Aktenzeichen 4 O 4566/12
BGB § 90a S. 3, § 323, § 326 Abs. 5, § 346 Abs. 1, § 433 Abs. 1 S. 2, § 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2, § 439 Abs. 1, § 440, § 474, § 476
Leitsatz
§ 476 BGB ist grundsätzlich auch auf den Tierkauf anwendbar. Zwar sind beim Tierkauf die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der Natur des Tieres als Lebewesen ergeben. Die Vermutung des § 476 BGB kann mit der Art eines Mangels in Gestalt einer Fissur bzw. inkompletten Fraktur am Fesselbein jedoch vereinbar sein. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.08.2012 zu bezahlen.
II. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Schadens wegen der Mängel des Pferdes ompur des fortes (geboren am 05.07.2002, Lebensnummer …) ist dem Grund nach gerechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Nachdem der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises dem Grund nach und die Schadensersatzansprüche dem Grund und der Höhe nach streitig sind, hat das Gericht bezüglich des Anspruches auf Rückzahlung des Kaufpreises ein Teilendurteil (§ 301 ZPO) und bezüglich der Schadensersatzansprüche ein Grundurteil (§ 304 ZPO) erlassen.
Die zulässige Klage ist bezüglich der Rückforderung des Kaufpreises in vollem Umfang begründet, bezüglich der geltend gemachten Schadenspositionen ist sie dem Grund nach begründet.
Die Klägerin kann von dem Beklagten nach § 346 Abs. 1 BGB den bezahlten Kaufpreis in Höhe von 12.000,00 € zurückverlangen, da sie nach §§ 437 Ziffer 2, 440, 323, 326 Abs. 5 BGB berechtigt vom Kaufvertrag zurückgetreten ist. Das verkaufte Pferd war nicht mangelfrei im Sinne von §§ 433 Abs. 1 Satz 2, 434 Abs. 1, 90a Satz 3 BGB. Eine Mangelbeseitigung (§ 439 Abs. 1 BGB) war objektiv nicht möglich, so dass dahinstehen kann, ob der Beklagte mit Schriftsatz vom 14.08.2012 ordnungsgemäß Mangelbeseitigung angeboten hat. Wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen ergibt, war das Pferd H. aufgrund der Verletzung für den Reitsport ungeeignet.
Das Pferd H. hatte eine inkomplette chronische intraartikuläre, monokortikale Längsfraktur dorsomedial und proximal am Fesselbein vorne rechts und dort eine hochgradige chronische Arthrose des Fesselgelenks. Dadurch war das Pferd H. sowohl für den Einsatz im Reitsport als auch als Freizeitpferd ungeeignet. Diese Diagnose ergibt sich aus dem ausführlichen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 11.04.2014. Offensichtlich und unbestritten ist, dass das Pferd H. aufgrund dieser Verletzung für den vereinbarten Vertragszweck ungeeignet war. Streitig ist die Ursache für diese Verletzung.
Der Mangel des Pferdes H. hat sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang (17.12.2011) bis 17.06.2012 gezeigt. Hierbei kann dahinstehen, ob das Vorliegen einer Lahmheit des Pferdes sich bereits aus den Angaben der Zeugin H. ergibt, die das Pferd seit Januar 2012 regelmäßig gesehen hatte und zunächst eine Art Steifheit und ab April 2012 eine Entlastungshaltung beobachtet hat. Das Vorliegen des Mangels wurde jedenfalls durch den Tierarzt Dr. A. anlässlich einer am 05.06.2012 vorgenommenen Untersuchung festgestellt. Dieser hat, wie sich aus dessen Attest vom 04.07.2012 (Anlage K3) ergibt, eine deutlich gering- bis mittelgradige Lahmheit der rechten Vordergliedmaße festgestellt. Ferner hat er am rechten Vordergliedmaß eine Umfangsvermehrung des Fesselgelenks festgestellt. Auf angefertigten Röntgenaufnahmen hat eine stark wuchernde periostale Reaktion proximo-medial am Fesselbein sowie eine knöcherne Exostase medial am Fesselgelenk festgestellt.
