Medizinrecht

Beschränkung der Teilnehmerzahl an Hochzeitsfeiern

Aktenzeichen  M 26b S 20.4586

Datum:
24.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26926
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4 u. 7,§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1, § 154 Abs. 1
IfSG § 2 Nr. 1 u. 3, § 4, § 28 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, § 29, § 31
GG Art. 2 Abs. 2
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Allgemeinverfügung vom 23 September 2020, gültig vom 24. September (0:00 Uhr) bis 1. Oktober 2020 (24:00 Uhr), ordnete die Antragsgegnerin auf infektionsschutzrechtlicher Grundlage Maßnahmen für die Landeshauptstadt M. aufgrund erhöhter Infektionszahlen (Überschreiten des Schwellenwertes am 18. September 2020) u.a. an:
„4. Abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 der 6. BayIfSMV sind Veranstaltungen, die üblicherweise nicht für ein beliebiges Publikum angeboten oder aufgrund ihres persönlichen Zuschnitts nur von einem absehbaren Teilnehmerkreis besucht werden (insbesondere Hochzeiten, Beerdigungen, Geburtstage, Schulabschlussfeiern und Vereins- und Parteisitzungen) und nicht öffentliche Versammlungen nur bis zu maximal 25 Teilnehmern in geschlossenen Räumen (anstatt wie bisher bis 100 Teilnehmer) oder bis zu maximal 50 Teilnehmern unter freiem Himmel (anstatt wie bisher bis 200 Teilnehmer) gestattet, wenn der Veranstalter ein Schutz- und Hygienekonzept ausgearbeitet hat und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorlegen kann. § 5 Abs. 1 der 6. BayIfSMV bleibt unberührt.“
Auf die ausführliche Begründung der Allgemeinverfügung – abrufbar unter: https://www…de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Infektionsschutz/Neuartiges_Coronavirus/Corona-Massnahmen-fuer-Muenchen.html – wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin erhob am 24. September 2020 gegen die Allgemeinverfügung vom 23. September 2020 Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Gleichzeitig beantragt sie im Wege des Eilverfahrens:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 4 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 23. September 2020 enthaltene Regelung wird angeordnet.
Die Antragstellerin sei Inhaberin eines Eventunternehmens und veranstalte in M. u.a. Hochzeitsfeiern, welche in zwei Sälen, die regulär für jeweils 650 Personen ausgelegt und über eine Fläche von 1000 m² verfügten, durchgeführt würden. Nördlich der Säle befinde sich unmittelbar die Stadtgrenze. Für Samstag, den … September 2020, und am Sonntag, den … September 2020, habe sich die Antragstellerin zur Ausrichtung von zwei Hochzeiten mit jeweils 100 Gästen im Saal und weiteren 100 Gästen im Außenbereich, verpflichtet. Eine dritte für dieses Wochenende geplante Hochzeit sei bereits abgesagt worden. Ein Hygienekonzept sei dem Kreisverwaltungsreferat der Antragsgegnerin vorgelegt worden. Für die beiden Feiern sei vorgesehen, die Sitzordnung dahingehend anzupassen, dass lediglich Tische für fünf Personen unter Einhaltung des Sicherheitsabstands von 1,5 m aufgestellt würden. Die Feier am Samstag solle von 17:00 Uhr bis 0:00 Uhr ohne Ausschank alkoholischer Getränke stattfinden. Die Feier am Sonntag solle von 15:00 Uhr bis 21:00 Uhr stattfinden. Es handele sich um eine religiös geprägte Feier ohne Musik und ohne Tanzeinlagen, alkoholische Getränke würden ebenfalls nicht ausgeschenkt. Mit den ursprünglich am Wochenende geplanten drei Hochzeitsfeiern hätte die Antragstellerin einen Umsatz von etwa 30.000 EUR erzielt. Da die Gäste der Hochzeitsfeiern teilweise eine weite Anreise hätten, sei besondere Eile geboten. Die Regelung in Nr. 4 der Allgemeinverfügung sei offensichtlich nicht geeignet, das Infektionsgeschehen im Gebiet der Antragsgegnerin zu reduzieren, da die Gäste aus dem weiteren Umkreis kämen und mit dem privaten Pkw anreisten. Könnten die Hochzeiten in M. nicht stattfinden, würden sie womöglich in die nähere Umgebung verlegt werden und gleichwohl stattfinden. Die Regelung sei willkürlich, da eine entsprechende Personenbeschränkung für