Medizinrecht

Bewertung des Fibromyalgiesyndroms nach der VersMedV

Aktenzeichen  S 57 SB 330/13

Datum:
18.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 138783
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX aF § 2 Abs. 1 S. 1, S. 4, § 69 Abs. 1
VersMedV Anl. B 3.7

 

Leitsatz

1. Das Fibromyalgie-Syndrom stellt eine Form der Somatoformen Schmerzstörung dar, deren Einordnung anhand der versorgungsmedizinischen Grundsätze im Rahmen der seelischen Störung am ehesten gerecht wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einordnung des Fibromyalgiesyndroms allein auf objektiven Funktionseinbußen ist nicht möglich. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stellen Sachverständige keine mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten für den Bereich des Tagesablaufs und der Lebensumstände fest, erscheint ein Einzel-GdB von 30 für das Fibromyalgiesyndrom sachgerecht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Dieselben Krankheitssymptome dürfen nicht die Grundlage für verschiedene Einzel-GdB bilden, um Doppelung von Gesundheitsstörungen zu vermeiden. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Streitgegenstand ist, ob der Klägerin ein GdB von 50 zusteht. Der angefochtene Bescheid vom 09.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2013 ist nicht zu beanstanden.
Das Gericht hat im vorliegenden Fall einen Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG erlassen, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt, sofern er entscheidungserheblich ist, geklärt ist.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung sowie den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412; zuletzt geändert am 11.10.2012) aufgestellt worden. Die VG sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.
Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist für jede einzelne Behinderung ein GdB anzugeben. Zur Bildung des Gesamt-GdB sind die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethode. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Dabei führen grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VMG Teil A. Nr. 3 Buchstabe d; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Januar 2008, L 13 SB 79/04).
Nach diesen Grundsätzen ist der GdB der Klägerin ab Antragstellung mit 30 zutreffend bewertet; diese Bewertung ist nach wie vor sachgemäß.
Im Einzelnen wird hierzu auf das vorliegende, überzeugende Gutachten von Dr. D. verwiesen. Die Einordnung der Befunde durch das Gutachten von Dr. E. überzeugt nicht. Strittig und voneinander abweichend ist dabei vorliegend die Einordnung der somatoformen Schmerzstörung.
Die Ausführungen des Gutachters Dr. D. sind hierbei nachvollziehbar. Die Darstellung der zentralen Beeinträchtigungen der Klägerin stimmen bei beiden Gutachtern im Wesentlichen überein. Die dargestellte Schmerzstörung ist hierbei im Rahmen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bei einem Einzel-GdB von 30 einzuordnen.
Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sehen für das Fibromyalgiesyndrom keinen eigenen Einzel-GdB vor. Das Fibromyalgie-Syndrom stellt jedoch eine Form der Somatoformen Schmerzstörung dar. Die Einordnung anhand der versorgungsmedizinischen Grundsätze im Rahmen einer seelischen Störung wird dieser Erkrankung daher am ehesten gerecht, da – wie auch der Gutachter Dr. E. korrekt anmerkt – eine Einordnung dieser Krankheit nicht allein auf objektiven Funktionseinbußen möglich ist.
Die GdB-Einordnung ist daher folgerichtig von Dr. D. sowie dem Beklagten im Rahmen einer seelischen Störung beurteilt worden.
Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sehen bei seelischen Störungen mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, z.B. in Form einer somatoformen Störung einen GdB von 30-40 vor.
Nachdem beide Gutachter keine mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der Klägerin feststellen konnten, erscheint eine Einordnung der somatoformen Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 30 sachgemäß. Die Schilderung des Tagesablaufs bzw. der Lebensumstände erreicht noch keinen Einzel-GdB von 40.
Wie der Gutachter Dr. E. hier zu einem GdB von 60 gelangt, ist auf der Basis seiner Befunde und unter Berücksichtigung der versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht nachvollziehbar, zumal dieselben Symptome nicht die Grundlage für verschiedene Einzel-GdB bilden dürfen, um Doppelung von Gesundheitsstörungen zu vermeiden.
Die Kammer hält die fachlichen Feststellungen des beauftragten Sachverständigen Dr. D. in vollem Umfang für überzeugend. Das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der Aussagekraft des Gutachtens von Dr. D. kann daher in keiner Weise nachvollzogen werden. Es sei hierbei nochmals angemerkt, dass die Einordnung der Gesundheitsstörungen und die Herausbildung eines Gesamt-GdB sich nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu richten hat, was vorliegend auch geschehen ist.
Nachdem die übrigen Gesundheitsstörungen der Klägerin mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 nicht ins Gewicht fallen, ist ein Gesamt-GdB von 30 ist nach wie vor sachgemäß.
Die Klage ist daher abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
3. Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG).


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