missbillige, sei nicht zu erwarten, dass sich die vom Berufungsgericht im Unterlassungstenor zugestandene Einschränkung realisiere, dass Verlage ein längeres Belassen in den Bibliotheken ausdrücklich gestatteten. Praktisch relevant sei daher nur die weitere Einschränkung, dass ein zurückzuholendes Exemplar in der Bibliothek nicht vorhanden sei. Es liege indes auf der Hand, dass in diesem Fall keine Verpflichtung der Beklagten bestehen könne.
13
b) Dieses Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt die Annahme einer über 20.000 € hinausgehenden Beschwer nicht.
14
aa) Den Umstand, dass die vom Berufungsgericht zu Lasten der Beklagten entschiedene Rechtsfrage hoch umstritten und über den Streitfall hinaus von Bedeutung sei, hat die Beschwerde verspätet geltend gemacht. Sie behauptet nicht, hierzu bereits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen zu haben. Daran ändert auch der Verweis auf ihre Streitwertbeschwerde nichts, da die Beklagte diese erst nach der Verkündung des Berufungsurteils angebracht hat.
15
Anders verhält es sich hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerde, der Unterliegensanteil des Klägers sei mit einem Drittel von 30.000 € zu hoch angesetzt. Die Beklagte hat vom Umfang der Teilabweisung und der daraus folgenden Kostenquote erst durch das Berufungsurteil Kenntnis erlangt.
16
bb) Unabhängig davon könnte das Vorbringen der Beschwerde auch in der Sache nicht zur Festsetzung eines höheren Streitwerts führen.
17
Für die Schätzung des Streitwerts ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Verurteilung maßgeblich; spiegelbildlich dazu kommt es für die Bestimmung der Beschwer auf das Interesse des Beklagten an der Beseitigung dieser Verurteilung an. Die Frage, ob eine Rechtsfrage umstritten ist, und die Bedeutung ihrer Beantwortung für die Branche ist hierfür nicht maßgeblich (zu Ausnahmen im Verbandsklageprozess vgl. BGH, MMR 2021, 812 Rn. 13 mwN). Es fehlt an konkreten Darlegungen zu einem eigenen 20.000 € übersteigenden wirtschaftlichen Interesse der Beklagten an der Beseitigung ihrer Verurteilung.
18
Hieran ändert auch das weitere Vorbringen der Beschwerde nichts, der Unterliegensanteil des Klägers sei mit einem Drittel von 30.000 € zu hoch angesetzt. Auch mit ihren diesbezüglichen Ausführungen hat die Beschwerde keine konkreten Umstände für eine über 20.000 € liegende Beschwer der Beklagten dargelegt.
19
c) Die Kosten der Abmahnung und des Abschlussschreibens sind Nebenforderungen im Sinne des § 4 Abs. 1 ZPO und erhöhen die Beschwer daher nicht (vgl. MünchKomm.ZPO/Krüger, 6. Aufl., § 544 Rn. 5 mwN).
Koch     
      
Feddersen     
      
Pohl   
      
Schmaltz     
      
Odörfer     
      


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