Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 ZB 20.304

Datum:
24.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20696
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2
FeV § 11 Abs. 8, § 14 Abs. 1 S. 2
GKG § 66 Abs. 3 S. 3, § 68 Abs. 1 S. 5

 

Leitsatz

Darlegen“ im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet  „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist deshalb eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird. Daraus folgt, dass die bloße Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens unter vollständiger Ausblendung der Urteilsgründe nicht ausreicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231, BeckRS 2020, 14601). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 K 19.1522 2019-09-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der ihm am 6. September 2011 erteilten Fahrerlaubnis.
Im November 2018 wurde dem Landratsamt Traunstein bekannt, dass der Kläger wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen angeklagt worden war. Dem lag zugrunde, dass am 25. August 2018 sein Verlangen um sofortige Aufnahme in das Bezirksklinikum Wasserburg abgewiesen wurde und er daraufhin randalierte. Er wurde von vier Polizeibeamten bei erheblicher Gegenwehr zu Boden gebracht und gefesselt.
Auf entsprechende Anforderung des Landratsamts legte der Kläger ein Attest der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 6. Dezember 2018 vor, die eine paranoide Schizophrenie (F20.0) und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig jedoch remittiert (F33.4G), diagnostizierte und bestätigte, dass er die notwendige Medikation (Mirtazapin Hexal, Aripiprazol) bereits über einen längeren Zeitraum einnehme. Nach heutigem Wissensstand seien Einschränkungen der psychophysischen Leistungsfähigkeit in dieser Phase der stabilen Erhaltungstherapie nicht zu erwarten.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 gab das Landratsamt dem Kläger unter Hinweis auf mehrere Vorfälle aus den Jahren 2011 bis 2016, die Hinweise auf die Bestellung von Betäubungsmitteln lieferten und den Besitz von Doping- und Arzneimitteln zum Gegenstand hatten, sowie unter Hinweis auf den Vorfall im Bezirksklinikum am 25. August 2018 und das ärztliche Attest vom 6. Dezember 2018 gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 9.1, 9.4 und 9.5 der Anlage 4 zur FeV, § 11 Abs. 2 FeV auf, bis 20. Februar 2019 ein ärztliches Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle zu den Fragen beizubringen, ob er Betäubungsmittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme und ob eine Erkrankung nach Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV vorliege, wodurch jeweils seine Fahreignung infrage gestellt werde. Ferner sollten weiterführende Fragen zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis, zur Adhärenz, zu Beschränkungen und/oder Auflagen, zu ärztlichen Kontrollen und einer erneuten Begutachtung beantwortet werden.
Der Aufforderung kam der Kläger nicht nach.
Daraufhin entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 18. März 2019 gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zugang des Bescheids beim Landratsamt abzugeben.
Am 28. März 2019 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erheben. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. September 2019 mit der Begründung ab, die Fahrerlaubnis sei dem Kläger auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV zu Recht entzogen worden. Die Gutachtensanordnung vom 17. Dezember 2018 sei formell und materiell rechtmäßig. Zwar sei zweifelhaft, ob bezüglich der ersten Frage § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV die zutreffende Ermächtigungsgrundlage sei, da diese Vorschrift den Nachweis des Betäubungsmittelbesitzes voraussetze, welcher in den entsprechenden Strafverfahren nicht geführt worden sei. Es hätten jedoch Tatsachen vorgelegen, die die Annahme begründeten, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln und eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Stoffen vorlägen. Somit sei das Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV anzuordnen gewesen. Das Landratsamt habe richtig festgestellt, dass der Kläger in Zusammenhang mit mehreren Fällen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (harte Drogen nach Anlage