Medizinrecht

Anspruch auf Obdachlosenunterbringung

Aktenzeichen  Au 8 S 18.1423

Datum:
23.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21023
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Eine Sicherheitsbehörde kann sich der Verpflichtung, einem Obdachlosen eine zumindest vorläufige Unterkunft zuzuweisen, nicht mit einem Hinweis auf den Vorrang der Selbst- bzw. Drogenhilfe entziehen, wenn eine Übernachtungsmöglichkeit insbesondere in anderen privatrechtlich organisierten Hilfsorganisationen nicht gegeben ist. (Rn. 22 und 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung eine Unterkunft zuzuweisen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Der am … 1972 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Zuweisung einer Obdachlosenwohngelegenheit.
Der suchtkranke Antragsteller war von Anfang Juni 2018 bis Anfang August 2018 in der Notschlafstelle der … gGmbH (…) im Stadtgebiet der Antragsgegnerin untergebracht. Da diese eine Höchstdauer von 60 Nächten für die Unterbringung festgesetzt und der Antragsteller diese bereits dort verbracht hat, konnte er in dieser Notschlafstelle nicht weiter untergebracht werden.
Am 13. August 2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin seine Unterbringung wegen Obdachlosigkeit. Der Antragsteller wurde daraufhin vorläufig eine Nacht im Übergangswohnheim der Antragsgegnerin untergebracht.
Mit Bescheid vom 14. August 2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag vom 13. August 2018 ab.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft der Antragsgegnerin nicht möglich sei. Die Hausordnung der Antragsgegnerin stehe einer Unterbringung von suchtmittelabhängigen Personen entgegen. Dazu sei ausschließlich die örtliche Drogenhilfe in der Lage.
Auf den Bescheid wird verwiesen.
Dagegen hat der Kläger am 17. August 2018 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erhoben und (sinngemäß) beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung eine Unterkunft zuzuweisen (Au 8 K 18.1422). Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Zugleich hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren (sinngemäß) beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung eine Unterkunft zuzuweisen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller unter freiem Himmel nächtige. Eine weitere Unterbringung bei der … sei nicht möglich, da der Antragsteller dort bereits 60 Tage untergebracht gewesen sei.
Die Antragsgegnerin trat dem mit Schriftsatz vom 21. August 2018 entgegen und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Obdachlosenunterbringung differenziert vorgehe. Für die Unterbringung Drogenabhängiger sei ausschließlich die Drogenhilfe zuständig. Damit solle vermieden werden, dass momentan Drogensuchtkranke und ehemals Drogensuchtkranke gemeinsam in einer Unterkunft untergebracht werden. Eine solche gemeinsame Unterbringung würde zu einer erheblichen Gefahr für diejenigen Bewohner führen, die ihre Suchtproblematik überwunden haben. Zudem sei in den Unterkünften der Antragsgegnerin keine spezielle Betreuung möglich. Gemäß § 16 der Benutzungsordnung könnten daher Personen, bei denen der Verdacht auf Drogenkonsum und/oder Drogenabhängigkeit während der Zeit der Unterbringung bestehe, nicht aufgenommen werden. Die Ablehnung der Unterbringung des Antragstellers durch die Antragsgegnerin sei daher auch unter Sicherheitsaspekten rechtmäßig.
Auf die Antragserwiderung im Übrigen wird verwiesen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO hat in der Sache Erfolg.
1. Der vom Antragsteller zur Niederschrift des Gerichts gestellte „Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage“ ist gemäß § 88 VwGO als Antrag nach § 123 VwGO zu verstehen, da das Begehren des Antragstellers im vorliegenden Verfahren darauf gerichtet ist, vorläufig eine Unterkunft im Rahmen der Obdachlosenunterbringung zu erhalten. Dazu ist der Antrag nach § 123 VwGO der richtige Rechtsbehelf.
2. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, dazu dient, wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Gemeinden sind als Sicherheitsbehörden nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) verpflichtet, eine mit einer eingetretenen oder drohenden Obdachlosigkeit verbundene Störung der öffentlichen Ordnung und Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die für den Obdachlosen selbst drohenden gesundheitlichen Gefahren zu beseitigen. Obdachlos ist dabei derjenige, der ohne Unterkunft ist, beziehungsweise derjenige, dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht (vgl. VG Augsburg, B.v. 2.9.2015 – Au 7 E 15.1126 – juris Rn. 25).
a) Der Antragsteller ist gemessen daran obdachlos, da er unstreitig weder in der Notschlafstelle der Drogenhilfe nächtigen noch anderweitig bei Freunden und Verwandten unterkommen kann (Bl. 1 und 3 der Behördenakte).
b) Die Antragsgegnerin kann ihrer Pflicht, den Antragsteller nach dem Obdachlosenrecht unterzubringen, nicht mit dem Einwand einer ausschließlichen Zuständigkeit der Drogenhilfe begegnen. Die Antragsgegnerin ist als Sicherheitsbehörde nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG verpflichtet, Obdachlosen eine vorläufige Unterkunft zuzuweisen, um diesen drohende gesundheitliche Gefahren zu beseitigen. Dieser Verpflichtung kann sich die Antragsgegnerin auch im Hinblick auf den Vorrang der Selbsthilfe (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2008 – 4 CE 07.2893 – juris Rn. 4) zumindest dann nicht entziehen, wenn eine Übernachtungsmöglichkeit insbesondere in anderen privatrechtlich organisierten Hilfsorganisationen nicht gegeben ist. Die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung hätte nämlich zur Folge, dass weder die Sicherheitsbehörden noch Organisationen des Privatrechts für die Unterbringung von Obdachlosen zuständig wären. Dies ist angesichts der betroffenen hochrangigen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, nicht sachgerecht.
c) Dementsprechend kann sich die Antragsgegnerin für die Frage der Verpflichtung zur Unterbringung von Obdachlosen auch nicht auf § 16 ihrer Benutzungsordnung stützen. Zwar werden gemäß § 16 der Benutzungsordnung Personen, bei denen der Verdacht auf Drogenkonsum, Drogenhandel und/oder Drogenabhängigkeit besteht, nicht aufgenommen. Diese Regelung hat jedoch den Hintergrund, dass Obdachlose, die drogenabhängig sind, sich primär an die Drogenhilfe wenden sollen, um eine Unterbringung von noch Suchtkranken und ehemals Suchtkranken in derselben Unterkunft zu vermeiden sowie eine adäquate Betreuung zu gewährleisten. § 16 der Benutzungsordnung trifft jedoch keine Regelung für den Fall, dass die Unterbringung eines Suchtkranken in der Drogenhilfe oder anderen Stellen nicht möglich ist. In diesem Fall ist die Antragsgegnerin als zuständige Sicherheitsbehörde zur Unterbringung des Obdachlosen verpflichtet.
d) Auch die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Bedenken bezüglich der Gefährdung anderer Bewohner der Unterkunft führen zu keinem andern Ergebnis. Die Gesundheit und Sicherheit der anderen Bewohner können durch entsprechende Auflagen im Rahmen der Entscheidung über die Zuweisung einer vorläufigen Unterkunft sichergestellt werden.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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