Medizinrecht

Anordnung zur Hundehaltung, Maulkorbpflicht, Kombination von Anlein- und Maulkorbpflicht im Innenbereich, „Angstbeißer“

Aktenzeichen  10 CS 21.2222

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9293
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 15 S 21.00023 2021-07-14 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bezüglich einer Anordnung zur Hundehaltung weiter.
Die Antragstellerin ist Halterin des Mischlingshundes „F.“. Nach einem Beißvorfall mit einem Passanten am 4. November 2020 und einem Ortstermin mit Vertretern der Antragsgegnerin und dem Leiter des zuständigen Veterinäramts am 16. November 2020 sowie auf der Grundlage eines Gutachtens eines Hundesachverständigen vom 5. Januar 2021 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Februar 2021, den Hund außerhalb des Halteranwesens und innerhalb der im Zusammenhang bebauten sowie bewohnten Ortsteile bayernweit nur an einer maximal 1,50 Meter langen reißfesten Leine mit schlupfsicherem Halsband oder Geschirr zu führen (Nr. 1.1), den Hund außerhalb des Halteranwesens und außerhalb der im Zusammenhang bebauten und bewohnten Ortsteile in unübersichtlichem Gelände bayernweit nur angeleint an einer maximal 10 Meter langen reißfesten Schleppleine oder Flexileine mit schlupfsicherem Halsband oder Geschirr zu führen (Nr. 1.2), sowie den Hund außerhalb des Halteranwesens und innerhalb bebauter Gebiete bayernweit mit einem beißsicheren Maulkorb zu führen (Nr. 1.3); die den Hund führende Person müsse volljährig sowie dazu befähigt sein und die notwendige Zuverlässigkeit besitzen, mit dem Verhalten des Hundes vertraut sein und ausreichend auf ihn einwirken können (Nr. 1.4). Ferner wurde die Antragstellerin verpflichtet, zu gewährleisten, dass die sich aus der Nummer 1.1 bis 1.3 dieses Bescheides ergebenden Verpflichtungen auch von Dritten erfüllt werden, die mit der Betreuung und dem Ausführen des Hundes beauftragt werden (Nr. 1.5). Die sofortige Vollziehung dieser Regelungen wurde angeordnet (Nr. 2). Nr. 3 des Bescheides enthält Zwangsgeldandrohungen für einzelne Zuwiderhandlungen.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2021 stellte das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung der am 9. März 2021 erhobenen Klage (AN 15 K 21.00024) insoweit wieder her, als sie in den Nummern 1.2 und 1.5 eine Anordnung des Leinenzwangs auch im Außenbereich betrifft, und ordnete sie im Hinblick auf Nummer 3 (Zwangsgeldandrohung) insoweit an, als sie sich insoweit auf Nr. 1.2 und 1.5 bezieht. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragstellerin nur noch, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts „abzuändern, als er in Bezug auf den bayernweiten Maulkorbzwang innerhalb bebauter Gebiete die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ablehnt“. Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist somit nur noch die Maulkorbpflicht in Nr. 1.3 des Bescheids vom 17. Februar 2021 (sowie die darauf bezogene Verpflichtung in Nr. 1.5 und die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids).
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung in dem beantragten Umfang.
Nach Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt. Der Senat bejaht dabei in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit, einen Leinenzwang in bewohnten Gebieten anzuordnen. Eine zusätzliche Maulkorbpflicht bzw. ein kombinierter Leinen- und Maulkorbzwang kann jedoch nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig ist, wenn also ein bloßer Leinenzwang zur Abwehr der von dem konkreten Hund ausgehenden Gefahr nicht genügt (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2019 – 10 ZB 17.802 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 20.8.2014 – 10 ZB 14.1184 – juris Rn. 5; B.v. 31.7.2014 – 10 ZB 14.688 – juris Rn. 9; B.v. 5.2.2014 – 10 ZB 13.1645 – juris Rn. 4; B.v 17.4.2013 – 10 ZB 12.2706 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht hat den in Nr. 1.3 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Maulkorbzwang nach summarischer Prüfung als rechtmäßig angesehen und hierzu unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats ausgeführt, eine Kombination von Leinen- und Maulkorbzwang verstoße nicht von vornherein gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein Maulkorbzwang könne zusätzlich zum Leinenzwang angeordnet werden, wenn die Anleinpflicht zu effektiven Gefahrenabwehr nicht ausreiche, weil zu erwarten sei, dass der Hund auch angeleint zubeißen oder sich von der Leine losreißen würde. Dies sei insbesondere dann zu befürchten, wenn der Hund bereits in der Vergangenheit, obwohl er angeleint geführt worden sei, andere Hunde oder Personen verletzt habe. Im vorliegenden Fall habe zwar unstreitig am 4. November 2020 ein Beißvorfall stattgefunden, dieser sei jedoch im Zusammenhang mit einem Entkommen des Hundes „F.