III zum BtMG) bzw. das Anti-Doping-Gesetz auffällig geworden sei. Der polizeilichen Bitte um Eignungsprüfung sei ein Aktenvermerk vom 17. November 2016 beigefügt gewesen, wonach die Wahnvorstellungen des Klägers mit großer Wahrscheinlichkeit auf Drogen- und Alkoholkonsum zurückzuführen seien. In der Gesamtschau lägen hinreichende Anknüpfungstatsachen für einen – wenn auch nicht nachgewiesenen – Konsum vor. Unter diesen Umständen sei die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens die geeignete und verhältnismäßige Aufklärungsmaßnahme gewesen. Die Tatsache, dass bei der Wohnungsdurchsuchung beim Kläger am 29. Oktober 2016 eine größere Menge von verschreibungspflichtigen Medikamenten und Dopingmitteln wie Tamoxifen, Stereoide und Melanotan sowie 13 Injektionsampullen mit je 250 mg Testosteron aufgefunden worden seien und der Kläger „gesprächsweise“ eingeräumt habe, sich diese in der Vergangenheit für den Eigenverbrauch verschafft zu haben, begründe die Annahme einer missbräuchlichen Einnahme im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV. Die Behörde sei auch nicht von einem nachgewiesenen Konsum bzw. einer missbräuchlichen Einnahme, sondern lediglich von Tatsachen ausgegangen, die diese Annahme begründeten. Damit sei die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens auch diesbezüglich die geeignete und verhältnismäßige Aufklärungsmaßnahme. Da hinsichtlich der „ausgetauschten“ Rechtsgrundlage kein Ermessen auszuüben gewesen sei, sei es unschädlich, dass das Landratsamt § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV als Rechtsgrundlage angeführt habe. Es habe vom Kläger auch erwartet werden dürfen, dass er der Gutachtensanordnung Folge leiste. Wenn sich neben richtigen Erwägungen, welche die Forderung nach einer Begutachtung selbstständig trügen, in einer Gutachtensanordnung auch unrichtige Ausführungen fänden, sei dies unschädlich, wenn der betroffene Fahrerlaubnisinhaber anhand einer vollständigen Prüfung noch immer zu der Einsicht gelangen müsse, dass er der Gutachtensaufforderung Folge zu leisten habe. Dies sei vorliegend der Fall gewesen. Der Aufklärungsmaßnahme stehe auch nicht entgegen, dass die zugrunde liegenden Sachverhalte bereits mehrere Jahre zurücklägen. Im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung habe der jüngste Betäubungs- bzw. Arzneimittel betreffende Sachverhalt zwei (2016) und der älteste sieben (2011) Jahre zurückgelegen. In Anbetracht zweier weiterer Vorfälle in den Jahren 2013 und 2014 und der Tatsache, dass die Zusammenschau der Verfahren eine Rolle gespielt habe, sei es nicht unverhältnismäßig, auch die bis zu sieben Jahre zurückliegenden Vorfälle zu verwerten. Keine Bedenken bestünden schließlich gegen die Gutachtensanordnung im Hinblick auf die psychische Störung. Hier habe das Landratsamt zunächst ein Attest des behandelnden Arztes gefordert und damit das am ge9 ringsten belastende Mittel gewählt. Aufgrund der diagnostizierten paranoiden Schizophrenie habe es folgerichtig die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV angeordnet und dabei ausgeführt, dass und warum psychische Störungen und konkret eine Schizophrenie in unterschiedlichen Ausprägungen, Schweregraden und Erscheinungen aus verkehrspsychiatrischer Sicht von erheblicher Bedeutung seien. Dabei habe es auch differenziert auf Fahrzeuge der Gruppen 1 und 2 und auf die Situation des Klägers abgestellt, sodass eine ausreichende Ermessensausübung gegeben sei. Die Anordnung sei nicht auf die ebenfalls diagnostizierte depressive Störung erstreckt worden.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger geltend, die Gutachtensanordnung sei formell, zumindest aber materiell rechtswidrig. Zu ihrer Begründung könnten die aus den Jahren 2011 bis 2016 stammenden Vorfälle nicht herangezogen werden, da sie Jahre zurücklägen und man in den jeweiligen Verfahren keine fahrerlaubnisrelevanten Erhebungen getroffen habe. Die Vorfälle berechtigten nicht – auch nicht in Verbindung mit dem Ereignis vom August 2018 – zur Anordnung eines Fahreignungsgutachtens. Es möge grundsätzlich richtig sein, dass in akuten schizophrenen Episoden das sichere Führen von Kraftfahrzeugen in bestimmten Fällen nicht möglich sei. Ein derartiges Krankheitsbild liege aktuell beim Kläger jedoch nicht vor und habe auch nicht bei Anordnung des Gutachtens vorgelegen. Aus dem vom Kläger innerhalb offener Frist vorgelegten ärztlichen Attest ergebe sich die gesicherte Diagnose einer „rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert (F33.4G)“. Danach seien depressive Episoden und Symptome beim Kläger in den vergangenen Monaten nicht aufgetreten. Eine akute Gefährdung sei somit nicht gegeben bzw. durch das Attest sogar widerlegt. Darüber hinaus bestätige die behandelnde Ärztin in dem vorgelegten Attest eine angemessene Medikation, die eine Einschränkung der Fahrtüchtigkeit ausschließe. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sämtliche Vorfälle, die das Landratsamt in seiner Begründung aufliste, vor Erstellung des ärztlichen Attests lägen. Nach Vorlage dieses Attests sei die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens weder geboten noch erforderlich gewesen. Die auf der Grundlage der Gutachtensanordnung erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis sei daher rechtswidrig. Dies habe das Erstgericht verkannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der Klägerbevollmächtigte hat keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Zulassungsgründe ausdrücklich benannt. Eine am Interesse des Klägers orientierte Auslegung seines Zulassungsvortrags (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 57; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 124a Rn. 126 ff.) ergibt jedoch, dass er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ, a.a.O. § 124a Rn. 54).
Der Beklagte wendet zu Recht ein, dass die im Stil einer Berufungsbegründung abgefasste Zulassungsbegründung die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verfehlt, die eine Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Darlegungen des angefochtenen Urteils verlangen. Bezogen auf die Urteilsgründe ist dem Zulassungsantrag jedoch lediglich zu entnehmen, dass das Erstgericht die Richtigkeit des erstinstanzlichen Vortrags des Klägers „verkannt“ habe. Ansonsten werden nicht ansatzweise über die Klagebegründung hinausgehende Gesichtspunkte oder Argumente vorgetragen, sondern wird lediglich weitgehend wörtlich die Klagebegründung wiedergegeben.
„Darlegen“ im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet hingegen „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (vgl. BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – Buchholz 310 § 133 [n.F.] VwGO Nr. 11 = juris Rn. 3 m.w.N.). Erforderlich ist deshalb eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124a Rn. 100; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2019, § 124a Rn. 194; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 59, 63). Daraus folgt, dass die bloße Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens unter vollständiger Ausblendung der Urteilsgründe nicht ausreicht (vgl. BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 124a Rn. 49 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Urteil auf die Einwände des Klägers eingegangen. Es hat insbesondere einen zeitlichen und tatsächlichen Zusammenhang zwischen den strafrechtlichen Auffälligkeiten in den Jahren 2011 bis 2016 gesehen, eine Auswechslung der Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens hier ausnahmsweise für rechtmäßig erachtet und dargelegt, dass die in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV geregelten Tatbestände den Nachweis des Konsums von Betäubungsmitteln bzw. von psychoaktiv wirkenden Stoffen nicht voraussetzen (vgl. dazu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 14 FeV Rn. 11 m.w.N., wonach hinreichend konkrete Verdachtsmomente genügen). Zu dem krankheitsbezogenen Teil der Gutachtensanordnung hat das Gericht darauf verwiesen, dass das Landratsamt keine Begutachtung der remittierten depressiven Störung, sondern allein eine Begutachtung der im fachärztlichen Attest vom 6. Dezember 2018 diagnostizierten Schizophrenie angeordnet hat.
Ohne mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Anforderungen zu überspannen, wäre es erforderlich gewesen, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung zu diesen tragenden Erwägungen im Urteil zumindest ansatzweise Stellung nimmt. Rechtsausführungen hierzu sind dem Zulassungsantrag jedoch nicht zu entnehmen.
Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben