Kosten- und Gebührenrecht

unzulässige Berufung, Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung, vollständiger Prozesskostenhilfeantrag erforderlich, Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis erforderlich

Aktenzeichen  13a B 22.30123

Datum:
31.3.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8522
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 60, 124a Abs. 6, 125 Abs. 2
ZPO §§ 114 ff.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 28 K 20.30268 2021-06-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung wird abgelehnt.
III. Die Berufung wird verworfen.
IV. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
V. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die im Jahr 2016 geborene Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2020, mit dem ihr Folgeantrag (§ 71 AsylG, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG) abgelehnt worden war.
Das Verwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Klägerin mit Urteil vom 25. Juni 2021 (M 28 K 20.30268) ab. Gegen dieses Urteil stellte die Klägerin einen Antrag auf Zulassung der Berufung und beantragte Prozesskostenhilfe. Den Antrag auf Zulassung der Berufung begründete sie damit, die Berufung sei gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Entscheidung aufgrund mangelhafter Geschäftsverteilungspläne des Verwaltungsgerichts nicht durch den gesetzlichen Richter getroffen worden sei. Zum Antrag auf Prozesskostenhilfe führte sie aus, sie sei aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation nicht imstande, die Kosten des Verfahrens aufzubringen. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse werde nachgereicht. Zu den Erfolgsaussichten verweise sie auf die Begründung des Zulassungsantrags.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2022 (13a ZB 21.31640), der Klägerin zugestellt am 2. Februar 2022, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung zugelassen, weil ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht werde und vorliege (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG). Der Zulassungsbeschluss enthält unter anderem die Belehrung, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen sei. Mangele es an einem der Erfordernisse, so sei die Berufung unzulässig.
Mit Schreiben vom 9. März 2022, der Klägerin zugestellt am 10. März 2022, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Klägerin zu einer Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung angehört, da diese unzulässig sei. Die Berufung sei nicht nach Maßgabe des § 124a VwGO fristgerecht begründet worden.
Mit Schreiben vom 10. März 2022 ist die Klägerin dem entgegengetreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 23.7.2003 – 1 B 386.02 – juris) sei die Verwerfung einer zugelassenen Berufung grundsätzlich erst nach Entscheidung über einen PKH-Antrag zulässig. Zudem sei keine Belehrung über die Rechtsfolgen des Unterlassens der Begründung erfolgt, so dass die Jahresfrist gelte. Hilfsweise beantrage sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Berufungsbegründung werde auf die Ausführung insbesondere im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht verwiesen. Es sei fernliegend anzunehmen, dass ihre Mutter als alleinstehende und sehr schlecht gebildete Frau mit drei Kleinkindern in Nigeria eine dauerhafte Einkommensquelle finden werde. Selbst wenn ihr tatsächlich 5.000 € zur Verfügung stünden, könne ein solcher Betrag auch in Nigeria nur für einen sehr überschaubaren Zeitraum den Lebensunterhalt sichern. Abgesehen davon weigere sich ihre Mutter, nach Nigeria zurückzukehren. Fernliegend sei, dass sich diese den Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern könne. Sie werde alsbald nach Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten, weshalb ein Abschiebungsverbot festzustellen sei.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2020 und das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Juni 2021 aufzuheben, soweit diese der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen. Die Klägerin hat schon nicht dargetan, dass sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist unter anderem, dass die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind dem Prozesskostenhilfeantrag eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Da Formulare für die Erklärung eingeführt sind, muss sich die Partei ihrer bedienen (§ 117 Abs. 3 und 4 ZPO).
Vorliegend sind diese Voraussetzungen nicht gegeben: Die Klägerin hat zu ihrem Prozesskostenhilfeantrag keinerlei Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht. Es fehlt bereits an der vorgeschriebenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Formular. Dieses ist entgegen der Ankündigung im Zulassungsantrag nicht nachgereicht worden. Es liegen auch keinerlei Belege zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin vor.
Da die Klägerin anwaltlich vertreten ist, bestand keine Obliegenheit, sie auf die verfahrensrechtlichen Erfordernisse des § 117 Abs. 2 und 4 ZPO gesondert hinzuweisen (OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 11 f. m.w.N.). Nachdem es bereits an einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Formular fehlt, waren auch eigene Erhebung des Gerichts im Rahmen des Verfahrens nach § 118 Abs. 2 ZPO zur Glaubhaftmachung bzw. Ergänzung der tatsächlichen Angaben nicht angezeigt (vgl. dazu: OVG NW, a.a.O., juris Rn. 13 f. m.w.N.).
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung (§ 124a Abs. 6 VwGO) war abzulehnen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).
Die Wiedereinsetzungsgründe müssen grundsätzlich dargelegt und glaubhaft gemacht werden (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 33 f.). Vorliegend hat die Klägerin keinerlei Begründung dafür vorgebracht, weshalb sie daran gehindert gewesen sein sollte, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es fehlt damit schon im Ansatz an der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen.
Auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen scheidet aus: Für den Senat ist weder ohne weiteres erkennbar, dass die Klägerin kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, noch sind eine Wiedereinsetzung rechtfertigende Tatsachen offenkundig oder sonst glaubhaft (vgl. dazu: Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 60 Rn. 36 m.w.N.).
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass ein Grund zur Wiedereinsetzung regelmäßig auch dann vorliegt, wenn eine erstinstanzlich unterlegene Partei, die wegen Mittellosigkeit an einer fristgerechten Begründung ihrer Berufung durch einen Rechtsanwalt gehindert ist, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht hat, um abhängig von der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe darüber zu entscheiden, ob die Berufung durchgeführt werden soll, das Berufungsgericht über diesen Antrag aber nicht innerhalb der Frist für die Begründung der Berufung entschieden hat (vgl. dazu: BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5 m.w.N.; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Denn dies setzt zum einen voraus, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ein vollständiger Antrag auf Prozesskostenhilfe mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht wird (BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5; B.v. 23.7.2003 – 1 B 386.02 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.). Vorliegend hat indes die Klägerin – wie oben dargelegt – überhaupt keine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen vorgelegt. Unabhängig davon ist zum anderen eine Wiedereinsetzung in diesen Fällen nur dann zu gewähren, wenn die fristgemäße Begründung der Berufung wegen der ausstehenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unterblieben ist. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist daher, dass zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis ein Kausalzusammenhang besteht. Die fehlende Begründung des Rechtsmittels muss gerade auf die Bedürftigkeit der Partei zurückzuführen sein. Diese Kausalität kann dabei verneint werden, wenn die Partei nicht zu erkennen gegeben hat, dass der Rechtsanwalt nur dann zu einem weiteren Tätigwerden im Berufungsverfahren bereits ist, wenn Prozesskostenhilfe gewährt worden ist (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5 m.w.N., insbesondere unter Verweis auf BVerfG, B.v. 11.3.2010 – 1 BvR 290/10 – juris Rn. 18 m.w.N.; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.). Auch hieran fehlt es vorliegend: Die Klägerin hat nicht ansatzweise zu erkennen gegeben, dass der Bevollmächtigte nur dann zur Begründung der zugelassenen Berufung bereit sei, wenn ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt wird. Auch der Gang des zweitinstanzlichen Verfahrens spricht gegen die erforderliche Kausalität: Die Klägerin hatte den Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht erst nach Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 19. Januar 2022, sondern bereits zusammen mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 16. November 2021 gestellt. Gleichwohl hat sie ungeachtet der geltend gemachten Bedürftigkeit in der Folgezeit weder die in dem vorgenannten Schriftsatz angekündigte und damit auch aus ihrer Sicht für eine Bewilligung erforderliche Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen übersandt, noch hat sie – wie ausgeführt – zu erkennen gegeben, dass ihr Bevollmächtigter nur im Fall der Prozesskostenhilfebewilligung zu einem weiteren Tätigwerden bereit sei (vgl. zu einer vergleichbaren Fallkonstellation: OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 36 f. m.w.N.).
3. Die Berufung konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss verworfen werden, weil sie unzulässig ist (§ 125 Abs. 2 Satz 1 – 3 VwGO). Die Berufung ist unzulässig, weil die Begründung der Berufung nicht fristgerecht eingereicht worden ist.
Der Beschluss des Senats vom 19. Januar 2022, mit dem die Berufung zugelassen worden war (13a ZB 21.31640), ist mit einer ordnungsgemäßen Belehrung über die Notwendigkeit der fristgerechten Berufungsbegründung versehen (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, B.v. 24.10.2012 – 1 B 23.12 – juris Rn. 3 m.w.N.). In der Belehrung wird sogar darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig ist, wenn unter anderem das Erfordernis der fristgerechten Begründung der Berufung nicht gewahrt ist. Dieser Beschluss ist (dem Bevollmächtigten) der Klägerin am 2. Februar 2022 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Damit lief die einmonatige Frist zur Begründung der Berufung (§ 124a Abs. 6 VwGO) am Mittwoch, 2. März 2022, ab. Die erst am 10. März 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangene Berufungsbegründung konnte diese Frist nicht wahren. Wiedereinsetzungsgründe wurden – wie oben dargelegt – nicht glaubhaft gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Der Verwerfung der Berufung wegen Versäumens der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig steht – anders als die Klägerin meint – auch nicht entgegen, dass über den Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht vorab, sondern erst mit dem vorliegenden Beschluss entschieden worden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn – wie oben ausgeführt – innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ein vollständiger Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht worden wäre und die fristgemäße Begründung der Berufung gerade wegen der ausstehenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unterblieben wäre (vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2016 – 1 B 93.16 – juris Rn. 5 m.w.N., insbesondere unter Verweis auf BVerfG, B.v. 11.3.2010 – 1 BvR 290/10 – juris Rn. 18 m.w.N.; OVG NW, B.v. 25.5.2016 – 18 A 2206/12 – juris Rn. 29 ff. m.w.N.), woran es vorliegend – wie oben dargelegt – jeweils fehlt.
Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.


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