Aufgrund dieses innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangels wird gemäß § 476 BGB vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war. Der Kaufvertrag vom 17.12.2011 stellt einen Verbrauchsgüterkauf im Sinne von § 474 BGB dar, wobei hier § 474 BGB in der Fassung vom 10.12.2008 anwendbar ist, weil der Kaufvertrag vor dem 13.06.2014 abgeschlossen wurde (vgl. Art. 229 § 32 EGBGB). Unstreitig ist die Klägerin Verbraucherin im Sinne von § 13 BGB. Der Beklagte, der unstreitig einen Verkaufsstall für Pferde betreibt, ist Unternehmer im Sinne von § 14 BGB. § 476 BGB ist grundsätzlich auch auf den Tierkauf anwendbar (vgl. BGH vom 29.03.2006, VIII ZR 173/05, NJW 2006, S. 2250). Zwar sind nach der Rechtsprechung des BGH beim Tierkauf die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der Natur des Tieres als Lebewesen ergeben. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Vermutung des § 476 BGB mit der Art des hier vorliegenden Mangels vereinbar ist. Bei der Fissur bzw. inkompletten Fraktur am Fesselbein vorne rechts handelt es sich nicht um eine verschleppte Krankheit, auf die die Vermutung des § 476 BGB nicht anwendbar wäre (vgl. BGH a.a.O.). Vielmehr handelt es sich um eine Verletzung, die aufgrund eines traumatischen Ereignisses eingetreten ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L. ist eine solche Fissur bzw. Fraktur röntgenologisch nicht sofort nachweisbar, sondern erst nach mindestens vier Wochen, in denen eine röntgenologisch sichtbare Kallusbildung (neugebildeter Knochen bei der Frakturheilung) auf dem Röntgenbild erkennbar ist. Der Umstand, dass der röntgenlogische Nachweis erst nach einigen Wochen möglich ist, bedeutet nach Auffassung des Gerichts aber nicht, dass die Vermutung des § 476 BGB nicht gilt.
Im Übrigen hat die Klägerin unabhängig von der Vermutung des § 476 ZPO nachgewiesen, dass das Pferd zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs bereits mangelhaft war, da am rechten vorderen Fesselgelenk bereits eine Fissur vorlag, aus der sich dann eine Arthrose mit Lahmheit entwickelte. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L. Der Sachverständige hat durch Fertigung von Röntgenaufnahmen und Computertomographieaufnahmen des rechten Vordergliedmaßes eine hochgradige sehr unregelmäßige strukturierte knöcherne Zubildung dorsomedial am proximalen Fesselbein vorne rechts festgestellt, die bis ins Fesselgelenk reichen. Er hat hierzu ausgeführt, dass solche periostale knöchernen Zubildungen im proximalen Bereich des Fesselbeins charakteristisch für eine inkomplette Fraktur des Fesselbeins sind. So sind im vorliegenden Fall die periostalen Zubildungen Folge einer inkompletten monokortikalen artikulären Fraktur dorsomedial am Fesselbein. Der Sachverständige hat die anlässlich der Ankaufsuntersuchung am 29.11.2011 gefertigten Röntgenbildern begutachtet und festgestellt, dass dort schon leichtgradige Anzeichen von periostalen Zubildungen zu erkennen sind und zwar genau an der Stelle, wo auch bei den Röntgenaufnahmen am 05.06.2012 und 21.03.2013 deutlich zu entnehmende periostale Reaktionen sichtbar sind. Da es ca. vier Wochen bis zu ersten Anzeichen von röntgenologisch nachweisbarem Kallus dauert, muss der Vorfall, der die Fissur bzw. Fraktur verursacht hat, mindestens vier Wochen vor dem 29.11.2012 stattgefunden haben. Der Sachverständige führt weiter aus, dass die röntgenologischen Verlaufsuntersuchungen vom 29.11.2011, 05.06.2012 und 21.03.2013 eine kontinuierliche Zunahme der knöchernen Zubildungen dorsoproximal am Fesselbein vorne rechts zeigen.
Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Fissur anlässlich der Jagd vom 01.11.2011 entstanden ist. Unstreitig hat die Klägerin bei dieser Jagd mit dem streitgegenständlichen Pferd einen Graben übersprungen. Die Klägerin hatte aufgrund des Verhaltens des Pferdes den Eindruck, dass dieses daraufhin kurzfristig Schmerzen hatte. Dieser Vorfall kommt als mögliche Ursache für eine Fissur deshalb in Betracht, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. L. nach einem Zeitraum von ca. vier Wochen nach Entstehung einer solchen Fissur mit röntgenologischen nachweisbaren knöchernen Zuwächsen zu rechnen ist und dieser Vorfall exakt vier Wochen vor der Ankaufsuntersuchung war. Auf den anlässlich der Ankaufsuntersuchung am 29.11.2011 gefertigten Röntgenbildern sind Knochenzubildungen festzustellen. Allerdings ist nicht entscheidungserheblich, dass die festgestellte Fissur bzw. inkomplette Fraktur auf das Ereignis vom 01.11.2011 zurückzuführen ist. Genauso gut kommen andere Ursachen, die ca. vier Wochen vor den Ankaufsuntersuchung stattfanden, in Betracht. Nach Angaben des Sachverständigen Prof. L. im Termin vom 17.10.2014 kommen auch andere Ursachen wie ein Schlag gegen das Bein oder eine traumatische Belastung in Betracht kommen. Im Ergebnis spielen die Angaben der Zeugen zum Vorfall vom 01.11.2011 keine Rolle. Unerheblich ist daher auch, dass nach Angaben des Klägers nach dem Vorfall vom 01.11.2012 das linke Bein des behandelt werden musst. Es ist auch denkbar, dass eine am 01.11.2011 entstandene Verletzung des rechten Beines zunächst unentdeckt blieb.
