Medizinrecht

Entgangene Urlaubsfreuden begründen keinen Entschädigungsanspruch (Covid-19)

Aktenzeichen  283 C 4769/20

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36268
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 651n Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Schadenersatz und Entschädigung gem. § 651n Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB können nicht verlangt werden, wenn der Mangel der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde. Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie auch am Reiseziel stellt unzweifelhaft ein solches Ereignis dar. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Storniert der Reisende den Reisevertrag von sich aus, ist es nicht zwingend erforderlich ist, dass schon zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits Reisewarnungen für das Reisegebiet vorliegen oder dass das Zielgebiet von dem Ausbruch der Krankheit betroffen ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung der Krankheit, die bei der Covid-19-Pandemie bei 25% anzusetzen ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.839,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht weder der geltend gemachte Entschädigungsanspruch wegen vertaner Urlaubszeit noch der Schadensersatzanspruch zu.
Gemäß § 651h Abs. 4 Nr. 2 BGB kann der Reiseveranstalter vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten, wenn er aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist. In diesem Fall ist vom Reiseveranstalter weder eine Entschädigung noch Schadenersatz zu zahlen, vgl. BeckOGK/Harke, 1.8.2020, BGB § 651h Rn. 54. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die – nicht vorgelegte – Mitteilung der Beklagten bezüglich der erheblichen Änderungen des Reiseverlaufs als Rücktrittserklärung mit dem Angebot des Abschlusses eines neuen Reisevertrages auszulegen wäre. Nach § 651n Abs. 1 BGB kann Schadersatz nicht verlangt werden, wenn der Mangel durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde. Die Voraussetzungen des § 651h Abs. 4 Nr. 2 und § 651n Abs. 1 Hs. 2 Nr. 3 BGB sind insoweit identisch, vgl. BeckOK BGB/Geib, 55. Ed. 1.8.2020, BGB § 651n Rn. 13. Nach § 651n Abs. 2 BGB kann der Reisende, wenn die Pauschalreise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt wird, auch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch besteht neben dem Schadensersatzanspruch aus § 651 Abs. 1 BGB und hat – neben den zusätzlichen haftungsbegründenden Voraussetzungen der Vereitelung oder erheblichen Beeinträchtigungen der Pauschalreise – zunächst dieselben Voraussetzungen wie der Schadenersatzanspruch gem. § 651n Abs. 1 BGB, vgl. BeckOGK/Klingberg, 1.11.2020, BGB § 651n Rn. 39. Mithin können Schadenersatz und Entschädigung gem. § 651n Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB nicht verlangt werden, wenn der Mangel der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde. Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände liegen dann vor, wenn die Gegebenheiten außerhalb der Kontrolle desjenigen liegen, der sich auf sie beruft, sofern die Folgen auch dann nicht vermeidbar gewesen wären, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Ob ein Ereignis einen solchen Umstand darstellt ist im Einzelfall zu beurteilen. Der Ausbruch einer schweren Krankheit oder Epidemie am Reiseziel stellt unzweifelhaft ein solches Ereignis dar. Der Ausbruch einer Epidemie liegt außerhalb der Kontrolle der Parteien. Im Falle der weltweit vorherrschenden Covid-19-Pandemie, ist auch das räumliche Tatbestandsmerkmal unschwer erfüllt.