Räumlichkeiten in der Gastronomie nicht angeordnet worden sei. Nach Nr. 1 der Allgemeinverfügung dürften sogar mehr als 25 Personen gemeinsam an einem Tisch sitzen, wenn es sich um Personen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der 6. BayIfSMV handele. Es sei auch nicht erkennbar weshalb – wie in der Begründung der Allgemeinverfügung explizit vorgeschlagen – vier Veranstaltungen mit „nur“ 25 Personen gleichzeitig in einem Raum hinsichtlich des Infektionsschutzes weniger gefährlich sein sollten als eine Veranstaltung mit 100 Teilnehmern. Jedenfalls sei die Allgemeinverfügung nicht erforderlich, da mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, z.B. ein Tanzverbot. Die Allgemeinverfügung sei zudem unklar, da nach dem Wortlaut der Ziffer 4 lediglich von § 5 Abs. 2 Satz 1 der 6. BayIfSMV abgewichen werden solle, wobei sich der Verweis auf die speziellen Regeln des § 13 der 6. BayIfSMV für Veranstaltungen in gastronomischen Betrieben aber in § 5 Abs. 2 Satz 3 der 6. BayIfSMV zu finden sei. Im Übrigen sei der räumliche Geltungsbereich der Regelungen in Ziffern 3 und 4 nicht bestimmt. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb im Rahmen der von der Antragsgegnerin beworbenen „Wirtshauswiesn“ in Gaststätten bis zu fünf Personen spontan und ohne sich zu kennen an einem Tisch Platz nehmen könnten, ohne dass eine Obergrenze in einem Raum bestünde, gleichzeitig aber Hochzeiten mit einem klar begrenzten und den Veranstaltern ausnahmslos bekannten Teilnehmerkreis über 25 Personen untersagt würden.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 24. September 2020,
den Antrag abzulehnen
Die Allgemeinverfügung sei zu Recht ergangen. Es sei notwendig, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Infektionsrisiko eingedämmt werde. Insbesondere private Feiern, bei denen nach allgemeiner Lebenserfahrung der kommunikative Austausch im Vordergrund stehe, könnten Ausgangspunkt massiver Infektionen (Superspreaderevents) sein. Es sei daher notwendig, den Teilnehmerkreis in dem erfolgten Maße einzuschränken. Ziel der Anordnung in Ziffer 4 sei es, auch die Anzahl möglicher Kontaktpersonen zu verringern, um die Kontaktnachverfolgung dadurch zu erleichtern, dass eine geringere Anzahl von Kontakten nachzuverfolgen sei. Ziel sei auch zu verhindern, dass etwaige Gäste, die nicht aus M. stammten, eine Infektion in aktuell weniger Betroffene Gebiete weitertrügen. Die Allgemeinverfügung sei nicht willkürlich, insbesondere sei der allgemeine Gastronomiebetrieb von einer privaten Veranstaltung zu unterscheiden, da es in einer Gaststätte in der Regel nicht zu einer Vermischung von verschiedenen Gruppen an verschiedenen Tischen komme. Die angegriffene Regelung sei auch nicht etwa unklar, der Wortlaut in Ziffer 4 zeige, dass die Regelung von Teilnehmerzahlen das § 5 Abs. 2 Satz 1 der 6. BayIfSMV abweichen wollte. Selbstverständlich sei § 5 Abs. 2 Satz 3 der 6. BayIfSMV so zu lesen, dass die nun geregelte Teilnehmerzahl gelte, da die Regelung des Satzes 1 durch die Allgemeinverfügung ersetzt worden sei. Der räumliche Umgriff des Geltungsbereichs ergebe sich schon aus der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin und beziehe sich selbstverständlich auf das gesamte Stadtgebiet. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass über § 5 Absatz ein Satz 2 der 6. BayIfSMV Veranstaltungen ausnahmsweise dann genehmigt werden könnten, wenn die Sachverhaltsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 6. BayIfSMV nicht (mehr) erfüllt seien und die Privilegierung nicht greife. Dabei seien jedoch strenge Ermessenskriterien anzulegen, sodass Vergnügungsveranstaltungen wie Hochzeitsfeiern in der Regel nicht genehmigungsfähig seien. Dabei komme es auf das gesamte Gepräge und die Ausgestaltung der Veranstaltung an. Insbesondere hätten gerade Hochzeiten in jüngster Vergangenheit (Beispiel Hamm) gezeigt, dass sie zur Ausbreitung des Infektionsgeschehens beitragen könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die nun Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat keinen Erfolg.
