Kosten- und Gebührenrecht

Kostenentscheidung bei Erledigung der Hauptsache im Zulassungsverfahren

Aktenzeichen  8 ZB 18.32096

Datum:
24.4.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13680
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
VwGO § 92 Abs. 3, § 155 Abs. 1 S. 1, § 161 Abs. 2, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 S. 1, § 119 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 1

 

Leitsatz

Erklären die Beteiligten übereinstimmend ausschließlich das Berufungszulassungsverfahren in der Hauptsache für erledigt, können bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht nur die Erfolgsaussichten des Antrags auf Zulassung der Berufung, sondern auch die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen sein. (Rn. 3)

Tenor

I. Das Zulassungsverfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Zulassungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Dem Kläger wird für das Berufungszulassungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Born-Gotta, Frankfurt a. Main, beigeordnet.

Gründe

1. Das Berufungszulassungsverfahren ist durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 4. April 2019 bzw. 15. April 2019 beendet und daher in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Beschränkung der Erledigungserklärungen auf das Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung ist rechtlich zulässig. Infolge dieser Beschränkung hat das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2018 weiterhin Bestand und ist rechtskräftig geworden (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1994 – 9 C 456.93 – NVwZ 1995, 372 = juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 7.6.2011 – 8 ZB 10.2463 – juris; B.v. 28.7.2016 – 21 B 15.720 – juris Rn. 6; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 161 Rn. 10a und 13).
2. Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands im Zeitpunkt der Erledigung zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO demjenigen Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Bei offenen Erfolgsaussichten ist es im Allgemeinen billig, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben oder den Beteiligten zu gleichen Anteilen aufzuerlegen (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die notwendige überschlägige Überprüfung des Streitstoffs sind aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit Beweise nicht mehr zu erheben und schwierige Rechtsfragen nicht mehr zu klären (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 15).
Erklären die Beteiligten – wie hier – nur das Zulassungsverfahren und nicht den Rechtsstreit insgesamt in der Hauptsache für erledigt, wird hinsichtlich der Kosten in der Regel zu differenzieren sein: Wäre das Zulassungsverfahren voraussichtlich erfolglos geblieben, weil etwa die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bzw. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht erfüllt waren oder der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht gegeben war, dürfte es in der Regel der Billigkeit entsprechen, das Zulassungsverfahren mit einer Kostenentscheidung zu Lasten der Antragstellers abzuschließen. Spricht hingegen Überwiegendes für einen Erfolg des Zulassungsantrags, werden im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO neben den Erfolgsaussichten des Zulassungsantrags regelmäßig auch die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen sein. Allein der erfolgreiche Ausgang des Zulassungsverfahrens indiziert noch nicht die Belastung des Antragsgegners mit den Kosten des Zulassungsverfahrens, weil ein erfolgreicher Zulassungsantrag nicht notwendig auch zum Erfolg der Berufung führen muss. Vielmehr könnten je nach dem Ausgang des Berufungsverfahrens dem im Zulassungsverfahren noch erfolgreichen Antragsteller gleichwohl die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen sein, wenn er im Hauptsacheverfahren letztlich doch unterlegen wäre (vgl. BVerwG, B.v. 12.12.1990 – 4 NB 14.88 – NVwZ 1991, 871 = juris Rn. 12; a.A. Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 82). Stellen sich in diesem Fall die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens als offen dar, ist es im Allgemeinen billig, die Kosten entsprechend § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu teilen (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2008 – 5 ZB 08.1630 – juris Rn. 3; OVG Hamburg, B.v. 16.3.1998 – Bs III 122797 – NVwZ-RR 1998, 461).
Nach diesem Maßstab entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit, die Kosten gegeneinander aufzuheben, weil sich bis zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses der Ausgang des Rechtsstreits als offen darstellt.
Erledigendes Ereignis war der Erlass der Urteile des Senats vom 13.2.2019 (Az. 8 B 17.31645 und Az. 8 B 18.30257 – juris), weil dadurch die mit dem Zulassungsantrag geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) im Hinblick auf die vom Kläger aufgeworfene Frage der Gefahr flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgungsmaßnahmen für äthiopische Staatsangehörige wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit für eine Organisation, die einer in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisation nahesteht (hier der TBOJ/UOSG), entfallen ist. Der Senat hat mit diesen Urteilen entschieden, dass infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 Personen wegen ihrer Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die – wie die TBOJ/UOSG – einer der in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisationen der Ginbot7, OLF oder ONLF nahesteht, oder wegen einer exilpolitischen Tätigkeit für eine solche Organisation bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien grundsätzlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen befürchten müssen.
Vor Erlass dieser Urteile wäre im vorliegenden Fall die Berufung wohl zugelassen worden. Welcher Beteiligter bei Fortsetzung des Berufungsverfahrens voraussichtlich unterlegen wäre, lässt sich indes ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht beurteilen. Die Entscheidung hing nämlich nicht nur von der Beantwortung der als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage und des damit in Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ab, sondern auch davon, ob beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorlag. Diese Frage hätte in einem Berufungsverfahren bei entsprechendem klägerischen Vortrag gegebenenfalls einer weiteren Aufklärung bedurft, für die nach der Erledigung des Rechtsstreits kein Raum mehr ist.
3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Kläger und die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten für das Zulassungsverfahren folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 1 ZPO. Dabei ist es uner-heblich, dass das Begehren des Klägers, die Zulassung der Berufung zu erreichen, nach der Klärung der aufgeworfenen Fragen in den angeführten Urteilen vom 13. Februar 2019 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg mehr hatte (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten im Rahmen der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ist – abweichend von der Beurteilung der Erfolgsaussicht des Zulassungsverfahrens – grundsätzlich die Bewilligungsreife, d.h. der Zeitpunkt nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen und einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – AuAS 2008, 11). Nur ausnahmsweise ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, wenn sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers geändert hat. Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags zulasten des Rechtsschutzsuchenden eintreten, sind grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 11 C 18.1631 – juris Rn. 12; BVerfG, B.v. 22.8.2018 – 2 BvR 2647/17 – NVwZ-RR 2018, 873 = juris Rn. 15 m.w.N.; BVerwG, B.v. 21.1.2019 – 1 PKH 49.18 u.a. – juris Rn. 6).
So verhält es sich hier. Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (24.9.2018) waren die angeführten Grundsatzentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Februar 2019 zu der grundsätzlich bedeutsamen Frage der Gefahr flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgungsmaßnahmen für äthiopische Staatsangehörigen wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit für eine Organisation, die einer in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisation nahesteht, noch nicht erlassen. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Zulassungsantrag wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung daher voraussichtlich noch Erfolg gehabt.
Der Kläger hat durch die vorgelegte aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gegeben sind. Für die Beurteilung der Bedürftigkeit des Rechtsschutzsuchenden aufgrund seiner persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse kommt es – anders als für die Beurteilung der Erfolgsaussichten im Rahmen der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe – nicht auf die Bewilligungsreife, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2012 – 8 C 12.653 – BayVBl 2013, 480 = juris Rn. 8; B.v. 27.7.2017 – 15 C 14.2047 – BayVBl 2018, 755 = juris Rn. 15).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).


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