Gegen den Umstand, dass die Verletzung des Pferdes zum Zeitpunkt der Übergabe bereits vorhanden war, spricht auch nicht, dass das Pferd offensichtlich geraume Zeit schmerzfrei war. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es auch Phasen gegeben haben kann, bei der diese Verletzung nicht schmerzhaft war. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen könne solche inkompletten Fissuren am Fesselbein auch gewisse Zeiträume symptomlos sein, so dass das Pferd auch in Trab und Schritt geritten werden kann. Das Vorhandensein der Verletzung zum Zeitpunkt der Übergabe ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil bei der Ankaufsuntersuchung am 29.11.2011 bei der manuellen Untersuchung des Beins keine Feststellungen getroffen werden konnten. Der Sachverständige hat hierzu im Termin vom 01.07.2016 überzeugend angegeben, dass ein Zeitraum von vier Wochen ausreichend sein kann, dass bei einer Untersuchung keine Lahmheit oder Pulsation festzustellen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Pferd Ruhe gegeben wird. Hierzu ist nach den Angaben des Sachverständigen nicht erforderlich, dass das Pferd volle vier Wochen hat. Dem Sachverständigen wurde mitgeteilt, dass der Beklagte mit E-mail vom 09.11.2011 (Anl. K 21) der Klägerin nach einer Hufprellung vom 01.11.2011 noch einige Tage Ruhe hat. Mit E-mail vom 11.11.2011 (Anl. K 22), dass das Pferd bis zum Wochenende 26./27.11 2011 wieder einsatzbereit sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen reicht diese Ruhezeit aus, dass bei der Ankaufsuntersuchung keine Symptome festgestellt werden können.
Demgegenüber hat der Beklagte nicht nachweisen können, dass die Verletzung des Pferdes H. von einem späterem Ereignis nach Gefahrenübergang herstammt. Wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, sind die auf den anlässlich der Ankaufsuntersuchung erstellten Röntgenaufnahmen festzustellenden Veränderungen auf ein ca. vier Wochen zurückliegendes Ereignis zurückzuführen. Die theoretische Möglichkeit, dass das Pferd nach dem Gefahrenübergang an derselben Stelle eine neue Verletzung erlitten hat, die dann zu der später eingetretene Arthrose und Lahmheit geführt hat, kann nach Auffassung des Gerichts als rein theoretische Möglichkeit unberücksichtigt bleiben.
Da das Pferd H. bei Übergabe mangelhaft war, hat die Klägerin gegen den Beklagten dem Grund nach einen Anspruch auf Ersatz der ihr entstandenen Schäden (§§ 437 Ziffer 1, 440, 281 BGB).
Das Verfahren war – soweit entschieden wurde – entscheidungsreif. Das Gericht sah keinen Grund, einen weiteren Termin anzusetzen, um dem Beklagten nochmals die Möglichkeit zu geben, seinen Parteigutachter beizuziehen. Der Beklagte hat bereits zweimal die Möglichkeit gehabt, seinen Parteigutachter zum Anhörungstermin mit dem gerichtlichen Gutachter mitzubringen. Der Beklagtenvertreter hat das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. L. vom 11.04.2014 am 25.04.2014 erhalten. Nach zwei Fristverlängerungen nahm er mit Schriftsatz vom 11.07.2014 Stellung. Am 06.08.2014 wurde Termin zur Anhörung des Sachverständigen auf den 19.09.2014 terminiert und am 11.09.2014 auf den 17.10.2014 verlegt. Der Beklagte hat hierzu nicht, was möglich gewesen wäre, seinen Parteigutachter mitgenommen. Auf die schriftliche Stellungnahme des vom Beklagten beauftragten Parteigutachters Prof. Gerhards vom 04.11.2014 (Anl. B2, Bl. 206) erstattete der gerichtliche Sachverständige Prof. L. am 31.07.2015 sein Ergänzungsgutachten (Bl. 258). Nach den erfolgten Stellungnahme hierzu fragte das Gericht am 12.02.2016 bei den Parteien wegen der Terminierung an (Bl. 287). Nachdem der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 29.02.2016 (Bl. 291) um den Termin am 01.07.2016 bat, da der Privatgutachter an diesem Tag Zeit habe, wurde auf den 01.07.2016 terminiert. Dem Verlegungsgesuch des Beklagten vom 29.06.2016, also zwei Tage vor dem Termin, wegen Verhinderung des Parteigutachters kam das Gericht nicht nach, da sich die Klägerin widersetzte und kein Verlegungsgrund vorlag. Aus Sicht des Gerichts ist der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt und kein weiterer Termin erforderlich. Das Gericht sieht daher auch keinen Grund nach § 412 ZPO einen anderen Sachverständigen zu beauftragen.
Der Ausspruch über die Verzinsung beruht auf § 288 BGB. Der Beklagte kann aufgrund Schriftsatzes der Klägervertreterin vom 06.08.2012 (Anl. K 4), mit dem Frist zur Rückzahlung des Kaufpreises bis 14.08.2012 gesetzt wurde, zum 15.08.2012 in Verzug.
Die Kostenentscheidung bleibt den Schlussurteil vorbehalten.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.