Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 26 S 18.3075

Datum:
5.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28920
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3

 

Leitsatz

1 Der Schluss auf die fehlende Kraftfahreignung wegen Nichtbeibringung eines angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens ist nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV setzt voraus, dass Eignungszweifel bestehen, weil nachweislich in der Vergangenheit Drogenkonsum vorlag und Ungeeignetheit jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt gegeben war. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
Der 1973 geborene Antragsteller war mit Urteilen vom … November 1998 und vom … März 2002 u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jeweils zu Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Ihm wurde deshalb nach erfolgloser Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens am … August 2006 die Fahrerlaubnis entzogen. Am … Juni 2012 erfolgte erneut eine Verurteilung wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch das Landgericht Ingolstadt. Das Urteil stellte fest, dass der Antragsteller seit 1997 heroinabhängig sei und er trotz Substitutionsbehandlung immer wieder Heroin konsumiere.
Am … Februar 2016 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und C1 und legte Ergebnisse mehrerer Urinscreenings vor.
Am 8. September 2016 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr.1 FeV sowie des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV an. Dem Antragsteller sei sowohl die Fahrerlaubnis wegen der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln entzogen worden als auch nehme er im Rahmen eines Substitutionsprogrammes weiterhin Betäubungsmittel ein. Es sei gutachterlich zu klären, ob körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vorlägen, die mit der Einnahme von Betäubungsmitteln bzw. Drogenersatzstoffen in Zusammenhang gebracht werden könnten und ob bei dem Antragsteller trotz der Substitution mit Drogenersatzstoffen besondere Umstände vorlägen, welche das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B und C1 erwarten ließen. Weiter sei zu klären, ob eine psychosozial stabile Integration und die Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol gegeben seien.
Daraufhin legte der Antragsteller ein Gutachten des TÜV … vom … November 2016 vor. Es kam zu dem Ergebnis, dass beim Antragsteller keine BTMindizierten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen vorlägen; es lägen trotz Substitution besondere Umstände vor, die das sichere Führen von KFZ der Klassen B und C1 erwarten ließen. Der Antragsteller sei psychosozial stabil integriert und gebrauche keine anderen psychoaktiven Stoffe oder Alkohol.
Am 29. November 2016 bat die Antragsgegnerin um ergänzende Stellungnahme u.a. zu den Urinkontrollergebnissen, zur Kokainabhängigkeit und zur Frage der Überwachung des Verlaufs der Opiatabhängigkeit und der Substitutionsbehandlung.
Nachdem die ärztliche Gutachterin am … Dezember 2016 und … Januar 2017 hierzu jeweils Stellung genommen hatte, stellte sie in einer ergänzenden Stellungnahme vom … Februar 2017 zu ihrem Gutachten fest, dass die positive Prognose unverändert bestehen bliebe, das Gutachten jedoch unter Verweis auf das Kriterium D 1.4 N, Nummern 24 und 25 der Beurteilungskriterien zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung zur Regelausnahme bei fortgeführter Substitution um die Auflage ergänzt werde, dass eine Nachuntersuchung nach 12 Monaten erforderlich sei.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2017 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass er derzeit zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei, jedoch in einem Jahr erneut zur Vorlage eines weiteren medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert werde und er deshalb seine Betäubungsmittel- und Alkoholabstinenz weiterhin durch Screenings belegen müsse.
Mit Schreiben vom … Februar 2018, zugestellt am 3. Februar 2018, erging erneut eine Gutachtensanordnung mit Frist zur Vorlage bis 2. Mai 2018. Als Rechtsgrundlage wurde § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV angegeben. Es sei unter Beachtung der Ausführungen im vorgelegten Gutachten zu klären, ob der opiatabhängige Antragsteller trotz der ggf. noch bestehenden Substitutionsbehandlung zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen in der Lage sei. Die Fragen deckten sich mit den in der ersten Gutachtensanordnung vom 8. September 2016 gestellten, ergänzt um die Frage, ob das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit gegeben sei.
Am 5. Februar 2018 wurde dem Antragsteller, der inzwischen die theoretische und praktische Fahrprüfung bestanden hatte, die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt, weshalb die Gutachtensanordnung am 12. März 2018 entsprechend angepasst wurde.