“ vom Grundstück der Antragstellerin geschehen, so dass hieraus noch keine entsprechenden Schlüsse gezogen werden könnten. Dennoch sei die von der Antragsgegnerin angestellte Prognose zumindest nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. So habe der Hund nach den Angaben des Amtsveterinärs bei dem Ortstermin vom 16. November 2020 trotz vorherigem Anleinen versucht, ihn in den Schuh zu beißen. Dies bestätige auch das vorgelegte Gutachten, in dem unter Nr. 6.7.2 festgestellt werde, dass der Hund „F.“ innerhalb seiner Sicherheitszone bei fehlender Fluchtmöglichkeit mit bellender Meideaggression (Angstbeißerei) reagiert habe. Dies stelle zwar eine besondere Situation dar, aber gerade im Innenbereich sei bei beengtem Raum nicht stets gesichert, dass dem Hund eine Ausweich- oder Fluchtmöglichkeit zur Verfügung stehe, so dass die Befürchtung eines Beißangriffs trotz Leine zumindest nach summarischer Prüfung hinreichend gerechtfertigt sei. Die Verhältnismäßigkeit einer zusätzlichen Anordnung eines Maulkorbs sei daher nicht zu beanstanden, zumal der Maulkorbzwang auf den Innenbereich beschränkt sei, so dass im Außenbereich, in dem erfahrungsgemäß hinreichende Fluchtmöglichkeiten für den Hund bestünden, ein Freilauf möglich sei. Auch hinsichtlich der Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin bestünden keine ernsthaften Zweifel. Hinsichtlich des Entschließungsermessens sehe die Antragsgegnerin den Grund für die Anordnung eines Maulkorbzwangs sowohl in dem Beißvorfall vom 4. November 2020, der unzweifelhaft im Innenbereich stattgefunden habe, als auch in den von Veterinäramt und Gutachter geschilderten Versuchen des Hundes, bei fehlender Fluchtmöglichkeit zuzubeißen. Dies halte jedenfalls der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung des Ermessens gemäß § 114 Satz 1 VwGO stand (BA S. 16-17).
Diese Feststellungen und Bewertungen des Verwaltungsgerichts kann die Antragstellerin mit der Begründung ihrer Beschwerde nicht durchgreifend erschüttern.
a) Sie meint, es handle sich nicht um eine auf konkreten Tatsachen beruhende Prognose, sondern eine reine Vermutung des Verwaltungsgerichts. Es setze sich über die eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen in dessen Gutachten vom 6. Januar 2021 hinweg, der ausdrücklich zu dem Ergebnis gekommen sei, dass das Anlegen eines Maulkorbs in Anbetracht des sicheren „angeleint geführten Standes“ weder sachgerecht noch erforderlich sei. Wenn die Kammer sich über eine solch eindeutige Aussage hinwegsetzen wolle, bedürfe dies einer besonderen Begründung, zumal eine besondere Sachkunde der Kammer in diesem Bereich nicht ersichtlich sei.
Damit gibt die Beschwerdebegründung den Inhalt des Gutachtens unrichtig wieder. Die Aussage, dass das Anlegen eines Maulkorbs weder sachgerecht noch erforderlich sei, bezieht sich ausschließlich auf das Ausführen des Hundes außerhalb bebauter und bewohnter Gebiete, wobei der Gutachter dabei aber zugleich das Führen an einer (langen) Leine empfiehlt und voraussetzt (Nr. 14.2 des Gutachtens). Innerhalb bewohnter und bebauter Gebiete soll der Hund „F.“ dagegen nach der Meinung des Gutachters „nur angeleint (Leinenlänge max. 1,5 Meter), an schlupfsicherem Halsband/Geschirr und beißsicherem Maulkorb, von zuverlässigen, erwachsenen Personen, die hinreichend auf den Hund einwirken können, geführt werden“ (Nr. 14.1). Auch die Gründe, die zu der Empfehlung eines kombinierten Leinen- und Maulkorbzwangs innerhalb bebauter und bewohnter Gebiete geführt haben, lassen sich dem Gutachten, das akribisch das Verhalten des Hundes in einer Vielzahl von Situationen in verschiedenem Umfeld dokumentiert, unschwer entnehmen. Es war nämlich festzustellen, dass der Hund bei einer Verletzung seiner Sicherheitsdistanz (von etwa 1,5 Meter) mit Meide- und Fluchtverhalten reagierte; war ihm eine Flucht nicht möglich, reagierte er mit „bellender Meideaggression (Angstbeißerei)“. Dieses Verhalten war in mehreren Situationen zu beobachten (siehe Nr. 6.7.2, 10.4, 10.5 des Gutachtens). Diese Feststellung ist prägnant etwa so zusammenzufasssen: Wenn man (als Fremder) dem Hund zu nahe kommt und er nicht flüchten kann, droht er zum sog. Angstbeißer zu werden.