a) Der Antrag ist zulässig, da Anfechtungsklagen gegen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 28 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG).
b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid als voraussichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Im vorliegenden Fall hat die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage aller Voraussicht nach keinen Erfolg, so dass mangels gegenteiliger Anhaltspunkte das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einschlägige Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung ist § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Danach trifft die zuständige Behörde unter anderem dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
aa) Formelle Mängel der Allgemeinverfügung sind nicht ersichtlich.
Insbesondere ergibt sich der räumliche Geltungsbereich der Verfügung zu 4. bereits aus der Überschrift der Allgemeinverfügung, wonach die verfügten Maßnahmen „für die Landeshauptstadt M.“ erfolgen und damit hinreichend deutlich das Stadtgebiet der Landeshauptstadt M. als räumlichen Geltungsbereich bezeichnet.
Die angegriffene Regelung ist auch hinreichend klar. Die Antragstellerin macht insofern geltend, dass nach dem Wortlaut der Ziffer 4 lediglich von § 5 Abs. 2 Satz 1 der 6. BayIfSMV abgewichen werden solle, wobei der Verweis auf die speziellen Regeln des § 13 6. BayIfSMV für Veranstaltungen in gastronomischen Betrieben aber in § 5 Abs. 2 Satz 3 6. BayIfSMV zu finden sei. Dieses Argument trägt nicht, da § 5 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 6. BayIfSMV auf die Teilnehmergrenzen nach Satz 1 abstellt. Bei verständiger Auslegung der streitgegenständlichen Maßnahme ist somit angesichts der vorhandenen Gesetzessystematik hinreichend ersichtlich, dass bei einer Abweichung von § 5 Abs. 2 Satz 1 6. BayIfSMV auch die Teilnehmergrenze gemäß § 5 Abs. 2 Satz 3 Hs. 2 6. BayIfSMV in identischer Weise aus Gründen der Widerspruchsfreiheit und Konsistenz angepasst wird.
bb) Ziffer 4 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 23. September 2020 ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig.
(1.) Schutzmaßnahmen i.S.v. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können auch Form der Allgemeinverfügung ergehen (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 9; Schmidt, COVID-19, § 16 Rn. 1; Häberle/Lutz, IfSG, 1. Aufl. 2020, § 28 Rn. 8). Die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 35 Satz 2 Alt. 1 BayVwVfG für den Erlass einer Allgemeinverfügung sind gegeben, insbesondere handelt es sich bei der Verfügung der Antragsgegnerin aufgrund des räumlich und zeitlich begrenzten Geltungsumfangs um die Regelung eines Einzelfalls für einen bestimmbaren Personenkreis und damit um eine konkret-generelle Regelung.
§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG setzt tatbestandlich lediglich voraus, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war.
Diese Voraussetzungen liegen dem Grunde nach angesichts der anhaltenden SARS-CoV-2-Pandemielage unzweifelhaft vor. Das Virus SARS-CoV-2 ist ein Krankheitserreger im Sinne von § 2 Nr. 1 IfSG, der zur Lungenkrankheit COVID-19, einer übertragbaren Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG führen kann. Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 – juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 16), handelt es sich bei der COVID-19-Pandemie weltweit und in Deutschland um eine dynamische und ernst zu nehmende Situation, wobei die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen ist. Intensive gesamtgesellschaftlicher Gegenmaßnahmen bleiben nötig, um die Folgen der COVID-19-Pandemie für Deutschland zu minimieren. Die massiven Anstrengungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes verfolgen weiterhin das Ziel, die Infektionen in Deutschland so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Es ist laut Robert Koch-Institut (RKI) von entscheidender Bedeutung, die Zahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern. Hierdurch soll die Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten und von Impfstoffen gewonnen werden. Auch sollen Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand 23.9.2020).