Der Antragsteller legte das Gutachten nicht vor, stattdessen forderte die Bevollmächtigte des Antragstellers die Antragsgegnerin auf, auf die Nachuntersuchung zu verzichten, da diese vor dem Hintergrund fehlender Rückfallgefahr unverhältnismäßig sei.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2018 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller nach Anhörung die Fahrerlaubnis der Klasse B einschließlich Unterklassen (Nr. 1 des Bescheids), gab dem Antragsteller auf, den Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Ablieferungsverpflichtung an (Nr. 3) und drohte für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung aus Nr. 2 nicht rechtzeitig nachkommen würde, ein Zwangsgeld in Höhe von 500.- EUR an (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Anordnungsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV erfüllt sei. Laut dem Gutachten vom … November 2016 in der Fassung vom … Februar 2017 sei eine Opiatabhängigkeit des Antragstellers gegeben. Es hätten damals besondere Umstände vorgelegen, die erwarten ließen, dass das sichere Führen von KFZ gegeben sei. Der Antragsteller sei aber darauf hingewiesen worden, dass er seine Abstinenz weiterhin nachzuweisen und in einem Jahr erneut ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen habe. Der Gutachtensanordnung vom 1. Februar 2018 sei er ohne nachvollziehbaren Grund nicht nachgekommen, weshalb der Schluss auf seine Nichteignung nach § 11 Abs. 8 FeV zulässig sei. Außerdem sei bekannt geworden, dass sich der Antragsteller gefälschte Abstinenzbelege habe besorgen wollen; ein Strafverfahren sei deshalb eingeleitet worden. Damit liege eine Straftat während der Substitutionsbehandlung vor, die nach Kriterium D 1.4 N, Nummer 17 der Beurteilungskriterien zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung Zweifel an der Eignung des Antragstellers begründeten.
Der Antragsteller hat an Eides statt den Verlust des abgabepflichtigen Führerscheins versichert.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2018, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage und stellte mit gleichem Schriftsatz den Antrag,
„die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und die angeordnete sofortige Vollziehung bezüglich Ziffer 1) der Verfügung auszusetzen und die aufschiebende Wirkung diesbezüglich wiederherzustellen.“
Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Antragsteller sei die Gutachtensanordnung vom 1. Februar 2018 nicht zugegangen. Die Anordnung der Nachuntersuchung sei rechtswidrig. Das Gutachten vom … November 2016 habe alle Fragen zugunsten des Antragstellers beantwortet und enthalte keine Auflagen. Der Antragsteller sei seit Mai 2013 drogenfrei. Er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis dringend angewiesen, da er seit … April 2018 bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite. Eine Gefährdung des Straßenverkehrs gehe vom Antragsteller nicht aus, da er ein positives Gutachten vorgelegt habe.
Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2018 legte die Antragsgegnerin die Akten vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 8. August 2018 führte die Bevollmächtigte des Antragstellers u.a. aus, dass eine positive Eignungsbeurteilung trotz laufendem Substitutionsverfahren möglich sei, wenn eine mehr als einjährige Substitution, eine psychosozial stabile Integration, die Freiheit von Beigebrauch anderer Substanzen inklusive Alkohol seit mindestens einem Jahr, der Nachweis von Eigenverantwortung und Therapie-Compliance und das Fehlen einer Persönlichkeitsstörung gegeben sei. Der Antragsteller erfülle alle genannten Kriterien, dafür werde das Zeugnis der Gutachterinnen angeboten. Das Gutachten in der auflagenlosen Version vom … November 2016 sei schlüssig und die weitere Gutachtensanordnung deshalb rechtswidrig gewesen. Unabhängig davon sei der Antragsteller bereit gewesen, nach entsprechender Fristverlängerung ein weiteres Gutachten beizubringen, was ihm aber verwehrt worden sei. Im Übrigen sei das Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen der Besorgung gefälschter Abstinenzbelege nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 26 K 18.3073 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei seiner Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt die summarische Prüfung, dass der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist, den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt und die gegen den Bescheid erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In einem solchen Fall verbleibt es bei der von der Antragsgegnerin ausgesprochenen sofortigen Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung.
1. Die Antragsgegnerin hat bezüglich der Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids vom 25. Mai 2018 das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Entziehung auf Seite 5 des Bescheids ausreichend einzelfallbezogen im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO begründet.
2. Die in Nr. 1 des Bescheides vom 25. Mai 2018 ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Bescheids vom 25. Mai 2018.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrungeeignetheit des Betroffenen muss insoweit nachgewiesen sein. Wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in den §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere durch die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde zu Recht geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081).
