Kosten- und Gebührenrecht

unzulässige Berufung, Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereichter vollständiger Prozesskostenhilfeantrag erforderlich, Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis erforderlich

Aktenzeichen  13a B 22.30121

Datum:
1.4.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9287
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 6, § 125 Abs. 2
ZPO §§ 114 ff.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 27 K 18.33706 2021-08-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Die Berufung wird verworfen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten vom 17. September 2018, mit dem insbesondere ihr Asylantrag (§ 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG) und ihr Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt worden war.
Das Verwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Klägerin mit Urteil vom 24. August 2021 (M 27 K 18.33706) ab. Gegen dieses Urteil stellte die Klägerin einen Antrag auf Zulassung der Berufung. Diesen begründete sie damit, die Berufung sei gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Entscheidung aufgrund mangelhafter Geschäftsverteilungspläne des Verwaltungsgerichts nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen worden sei.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2022 (13a ZB 21.31534), der Klägerin zugestellt am 31. Januar 2022, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung zugelassen, weil ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht werde und vorliege (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
Mit Schreiben vom 3. Februar 2022, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 4. Februar 2022, hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Unterlagen und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse würden nachgereicht. Mit Schreiben vom 1. März 2022, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 3. März 2022, hat die Klägerin Unterlagen zu ihrem Antrag auf Prozesskostenhilfe übersandt (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen).
Mit Schreiben vom 14. März 2022, der Klägerin zugestellt am 16. März 2022, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klägerin zu einer Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung angehört, da diese unzulässig sei. Die Berufung sei nicht nach Maßgabe des § 124a VwGO fristgerecht begründet worden. Sie erhalte Gelegenheit, sich hierzu binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens zu äußern. Die Klägerin äußerte sich hierzu nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Die Berufung konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss verworfen werden, weil sie unzulässig ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 – 3 VwGO). Die Berufung ist unzulässig, weil die Berufung nicht innerhalb offener Frist begründet worden ist.
Der mit einer ordnungsgemäßen Belehrung über die Notwendigkeit der fristgerechten Berufungsbegründung (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2012 – 1 B 23.12 – juris Rn. 3 m.w.N.) versehene Berufungszulassungsbeschluss des Senats vom 19. Januar 2022 (13a ZB 21.31534) ist der Bevollmächtigten der Klägerin am 31. Januar 2022 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Damit lief die einmonatige Frist zur Begründung der Berufung (§ 124a Abs. 6 VwGO) am Montag, 28. Februar 2022 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 und 3 BGB) ab. Da die Klägerin bis dahin ihre Berufung nicht begründet hatte, ist die Berufung unzulässig.
Der Verwerfung der Berufung wegen Versäumens der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt hatte, über den der Senat nicht vorab, sondern erst mit vorliegendem Beschluss entschieden hat. Zwar liegt ein Grund zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung regelmäßig dann vor, wenn eine erstinstanzlich unterlegene Partei, die wegen Mittellosigkeit an einer fristgerechten Begründung ihrer Berufung durch einen Rechtsanwalt gehindert ist, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht hat, um abhängig von der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe darüber zu entscheiden, ob die Berufung durchgeführt werden soll, das Berufungsgericht über diesen Antrag aber nicht innerhalb der Frist für die Begründung der Berufung entschieden hat (BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5 m.w.N.; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Eine solcher Fall liegt hier indes nicht vor:
Zum einen muss innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ein vollständiger Antrag auf Prozesskostenhilfe mit allen dazugehörigen Unterlagen – also mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechenden Belegen (§ 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO) – eingereicht worden sein (vgl.: BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5; B.v. 23.7.2003 – 1 B 386.02 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Ob vorliegend die mit Schreiben der Klägerin vom 1. März 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 3. März 2022 eingegangenen Unterlagen zu einem in diesem Sinne vollständigen Antrag geführt haben, kann dahingestellt bleiben. Denn der vollständige Antrag auf Prozesskostenhilfe muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereicht worden sein. Diese Frist endete vorliegend allerdings – wie oben ausgeführt – bereits am 28. Februar 2022. Zu diesem Zeitpunkt war der Prozesskostenhilfeantrag keinesfalls vollständig, weil weder die notwendige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch die entsprechenden Belege vorlagen.
Unabhängig davon ist zum anderen eine Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn die fristgemäße Begründung der Berufung wegen der ausstehenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unterblieben ist. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist daher, dass zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis ein Kausalzusammenhang besteht. Die fehlende Begründung des Rechtsmittels muss gerade auf die Bedürftigkeit der Partei zurückzuführen sein. Diese Kausalität kann dabei verneint werden, wenn die Partei nicht zu erkennen gegeben hat, dass der Rechtsanwalt nur dann zu einem weiteren Tätigwerden im Berufungsverfahren bereits ist, wenn Prozesskostenhilfe gewährt worden ist (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5 m.w.N., insbesondere unter Verweis auf BVerfG, B.v. 11.3.2010 – 1 BvR 290/10 – juris Rn. 18 m.w.N.; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.). Auch hieran fehlt es vorliegend: Die Klägerin hat nicht ansatzweise zu erkennen gegeben, dass die Bevollmächtigte nur dann zur Begründung der zugelassenen Berufung bereit sei, wenn ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt wird. Gegen eine solche Annahme spricht auch der Gang des bisherigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens: Im erstinstanzlichen Verfahren war die Bevollmächtigte zu einem umfänglichen Tätigwerden bereit (insbesondere schriftsätzliche Begründung der Klage und Teilnahme an der mündlichen Verhandlung), ohne dass Prozesskostenhilfe überhaupt beantragt und dann gewährt worden wäre. Auch den Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Bevollmächtigte ohne Antrag bzw. Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt. Es sprechen demnach auch sonst keinerlei Umstände dafür, dass die fristgemäße Begründung der Berufung gerade wegen der ausstehenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unterblieben sein könnte.
Nach alledem hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe: Die Berufung hatte bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Bewilligungsreife trat frühestens mit Vorlage der Unterlagen zum Antrag auf Prozesskostenhilfe am 3. März 2022 ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufung allerdings bereits unzulässig, weil die Begründungsfrist – wie oben dargelegt – bereits am 28. Februar 2022 geendet hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.


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