Medizinrecht

30-jährige Aufbewahrungsfrist für Antrag auf freiwillige Krankenversicherung

Aktenzeichen  L 5 KR 530/20

Datum:
5.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47902
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 9, § 240, § 288
SGB X § 44 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Ein Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen ist nicht Voraussetzung für ein bestehendes Krankenversicherungsverhältnis. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die “Freiwilligkeit” einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bezieht sich nicht auf den Versicherungsschutz, sondern erschöpft sich auch für den Personenkreis der Selbstständigen in der Wahlmöglichkeit zwischen der gesetzlichen und einer privaten Krankenversicherung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 17 KR 1785/18 2020-09-23 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.09.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 144, 151 SGG) ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen, da die angegriffenen Bescheide, mit denen die Beklagte die Mitgliedschaft ab dem 01.11.1996 im Überprüfungsverfahren bestätigt und die Beitragshöhe ab dem 01.01.2018 festgesetzt hat, rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinem Rechten verletzen. Der Senat schließt sich nach vollumfänglicher Überprüfung und eigener Wertung insoweit den Sach- und Rechtsausführungen des SG an (§ 153 Abs. 2 SGG) und ergänzt zur Vermeidung von Wiederholungen in der gebotenen Kürze wie folgt:
1. Es wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft nach § 9 SGB V ab dem 01.11.1996 besteht. Dies gilt obgleich der Antrag des Klägers vom 22.11.1996, auf den sich der Bescheid der Beklagten vom 02.12.1996 bezieht, nicht aktenkundig ist (dazu a)), da die Gesamtumstände den Abschluss eines Versicherungsverhältnisses nachweisen (dazu b)). Selbst wenn 1996 kein Versicherungsverhältnis zustande gekommen wäre, hätte eine beitragspflichtige Versicherungspflicht spätestens seit 2009 bestanden (dazu c), d) und e)).
a) Die Beklagte hätte den Antrag des Klägers 30 Jahre aufbewahren müssen, da er die Versicherungspflicht feststellt (§ 288 S.2 SGB V).
Sozialdaten dürfen nur zweckgebunden verarbeitet werden (§ 284 Abs. 1 SGB V). Daher sind Angaben, die zur Erfüllung der in § 288 S. 2 SGB V) genannten Zwecke nicht oder nicht mehr erforderlich sind zu löschen. Wie lange eine Aufbewahrung der Daten des Versichertenverzeichnisses im Übrigen erforderlich ist, ist nicht geregelt. In § 304 SGB V, welcher einzelne Aufbewahrungsfristen normiert, wird § 288 SGB V nicht erwähnt. Für das Versichertenverzeichnis sehen die „Grundsätze ordnungsmäßiger Aufbewahrung im Sinne des § 110a SGB IV, Voraussetzungen der Rückgabe und Vernichtung von Unterlagen sowie Aufbewahrungsfristen für Unterlagen für den Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung“ des GKV-Spitzenverbandes v. 18.12.2015 idF v. 28.9.2018 eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor. Diese lange Aufbewahrungsempfehlung begegnet keinen Bedenken (SG Dresden, GB v. 10.1.2020 – S 5 SF 387/19 DS).
b) Dies bleibt im Ergebnis ohne Folgen, denn es bestehen nach den Gesamtumständen keine Zweifel, dass der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
Der Kläger hat die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seiner nach § 9 SGB V abgeschlossenen Mitgliedschaft ca. 20 Jahre bezahlt und bei der Ermittlung der Beitragshöhe durch Übersendung der Nachweise seiner Einkünfte mitgewirkt. Soweit er – erstmals im Jahr 2009 – geltend gemacht hat, er habe sich nie für eine Versicherung entschieden, sondern sei falsch über die Pflicht zu einer Versicherung beraten worden, ist darin ein unbeachtlicher Motivirrtum zu sehen. Ein unzutreffendes Rechtsverständnis von einer Versicherungspflicht für Selbständige vor dem 01.04.2007 führt nicht dazu, dass kein Versicherungsverhältnis zustande gekommen ist. Eine unzutreffende Beratung im Jahr 1996 durch die Beklagte, d.h. ein Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten nach §§ 13ff SGB I, ist weder vorgetragen, noch finden sich dazu Anhaltspunkte in den Akten.
c) Soweit sich der Kläger an dem Begriff der Freiwilligkeit seines Versicherungsverhältnisses stört, sei er auf Folgendes hinwiesen: In Deutschland besteht seit dem 01.04.2007 (mit Übergangsfrist bis 01.01.2009) eine generelle Krankenversicherungspflicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll in Deutschland niemand ohne den Schutz einer Kranken- und Pflegeversicherung sein. Mit der Regelung in § 9 SGB V über die freiwillige Versicherung öffnet sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für Personen, die nicht so schutzbedürftig sind, dass sie der Versicherungspflicht bedürften, wie beispielsweise Selbständige. Vorwiegend geht es – wie im Fall des Klägers – um den Erhalt eines bestehenden Versicherungsschutzes (Weiterversicherung), der in der Regel kostengünstiger ist als der Wechsel in eine private Versicherung. Die Beiträge zur GKV sind nämlich gesetzlich geregelt und durch die Beitragsbemessungsgrenze gedeckelt. Die „Freiwilligkeit“ bezieht sich nicht auf den Versicherungsschutz, dieser ist obligatorisch, sondern erschöpft sich auch für den Personenkreis der Selbständigen in der Wahlmöglichkeit zwischen der GKV und einer privaten Krankenversicherung.
d) Das bestehende Versicherungsverhältnis erfordert nicht, dass der Kläger Versicherungsleistungen von der Beklagten in Anspruch nimmt. Es steht dem Kläger frei, im Leistungsfall GKV-Leistungen trotz bestehenden Versicherungsschutzes abzulehnen.
e) Abschließend wird darauf hingewiesen, dass selbst bei Erfolg des Überprüfungsvertrags vom März 2018 eine Beitragsrückerstattung nur in den Grenzen des § 44 Abs. 4 SGB X möglich wäre, d.h. der vierjährigen Verjährung unterläge. Im Hinblick auf die seit spätestens 2009 bestehende Versicherungspflicht wäre eine Rückerstattung der Beiträge ab 2014 nur dann möglich, wenn der Kläger ab diesem Zeitpunkt ein anderweitiges Versicherungsverhältnis vorweisen könnte. Ein solches hat der Kläger aber zu keinem Zeitpunkt begründet. Die Vorstellung des Klägers, er müsste heute keine Beiträge bezahlen, weil er angeblich im Jahr 1996 über die Versicherungsfreiheit von Selbständigen im Unklaren gelassen wurde, findet im Gesetz keine Stütze.
2. Die von der Beklagten vorläufig festgesetzten Beiträge unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze entsprechen der Rechtslage (§ 240 SGB V iVm Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler). Auf die Möglichkeit der Überprüfung der Beitragshöhe wird nochmals hingewiesen.
Damit bleibt die Berufung vollumfänglich ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG.
Ein Revisionsgrund (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.


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