Kosten- und Gebührenrecht

Zu den Anforderungen an einen Klageerzwingungsantrag und einen zugehörigen PKH-Antrag

Aktenzeichen  4 Ws 148/20, 4 Ws 168/20, 4 Ws 184/20, 4 Ws 185/20, 4 Ws 186/20

Datum:
13.10.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40769
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 172 Abs. 2, Abs. 3, § 174 Abs. 1
ZPO § 114, § 115, § 117 Abs. 4
EMRK Art. 19, Art. 32 Abs. 1, Art. 34, Art. 35
AEUV Art. 267

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO muss zwingend von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dabei muss der Anwalt im Rahmen seiner Berufspflichten erkennbar auch die inhaltliche Verantwortung für den Antrag übernehmen, an dessen Abfassung gestaltend mitwirken und sich gegebenenfalls durch Akteneinsicht Kenntnis über die im Antrag aufzuführenden Daten verschaffen.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag im Klageerzwingungsverfahren dürfen die Anforderungen an die Darlegungslast des anwaltlich nicht beratenen Antragstellers nicht überspannt werden dürfen. Erforderlich ist aber zumindest eine schlüssige Schilderung der Tatsachen und eine Bezeichnung der wesentlichen Beweismittel, aus denen sich die behaupteten strafbaren Handlungen ergeben sollen.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Prozesskostenhilfe kann überdies nur bewilligt werden, wenn und soweit der Antragsteller angesichts seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen könnte. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Vorschriften der ERMK sind bei der Anwendung von Verfahrensvorschriften zu beachten, sie schaffen aber im Regelfall keine über die Strafprozessordnung hinausgehenden Rechtspositionen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anträge des Axx Bxx Txx auf gerichtliche Entscheidung gegen die Bescheide des Generalstaatsanwalts in München vom 18. und vom 25.08.2020, Az.: 202 Zs 2126/20 f und 201 Zs 2046/20 f, werden als unzulässig verworfen.
II. Die jeweiligen Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Verfügungen vom 13. und vom 22.07.2020 auf Strafanzeigen des Antragstellers jeweils kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und den Anzeigen ohne die Aufnahme von Ermittlungen gemäß § 152 Abs. 2 StPO keine Folge gegeben. Der Generalstaatsanwalt in München hat mit Bescheiden vom 18. und vom 25.08.2020 den Beschwerden des Antragstellers vom 03.08. und vom 24.07.2020 jeweils gegen die Nichteinleitungsverfügung der Staatsanwaltschaft keine Folge gegeben.
Hiergegen hat der Antragsteller mit zwei von ihm unterzeichneten Schreiben vom 04.09.2020, bei dem Oberlandesgericht München eingegangen am selben Tag, jeweils Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt („aufgrund seiner Mittellosigkeit Prozesskostenhilfe … sowie Beistellung eines Rechtsanwalts reklamiert“). Zudem hat der Antragsteller beantragt, ein Vorabentscheidungsverfahren des Gerichtshofs der Europäischen Union (Art. 267 AEUV) zu veranlassen, wohl über die Geltung des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO im Lichte der Art. 6 und 13 der EMRK.
II.
Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung waren jeweils als unzulässig zu verwerfen, weil sie den Anforderungen des Gesetzes in mehrfacher Hinsicht nicht genügen (§§ 174 Abs. 1, 172 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 StPO). Insbesondere sind jeweils zwingende förmliche Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 Abs. 2 StPO nicht erfüllt.
1. Das Antragsvorbringen lässt jeweils eine vollständige, aus sich heraus verständliche, in Einzelheiten reichende und prüfbare Sachverhaltsdarstellung (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2016 – 2 BvR 1155/15 [BeckRS 2016, 45393]; NJW 2016, 44 [23]) vermissen, die sämtliche in den als verletzt behaupteten Strafvorschriften bestimmten Tatbestandsmerkmale in objektiver und subjektiver Hinsicht durch tatsächliche Lebensvorgänge ausfüllt (Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 172 Rn. 34, § 174 Rn. 1). Gleiches gilt für die Angabe der Beweismittel, aus denen sich ein hinreichende Tatverdacht ergeben und mit welchen jeder einzelne Umstand des gesetzlichen Tatbestandes bewiesen werden soll (Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 172 Rn. 38). Zuletzt enthält die Antragsschrift keine sachgerechte und vollständige Auseinandersetzung mit dem Gang des Ermittlungsverfahrens, dem Inhalt der angegriffenen Bescheide und den tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, die für deren Unrichtigkeit sprechen könnten (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2016 – 2 BvR 1155/15 [BeckRS 2016, 45393]).
Vielmehr beschränkt sich der Antragsteller in beiden Fällen auf allgemeine Gedankenspiele, Vorwürfe und Behauptungen, dass Vorschriften der europäischen Menschenrechtskonvention nicht beachtet worden seien und deren Geltung vom gesamten deutschen Rechtssystem „systematisch unterminiert“ werde. Deswegen sei die Prüfung der Konformität mit europäischen Rechtsnormen durch eine europäische Rechtsinstanz geboten. Insbesondere wird nicht ersichtlich, inwieweit die von ihm empfundene Untätigkeit und Unfähigkeit seines Verteidigers strafrechtlich erheblich sein könnte.