Weitere tatbestandliche Anforderungen an ein Tätigwerden stellt § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG nicht. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist die Behörde zum Handeln verpflichtet (sog. gebundene Entscheidung).
(2.) Hinsichtlich Art und Umfang der zu treffenden Schutzmaßnahmen ist der Behörde ein Auswahlermessen eingeräumt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss. Zudem sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 20 CS 20.1821 – juris Rn. 27). Die Ermessensentscheidung ist nach Maßgabe von § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich überprüfbar.
Im vorliegenden Fall sind Ermessensfehler im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat ausweislich der ausführlichen Begründung der Allgemeinverfügung den der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt hinreichend ermittelt, verschiedene Handlungsalternativen auf ihre Durchführbarkeit und Wirksamkeit hin überprüft und die betroffenen Belange hinreichend abgewogen und in ein angemessenes Verhältnis gesetzt.
(3.) Die von der Antragsgegnerin in Ziffer 4 der Verfügung angeordnete Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen, die üblicherweise nicht für ein beliebiges Publikum angeboten oder aufgrund ihres persönlichen Zuschnitts nur von einem absehbaren Teilnehmerkreis besucht werden, wozu auch explizit Hochzeiten zählen, auf maximal 25 Teilnehmer in geschlossenen Räumen bzw. maximal 50 Teilnehmer unter freiem Himmel erweist sich insbesondere als notwendig und verhältnismäßig.
(a) Die Antragsgegnerin hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass eine infektionsschutzrechtlich begründete Notwendigkeit für die getroffenen Maßnahmen besteht. Dabei hat sie auf Grundlage verschiedener Erkenntnisse, die in der Begründung der Allgemeinverfügung im Einzelnen dargestellt sind und auf die insoweit Bezug genommen wird, darauf abgestellt, dass die Infektionszahlen in M. trotz bereits anderweitig ergriffener Maßnahmen weiter erheblich angestiegen ist und in den letzten Tagen basierend auf 7-Tages-Inzidenzwerten Höchststände erreicht haben, namentlich spätestens am 20. September 2020 – auch nach der Berechnung des RKI, welches im Vergleich zu den Berechnungen des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) oft niedrigere Werte ausweist – erstmals die Schwelle von 50/100.000 überschritten hat. Der Schwellenwert von 50/100.000 markiert dabei den Wert, bei dessen Erreichen nach allgemeiner Übereinkunft konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu ergreifen sind (hierzu näher OVG Lüneburg, B. v. 5.6.2020 – 13 MN 195/20). Im Konkreten wird die unter Ziffer 4 der streitgegenständlichen Verfügung getroffene Maßnahme mit Feststellungen des Robert-Koch-Instituts sowie des Referats für Gesundheit und Umwelt der Antragsgegnerin begründet, wonach Krankheitsausbrüche insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis zu beobachten sind (vgl. Robert-Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19), 18.9.2020, Seiten 1,2, und 7). An der Notwendigkeit der getroffenen Maßnahme hat das Gericht daher keinen Zweifel.
(b) Die Maßnahme erweist sich auch als voraussichtlich verhältnismäßig.
(aa) Die Beschränkung der Teilnehmerzahlen verfolgt den legitimen Zweck, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zeitlich und räumlich zu verlangsamen.
(bb) Auch handelt es sich um eine geeignete Schutzmaßnahme im Rahmen der Pandemiebekämpfung. Dabei reicht es nach allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen aus, dass die Maßnahme zur Zweckerreichung beiträgt (vgl. BVerwG, U.v. 2.8.2012 – 7 CN 1.11 – juris Rn. 29, BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 20 S 20.1821 – juris Rn. 27). Durch die Beschränkung der Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen wird die Höchstzahl an Personen reduziert, so dass auch das Risiko, mit einem Erkrankten in Kontakt zu kommen, entsprechend sinkt.
Soweit die Antragstellerin vorbringt, dass die streitgegenständliche Verfügung lediglich zu einer Verlagerung der Veranstaltungen außerhalb des Stadtgebietes führen würde, ohne dass dies einen Beitrag zur Reduzierung des Infektionsgeschehens hätte, ist anzumerken, dass allein aufgrund der kurzen verbleibenden Zeit für eine Verlagerung bereits geplanter Veranstaltungen auf andere Räumlichkeiten eine Vielzahl an Veranstaltungen wohl abgesagt werden dürfte, sind mit derart kurzzeitigen Verlegungen doch nicht zuletzt teils erhebliche organisatorische und logistische Fragen verbunden.