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung ist dabei grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, weil der Betroffene sie mangels Verwaltungsaktqualität nicht unmittelbar anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden (§ 11 Abs. 5 i.V.m. Nr. 1 Buchst. a Satz 2 der Anlage 4a zur FeV). Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen.
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die zur Entziehung der Fahreignung führende Feststellung der Fahrungeeignetheit des Antragstellers zu Recht daraus hergeleitet, dass dieser der auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gestützten Anordnung vom … Februar 2018 zur Beibringung eines (weiteren) medizinisch-psychologischen Gutachtens im Rahmen einer Nachuntersuchung innerhalb der Frist bis 2. Mai 2018 nicht nachgekommen ist.
2.1 Nach § 46 Abs. 3 FeV in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Anordnung einer Beschränkung oder den Entzug der Fahrerlaubnis anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt.
Gemäß Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist nämlich im Fall der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) von einer fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen. Gleiches gilt nach Ziffer 9.3 der Anlage 4 zur FeV im Fall der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen. Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV sieht die Wiedererlangung der Fahreignung (erst) nach einer Entgiftung und Entwöhnung sowie einer einjährigen Abstinenz vor. Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV sieht die Geltung dieser Bewertungen für den Regelfall vor, lässt hiervon Ausnahmen durch Kompensationen zu und sieht bei Zweifeln diesbezüglich die medizinisch-psychologische Begutachtung als Mittel der Klärung vor (vgl. dazu BayVGH, B.v. 05.07.2012 – 11 CS 12.1321 – juris).
Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV setzt voraus, dass Eignungszweifel bestehen, weil nachweislich in der Vergangenheit Drogenkonsum vorlag und Ungeeignetheit jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt gegeben war (vgl. BVerwG, U.v. 09.06.2005, 3 C 25/04, NJW 2005, 3081; OVG Bremen, B.v. 08.03.2000, 1 B 61/00, NJW 2000, 2438; VG Augsburg, U.v. 03.02.2004, 3 K 03/1572, DAR 2004, 287)
Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage sind vorliegend hinsichtlich des Antragstellers erfüllt. Ob er sich zum Anordnungszeitpunkt weiterhin in einer Substitutionsbehandlung befand, und wenn ja, ob er die sich hieraus ergebenden Anforderungen an die Fahreignung ausnahmsweise weiterhin erfüllte, war gutachterlich auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV (in Verbindung mit Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV) zu klären.
2.2 Dieser Anordnung steht das Gutachten über den Antragsteller vom … November 2016 in der Fassung der Ergänzung vom … Februar 2017 nicht entgegen, weil es – bei positiver Prognose für den Antragsteller bezüglich seiner aktuellen Fahreignung – unter Verweis auf das Kriterium D 1.4 N, Nummern 24, 25 der Beurteilungskriterien zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung zur Regelausnahme bei fortgeführter Substitution die Auflage festsetzt, dass eine Nachuntersuchung nach 12 Monaten erforderlich sei.
Dieses Gutachten ist mit diesem um die Auflage der Nachuntersuchung ergänzten Ergebnis auch schlüssig und nachvollziehbar. Der Antragsteller ist seit 1997 heroinabhängig, befand sich vom … November 2011 bis zum … Mai 2013 in einer Entwöhnungstherapie und unterzieht sich seit Oktober 2013 einer Substitutionsbehandlung mit Subutex. Auch wenn der Antragsteller laut Gutachten die Kriterien einer mehr als einjährigen Substitution, einer psychosozial stabilen Integration, der Freiheit von Beigebrauch anderer Substanzen inklusive Alkohol seit mindestens einem Jahr, des Nachweises von Eigenverantwortung und Therapie-Compliance und des Fehlens einer Persönlichkeitsstörung erfüllt, was das Gutachten schlüssig insbesondere aus den als glaubhaft und nachvollziehbar bewerteten Angaben des Antragstellers im psychologischen Gespräch sowie den ärztlichen Untersuchungsbefunden ableitet, ist es im Ergebnis (nur) unter der Prämisse schlüssig und nachvollziehbar, dass eine Nachuntersuchung zur Auflage gemacht wird.