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass es sich hier zwar um eine besondere Situation handelt, die aber gerade im bebauten und bewohnten Bereich (Innenbereich) nicht stets zu vermeiden sei. Der Senat teilt die Meinung, dass es gerade hier zu Situationen kommen kann, dass ein Passant, etwa auch in Kind, die Sicherheitsdistanz des Hundes absichtlich oder unabsichtlich verletzt und dieser dann, zumal er angeleint ist, etwa durch eine Engstelle (oder auch weil er beispielsweise irgendwo angebunden ist) sich an einem Ausweichen gehindert sieht und mit Angstbeißerei reagiert. Nach Angaben des Amtsveterinärs hat die Antragstellerin ihm gegenüber bei dem Ortstermin am 16. November 2020 geäußert, der Hund habe sehr große Angst vor Fremden (Behördenakte S. 24); auch aus dem Sachverständigengutachten ist dieser Eindruck deutlich zu entnehmen (siehe etwa Nr. 5.3: „Angst und Misstrauen“, 5.7, 5.9 des Gutachtens).
b) Soweit nunmehr in der Beschwerdebegründung vorgetragen wird, bei dem Ortstermin am 16. November 2021 habe der Vertreter des Veterinäramtes versucht, nach dem Hund zu treten, dieser habe versucht, den Fuß abzuwehren, aber zu keiner Zeit, den Vertreter des Veterinäramtes in den Schuh zu beißen, findet dies jedenfalls im Rahmen einer summarischen Prüfung keine Stütze in den Akten. Bereits in dem Schreiben des Amtsveterinärs vom 16. November 2020 und in dem Aktenvermerk der Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin vom gleichen Tag (Bl. 21 bzw. 14 der Behördenakte) wird dargelegt, dass der Veterinär nahe an den (angeleinten) Hund herangetreten sei, worauf dieser versucht habe, ihn in den Schuh zu beißen. Im Beschwerdeverfahren haben der Veterinär und die beiden anwesenden Mitarbeiter der Antragsgegnerin den Vorwurf des „Tretens“ nach dem Hund nachdrücklich und überzeugend zurückgewiesen (Stellungnahmen vom 20.9.2021 bzw. 22.9.2021). Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Veterinär den angeleinten Hund in Anwesenheit der Antragstellerin und offensichtlich mehrerer weiterer Personen zu treten versucht haben sollte; vielmehr entspricht das Verhalten des Hundes den Feststellungen in dem Sachverständigengutachten, dass er bei Verletzung seines Sicherheitsabstandes und ohne Fluchtmöglichkeit zum Beißen neigt. Die teilweise ins Unsachliche abgleitenden Bemerkungen zur Fachkompetenz des Amtsveterinärs und zu einer angeblichen Voreingenommenheit der Mitarbeiter der Antragsgegnerin liegen neben der Sache.
c) Soweit die Beschwerdebegründung auf die nach ihrer Meinung geringe Bedeutung des Beißvorfalls vom 4. November 2020 abstellt, ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht daraus ausdrücklich keine Schlüsse hinsichtlich einer Maulkorbpflicht gezogen hat; es hat lediglich hinsichtlich des Entschließungsermessens der Antragsgegnerin gebilligt, dass diese wegen dieses Vorfalls ein Einschreiten für geboten gehalten hat. Im Übrigen bagatellisiert die Antragstellerin den Vorfall. Während sie zunächst darlegt, was sich insoweit zugetragen habe, könne sie nicht genau sagen, behauptet sie sodann, über „ein leichtes Zwicken“ seien „die Abwehrmaßnahmen“ des Hundes nicht hinausgegangen. Es ist nicht ersichtlich, gegen welches Verhalten des Passanten der Hund zu Abwehrmaßnahmen gegriffen haben sollte. Die Behauptung, der Passant habe keine nennenswerten Verletzungen davongetragen, ist angesichts des dem polizeilichen Bericht beigefügten Fotos von der Bisswunde (Bl. 7 der Behördenakte) unhaltbar.
d) Dass der Hund über lange Zeit völlig unauffällig gewesen sei und sich im Alltag als völlig ungefährlicher Hund erwiesen habe, führt nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Maulkorbpflicht. Diese ergibt sich – wie dargelegt – daraus, dass von dem Hund in bestimmten Situationen auch angeleint die Gefahr des Zubeißens ausgeht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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