(cc) Die Beschränkung der Teilnehmerzahl ist zudem zum Zwecke des Infektionsschutzes erforderlich. Gleich geeignete, den Adressatenkreis weniger belastende Maßnahmen sind nicht ersichtlich.
Die von der Verfügung erfassten „geschlossenen“ Veranstaltungen begründen ein spezifisch hohes Infektionsrisiko, da sie sich dadurch auszeichnen, dass aus einem bestimmten Anlass bestimmte Einzelpersonen zusammenkommen und eine innere Verbundenheit der Teilnehmer besteht, die dadurch in besonderem Maße auf zwischenmenschliche Interaktion und Kommunikation aller Teilnehmer ausgelegt sind. Insbesondere die von der Verfügung erfassten Hochzeitsfeiern sind durch eine Stimmung der Geselligkeit, Ausgelassenheit und Herzlichkeit mit entsprechendem physischen Kontakt gekennzeichnet sind, so dass es typischerweise zu engeren, aus Gründen des Infektionsschutzes riskanteren Kontakten zwischen zahlreichen Personen kommt bei gleichzeitig erhöhter Verweildauer der Teilnehmer (so zu Hochzeitsfeiern im Rahmen der 6. BayIfSMV BayVGH, B. v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500 – juris Rn. 21).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Beschränkung der Teilnehmerzahl in geringerem Umfang gleichermaßen wirksam wäre, um auf das Infektionsgeschehen hinreichend einzuwirken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegnerin insofern ein Ermessensspielraum zuzugestehen ist. Dass die Begrenzung auf 25 im Innenbereich bzw. 50 Teilnehmer im Freien die Grenzen dieses Spielraums überschreiten würde, ist weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
Auch den Einsatz von sogenannten Schnelltests hat die Antragsgegnerin geprüft jedoch zu Recht als nicht gleichermaßen geeignet verworfen. Der Einsatz von Schnelltest ist schon deswegen zweifelhaft, da die Wirksamkeit derartiger Test noch nicht abschließend geprüft ist. Zu Recht hat die Antragsgegnerin auch die verpflichtende Nutzung der Corona-Warn-App als weniger wirksames Mittel eingestuft, deren Einsatz auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht, sodass gerade keine Vorteile oder Nachteile an ihre Nutzung bzw. Nichtnutzung geknüpft werden sollen.
Soweit der Antragsgegner einwendet, ein Tanzverbot wäre für den Infektionsschutz ausreichend gewesen, ist zu sehen, dass auch ohne Tanz bei einer Hochzeitsfeier erfahrungsgemäß in besonderem Maße zwischenmenschliche Kontakte, Umarmungen, Gespräche und persönlicher Austausch stattfindet, der für sich genommen geeignet ist, das Infektionsgeschehen zu erhöhen. Ein Tanzverbot wäre daher ebenso wie der Verzicht auf Alkoholkonsum ohne eine gleichzeitige Teilnehmerbeschränkung nicht gleichermaßen wirksam.
(dd) Schließlich steht die Beschränkung der Teilnehmerzahlen auch nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck der Maßnahme, sondern erweist sich als voraussichtlich angemessen.
Das ausgesprochene Verbot beschränkt die Antragstellerin als Veranstalterin in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
Zwar wiegt der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Veranstalters vergleichsweise schwer, da die Begrenzung dem Veranstalter die Wirtschaftsgrundlage zumindest teilweise entzieht. Allerdings ist der Eingriff (derzeit) mit 8 Tagen zeitlich sehr eng begrenzt. Zudem besteht die grundsätzliche Möglichkeit der Erlangung von Ausnahmegenehmigungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV, auch wenn eine solche im konkreten Fall angesichts des mit der streitgegenständlichen Veranstaltungsform erhöhten Infektionsrisikos und der geplanten Teilnehmerzahl, die die in der Verfügung vorgegebene Teilnehmerzahl um ein Mehrfaches übersteigt, wohl nicht in Betracht kommen dürfte.