Denn beim drogenabhängigen Antragsteller müssen, um eine günstige Prognose bei vorliegender Abhängigkeit stellen zu können, die Kriterien D 1.3 N bis D 1.7 N der Beurteilungskriterien zur Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung erfüllt sein. Nach dem hier einschlägigen Kriterium D 1.4 N, Nummern 24 und 25, ist Voraussetzung dafür, dass
„der weitere Verlauf der fortbestehenden Opiatabhängigkeit und der Substitutionsbehandlung durch Kontrolluntersuchungen überprüft wird. Abhängig von der Vorgeschichte und der Befundlage findet eine erste med.- psych. Nachuntersuchung nach einem bei der Begutachtung zu bestimmenden Zeitraum von 1-2 Jahren statt (…).
Liegt eine langjährig stabile Substitution (Erhaltungssubstitution) vor, wobei sich auch in einer Nachuntersuchung bestätigt hatte, dass keine destabilisierende Entwicklung eingetreten ist, kann auf eine weitere Nachuntersuchung verzichtet werden. Im Gutachten werden jedoch dem Einzelfall angemessene Vorschläge für die weitere Verlaufskontrolle aufgenommen (z. B. halbjährliche Bescheinigungen des behandelnden Arztes zur Vorlage bei der Fahrerlaubnisbehörde, denen zu entnehmen ist, dass er weiterhin ohne Auffälligkeiten am Substitutionsprogramm teilnimmt; weitere unvorhersehbare Urinkontrollen in längeren Abständen; Anordnung einer med.-psych. Nachuntersuchung bei Bekanntwerden von Auffälligkeiten).“
Nach diesen für das Gericht zwar nicht rechtlich bindenden, aber schlüssigen und sinnvollen Kriterien hat das Gutachten nachvollziehbar, ja sogar fachlich zwingend, eine Nachuntersuchung des Antragstellers angeordnet. Schweigen durfte das Gutachten jedenfalls zu der Frage der Nachuntersuchung nicht, weshalb das Gutachten in seiner ersten Fassung diesbezüglich der Nachbesserung bedurfte.
Nachdem der Antragsteller der Auflage der Nachuntersuchung, die mit der Gutachtensanordnung vom 1. Februar 2018 durch die Antragsgegnerin umgesetzt wurde, nicht nachgekommen ist, ergeben sich Zweifel daran, ob er auch weiterhin ausnahmsweise die Anforderungen erfüllt, die an einen sich in Substitutionsbehandlung befindlichen Betroffenen gestellt werden.
2.3 In formeller Hinsicht (§ 11 Abs. 6 FeV) ist die Anordnung vom 1. Februar 2018 nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die zu klärenden Fragen in Bezug auf die Eignung des Antragstellers dargelegt und die bestehenden Zweifel an seiner Eignung hinreichend begründet, indem sie auf die durch das Gutachten angeordnete Nachuntersuchung abgestellt hat. Die gesetzte Beibringungsfrist bis zum 2. Mai 2018 war ausreichend bemessen. Schließlich wurde in der Anordnung auf die Rechtsfolgen nach § 11 Abs. 8 FeV hingewiesen.
Dem Einwand des Antragstellers, die Gutachtensanordnung sei ihm nicht zugegangen, ist entgegenzuhalten, dass sich aus den Akten eine Zustellung an die Wohnadresse des Antragstellers am 3. Februar 2018 ergibt. Unter diesen Umständen müsste der Antragsteller näher substantiieren, warum er entgegen dem Zustellnachweis das Schreiben tatsächlich nicht erhalten hat. Daran fehlt es.
Die Antragsgegnerin hat es schließlich auch zu Recht abgelehnt, die hilfsweise beantragte Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens zu gewähren, da angesichts der Begründung des Antragstellers, er habe nicht das Geld, um sich die nötigen Abstinenzbelege zu besorgen und des im Raum stehenden, nicht von der Hand zu weisenden Verdachts, er können die Abstinenzbelege gefälscht haben, eine weitere Fristverlängerung nicht angemessen war.
2.4 Nach alldem war die Antragsgegnerin wegen der Nichtbeibringung des Gutachtens nach § 11 Abs. 8 FeV berechtigt, auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers zu schließen. Damit war der Entzug der Fahrerlaubnis bei summarischer Prüfung rechtmäßig und die Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers, ohne dass es angesichts der durch die Entziehung der Fahrerlaubnis zu sichernden überragend wichtigen Rechtsgüter noch darauf ankommt, ob und wie dringlich der Antragsteller auf seine Fahrerlaubnis zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit angewiesen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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