Medizinrecht

Behandlungsmöglichkeit von psychischen Erkrankungen in Uganda

Aktenzeichen  M 5 K 17.38991

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19861
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Behandlungsmöglichkeit für psychische Erkrankungen ist in Uganda grundsätzlich gegeben. (Rn. 21 und 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.  
II. Die Klagepartei hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
2. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes/AufenthG liegen nicht vor.
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erkrankungsbedingtes Abschiebungshindernis nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Gefahr muss zudem konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179, juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer die Heilung seiner Erkrankung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (OVG NRW, B.v. 15.9.2003 – 13 A 3253/03.A – juris). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat gleichwertig ist mit derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
b) Rechtlich ausschlaggebend ist, ob eine Behandlungsmöglichkeit im Grundsatz besteht. Das ist für psychische Erkrankungen in Uganda grundsätzlich gegeben. In Uganda wird ein großer Teil der psychiatrischen Versorgung durch die beiden Referenzkliniken in Kampala gewährleistet. Im Universitätskrankenhaus Mulago (50 Betten) und im psychiatrischen Krankenhaus Butabika (550 Betten) werden Patienten ambulant und stationär versorgt. Des Weiteren gibt es 13 regionale Referenzkrankenhäuser mit einer Kapazität von 337 Betten für die psychiatrische Versorgung. Daneben gibt es eine Reihe ambulanter Behandlungseinrichtungen. Die Abgabe von Medikamenten ist seit 2001 im staatlichen Gesundheitssystem kostenfrei. Allerdings werden Medikamente häufig im Krankenhaus „unter der Hand“ an Patienten verkauft. In kirchlichen Einrichtungen sind Medikamente weiterhin kostenpflichtig. Patienten kaufen Medikamente auch privat in Apotheken (vgl. zum Ganzen: Rukat, Diagnostische Praxis und Verschreibungsmuster in psychiatrischen Kliniken in Uganda, Dissertation, Berlin 2015, S. 6 – 11, im Internet allgemein verfügbar unter: https. …d-nb.info/1075493366/34).
c) Nach den fachärztlichen Attesten von Dr. B. vom … Dezember 2019 und vom … Juni 2021 leidet die Klägerin zu 1 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F 43.1 G) sowie einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F 32.2 G) – Attest vom 19.12.2019 – bzw. an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F 32.2 G) – Attest vom 24.6.2021. Die Klägerin zu 1 befindet sich in ständiger fachärztlicher Behandlung. Im Attest vom … Juni 2021 ist ausgesagt, dass der Abbruch der Behandlung der Klägerin zu 1 oder eine fehlende Behandlungsmöglichkeit zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis zur Lebensbedrohlichkeit führen würde. Das Gericht sieht keinen Anlass, an dieser fachärztlichen Einschätzung zu zweifeln. Allerdings fällt es nicht in die Kompetenz eines Arztes, Aussagen über die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten seines Patienten in Uganda zu treffen. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welche tatsächliche Grundlage diese Bewertung gestützt ist.
Daher ist der ausdrücklich als Hilfsantrag gestellte Beweisantrag, dass zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin zu 1 unter der schwerwiegenden Erkrankung der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome leidet, sie dringend psychiatrisch behandlungsbedürftig ist, ein Abbruch der Behandlung oder eine fehlende Behandlungsmöglichkeit, zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zur Lebensbedrohlichkeit führt, die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt wird, nicht erforderlich. Das Gericht geht von einer entsprechenden Erkrankung aus. Diese ist allerdings in Uganda behandelbar, die Behandlung ist für die Klägerin zu 1 auch verfügbar.
Soweit die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens für den Umstand hilfsweise beantragt ist, dass die Rückführung der Klägerin zu 1 nach Uganda selbst zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zur Lebensbedrohlichkeit führt, ist der Antrag abzulehnen, da es für die Entscheidung auf diesen Umstand nicht ankommt. Maßgeblich ist, ob eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Zielstaat behandelbar ist oder ob es ohne Behandlung zu einer absehbaren wesentlichen bis hin zur lebensbedrohlichen Verschlechterung kommt. Die Frage, ob die Rückführung nach Uganda allein zu einer wesentlichen Verschlechterung der Erkrankung der Klägerin zu 1 führt, ist vom rechtlichen Maßstab der medizinischen Versorgung im Zielstaat losgelöst und daher für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht maßgeblich.
d) Die Erkrankung der Klägerin zu 1 – derzeit diagnostiziert eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F 32.2 G) – kann in Uganda grundsätzlich behandelt werden. Denn die Klägerin zu 1 stammt aus dem Raum Kampala (Mukono ist nach den im Internet verfügbaren Karten nur wenige Kilometer von Kampala entfernt). Dort bestehen die beiden Referenzkliniken für psychische Erkrankungen. Eine erforderliche psychiatrische Behandlung ist in Uganda vorhanden und auch für die Klägerin zu 1 verfügbar. Das gilt auch für den Fall, dass die Klägerin zu 1 in Uganda eine akute Suizidgefährdung angibt. Dann muss sie sich unter Umständen in stationäre Behandlung in ein dortiges psychiatrisches Krankenhaus begeben.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin zu 1 eventuelle auftretende Kosten für eine psychiatrische Behandlung in Form von Medikamenten aufbringen könnte, ebenso dass ausgeschlossen wäre, dass sie das Existenzminimum für sich und ihre drei minderjährigen Kinder absichern könnte. Insoweit ist auf eine gemeinsame Rückkehr der Klägerin zu 1 mit ihren drei Kindern nach Uganda abzustellen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – BVerwGE 166, 113, juris Rn. 17 ff.).
Die Klägerin zu 1 hat angegeben, als angestellte Friseurin in Uganda gearbeitet zu haben. Damit kann sie gezeigt, dass sie in der Lage ist, ihr Existenzminimum grundsätzlich absichern zu können. Zwar mag sie in ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund des Umstands, dass sie drei kleine Kinder hat, eingeschränkt sein. Andererseits ist sie nicht völlig auf sich allein gestellt. Sie hat Kontakt zum Vater ihrer Kinder, der nach einem erfolglosen Asylverfahren nach Uganda zurückgekehrt ist und dort lebt. Das hat sie in der mündlichen Verhandlung bekräftigt und relativ genaue Angaben zu den Lebensumständen des Vaters der Kinder der Klägerin zu 1 gemacht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es ihr nicht möglich wäre, mit ihm zusammen ihre Existenz sowie die ihrer Kinder abzusichern sowie erforderliche Medikamente für sich eventuell zu erwerben. Das umfasst auch die Suche und Wahrnehmung von Arbeitsmöglichkeiten, die grundsätzlich auch für ungelernte Arbeitssuchende bestehen. Den vorgelegten fachärztlichen Attesten ist nicht zu entnehmen, dass die 36-jährige Klägerin zu 1 aufgrund ihrer Erkrankung völlig erwerbsunfähig wäre. Das gilt auch mit Blick darauf, dass beim jüngsten Sohn der Klägerin zu 1 (Kläger im Verfahren M 5 K 19.34234) eine Trisomie 21 besteht und er daher einer besonderen Betreuung auch mit fortschreitendem Alter bedarf. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 zusammen mit dem Vater der Kinder hierzu nicht in der Lage wäre, das zu leisten. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 zusammen mit dem Vater der Kinder auch bei dieser zusätzlichen Belastung ihr Existenzminimum nicht absichern könnten.
Im Übrigen besteht zwar in Uganda kein staatliches System der Existenzsicherung. Einkommenslose Personen bleiben aber nicht unversorgt, da Familienverbände und vorwiegend aus dem Ausland bzw. von kirchlichen Stellen finanzierte Nichtregierungsorganisationen diesen Personenkreis auffangen. Traditionell ist bei den Baganda (zu dieser Volksgruppe gehört die Klägerin zu 1, die sich als Muganda – Singularform von Buganda, siehe wikipedia Stichwort „Baganda“) der Familienverband zumindest subsidiär verpflichtet, Mutter und Kind zu versorgen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG München vom 2.7.2014).
Andererseits ist auch mit in den Blick zu nehmen, dass es der Klägerin zu 1 möglich war, zusammen mit dem Vater ihrer Kinder die nicht unerheblichen Kosten für eine Reise aus Uganda zunächst in die Türkei und dann weiter nach Deutschland aufbringen konnte. Wenn die Klägerin zu 1 in der Lage war, diese Kosten in Uganda aufzubringen, kann angenommen werden, dass sie bei einer Rückkehr das Existenzminimum für sich und ihre Kinder absichern kann. Dabei ist – wie oben dargelegt – nicht auf sich allein gestellt.
Das gilt auch mit Blick auf die geltend gemachten Drohungen der Familie des Vaters der Kinder in Bezug auf die Klägerin zu 1 und das behinderte Kind. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum sich der Vater den – bislang sehr vage formulierten – Drohungen nicht entgegenstellen könnte. Diese sind auch widerrechtlich, weshalb grundsätzlich auch staatliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Zudem sind diese Drohungen sehr vage gehalten. Eine konkrete Person, die die Drohungen geäußert hätte, wird nicht benannt, auch nicht Zeitpunkt, Form oder konkreter Inhalt. Dieser Umstand ist daher auch zurückhaltend zu bewerten.
e) Es sind daher auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnten. Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid vom 21. April 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 Asylgesetz/AsylG).
f) Hinsichtlich der Klägerin zu 2 wurden keine Umstände geltend gemacht, die über diejenigen hinausgehen, die die Klägerin zu 1 betreffen. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
3. Auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG bestehen keine Bedenken.
Zur weiteren Begründung wird auf den Bescheid des Bundesamtes verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, hat die Klagepartei die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 155 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen hat die Klagepartei als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.
Soweit das Verfahren nach Klagerücknahme eingestellt wurde, ist das Urteil unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Im Übrigen ergeht folgende


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