Darüber hinaus sind die Teilnehmer in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen. Art. 2 Abs. 1 GG gilt jedoch nicht unbeschränkt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt und tritt gegenüber dem mit der Allgemeinverfügung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. Dabei ist zu sehen, dass der vorliegende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nicht schwer wiegt. Er beschränkt sich auf die Teilnahme an gewissen Veranstaltungen für einen Zeitraum von gut einer Woche.
Diesen Eingriffen steht der Schutz von Gesundheit und Leben der Allgemeinheit, insbesondere demjenigen von Risikopatienten, sowie der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems vor einer Überlastung bei ungehinderter Ausbreitung des Infektionsgeschehens gegenüber. Angesichts der hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben, der möglichen gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines möglichen erneuten Anstiegs von Infektionen und Erkrankungen einer Vielzahl von Personen ist der Eingriff trotz seiner Intensität als voraussichtlich angemessen zu bewerten (so auch zu Hochzeitsfeiern im Rahmen der 6. BayIfSMV BayVGH, B. v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500).
Der Einwand des Antragstellers, es läge ein Eingriff in den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) vor, verfängt nicht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Ein Eingriff in den Gleichbehandlungsgrundsatz ist daher nur dann anzunehmen, wenn sich die Ungleichbehandlung nicht durch einen sachlichen Differenzierungsgrund rechtfertigen lässt. Eine Ungleichbehandlung gegenüber Gastronomiebetrieben, die keinen Teilnehmerzahlbeschränkungen unterliegen, ist bereits deshalb sachlich gerechtfertigt, da das Infektionsrisiko bei Hochzeitsfeierlichkeiten gegenüber Gastronomiebesuchen deutlich erhöht sein dürfte. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kreis der Personen, die zueinander in enger Beziehung stehen, bei Veranstaltungen wie Hochzeitsfeiern deutlich höher ausfällt als bei Besuchern von Gastronomiebetrieben, die typsicherweise kleinere, zueinander in keiner Beziehung stehende Gruppen bilden, so dass auch die Zahl der Personen, zu denen ein Teilnehmer einer Hochzeitsfeier physischen Kontakt hat, regelmäßig deutlich höher ausfallen dürfte als dies bei Gastronomiebesuchen üblicherweise der Fall ist.
Auch das von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, dass eine willkürliche Ungleichbehandlung zwischen Gästen von Gastronomiebetrieben und Veranstaltungsteilnehmern im Sinne von § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV insoweit vorliegt, als im ersteren Fall mehr als 25 Personen an einem Tisch sitzen dürften, wenn diese zu dem in § 2 Abs. 1 Nr. 1 6. BayIfSMV umschriebenen Verhältnis zueinander stünden, während bei „geschlossenen“ Veranstaltungen der Teilnehmerkreis strikt auf maximal 25 Personen begrenzt werde, trägt nicht, da einer derartigen Konstellation durch die Möglichkeit der Gewährung einer Ausnahmegenehmigung hinreichend Rechnung getragen werden kann. Im Übrigen besteht eine sachlicher Differenzierungsgrund zwischen einer Hochzeitsfeier und dem allgemeinen Gastronomiebetrieb. Insoweit ist zu sehen, dass der persönliche Zuschnitt und der Charakter von Veranstaltungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 der 6. BayIfSMV regelmäßig eine gegenüber der sonstigen Gastronomie stark erhöhte Mobilität der Teilnehmer zwischen den Tischen erwarten lasse, mit entsprechend stärker steigendem Infektionsrisiko bei steigender Teilnehmerzahl (BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 20 NE 20.1500 – juris Rn. 29).
Soweit angeführt wird, dass die Beherbergung von vier Veranstaltungen zu je 25 Teilnehmern nicht weniger infektionsrechtlich bedenklich sein solle als eine Veranstaltung mit 100 Teilnehmern, wird auf die soeben gemachten Ausführungen verwiesen.
2. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei hinsichtlich der Bestimmung des Streitwerts nur auf die beiden unmittelbar durch die Allgemeinverfügung, zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht abgesagten Hochzeiten abgestellt wird. Aufgrund der faktischen Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens unterbleibt dabei eine Reduzierung des Streitwerts gegenüber dem Hauptsacheverfahren um die Hälfte.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben