Aktenzeichen 10 CS 22.162
GG Art. 8
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
Ein in einer Allgemeinverfügung enthaltenes befristetes, präventives Verbot von Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen ist voraussichtlich rechtmäßig, wenn durch geschilderte Erfahrungen mit früheren Versammlungen mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die zu erwartenden nicht angezeigten Versammlungen unmittelbar gefährdet würde. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 33 S 22.216 2022-01-19 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. In Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Januar 2022 wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 abgelehnt.
II. In Abänderung von Nr.
II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Januar 2022 trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihren Beschwerden wenden sich die Antragsgegnerin und der Vertreter des öffentlichen Interesses gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die „Allgemeinverfügung vom 13.01.2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen“ (veröffentlicht im Internet unter www.muenchen.de/amtsblatt, in Rundfunk und Presse am 13. Januar 2022).
Diese lautet auszugsweise:
1. Im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München werden alle stationären oder sich fortbewegenden Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen, wie beispielsweise sog. „Corona“-, „Montags“- oder sonstige „Spaziergänge“ bzw. „Kerzendemos“ untersagt, sofern die Anzeige- und Mitteilungspflicht nach Art. 13 BayVersG nicht eingehalten ist. Das bedeutet, dass sowohl das Veranstalten von als auch die Teilnahme an solchen Versammlungen verboten ist.
2. Ziffer 1 gilt an folgenden Tagen:
Samstag, den 15.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Montag, den 17.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Mittwoch, den 19.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Auf den Eilantrag des Antragstellers vom 17. Januar 2022 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 19. Januar 2022 (ca. 16:10 Uhr) die aufschiebende Wirkung der am gleichen Tag erhobenen Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 angeordnet. Das in der Allgemeinverfügung ausgesprochene Versammlungsverbot sei insbesondere wegen einer nicht ausreichenden Gefahrenprognose und der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes voraussichtlich rechtswidrig, die zu treffende Interessenabwägung gehe daher zugunsten des Antragstellers aus.
Die Antragsgegnerin beantragt mit ihrer am selben Tag eingelegten und um 18:24 Uhr begründeten Beschwerde sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 19. Januar 2022 den Antrag des Antragstellers abzulehnen.
Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses beantragt mit ihrer Beschwerde ebenfalls,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 19. Januar 2022 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller hat Stellung genommen.
Auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Unterlagen und Schriftsätze wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und des Vertreters des öffentlichen Interesses sind begründet, da die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzustellende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Vollzugsinteresses ausfällt.
1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wird sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung mit dem darin angeordneten (befristeten) präventiven Verbot im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
a) Art. 8 Abs. 1 des GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (hierzu und zum Folgenden BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16).
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63).
Dementsprechend kann die zuständige Behörde gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG eine Versammlung verbieten oder beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und Ehre des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand der staatlichen Einrichtungen (BVerfG B. v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315). Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage muss nach § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV bei Versammlungen unter freiem Himmel zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt werden. Nach Satz 2 haben die gemäß Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden erforderlichenfalls sicherzustellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein vertretbares Maß beschränkt bleiben. Diese Bestimmungen konkretisieren auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20.2103 – juris Rn. 7).
b) Der Senat geht bei der aus Zeitgründen nur möglichen summarischen Prüfung davon aus, dass vieles dafür spricht, dass Versammlungsverbote auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG auch durch die aktuell geltenden Regelungen des IfSG nicht ausgeschlossen sind. § 28a Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abs. 7 Satz 1 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 letzter Halbsatz Nr. 3 IfSG ist so auszulegen, dass Versammlungsverbote nicht allein deswegen erlassen werden dürfen, weil jede Versammlung zwangsläufig zu infektionsschutzrechtlich unerwünschten Kontakten führt. Die Regelungen stehen jedoch Versammlungsverboten im Einzelfall nicht entgegen, wenn eine konkrete Gefahrenprognose ergibt, dass bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch absehbare Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus unmittelbar gefährdet ist und sich diese Gefahr nicht durch Beschränkungen im Sinne von § 28a Abs. 7 Satz 1 IfSG auf ein vertretbares Maß reduzieren lässt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2022 – 10 CS 22.126 – Leitsatz).
c) Bei der aufgrund der zeitlichen Begebenheiten (Beschluss des Verwaltungsgerichts am 19.1.2022 um ca. 16:10 Uhr, üblicher Beginn des Versammlungsgeschehens gegen 18:00 Uhr, Auslaufen der Gültigkeit der Allgemeinverfügung um 24:00 Uhr) nur möglichen summarischen Prüfung genügt die der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung zu Grunde liegende Gefahrenprognose der Antragsgegnerin – entgegen der Annahme des Erstgerichts – den (verfassungs-)rechtlichen Anforderungen.
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Auflagen (Beschränkungen) keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26). Aufgabe der Gerichte ist es zu prüfen, ob die (von der Versammlungsbehörde) für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris Rn. 20). Die Frage, ob bei der (allgemein) im Gefahrenabwehrrecht gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung; die darin enthaltenen prognostischen Elemente rechtfertigen keine Kontrollbeschränkung der Gerichte (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.4.2017 – 2 BvR 1754/14 – juris Rn. 46; BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26).
Gemessen daran ergeben sich entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts, das nach Auffassung der Antragsgegnerin diesbezüglich überzogene Anforderungen stellt, hinreichend tragfähige Gesichtspunkte und Erwägungen für die der streitbefangenen Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin zu Grunde liegende Gefahrenprognose. Aufgrund der im Bescheid geschilderten Erfahrungen mit früheren Versammlungen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung und den von der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung weiter gemachten Ausführungen ist mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die zu erwartenden nicht angezeigten Versammlungen unmittelbar gefährdet würde, weil es absehbar zu einer Vielzahl von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus käme und damit Gefahren für höchstrangige Verfassungsgüter wie das Leben und die Gesundheit von Einzelnen (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystem entstünden.
In der Begründung der Allgemeinverfügung und insbesondere in den ergänzenden Ausführungen in der Antragserwiderung sind in hinreichend aussagekräftiger Form Angaben zu den Versammlungsgeschehen am 1. Dezember 2021, 8. Dezember 2021, 15. Dezember 2021, 22. Dezember 2021 und 5. Januar 2022 gemacht, die erkennen lassen, dass die Versammlungsteilnehmer – insbesondere bei früheren unangemeldeten Versammlungen – systematisch und in großer Zahl versuchen, die von ihnen als unzumutbar empfundenen Beschränkungen im Hinblick auf Versammlungsort, Ortsfestigkeit, Maskenpflicht und Abstände zu umgehen.
Die Antragsgegnerin hat sich, wie sie mit ihrem Beschwerdevorbringen – ebenso wie der Vertreter des öffentlichen Interesses im Rahmen seiner Beschwerde – geltend macht, bei ihrer Gefahrenprognose zu Recht auf entsprechende Prognosen und Einsatzberichte des Polizeipräsidiums München vom 27., 29., 30. Dezember 2021 sowie 5., 7. und (ergänzend) 12. Januar 2022 bezogen, woraus sich hinreichende Tatsachen und Anhaltspunkte für die von ihr angestellte Prognose ergeben. So ist den angeführten polizeilichen Prognosen und Einsatzberichten insbesondere unschwer zu entnehmen, dass es bei den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nochmals im Einzelnen aufgeführten, in jüngster Vergangenheit an verschiedenen Örtlichkeiten im Innenstadtbereich der Landeshauptstadt München festgestellten Protestaktionen gegen Corona-Maßnahmen bzw. sogenannten „Spaziergängen“ mit Versammlungscharakter sowohl in Kleinwie auch in größeren Gruppen (mit teilweise mehreren 1000 Menschen bzw. Teilnehmern) zu flächendeckenden und systematischen Unterschreitungen der gesetzlichen Mindestabstände bei fehlenden Schutzmasken, aggressiven Reaktionen Betroffener bei entsprechenden polizeilichen Ansprachen bis hin zu körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte sowie immer wieder unkontrollierbaren Ausweichbewegungen in Nebenstraßen und auf öffentliche Straßen gekommen ist und die Demonstrierenden in der ganz überwiegenden Mehrheit keinerlei Bereitschaft zu einer geordneten Durchführung einer Versammlung unter Beachtung erforderlicher Hygieneregeln gezeigt haben. Dem wird die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es handle sich hier „überwiegend um nicht näher qualifizierte und deshalb ihrem Gewicht nach nur schwer objektiv einzuordnende“ Verstöße und Zustände nach Auffassung des Senats nicht gerecht. Auch die erstgerichtliche Einschätzung „lediglich vereinzelter, überwiegend nur kurzfristiger Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit“ findet nach Auffassung des Senats keine hinreichende Stütze in den bei den Gerichtsakten befindlichen polizeilichen Stellungnahmen.