2. Der Antragsteller missachtet jeweils – trotz ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung durch den Generalstaatsanwalt – bewusst die Vorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO und die hierzu ergangene höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung. Denn ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss zwingend von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein (BVerfG NJW 1953, 1097; Beschluss vom 15.12.2005 – 2 BvR 205/05 [BeckRS 2005, 30366570]), wobei nicht nur eine anwaltliche „Unterschrift“ erforderlich ist. Vielmehr muss der Anwalt im Rahmen seiner Berufspflichten erkennbar auch die inhaltliche Verantwortung für den Antrag übernehmen, an dessen Abfassung gestaltend mitwirken und sich gegebenenfalls durch Akteneinsicht Kenntnis über die im Antrag aufzuführenden Daten verschaffen (BVerfG Beschluss vom 03.05.1993 – 2 BvR 1975/92 [BeckRS 1993, 8460]). Diese Erfordernisse dienen der Erfüllung des Gesetzeszwecks, nämlich einer sach- und rechtskundigen Aufbereitung möglicherweise komplexer und rechtlich verwickelter Sachverhalte und der Vermeidung einer aufwändigen Prüfung – wie vorliegend – unsachlicher oder offenbar unbegründeter Anträge durch den Strafsenat.
Die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Anträge auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StPO) kommt nicht in Betracht, weil das Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen nicht stimmig und prüfbar dargelegt und auch nicht glaubhaft gemacht wurde.
1. Nach den entsprechend anzuwendenden zivilprozessualen Vorschriften kommt – unabhängig von einer Bedürftigkeit i.S.d. §§ 114, 115 ZPO – eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Deswegen muss das Prozesskostenhilfegesuch, welches einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als aussichtsreich erscheinen lassen soll, (auch) eine Darstellung enthalten, die in groben Zügen den vorstehend erörterten Anforderungen entspricht.
2. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Anforderungen an die Darlegungslast des anwaltlich nicht beratenen Antragstellers nicht überspannt werden dürfen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.07.2015 – 1 Ws 144/15 [BeckRS 2015, 116155]). Dennoch hätten die Antragsvorbringen jeweils wenigstens eine schlüssige Schilderung der Tatsachen und eine Bezeichnung der wesentlichen Beweismittel enthalten müssen, aus denen sich die behaupteten strafbaren Handlungen ergeben sollen. Diesem Erfordernis entspricht der Sachvortrag des Antragstellers auch unter den verringerten Darlegungsanforderungen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht, weil nicht einmal in knapper Form deutlich gemacht wird, woraus sich ein strafrechtlich erhebliches Verhalten der Angezeigten ergeben und vor allem nachgewiesen werden soll. Dieser stimmige Sachvortrag kann nicht durch Formeln wie „rechtswidrige Enteignung seines kompletten Vermögens“ und „systematisch praktizierte Mandantenentrechtung“ ersetzt oder entbehrlich gemacht werden.
3. Überdies hat der Antragsteller jeweils auch seine Bedürftigkeit weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Denn nach den §§ 114, 115 ZPO, auf welche § 172 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO verweist, kann Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn und soweit der Antragsteller angesichts seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen könnte. Zwar bezeichnet sich der Antragsteller als mittellos, er hat jedoch jegliche weiteren oder näheren Angaben unterlassen und nicht einmal die vorgeschriebene Formblatterklärung vorgelegt, § 117 Abs. 4 ZPO. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass insoweit die EMRK keine über die §§ 172 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO, 114 ff ZPO hinausgehenden Ansprüche gewährt. Überdies handelt es sich bei Art. 6 Abs. 3 c) um Rechtsgarantien für den Beschuldigten oder Angeklagten, während vorliegend der Antragsteller gerade nicht strafrechtlich verfolgt wird, sondern die strafrechtliche Verfolgung anderer Personen wünscht.
Die Erwägungen des Antragstellers zur Geltung des AEUV und zu einer generellen Prüfungsbefugnis einer „tadellos geachteten Europäischen Rechtsinstanz“ für die gesamte Strafprozessordnung sind nicht vertretbar. Weder besteht eine Verpflichtung zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union, Art. 267 AEUV, noch wäre eine solche Vorlage überhaupt statthaft. Erst recht kann ein Absehen von einem gesetzlich nicht vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren keinen Rechts- oder Verfassungsverstoß begründen.
Denn die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auch aus den vom Antragsteller angeführten Art. 6 und 13, wird ausschließlich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überwacht und sichergestellt, Art. 19, 32 Abs. 1 EMRK. Dabei kennen weder die Konvention, noch das Gerichtsverfahren ein dem Art. 267 AEUV entsprechendes oder auch nur vergleichbares Vorlage- und Vorabentscheidungsverfahren, Art. 34, 35 EMRK. Ergänzend ist klarzustellen, dass auch die Auffassung des Antragstellers zu den einzelnen Verfahrensgarantien der EMRK unzutreffend ist. Denn es handelt sich nicht um höherrangiges Recht, sondern die EMRK steht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (Lohse/Jakobs in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, MRK vor Art. 1 Rn. 17). Deswegen dienen der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (s. BVerfG NStZ 2011, 450; NJW 1987, 2427). Folglich sind die Vorschriften im Rahmen der einfachgesetzlichen Verfahrensvorschriften konventionskonform auszulegen, schaffen aber im Regelfall keine über die Strafprozessordnung hinausgehenden Rechtspositionen (s. etwa Lohse/Jakobs in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, MRK Art. 6 Rn. 21).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da bei der Verwerfung unzulässiger Klageerzwingungsanträge Gerichtskosten nicht anfallen und Auslagen des Antragstellers nicht erstattet werden. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.


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