Für den Fall, dass der Reisende den Reisevertrag von sich aus storniert, ist mittlerweile anerkannt, dass es nicht zwingend erforderlich ist, dass schon zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits Reisewarnungen für das Reisegebiet vorliegen oder dass das Zielgebiet von dem Ausbruch der Krankheit betroffen ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung der Krankheit. Maßgeblich ist, ob bei objektiver Betrachtung eine sichere Durchführung der Pauschalreise unmöglich sein wird, der Reisezweck also insgesamt infrage steht. Entsprechendes gilt, wenn eine die Reise prägende Reiseleistung schwere Mängel aufweisen würde, wie beim Ausfallen wichtiger Häfen bei einer Kreuzfahrt oder Highlights einer Rundreise. Bei der Ausbreitung von Krankheiten resultiert die erhebliche Beeinträchtigung aus der Gefährdung der körperlichen Gesundheit des Reisenden. Indiziert wird das Vorliegen einer Gesundheitsgefährdung insbesondere durch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Aus dem Fehlen einer Reisewarnung kann allerdings nicht zwingend gefolgert werden, dass eine erhebliche Beeinträchtigung zu verneinen wäre. Dasselbe gilt auch für Warnungen der Weltgesundheitsorganisation. Gerade bei Gesundheitsrisiken dürfen die Anforderungen an die Erheblichkeit nicht zu hoch angesetzt werden. Daher ist die Erheblichkeitsschwelle bereits erreicht, wenn bei der Prognoseentscheidung ex ante unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% zum Zeitpunkt der Anreise beziehungsweise während der Reise zu rechnen ist, vgl. BGH, Urteil vom 15. 10. 2002 – X ZR 147/01, NJW 2002, 3700, beck-online. Die BGH-Entscheidung bezieht sich zwar auf das Wetterrisiko eines Hurrikans, kann jedoch auf die Gefährdung durch eine Covid-19-Pandemie übertragen werden. Gerade bei der Corona-Infektion muss eine solche niedrige Schwelle genügen, da der Reisende bei einer Infektion mit der Gefahr seines Todes oder erheblicher Krankheitsrisiken rechnen muss, für die bisher keine ausreichenden Therapien erforscht sind oder ausreichende Behandlungsmöglichkeiten im Urlaubsgebiet fehlen. Diese Grundsätze müssen auch für den Reiseveranstalter gelten. Wenn mit einer Wahrscheinlichkeit von zumindest 25% damit zu rechnen ist, dass im Reisezeitpunkt eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen wird, war die Beklagte zur vorgenommen Änderung der Route berechtigt, d. h. die durch die Änderung eingetretenen Mängel waren durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht. Im vorliegenden Fall ging es um eine Asien-Kreuzfahrt.
Auch wenn sich Ende Januar 2020 diese Krankheit noch nicht weltweit ausgebreitet hatte, so war doch bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Covid-19-Erkrankung ein erhebliches Risiko für Leib und Leben der Reisenden und der Mitarbeiter darstellt, so dass die Beklagte berechtigt war, die streitgegenständliche Asien-Kreuzfahrt wegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände wie erfolgt zu ändern. Zwar gab es zum Zeitpunkt der Routenänderung noch keine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für den gesamten asiatischen Raum, sondern lediglich eine Teil-Reisewarnung für China, nämlich für die chinesische Provinz Hubei. Die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus der abgeriegelten Metropolregion Wuhan wurde jedoch bereits Ende Januar vorbereitet. Das Auswärtige Amt riet angesichts des Infektionsgeschehens dazu, nicht zwingende Reisen nach China zu verschieben oder zu unterlassen. Am 29. Januar wurden in allen Provinzen der Volksrepublik China Fälle der Sars-CoV-2-Infektion gemeldet. Insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt 9.700 Personen positiv getestet und 213 aufgrund des Virus verstorben. Ab Januar 2020 begann in der Sonderverwaltungszone Hongkong die graduelle Schließung von Schulen, Kindergärten, Freizeitparks und öffentlichen Einrichtungen mit Publikumsverkehr wie Sportzentren oder Bibliotheken. Am 25. Januar erklärte die Regierung in Hongkong den Virusausbruch zum „Notfall“ – der höchsten Warnstufe. Die Schulen wurden zunächst bis zum 17. Februar für ausgesetzt erklärt. Ab 30. Januar wurden Flug-/Zug- und Busverbindungen wischen Hongkong und dem chinesischen Festland eingestellt bzw. erheblich eingeschränkt. Am 30. Januar wurden neue Fälle von Coronavirus in Hongkong bestätigt. In Deutschland traten Ende Januar 2020 erste einzelne Erkrankungsfälle in Bayern auf. Nach British Airways und weiteren Fluggesellschaften gab die Lufthansa am 29. Januar 2020 bekannt, den Flugverkehr einschließlich der ihrer Töchter zwischen der Volksrepublik China und Deutschland zunächst bis zum 9. Februar einzustellen, dann verlängert bis Ende Februar. Nachdem das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess am 25. Januar in Hongkong angelegt hatte, wurde am 31.01.- die Diamond Princess hatte in der Zwischenzeit Häfen in Thailand, Vietnam und Taiwan angelaufen und war auf Kurs nach Yokohama – bei dem Reisenden eine Infektion mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 nachgewiesen. Das Schiff wurde am 5. Februar 2020 mit 3711 Passagieren und Crewmitgliedern an Bord im Hafen von Yokohama bis zum 19. Februar unter Quarantäne gestellt. Das Kreuzfahrtschiff World Dream mit über 3700 Menschen wurde am 5. Februar 2020 vor Hongkong unter Quarantäne gestellt, nachdem ein Gast bei seiner Ankunft positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden war. Die Passagiere durften nach viertägiger Quarantäne am 9. Februar 2020 das Schiff verlassen.
Die vorstehend aufgezeigten Umstände und Geschehnisse sind aufgrund von allgemein zugänglichen Veröffentlichungen gerichtsbekannt. Sie machen deutlich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten, die Reise nicht von Shanghai aus zu beginnen zu lassen und Hongkong nicht anzusteuern, wenn nicht geboten, so doch jedenfalls gut nachvollziehbar war. Es erfolgte eine zunehmende weltweite Verbreitung des Coronavirus und immer mehr Länder reagierten auf unterschiedlichste Art und Weise hierauf. Insgesamt war die Situation generell unübersichtlich, was auch auf die Durchführung von Reisen und insbesondere Kreuzfahrten zutraf, mit einer Vielzahl von anzusteuernden verschiedenen Ländern, insbesondere auch China. Die allgemeine Situation einerseits sowie die möglichen Folgen von Einschränkungen oder Ansteckungen auf die konkrete Reise mussten gegeneinander abgewogen werden. Die Beklagte musste mit objektiven nicht fernliegenden Umständen rechnen, die die ordnungsgemäße Durchführung der Reise beeinträchtigen oder vereiteln würden. Bei unveränderter Route bestand die Gefahr, dass sich einzelne Passagiere beim Aufenthalt in China mit dem Virus bereits angesteckt hatten oder sich beim Besuch insbesondere der chinesischen Hafenstädte anstecken würden, was zu einer erheblichen Ansteckungsrate auf dem Schiff hätte führen können. Zum damaligen Zeitpunkt kannte niemand die genauen Zahlen über die tatsächliche Verbreitung des Coronavirus in Asien. Die Dunkelziffer war mutmaßlich hoch. Große Kreuzfahrtschiffe stellen zudem aufgrund der sehr großen Zahl von Menschen, die auf engstem Raum zusammenleben einen idealen Nährboden für Infektionskrankheiten dar. Die Geschehnisse um der beiden o. g. Kreuzfahrtschiffe verdeutlichen, auf welche Szenarien sich die Beklagte einstellen musste. Unabhängig davon, gab die tatsächliche Entwicklung des Infektionsgeschehens zur Pandemie der von der Beklagten angestellten Prognose uneingeschränkt Recht. Bei der gegebenen Sachlage ist für eine Entschädigung wegen vertaner Urlaubszeit gem. § 651n Abs. 2 BGB kein Raum.
Mangels Schadenersatzanspruches sind die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nicht im Rahmen des Schadenersatzes gem. § 651n Abs. 1 BGB zu erstatten. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sind auch nicht im Rahmen des Verzugsschadens zu erstatten. Dies folgt schon zu einem Teil daraus, dass mangels Begründetheit der Hauptforderung auch kein Anspruch auf Nebenforderungen besteht, weshalb die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen abzuweisen ist. Soweit die Beklagte vorgerichtlich auch zur Rückzahlung des Reisepreises aufgefordert worden ist, mangelt es am Verzug. Die Kosten des verzugsbegründenden Rechtsanwaltsschreibens gehören nicht zu ersatzfähigen Verzugsschaden
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gem. § 3 ZPO.


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