Vor diesem Hintergrund geht auch die Annahme des Verwaltungsgerichts fehl, die Antragsgegnerin habe nicht aufgezeigt, dass mildere Mittel wie Beschränkungen der Versammlungen in Frage gekommen wären. Soweit das Erstgericht dabei auf die überwiegend beanstandungsfreie Versammlung am 15. Januar 2022 auf der Theresienwiese verweist, kann dem für die aktuelle Gefahrenprognose schon deshalb keine maßgebliche Aussagekraft zukommen, weil diese Versammlung nach dem Erlass und unter Geltung der angegriffenen Allgemeinverfügung und der für sie maßgeblichen Gefahrenprognose stattfand. Davor hatten die Veranstalter und der mit ihnen über soziale Medien und Messangerdienste verbundene absehbare Teilnehmerkreis der Versammlungen – wie von der Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die Geschehnisse am 22. Dezember 2021 und 5. Januar 2021 aufgezeigt – nach den angezeigten und dementsprechend mit Beschränkungen beauflagten und von einem großen Polizeiaufgebot begleiteten Versammlungen öffentlich, wiederholt und unmissverständlich klargemacht, dass man solche Beschränkungen nicht mehr hinnehmen werde und gleichzeitig ausdrücklich zu „Spaziergängen“, „Einkäufen“ und ähnlichem in der Innenstadt aufgerufen, was letztlich zu den von der Antragsgegnerin aufgezeigten Versammlungsgeschehen geführt hat und dem nachfolgenden Erlass der Allgemeinverfügung geführt hat. Anhand der Schilderungen der Antragsgegnerin und der von ihr vorgelegten Schilderungen der Polizei zum Verhalten der Organisatoren (Anmeldung und kurzfristige Absagen von Versammlungen, kaum verhohlene Aufrufe zu nicht angezeigten Versammlungen in der Innenstadt, Überlastung der Versammlungsbehörde durch massenhafte Versammlungsanzeigen usw.), an deren Richtigkeit und Aussagekraft der Senat keine durchgreifenden Zweifel hat, ergibt sich, dass es den Organisatoren und den Versammlungsteilnehmern gerade nicht um eine Kooperation mit den Behörden im Sinne des Infektionsschutzes, sondern nur noch um die Durchsetzung ihrer Vorstellungen geht. Die neue Strategie der Organisatoren und des mit ihnen verbundenen, von der Allgemeinverfügung adressierten Personenkreises ist ganz offensichtlich auf systematische Missachtung bzw. Umgehung von Beschränkungen gerichtet. Insofern wären die vom Verwaltungsgericht angedachten Beschränkungen nicht angezeigter Versammlungen zwar weniger belastende aber offensichtlich keine gleichermaßen geeignete Mittel zur Verhütung der dargelegten Infektionsgefahren.
Die vom Verwaltungsgericht gerügte „flächenhafte“ Geltung des Verbots nicht angezeigter Versammlungen ist vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie ist Konsequenz der Strategie der Organisatoren, für die Versammlungsbehörde und die Polizei auch in örtlicher Hinsicht möglichst unberechenbar zu sein, um mögliche Beschränkungen und die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen zu verhindern.
Soweit das Verwaltungsgericht schließlich moniert, das mit der Allgemeinverfügung verhängte Verbot erfasse auch nicht angezeigte, aber im infektionschutzrechtlichen Sinn ungefährliche Formen des Protestes, weswegen die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vorliegen müssten, rechtfertigt auch dies keine andere Entscheidung. Die Annahme, dass von Versammlungen, die von der Allgemeinverfügung erfasst werden (nicht angezeigte Versammlungen „im Zusammenhang mit Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“), deren Teilnehmer von der Möglichkeit, sich angezeigten Versammlungen anzuschließen, keinen Gebrauch machen wollen, keine infektionsschutzrechtlich relevante Gefahren ausgehen könnten, ist zwar theoretisch denkbar, liegt praktisch aber fern. Angesichts der derzeitigen Lage in München ist – wie auch Erfahrungen etwa beim „Rosenkranzgebet“ auf dem Marienplatz zeigten – bei einem Fehlen von Veranstaltern, Ordnern und Hygienekonzepten mit einem Hinzustoßen größerer Störergruppen zu rechnen, was unmittelbar zu Infektionsgefahren führen würde, ohne dass ersichtlich wäre, wie die Antragsgegnerin oder die Polizei dies effektiv verhindern könnten.
2. Selbst wenn man angesichts der vom Verwaltungsgericht angeführten Bedenken von offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache ausginge, fiele eine ergänzende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Der Antragsteller beabsichtigt offensichtlich, sich erneut den nicht angezeigten größeren Versammlungen in der Innenstadt anzuschließen, die erhebliche Infektionsgefahren hervorrufen werden. Eine Bereitschaft, auf infektiologisch unbedenkliche Formen oder Orte des Protestes auszuweichen, trägt er selbst nicht vor. Dass die Teilnahme gerade an nicht angezeigten Versammlungen für sein inhaltliches Anliegen von besonderer Bedeutung wäre, kann der Senat ebenfalls nicht erkennen. Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, sich an angezeigten Versammlungen zu beteiligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).